Der heilige Vianney - Vorbild für die Weltpriester (1)

Seit Jahrzehnten begegnet man im öffentlichen Leben, wenn man über den Glauben und die Kirche spricht, einem Wort, das durch den allzu häufigen Gebrauch seines Inhaltes fast völlig entleert ist: das Wort „Kirchenkrise“. Schon die recht unterschiedliche bis widersprüchliche Verwendung dieses Wortes zeigt, daß man zwar viel über das Phänomen spricht, aber wenig davon versteht. Während die einen scharfmachen, indem sie von einer nie dagewesenen, alles Vergangene weit übertreffenden Krise sprechen, verharmlosen die anderen den Sachverhalt so sehr, daß für sie die Kirchenkrise nur ein Gesundschrumpfen bedeutet. Wobei jeder unvoreingenommene Beobachter sofort einwenden wird: Schrumpfen schon, aber gesund sicherlich nicht.

Ein wesentlicher Aspekt dieser viel beschworenen „Kirchenkrise“ – auf den genauen Sinn, bzw. Unsinn dieses Begriffes können wir hier nicht eingehen, denn das würde uns zu weit vom Thema wegführen – ist die Krise des Priestertums. Diese Krise ist viel dramatischer als die meisten „Katholiken“ sich eingestehen wollen. Hat sich doch die Krise des Priestertums naturnotwendig im Gleichschritt mit der „Kirchenkrise“ verschärft. Die Menschenmachwerkskirche hat zwar noch Priester, aber was versteht sie eigentlich genau darunter? Der viel beklagte Identitätsverlust ist schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern letztlich hausgemacht.

Grundsätzlich muß man wohl feststellen, daß das Phänomen zwar vielfach wahrgenommen wird – es gibt immer weniger Priester, weil viele Seminare fast leer sind –, aber die eigentliche Wurzel der Misere kaum einmal auch nur angeschnitten wird. Das überall verbreitete modernistische Denken verhindert letztlich eine ehrliche Analyse und Sicht der Tragödie. Da jedem Katholiken das Priestertum besonders am Herzen liegen muß, besteht aufgrund der weltweiten Katastrophe direkt eine Notwendigkeit, sich über den Grad der Zerstörung ein einigermaßen klares Bild zu machen. Dabei soll uns der Kontrast des katholischen Priestertums zur modernistischen Abart anhand des Lebens und Wirkens des hl. Pfarrers von Ars aufleuchten.

Der hl. Pfarrer von Ars war nicht einfach nur ein heiliger Priester – deren gibt es viele – er war ein heiliger Weltpriester – von denen es überraschend wenige gibt. Ein Weltpriester ist ein Priester, der nicht in der Geborgenheit eines Klosters lebt, sondern als Pfarrer und Seelsorger inmitten der Welt im Auftrag des Bischofs seinen schweren Dienst verrichtet. Deshalb wird er auch in viel gefährlicherer Weise mit dem Geist der Welt konfrontiert und ist somit besonders gefährdet, seinem heiligen Ideal untreu zu werden. Widerspricht doch sein Ideal dem Leben des Weltmenschen, also einem Teil oder auch Großteil seiner Pfarrangehörigen, die inzwischen vielfach ganz und gar verweltlicht sind. Der hl. Pfarrer von Ars wurde damals ebenfalls schon viel mehr, als man gemeinhin meint, mit diesem Konflikt konfrontiert. Weil er darauf aber eine bis heute gültige Antwort gegeben hat, wollen wir uns seinem Leben und Wirken zuwenden und die notwendigen Lehren daraus für uns ziehen.

Der hl. Pfarrer von Ars war selbstverständlich ein Priester der „alten“ Kirche und natürlich auch ganz und gar nach dem Sinn dieser „alten“ Kirche, d.h. nach deren Verständnis des heiligen Priestertums. Diese Tatsache wird noch durch die Zeit hervorgehoben, in die der Heilige hineingeboren wurde. Als Johannes Maria Vianney am 8. Mai 1786 gegen Mitternacht geboren wurde, schwelte im Geheimen schon das Feuer der Revolution in Frankreich. Gott hatte dieses Kind auserwählt, dem von der Revolution gegen Gott aufgehetzten Volk die Wahrheit des „alten“, des katholischen Glaubens entgegenzuhalten. Dabei war es nicht seine Aufgabe, dies durch entflammende Verteidigungs- oder Streitschriften oder Predigen zu tun, sondern vor allem durch das Beispiel seines heiligen Lebens und sein heroisches Wirken im Beichtstuhl. Ist doch die Heiligkeit die besondere und herausragende Frucht unserer heiligen katholischen Religion.

Ein heiliges Kind

Der bedeutendste Biograph des Heiligen Johannes Maria Vianney, Dr. Francis Trochu, bemerkt über dessen Kindheit: „Sein Gemüt hatte sich früh von allem Frommen erschlossen und war leichter und inniger als die übrigen Geschwister auf die sinnigfromme Sorge seiner Mutter eingegangen. Er war eine jener begnadeten Naturen, die es zu Gott hindrängt. Schon vom achtzehnten Monat an kniete er – zweifellos aus Nachahmungstrieb – beim Abendgebet der Familie unter die Geschwister und faltete sorgfältig seine Patschhändchen. Nachher legte ihn seine fromme Mutter schlafen, beugte sich vor dem letzten Nachtkuß noch einmal über ihn und flüsterte ihm vom Jesuskind, von der Gottesmutter, von seinem Schutzengel liebes Gedenken ins Ohr. Unter dem süßen Plauschen dieser Mutterworte schlief der Knabe ein“ (Trochu-Wildlöcher, Der heilige Pfarrer von Ars, Otto Scholz Verlag Stuttgart Degerloch, S. 19; im weiteren abgekürzt: „Trochu“).

So wurde vor allem durch die Mutter schon in der Familie das Fundament einer gesunden und festen Frömmigkeit gelegt, die ganz auf den Wahrheiten des Glaubens ruhte. Als Johannes Maria heranwuchs, beschäftigten ihn vor allem die Geheimnisse der Kindheit Jesu, allen voran das heilige Weihnachtsfest mit den Hirten. Aber auch sonst fiel der Knabe schon früh durch sein lebendiges Interesse an den Glaubensgeheimnissen und den Gottestaten in der Heiligen Schrift auf. Wenn die Mutter ihm und seiner frömmsten Schwester Katharina vorlas, „kniete er sich dabei auf die Steinfließen hin, faltete seine Hände und barg sie in denen seiner Mutter“, wie Trochu berichtet. Dabei achtete die fromme Mutter nicht nur darauf, daß ihre Kinder im Glauben unterrichtet wurden, sie lehrte sie auch von klein auf das rechte Beten. Johannes Maria ahmte etwa seine Mutter nach, die sich angewöhnt hatte, bei jedem Stundenschlag ein Kreuzzeichen zu machen und ein „Gegrüßet seist Du Maria“ zu beten.

Der Knabe lernte aber noch etwas anderes bei seiner Mutter, die schon eine außerordentliche Frömmigkeit besaß. Wenn es ihr möglich war, wohnte sie jeden Morgen dem hl. Meßopfer bei. Meist nahm sie dabei ihre älteste Tochter Katharina mit, aber bald wurde der kleine, erst vierjährige Johannes Maria ihr Lieblingsbegleiter. Denn sobald von der Kirche die Glocken zum hl. Meßopfer riefen, flehte er die Mutter an, sie möge ihn doch mitnehmen. Die hl. Zeremonien faszinierten den Knaben und wenn er von Zeit zu Zeit einen Blick auf seine Mutter warf, dann sah er auf ihrem gesammelten Antlitz, das von einer inneren Flamme wie verklärt leuchtete, wie man richtig beten muß. Als man ihn später einmal auf das Glück ansprach, eine solche Mutter gehabt zu haben, antwortete er ergriffen: „Nächst Gott danke ich es meiner Mutter. Sie war so innig! Die Tugend springt leicht vom Gemüt der Mutter auf das Herz des Kindes über… Nie sollte ein Kind, das die Gnade hatte, eine gute Mutter sein eigen zu nennen, sie anschauen oder ihrer gedenken ohne zu weinen“ (Trochu, S. 23).

Der Ausbruch der Französischen Revolution

Das unbeschwerte Leben des kleinen Johannes Maria währte nicht lange, denn mit dem Ausbruch der Französischen Revolution wurde nicht nur das Land durch Enthauptung des Königs, sondern auch die Nation enthauptet, d.h. seiner christlichen Vergangenheit beraubt. Die meisten Franzosen hatten wohl zunächst gar nicht recht wahrgenommen, welches Ziel die Revolution ansteuerte. Die jakobinischen Revolutionäre waren keine Christen mehr, sondern gottlose Neuheiden, die auf dem Altar von Notre Dame in Paris eine Hure als Göttin der Vernunft stellten. Damit hatten die Revolutionäre wohl ganz unbeabsichtigt ihre tiefsten Gedanken geoffenbart, daß nämlich ihre Vernunft alles andere als vernünftig war, sondern eine Hure, die mit allen Gottlosen der Welt um die Gunst buhlte. Mit diesem Bild der Hure auf dem Altar von Notre Dame dämmert allmählich der apokalyptische Morgen heran, wird doch in der Geheimen Offenbarung die Hure Babylon also beschrieben: „Dann entrückte er mich im Geist in die Wüste. Da sah ich eine Frau - sie saß auf einem scharlachroten Tier voll gotteslästerlicher Namen, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern. Die Frau war in Purpur und Scharlach gekleidet und mit Gold, Edelsteinen und Perlen reich geschmückt. In ihrer Hand hielt sie einen goldenen Becher, angefüllt mit Greuel und Unrat ihrer Unzucht. Auf ihrer Stirn trug sie einen geheimnisvollen Namen: ‚Das große Babylon, die Mutter der Huren und der Greuel der Erde.‘ Ich sah die Frau trunken vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu. Staunen erfaßte mich, als ich sie sah, – großes Staunen“ (Offb 17, 3-6).

Mord im Rausch der „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“

Diese Hure Babylon der Apokalypse ist die Feindin jener anderen Frau, die als großes Zeichen am Himmel erscheint – „bekleidet mit der Sonne und dem Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen“ – und die, nachdem sie ihren Sohn gebar, „der alle Völker mit eisernem Zepter regieren soll“, in die Wüste floh, „wo sie eine von Gott ihr bereitete Stätte hat, damit man sie dort zwölfhundertsechzig Tage lang ernähre“. So gesehen war es nochmals überaus bedeutsam, daß man die Hure in der Kirche „Notre Dame“ auf den Altar stellte, in derjenigen Marienkirche des französischen Königreiches, auf die alle Franzosen stolz waren, weil sie ihre katholische Vergangenheit am treffendsten sinnbildete (und die sicher nicht zufällig unlängst abgebrannt ist).

Die Französische Revolution war der erste groß angelegte Generalangriff der Freimaurer auf das christliche Europa und vor allem natürlich gegen die katholische Kirche. Tausende Priester und mehrere Millionen Katholiken wurden im Rausch der neuen „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (!)“ ermordet. Damit zeigte sich von Anfang an, daß die neue Freiheit Tyrannei, die Gleichheit eine Lüge war und die Brüderlichkeit nur den eigenen Brüdern galt und keineswegs den anderen.

Die „Zivilkonstitution des Klerus“ – Errichtung einer schismatischen „Kirche“

In seiner Biographie über den hl. Pfarrer von Ars faßt Dr. Francis Trochu die damaligen Geschehnisse ganz kurz zusammen: „Als im Januar 1791 die Zivilkonstitution des Klerus für das Lyoner Gebiet in Kraft trat, zählte Johannes-Maria erst fünf Jahre. Jakob Rey, seit neununddreißig Jahren Pfarrer von Dardilly, war schwach genug, den schismatischen Eid zu leisten. Wenn man aber der örtlichen Überlieferung Glauben schenken darf, haben ihm das Beispiel seines Vikars und anderer ungeschworener Mitbrüder die Augen geöffnet, so daß er seinen Fehltritt erkannte und verurteilte. Er hielt sich nachher noch einige Zeit in seiner Pfarre auf, wo er in einem Privathaus das hl. Opfer darbrachte. Dann zog er nach Lyon, von wo er später nach Italien flüchten mußte“ (Trochu, S. 24).

Die Revolution forderte auch von den französischen Priestern ein Bekenntnis, indem es sie einen Eid auf die revolutionäre Zivilverfassung ablegen ließ. Die katholische Kirche hatte diesen Eid untersagt, war er doch nichts anderes als die Anerkennung der Revolution mit ihren im letzten antichristlichen Prinzipien. Das war aber offenbar nicht allen Priestern sogleich einsichtig. Viele ließen sich dazu verleiten, den schismatischen Eid zu leisten, denn rein äußerlich hatte sich ja nicht viel geändert. Die Revolutionäre forderten klugerweise – wenigstens zunächst nicht! – keine Änderung des Glaubens oder des Ritus. Und doch wurde durch die Zivilkonstitution des Klerus eine neue, schismatische Kirche errichtet, eine Kirche gegen die römisch-katholische Kirche, ruhend auf ganz neuen, revolutionären, also das katholische Denken umstürzenden Ideen.

Ein „neuer Bischof“ und ein „neuer Pfarrer“

Nach außen hin hatte sich aber nicht viel geändert, wie Dr. Francis Trochu betont: „Das Verschwinden von Pfarrer Rey fiel zwar auf, störte aber den Gleichklang des Dorflebens nicht so stark, wie man vermuten könnte. Die Kirche blieb geöffnet. Denn ein anderer Pfarrer erschien im Auftrag des neuen Bischofs von Lyon. Neuer Bischof und neuer Pfarrer hatten den Eid geleistet. Wie sollte aber das gute Volk von Dardilly auch nur auf den Gedanken kommen, daß die Zivilkonstitution, die sie kaum dem Namen nach kannten, zu Schisma und Häresie führe? Äußerlich hatte sich nichts geändert. Nicht in den kirchlichen Zeremonien und nicht in den Pfarrgebräuchen. Diese schlichten Menschen wohnten eine Zeitlang ohne Bedenken der hl. Messe des ‚geschworenen Priesters‘ bei. Unter ihnen erschienen in bestem Glauben auch Matthäus Vianney mit Frau und Kindern“ (Ebd.).

...und andere Köpfe an den Ehrenplätzen

Es ist wahr, wie sollten diese einfachen Leute unter diesem täuschenden Äußeren sogleich die Gefahr erkennen, „daß die Zivilkonstitution, die sie kaum dem Namen nach kannten, zu Schisma und Häresie führe“? Daß man mit der Annahme dieses Papiers und Unterzeichnung des Eides sich von der römisch-katholischen Kirche lossagte und einem irrigen, antichristlichen Glauben folgte? Aber dennoch waren die Vianneys wachsam genug, um die allmählich folgenden Veränderungen wahrzunehmen: „Bald aber gingen ihnen die Augen auf. Obgleich die älteste Tochter Katharina damals erst zwölf Jahre zählte, erspürte sie zuerst die Gefahr. Auf der Kanzel sprach der neue Pfarrer nicht ganz in derselben Weise, auch nicht über die gleichen Gegenstände wie Pfarrer Rey. Seine Rede war von den Schlagworten Bürger, Bürgertugend, Konstitution durchsetzt. Auch entfiel ihm ab und zu ein Hieb auf seine Vorgänger. Zudem waren die Kirchenbesucher so wunderlich gemischt und doch auch wieder heller gesät als früher. Die frommen Familien ließen sich beim öffentlichen Gottesdienst nicht mehr sehen — wo erfüllten sie nur ihre Sonntagspflicht? Dagegen tauchten andere Köpfe an den Ehrenplätzen auf, die früher nicht zu den eifrigsten Kirchgängern gezählt hatten. Der kleinen Katharina kamen Bedenken, die sie ihrer Mutter anvertraute“ (Ebd. S. 24 f.).

Neue Ideen und ein neuer Glaube

Der neue Pfarrer, der vom neuen Bischof eingesetzt worden war, brachte auch neue Ideen mit – und damit auch einen neuen Glauben. Dieser neue Glaube zog vor allem diejenigen an, die früher nicht zu den eifrigsten Kirchgängern gezählt hatten, wohingegen sich die frommen Familien beim öffentlichen Gottesdienst nicht mehr sehen ließen. Der kleinen Katharina, die sich durch einen lebendigen und tiefen Glauben auszeichnete, kamen zuerst die Bedenken, die sie ihrer Mutter mitteilte. So kam das eine zum anderen: „Mittlerweile erhielten die Vianney Besuch von einer Verwandten aus Ecully. ‚Ihr guten Seelen, was tut ihr denn?‘ rief die Tante aus bei der Nachricht, sie gehen beim geschworenen Priester in die hl. Messe. ‚Die guten Priester haben den Eid verweigert. Sie sind verjagt, verfolgt, flüchtig. Zum Glück sind einige in Ecully in unserer Mitte geblieben. An diese müßt ihr euch halten. Euer neuer Pfarrer hat sich durch seinen Eid von der katholischen Kirche losgesagt. Er ist nicht euer Hirte. Ihr dürft ihm nicht folgen‘“ (Ebd. S. 25).

Mit einem Mal war der Wolf seines Schafskleides entledigt und er stand als das da, was er war. Die Konsequenz war einfach und klar: „Er ist nicht euer Hirte. Ihr dürft ihm nicht folgen.“ Aber was soll man tun, wenn die guten Priester, die den Eid verweigert haben, verjagt worden sind und nunmehr überall verfolgt werden? Zunächst muß man sich von der Gefahr fern halten und sodann sehen, was Gott weiter fügt. Mutter Vianney war eine gerade und mutige Frau, deswegen scheute sie sich nicht, „beim Geistlichen vorstellig zu werden und ihm seinen Abfall von der wahren Kirche vorzuhalten. Sie erinnerte ihn an das Schriftwort, daß der vom Stocke getrennte Rebzweig ins Feuer geworfen wird, und nötigte ihm das Geständnis ab: ‚Sicher, Frau, der Stock gilt mehr als der Rebzweig‘“ (Ebd.).

Die Ankunft der Revolution in der Pfarrkirche von Dardilly

Die Revolution war somit nicht nur im eigenen Dorf, sie war in der Dorfkirche angekommen. Die ganze Familie war davon betroffen und mußte eine Entscheidung treffen: „Maria Vianney muß die Ihren über den Fehltritt des Priesters verständigt haben, denn es heißt vom kleinen Johannes-Maria, ‚er habe einen Abscheu gegen die Sünde von jenem Tage an gezeigt, als er den geschworenen Pfarrer mied‘. Die Pfarrkirche, die so viele liebe Erinnerungen barg, in der die Eltern getraut, die Kinder getauft worden waren, konnte von nun an nicht mehr länger teure Gebetsstätte der Familie sein. Sie wurde zudem bald geschlossen“ (Ebd.).

Die Revolution zeigte ihr wahres, antichristliches Gesicht immer deutlicher und immer brutaler, denn: „Die Tage blutiger Verfolgung waren angebrochen. Jeder eidverweigernde Priester setzte sich der Verhaftung und – ohne auch nur die Möglichkeit einer Berufung – der Hinrichtung innerhalb vierundzwanzig Stunden aus. Wer den Geächteten anzeigt, erhält hundert Taler Belohnung. Wer ihm Obdach bietet, wird verbannt. So lauten die Gesetze vom 24. April, 17. September und 20. Oktober 1793. Trotz dieser blutrünstigen Droherlasse durchstreiften getreue Priester die Gegend von Dardilly, und das Haus der Vianney bot einem um den andern Versteck. Verschiedentlich haben sie daselbst das hl. Opfer dargebracht. Es ist wie ein Wunder, daß der Hofbesitzer, der von einigen Jakobinern des Weilers beargwöhnt wurde, diese heilige Kühnheit nicht mit dem Kopfe bezahlen mußte. Meistens aber fanden die Glaubensbekenner in Lyon selbst oder im Stadtgelände Unterschlupf“ (Ebd. S. 25 f.).

Die vorgeblichen Menschenfreunde entpuppen sich als Priesterhasser, als Feinde unseres Herrn Jesus Christus, des ewigen Hohenpriesters des Neuen Bundes und Seines Reiches. Die überall durch lautes Geschrei verkündete Freiheit entpuppte sich immer mehr als eine Gewaltherrschaft der schlimmsten Art. Der Tod drohte jedem, der nicht in das wilde, gottlose Geschrei der Revolutionäre mit einstimmte. Darum war schon jeder, der sich ins Private zurückzog, verdächtig. Aber die Zeiten der Verfolgung sind auch immer Zeiten ungeahnten Heldentums. Es gab überall solche Helden, die sich nicht einschüchtern ließen, sondern im Verborgenen ihrem Glauben treu blieben und ihn auch im Verborgenen lebten. Wenn auch die Spitzel überall gegenwärtig waren, fanden sich doch Wege, die hl. Geheimnisse zu feiern.

„Zuverlässige Boten kamen an bestimmten Tagen durch die katholischen Häuser und meldeten das Versteck, wo in der folgenden Nacht die heiligen Geheimnisse gefeiert werden sollten. Die Vianney machten sich bei einbrechender Nacht geräuschlos auf den Weg und legten oft weite Strecken durch die Finsternis zurück. Johannes-Maria war hochbeglückt, zu diesem Fest mitgehen zu dürfen. Er holte tapfer mit seinen kurzen Beinchen aus. Seine Geschwister brummten manchmal; ihnen war der Weg zu weit. Dann mahnte sie die Mutter: ‚Schaut auf Johannes-Maria, wie er vorwärtsdrängt‘“ (Ebd. S. 26).

...und die Feier der heiligen Messe im Geheimen

In der Prüfung muß sich die Gottesliebe bewähren. Beim kleinen Johannes Maria Vianney zeigte sich schon sehr früh seine besondere Auserwählung, denn er bewährte sich in der Prüfung mehr und mehr. Seine Liebe zu Gott, zur heiligen Kirche, zu den heiligen Gnadenmitteln, den Sakramenten gab ihm Kraft und Mut, die damals geforderten Opfer gerne auf sich zu nehmen. „An verabredeter Stelle angelangt, wurden sie in eine Scheune oder eine rückwärts gelegene, abgeblendete Stube geführt. An einem armseligen Tisch betete ein Unbekannter, über dessen müden Zügen ein gütiges Lächeln spielte. Mit offenen Armen ging er den Neuangekommenen entgegen. Dann erfolgte im entlegensten Winkel die vertrauliche Zwiesprache zwischen Priester und Gläubigen. Hinter einem Vorhang mahnte, beriet, ermutigte er sie leise, sprach ihr Gewissen von ihren Sünden frei. Zuweilen erbaten sich Neuvermählte den Segen für ihre Ehe“ (Ebd.).

Mit der Gnade Gottes blieben viele Priester trotz der Verfolgung ihrem Glauben und ihrer Berufung treu. Sie setzten sich mit ihrem eigenen Leben für die ihnen anvertraute Herde ein. Wie viel Mühe, wie viel Leid, wie viel Schmerzen mußten sie dafür ertragen! Aber gerne folgten sie ihrem göttlichen Meister nach, der ihnen auf dem Kreuzweg vorangegangen ist und ihnen das wunderbare Beispiel gegeben hat: „Ich gebe mein Leben für die Schafe“ (Joh. 10, 15). Was wird in dem Kinderherzen vor sich gegangen sein, wenn es nach der vielen Mühe endlich am Ziel seiner Wünsche war und das hl. Meßopfer begann? Wie innig und tiefsinnig werden die Zeremonien inmitten der Verfolgung, versteckt in irgendeinem Hinterhof oder einer Scheune auf das Kinderherz gewirkt haben?

Trochu berichtet weiter: „Dann folgte das hl. Opfer, nach dem groß und klein innige Sehnsucht trug. Der Priester legte den Altarstein auf den Tisch, richtete Missale und Kelch und mehrere Hostien her, da er den Heiland in dieser Nacht auch andern reichen wollte, und warf in aller Eile die heiligen Gewänder über. Und unter dem Tiefschweigen des Volkes begann er das liturgische Gebet: ‚Introibo ad altare Dei – ich trete hinauf zum Altare des Herrn ...‘ Heilige Glut bebte in seiner Stimme, und ergriffene Ehrfurcht breitete sich über die versammelten Getreuen. Oft mischten sich in den Laut der heiligen Worte das Schluchzen erschütterter Gemüter. Es war ein Katakombengottesdienst vor der Gefangennahme und dem Martergang“ (Ebd.).

Ist nicht unser christkatholischer Glaube im tiefsten das: Leben für Leben, Blut für Blut, Herz für Herz? In jedem hl. Meßopfer wird dieses Geheimnis gegenwärtig, gibt doch unser göttlicher Erlöser immer wieder verborgen im hl. Sakrament Sein Leben für Seine Schafe! Er gibt es nicht sichtbar, sondern geheimnisvollerweise verborgen unter den Gestalten von Brot und Wein, aber mit derselben gnadenspendenen Wirklichkeitsmacht wie damals am Kreuz auf Golgotha. „In diesen unvergeßlichen Augenblicken ward die Seele des kleinen Johannes-Maria bis in ihre Tiefen aufgerüttelt. Zwischen Mutter und Schwester kniete er und betete wie ein Engel. Auch ihm kamen vom Weinen der andern die Tränen. Mit unauslöschlichem Aufmerken lauschte er den teilweise unfaßlichen ernsten Unterweisungen des Geächteten, der sein Leben aus Liebe zu den Seelen aufs Spiel setzte“ (Ebd.).

Die Verfolgungszeit war nicht nur eine große Leidenszeit, sie war auch eine besondere Gnade für die Katholiken, denn in dieser Untergrundkirche war notwendigerweise alles echt, weil alles mit dem Einsatz des eigenen Lebens erkauft werden mußte. Jeden Augenblick konnte nämlich ein Verräter die „Versammlung“ auffliegen lassen. Niemals war man, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, ganz sicher. Jeder der Anwesenden wußte jedoch, der hl. Glaube war diesen Einsatz wert, denn er war die kostbare Perle, von der das hl. Evangelium berichtet. Wer diese gefunden hat, der verkauft alles, was er besitzt und kauft diese eine kostbare Perle (vgl. Mt. 13, 45 f.). Der kleine Johannes Maria hat wohl in jener Zeit schon diese eine kostbare Perle gefunden und sich fest entschlossen, sie für nichts in der Welt mehr einzutauschen. Womöglich ist ihm bei diesen nächtlichen Zusammenkünften und Gottesdiensten auch der erste Ruf zum Priestertum zuteil geworden.

Die Christenverfolgung in der Zeit der Französischen Revolution

„1793. Schreckenszeit! In Lyon floß das Blut. Auf dem Terraux-Platz kam die Guillotine nicht mehr zum Feiern. Revolutionssoldaten durchstreiften andauernd das Dorf Dardilly. Aber dieser Kriegslärm beunruhigte das fromme Kind weniger als das beharrliche Schweigen der Kirchenglocken. Die Kirche blieb geschlossen. An den Straßen standen nur noch die Sockel der Wegkreuze. Männer waren aus Lyon gekommen und hatten die frommen Bilder niedergeschlagen. In den Wohnungen hatte man Kreuze, Statuen und Heiligenbilder verbergen müssen. Nur das Heiligtum der Herzen stand noch bei den Getreuen unentweiht. Seiner Muttergottesstatue hatte sich der kleine Johannes-Maria auch nicht vor den Verfolgern entäußert. Er hütete sie nur um so sorgfältiger und trug sie in seiner Blusentasche sogar mit ins Feld hinaus“ (Ebd. S. 27).

Beim Lesen der Lebensgeschichte des hl. Pfarrers von Ars übergeht man gewöhnlich diese Zeit als einen nur kurzen Abschnitt der Kindheit des Heiligen. Damit verliert aber die Geschichte ihre eigentliche Tiefe und ihre weitreichende Bedeutung für den hl. Glauben in unserer Zeit. Wenn wir nämlich heute diese längst vergangenen Begebenheiten lesen, dann müßte uns eigentlich ein Staunen erfassen, denn hat man nicht Ähnliches erlebt? Es ist schon auffallend, daß besonders in neueren Schriften über den hl. Pfarrer von Ars so wenig oder auch gar nichts darüber zu lesen ist, was diese Revolutionszeit uns heute zu sagen hat. Unwillkürlich fragt man sich: Sind denn die meisten Katholiken blind geworden? Was ist die Ursache solch geistiger Erblindung?

Eine „Diktatur des Rationalismus“

Die Antwort auf diese Fragen soll anhand eines Beispiels gegeben werden. Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. hat in seiner Generalaudienz vom 5. August 2009 gesagt: „Im nachrevolutionären Frankreich, das eine Art von ‚Diktatur des Rationalismus‘ erlebte, die darauf ausgerichtet war, die Anwesenheit der Priester und der Kirche in der Gesellschaft auszulöschen, lebte er [der hl. Johannes Maria Vianney] zunächst – in seiner Jugendzeit – einen heroischen Glauben im Untergrund und ging in der Nacht kilometerweit, um an der heiligen Messe teilzunehmen. Dann – als Priester – zeichnete er sich durch eine einzigartige und fruchtbare pastorale Schaffenskraft aus, was beweist, daß der damals vorherrschende Rationalismus in Wahrheit weit davon entfernt war, die wahren Bedürfnisse des Menschen zu stillen und daß er daher letztendlich nicht lebbar war.“

Wie wir aus dem Gesagten schließen können, ist das damals Geschehene für Joseph Ratzinger nur von geschichtlichem Interesse. Er spricht von der „Diktatur des Rationalismus“ als etwas längst Vergangenem, wodurch diese zu etwas Unwirklichem wird. Der damals „vorherrschende Rationalismus“ ist zudem nicht deswegen falsch, weil er irrig und mit dem katholischen Glauben nicht vereinbar ist, sondern weil er „letztendlich nicht lebbar“ war. Wobei ihm hierin sicherlich alle Liberalen widersprechen werden, die ihn bis heute als einzige gerechtfertigte Lebensform ansehen.

So fragt man sich unwillkürlich, worin hat denn dann eigentlich der hl. Johannes Maria Vianney konkret seinen heroischen Glauben während der Revolutionszeit im Untergrund gezeigt? Einfach nur dadurch, daß er „in der Nacht kilometerweit gegangen ist, um an der heiligen Messe teilzunehmen“? Wobei im Verlauf der Ansprache die heilige Messe einfach mit der Eucharistiefeier der sog. Neuen Messe gleichgesetzt wird. Joseph Ratzinger fährt in seinen Gedanken fort: „150 Jahre nach dem Tod des heiligen Pfarrers von Ars sind die Herausforderungen der heutigen Gesellschaft nicht weniger anspruchsvoll; vielleicht sind sie sogar komplexer geworden. Wenn es damals die ‚Diktatur des Rationalismus‘ gab, so läßt sich in der heutigen Zeit in vielen Bereichen eine Art ‚Diktatur des Relativismus‘ verzeichnen.“

Die Versöhnung der Gegen-Kirche mit den Prinzipien der Französischen Revolution

Es ist bezeichnend für die Modernisten, daß sie zwar zuweilen einen richtigen Gedanken ansprechen, aber diesen nie zu Ende denken und vor allem niemals konkret ernst nehmen, weil sie im Grunde damit doch wieder etwas ganz anderes meinen als der Katholik. Die von Ratzinger viel beschworene „Diktatur des Relativismus“ – die ein Wesensbestand des Modernismus ist, und Joseph Ratzinger war immer und ist Modernist! – hat er letztlich selbst ganz energisch, konsequent und hartnäckig durch seine Hermeneutik [Auslegungskunst] der Kontinuität, bzw. Hermeneutik der Reform vertreten. Es war vor allem Joseph Ratzinger, der den Konservativen erfolgreich eingeredet hat, daß sich mit und nach dem sog. 2. Vatikanum nichts Wesentliches geändert hat, d.h. daß im Grunde die vor- und die nachkonziliare Kirche dieselbe ist.

Nun müßte aber jedem Katholiken direkt ins Auge springen, daß diese Behauptung eine dreiste Lüge ist! Eine Lüge, die man sogar anhand einer anderen Aussage Joseph Ratzingers leicht entlarven kann – also stellen wir einfach einmal Ratzinger gegen Ratzinger: „Wenn man nach einer Gesamtdiagnose für den Text [der Konstitution ‚Gaudium et Spes'] sucht, könnte man sagen, daß er [in Verbindung mit den Texten über die Religionsfreiheit und über die Weltreligionen] eine Revision des Syllabus Pius’ IX., [Der Syllabus vom 8. Dezember 1864 ist eine Sammlung von 80 Sätzen, welche die modernen Irrtümer verurteilen] eine Art Gegensyllabus darstellt... daß der Text die Rolle eines Gegensyllabus spielt und insofern den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit darstellt. ... Mit ‚Welt‘ ist im Grunde der Geist der Neuzeit gemeint, dem gegenüber sich das kirchliche Gruppenbewußtsein als ein getrenntes Subjekt empfand, das nun nach heißem und kaltem Krieg auf Dialog und Kooperation drängte“ (Joseph Kardinal Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, München 1982, S. 397-400).

Wenn das nicht „Diktatur des Relativismus“ in Reinkultur ist! Nach Joseph Ratzinger kann tatsächlich ein „Konzil“ der römisch-katholischen Kirche ganz einfach ein „Gegensyllabus“ zu einer von der Kirche definitiv gelehrten Wahrheit sein, wodurch dieses schlicht „den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit darstellt“. Mit anderen Worten: Die damaligen Verfolgungen waren also nur ein zeitbedingtes Mißverständnis und keine lehrmäßige Auseinandersetzung zwischen einem christlichen und antichristlichen Denken, denn sonst gäbe es doch keine Versöhnung der Kirche mit den Prinzipien der Revolution. Meint Ratzinger tatsächlich, ein Katholik könne so etwas wirklich glauben, ohne seinen katholischen Glauben verleugnen zu müssen?

Hinzu kommt noch die eigenartige Interpretation: Die damaligen Menschen wären noch in einem „Gruppenbewußtsein“ befangen gewesen, wodurch sie sich gegenüber den Revolutionären als ein getrenntes Subjekt empfanden, weshalb sie sich – muß man dann nicht sagen irrigerweise? – lieber das Leben nehmen lassen wollten als ihren hl. Glauben preisgeben. Inzwischen hat sich – Gott sei Dank? – das „Gruppenbewußtsein“ aufgrund des 2. Vatikanums soweit verändert, daß die „Kirche“ bereit ist, sich mit dem Geist der Neuzeit durch Dialog und Kooperation zu versöhnen. Was für ein durch und durch modernistischer Unsinn!

Nun werden sicherlich manche Ratzingerianer sofort einwenden, das oben angeführte Zitat stamme aus der Frühzeit der Schriften Ratzingers, später hätte er anders gedacht. Stimmt das wirklich? Also hierzu ein weiteres, späteres Zeugnis aus seinem Munde: „Wir empfinden uns als verantwortliche Instanz in dieser Welt und wünschen, zu ihr unseren Beitrag als Katholiken zu leisten. Wir trachten nicht danach, den Katholizismus dem Abendland aufzuzwingen, sondern wollen, daß die fundamentalen Werte des Christentums und die liberalen Werte, die in der Welt von heute vorherrschen, einander begegnen und sich wechselseitig befruchten können“ (Interview „Kardinal“ Ratzingers mit „Le Monde“ [‚Die Welt‘], 17. Januar 1992).

Wie bitte sollen sich denn „die fundamentalen Werte des Christentums und die liberalen Werte, die in der Welt von heute vorherrschen, einander begegnen und sich wechselseitig befruchten können“? Stammt eine solch ungeheure, irrsinnige Behauptung nicht notwendigerweise aus der „Diktatur des Relativismus“, oder, wie sie Ratzinger auch genannt hat, der „Diktatur der Beliebigkeit“? Für den Modernisten gibt es keine bleibenden Wahrheiten, geschichtlich ist alles hinterfragbar und überholbar. Wenn ein Konzil der katholischen Kirche „eine Art Gegensyllabus“ sein kann, dann kann auch die Französische Revolution mit ihren liberalen Werten eine Bereicherung für das Denken der Menschen sein.

Blicken wir nun nochmals zurück auf die Geschichte, auf das Leben des hl. Johannes Maria Vianney. Was war von den damaligen Katholiken gefordert? Zunächst war gefordert, daß sie die revolutionären Veränderungen wahrnahmen und sich sodann, gestützt auf die Wahrheiten des hl. Glaubens fragten, ob diese Veränderungen wesentlich waren, also den hl. Glauben antasteten und veränderten oder nicht.

Die Revolution auf der Kanzel

Wie wir gehört haben, fiel das das Verschwinden des Pfarrers Rey zwar auf, hatte aber nicht die weitreichenden Konsequenzen, die sofort den Gleichklang des Dorflebens störten. „Die Kirche blieb geöffnet. Denn ein anderer Pfarrer erschien im Auftrag des neuen Bischofs von Lyon. Neuer Bischof und neuer Pfarrer hatten den Eid geleistet.“ Zunächst war jedoch für das gute Volk von Dardilly die tiefgreifende Veränderung nicht greifbar, daß nämlich „die Zivilkonstitution, die sie kaum dem Namen nach kannten, zu Schisma und Häresie führe“. Das Verwirrspiel war umso gefährlicher, hatte sich doch äußerlich nichts geändert! „Nicht in den kirchlichen Zeremonien und nicht in den Pfarrgebräuchen.“ Die Revolutionäre hatten die kirchlichen Riten nicht angetastet, sie hatten zunächst nur das Personal ausgewechselt. Mit dem Personal änderte sich freilich auch unmerklich die Lehre: „Auf der Kanzel sprach der neue Pfarrer nicht ganz in derselben Weise, auch nicht über die gleichen Gegenstände wie Pfarrer Rey. Seine Rede war von den Schlagworten Bürger, Bürgertugend, Konstitution durchsetzt.“

Wie war es nun eigentlich während und nach dem sog. 2. Vatikanum? Der Papst, die Bischöfe und die Priester hatten zwar keinen antichristlichen Eid geleistet, aber sie haben ihren Eid, den sie bis zu ihrer Priesterweihe schon mehrmals geleistet hatten, gebrochen, nämlich den vom hl. Pius X. eingeführten Antimodernisteneid. Sie haben diesen Eid gebrochen, indem sie sich während und nach dem sog. 2. Vatikanum bedenkenlos ganz neue, aus dem Modernismus stammende Schlagworte und Lehren zueigen gemacht haben. Man sprach jetzt auf einmal von „Aggiornamento“, vom „erlösenden Wert der anderen Religionen“, von der „Annäherung“ zwischen Kirche und Welt. Und anders als bei der Französischen Revolution ging man sogar daran, alle Sakramentsriten zu ändern und sie dem antichristlichen Kult der Humanität anzupassen!

Das Vorgehen der Revolutionäre auf und nach dem sog. 2. Vatikanum war somit noch forscher als das während der Französischen Revolution. Aber seltsamerweise waren es dennoch nur sehr wenige, die diese unglaublichen Änderungen beunruhigten, obwohl sie höchst beunruhigend, ja provokativ, revolutionär waren. Ein neuer Glaube, neue Sakramente – ein eidbrüchiger „Papst“, eidbrüchige „Bischöfe“ und „Priester“, was war davon zu halten? Mußte diese Frage nicht jedem Katholiken auf dem Herzen brennen? Und drängte dieser Sachverhalt nicht geradezu nach Konsequenzen?

Wie wir gehört haben, hat damals, zur Zeit der Französischen Revolution eine Verwandte aus Ecully den Vianneys die Augen geöffnet und ihre schon aufgekommenen Bedenken bestätigt und endgültig geklärt: „‚Ihr guten Seelen, was tut ihr denn?‘ rief die Tante aus bei der Nachricht, sie gehen beim geschworenen Priester in die hl. Messe. ‚Die guten Priester haben den Eid verweigert. Sie sind verjagt, verfolgt, flüchtig. Zum Glück sind einige in Ecully in unserer Mitte geblieben. An diese müßt ihr euch halten. Euer neuer Pfarrer hat sich durch seinen Eid von der katholischen Kirche losgesagt. Er ist nicht euer Hirte. Ihr dürft ihm nicht folgen.‘“

Genauso hätten die Katholiken nach der Revolution des sog. 2. Vatikanums ausrufen und daraus dieselbe Schlußfolgerung ziehen müssen: „Er ist nicht euer Hirte. Ihr dürft ihm nicht folgen.“ War es wirklich nur der eine, sicherlich das Urteil erschwerende Umstand, daß auch der „Papst“ hinter der Revolution stand und alle revolutionären Maßnahmen deckte, der die Masse mit in den Irrtum riß? Oder war es doch auch schon ein so bedenklicher Schwund an katholischem Glauben, daß man sich gerne täuschen ließ, weil es der bequemere Weg schien? Auch damals wäre es für die Vianneys bequemer gewesen, weiterhin in die Pfarrkirche zu dem Eidpriester zu gehen, als nächtens stundenlang zu wandern, um irgendwo verborgen in einer Scheune die hll. Sakramente zu empfangen und dem hl. Meßopfer beizuwohnen und damit auch noch Kopf und Kragen zu riskieren.

Die ratzingersche Diktatur der Beliebigkeit

Es scheint angesichts der geistigen Verblendung notwendig zu betonen: An sich ist das Urteil aufgrund der Tatsachen so einfach und leicht zu fällen wie damals. Aber der modernistische Irrwahn hatte die Herzen schon so weit vergiftet, daß sie zu diesem einfachen und klaren Urteil nicht mehr fähig waren. Die ratzingersche Diktatur der Beliebigkeit hatte den Katholiken größtenteils die Urteilsbasis unter den Füßen weggezogen. Die Masse ließ sich deswegen mit billigen Beschwichtigungen, die Konservativen und Traditionalisten mit nichtssagenden Schlagworten gerne abspeisen. Je häretischer, ja apostatischer das neue Rom wurde, desto weniger meinte man, den Verantwortlichen eine Irrlehre nachweisen zu können. Eine weiße Soutane genügte als Tarnung, um diesem Irrwahn über Jahrzehnte hinweg die Herrschaft zuzusichern und somit die Herzen Gott und Seiner hl. Kirche vollkommen zu entfremden.

Die Mutter des hl. Johannes Maria Vianney war seinerzeit mutig zu dem Priester gegangen, um ihm seinen Abfall von der wahren Kirche vorzuhalten. Sie erinnerte ihn an das Schriftwort, daß der vom Stocke getrennte Rebzweig ins Feuer geworfen wird, und nötigte ihm das Geständnis ab: "Sicher, Frau, der Stock gilt mehr als der Rebzweig.“ Die Anhänger der Menschenmachwerkskirche halten die inzwischen ganz und gar verdorrten, weil schon längst vom Weinstock abgerissenen Rebzweige immer noch für frische, lebendige Äste! Sie sind vollkommen unfähig geworden, eine Irrlehre als solche zu erkennen und ernst zu nehmen, was die lehrmäßigen Eskapaden Bergoglios zur Zeit jedem unübersehbar vor Augen führen. All die „Offenen Briefe“ und „Erklärungen“ zeigen immer nur das eine, daß nämlich die vorgeblichen Verteidiger des Glaubens selber keinen wahren, übernatürlichen, katholischen Glauben mehr haben. Deswegen erkennen sie auch den wahren Weinstock nicht mehr, der mehr gilt als die Zweige. Ja sie halten sogar die schon ganz und gar verdorrten Zweige immer noch für den Weinstock!

Dabei könnte jeder auch nur einigermaßen aufrechte Katholik anhand der Geschehnisse während der Französischen Revolution ein klares, einfaches Urteil zurückgewinnen. Es ist letztlich wie damals: Die guten Priester sind nicht meineidig geworden, denn sie haben das sog. 2. Vatikanum und alle aus diesen folgenden Verwüstungen des Glaubens und der Sakramente als mit dem katholischen Glauben unvereinbar zurückgewiesen. Dafür sind sie verjagt und verfolgt, beschimpft und verlacht worden. Aber zum Glück sind einige standhaft geblieben. An diese muß man sich halten. Die meineidigen Päpste, Bischöfe und Priester hingegen haben sich alle von der katholischen Kirche losgesagt und eine neue, antichristliche Menschenmachwerkskirche gegründet. Deswegen sind sie keine wahren Hirten mehr. Ihnen darf man nicht mehr folgen.

„Kardinal“ Suenens traf letztlich des Pudels Kern, wenn er feststellte: Das „2. Vatikanum war das 1789 der Kirche“. Daraufhin hätten die Katholiken einfach nur die einzig wahre und mögliche Schlußfolgerung ziehen müssen. Die überwältigende Mehrheit war jedoch dazu nicht mehr bereit. In der Geheimen Offenbarung wird der hl. Johannes aufgefordert, dem Engel der Gemeinde von Sardes zu schreiben: „Wach auf und stärke den Rest, der am Absterben ist! Denn deine Werke habe ich nicht als vollkommen gefunden vor meinem Gott“ (Offb 3, 2).