Maria, die mystische Rose und die Königin des Rosenkranzes

Jeder von uns ist Tag für Tag vor eine schwere, eine doppelte Aufgabe gestellt. Zum einen muß jeder die Herausforderungen, die Familie und Beruf, Studium und Schule an ihn stellen, bewältigen und zum anderen all jenen Pflichten nachkommen, die aus dem hl. Glauben fließen. Da kann man angesichts der vielen Schwierigkeiten schon versucht sein, mutlos zu werden.

Was gilt es also zu tun, um dieser Versuchung beharrlich widerstehen zu können? Papst Pius XII. schrieb am 15. September 1951 über „Das Rosenkranzgebet und die Not unserer Zeit“ eine Enzyklika: „Ingruentium malorum“. Darin spricht er zunächst die besonderen Gefahren und Nöte der Nachkriegszeit an:

„Wir sehen, wie zahlreiche Unserer Söhne in jenen Gegenden vielen und großen Nachstellungen ausgesetzt sind, einzig zu dem Zwecke, daß sie den Glauben ihrer Väter verleugnen und die Einheit mit dem Apostolischen Stuhl jammervoll preisgeben sollen. Schließlich können Wir auch keineswegs mit Schweigen über ein neues Verbrechen hinweggehen, auf das Wir mit tiefem Schmerz nicht nur eure Aufmerksamkeit, sondern auch jene des ganzen Klerus, der einzelnen Eltern und auch der staatlichen Obrigkeiten hinzulenken wünschen: Wir meinen jenen verruchten und gottlosen Ansturm gegen die zarte Unschuld der Jugend. Nicht einmal das unschuldige Kindesalter wird verschont, vielmehr wagt man es, leider, frevlerisch gerade diese Blumen in dem mystischen Garten der Kirche zu vernichten, die die schönste Hoffnung der Religion und der Kirche bilden.

Wenn man all dies bedenkt, so ist es kein Wunder, daß die Völker weithin unter der Last der göttlichen Züchtigungen seufzen und von der Furcht vor noch größeren Heimsuchungen so sehr bedrückt werden.“

Wie würde Pius XII. erst heute klagen, da sich doch sowohl der Glaubens- als auch der Sittenverfall um ein Vielfaches verschlimmert hat und die Möglichkeiten der Verführung einen nie für möglich gehaltenen Höhepunkt erreicht haben? Aber bei aller übergroßen Not, würde er dennoch denselben Rat erteilen wie damals:

„Trotzdem darf der Gedanke einer so Unheil drohenden Lage uns nicht niederdrücken, ehrwürdige Brüder; eingedenk vielmehr jenes göttlichen Wortes: „Bittet, und es wird euch gegeben werden, suchet, und ihr werdet finden“ (Lk. 11,9), eilt mit nur noch um so größerem Vertrauen zur Gottesmutter, bei der das christliche Volk in den Stunden der Gefahr stets seine besondere und gewohnte Zuflucht gefunden hat; ist sie ja „die Ursache des Heiles für das ganze Menschengeschlecht geworden“ (S. Irenäus, Adv. haer. 3, 22; MG 7, 959).

Da alle natürlichen Mittel versagt haben, richtet sich unser Blick zum Himmel empor:

„Aufs neue also und mit Nachdruck bekennen Wir unbedenklich, daß Wir Unsere große Hoffnung auf den marianischen Rosenkranz setzen, um Heilung für die Nöte unserer Zeit zu erlangen; denn die Kirche stützt sich nicht auf Gewalt und Waffen, auch nicht auf menschliche Hilfsquellen, sondern allein auf die Hilfe von oben, wie sie gerade durch solche Gebete gewonnen wird; die Kirche gleicht hierin David, der nur mit einer Schleuder ausgerüstet war, und so geht sie unerschrocken gegen den höllischen Feind zum Angriff über, dem sie die Worte des Hirtenknaben entgegenrufen kann: ‚Du kommst zu mir mit Schwert, Lanze und Schild; ich aber komme zu dir im Namen des Herrn der Heerscharen…; und all dies Volk hier soll erkennen, daß nicht durch Schwert und Lanze der Herr die Rettung bringt‘ (1 Kön. 17, 44 49).“

Unsere Zuflucht zur Gottesmutter darf nicht im Theoretischen stecken bleiben, also bloßes Lippenbekenntnis sein, sie muß täglich Wirklichkeit werden. Wieder und wieder müssen wir uns und all unsere Sorgen und Nöte und Ängste und Zweifel ins Mutterherz Mariens legen. Pius XII. ist ganz davon überzeugt, daß dies am besten mit Hilfe des hl. Rosenkranzes gelingt:

„Deshalb schauen Wir mit freudiger Erwartung und neuer Hoffnung auf den wiederkehrenden Monat Oktober. Es ist ein frommer Brauch, daß während dieser Zeit die Gläubigen häufiger in die Kirchen kommen, um ihre Gebete mittels des heiligen Rosenkranzes an Maria zu richten.

Es ist Unser Wunsch, ehrwürdige Brüder, daß dieses Gebet in diesem Jahr mit noch größerem Eifer verrichtet werde, so wie dies durch die wachsende Not geboten ist. Ist Uns doch in der Tat nur zu gut bekannt, wie wirksam und machtvoll dieses Gebet die mütterliche Hilfe der allerseligsten Jungfrau herabruft. Und obgleich dieses Gebet sicherlich nicht das einzige Mittel ist, um diese Hilfe zu erwirken, so sind Wir dennoch der Meinung, daß das marianische Rosenkranzgebet das beste und wirksamste Mittel dazu ist; dies legt übrigens auch sein mehr himmlischer als irdischer Ursprung sowie seine innerste Natur uns nahe.

Gibt es denn tatsächlich Gebete, die sich blumengleich besser und schöner zum mystischen Kranze winden ließen als das Gebet des Herrn und der Englische Gruß? Wenn man dann außerdem zu den mündlichen Gebeten die Betrachtung der heiligen Geheimnisse hinzufügt, so erwächst daraus ein anderer sehr großer Vorteil, nämlich, daß alle, auch die einfachsten und am wenigsten unterrichteten Menschen darin ein leicht zu gebrauchendes Mittel finden, um ihren Glauben zu vermehren und zu behüten.“

Damit uns der Rosenkranz seine in ihm verborgenen Gnadenschätze offenbaren kann, müssen wir uns öfter über dieses Gebet Gedanken machen. Wir müssen betrachten, was sich hinter diesen so einfachen Gebeten und den damit verbundenen Geheimnissen alles verbirgt. Dazu soll folgende Predigt, die im Jahr 1870, also vor 153 Jahren, veröffentlicht wurde, eine Hilfe sein.

Maria, die mystische Rose und die Königin des Rosenkranzes

Am Rosenkranzfest

Rosa mystica! Regina Rosarii! Ora pro nobis! Eccl. „Geistliche Rose! Königin des Rosenkranzes! Bitte für uns!“

Weil der Eine wahre Gott sich der Menschheit offenbart hat in seinem menschgewordenen Sohn, „durch den Er die Welt gemacht, den Er zum Erben aller Dinge gesetzt, den Er auf die Erde eingeführt, durch den Er zu uns geredet hat“ (Hebr. 1, 1. 2. 6), so gibt es auch keinen wahren und würdigen Gottesdienst ohne Anbetung des Gottmenschen, „durch den und mit dem und in dem dem Vater und dem Heiligen Geist alle Ehre und Glorie ist“ (Canon M.), und „den alle Engel Gottes anbeten.“ (Hebr. 1, 6) „Da aber der Gottmensch uns geworden ist aus dem Weib“ (Gal. 4, 4) und wir Jesum Christum nur durch Maria haben, so ist die Anbetung des Gottmenschen notwendig von der Verehrung Mariä begleitet. Daher ist der katholische Gottesdienst durch den Marienkultus gekennzeichnet und das ganze Kirchenjahr von Marienfesten durchzogen. Diese sind hauptsächlich zweierlei, je nachdem sie entweder die Geheimnisgeschichte des Lebens Mariä auf Erden oder die Gnadengeschichte ihres Wirkens im Himmel zum Gegenstand haben. Unter den Festen der letzten Art ist eins der vorzüglichsten das, so wir heute in diesem Gotteshaus zu feiern beginnen und die ganze Woche hindurch zu feiern fortfahren werden, das Rosenkranzfest. Es hat seinen Ursprung in einer dem hl. Dominikus, Stifter des Predigerordens, von der Mutter Gottes gewordenen Offenbarung, einer neuen Weise sie anzurufen, und es erhielt seine Einsetzung von den Päpsten zum Andenken an wunderbare Hilfe, welche durch diese Anrufung der Mutter Gottes in schweren Zeiten die Christenheit erfahren. Diese neue Gebetsweise heißt der Rosenkranz der seligsten Jungfrau, und daher Maria die Königin des Rosenkranzes.

Diese Benennung stützt sich auf einen früheren Namen, den das christliche Altertum der seligsten Jungfrau gegeben: die geistliche oder mystische Rose. Unsere heutige Betrachtung soll uns diese beiden Namen Mariä erklären und zeigen, warum sie die mystische Rose, und die Königin des Rosenkranzes genannt wird.

I.

1. Wie nach dem Ausdruck des Apostels „die unsichtbaren Eigenschaften Gottes in der Weltschöpfung durch seine Werke erkennbar anzuschauen sind, auch seine ewige Macht und Majestät“ (Röm. 1, 20), so hat auch der gebenedeite Heiland seine Lehren vielfältig in Gleichnissen, Vergleichungen mit geschöpflichen Dingen und menschlichen Ereignissen vorgetragen, um deren Sinn den Einfältigen faßlich zu machen, den Hoffärtigen aber zu verbergen; und so pflegt auch die Kirche, welche gern die Sprache der Heiligen Schrift redet, ihre vom Heiligen Geist ihr eingegebenen Gedanken unter anschaulichen Sinnbildern darzustellen.

Besonders gern braucht sie dazu die Blumen, deren vom Heiland selbst bewunderte Wohlgestalt, sowie ihr mannigfaltiger Wohlgeruch vor ihrer schnellen Verwelkung allerdings eine höhere Bedeutung ausspricht. Daher wendet sie auf die jungfräuliche Gottesmutter, die ein Hauptgegenstand ihrer Andacht ist, die Stellen der Heiligen Schrift an, worin die Weisheit selbst, die gesegnete Frucht der gesegneten Jungfräulichkeit Mariä, sich mit den meist hochragenden, schönlaubigen und wohlduftenden Bäumen und Stauden des Orients vergleicht. Vor allen aber erkennt die Kirche die seligste Jungfrau unter dem Bild der Rose, ruft sie an mit dem Namen: Mystische Rose! Damit will sie sagen, daß Maria in der übernatürlichen, mystischen Ordnung das sei, was die Rose in der natürlichen Ordnung ist. Nun gilt die Rose allgemein als die Königin unter den Blumen, die wohlgestaltetste fürs Auge und die wohlduftendste für den Geruch: So ist Maria die schönste Blume vor Gott durch das, was sie von Ihm hat, durch ihren Gnadenreichtum, und ist die duftreichste Blume vor Gott durch das, was sie Ihm wieder gibt, durch ihren Tugendreichtum, besonders aber durch ihr Gebet. Der Heilige Geist sagt uns ausdrücklich: Daß die „Wohlgerüche in goldenen Schalen,“ welche die Ältesten vor dem Thron des Lamms Gottes in Händen tragen, „die Gebete der Heiligen sind“ (Apok. 5, 8); und der betende Prophet fleht zu Gott: „Aufsteige mein Gebet, o Herr, wie Weihrauch vor dein Angesicht. “ (Ps. 140, 2) Demnach war der geistige Wohlgeruch, womit Maria, die mystische Rose, das Herz Gottes sozusagen erquickte, hauptsächlich ihr Gebet.

2. Überhaupt ist das Gebet, in seinem allgemeinen Begriff als Erhebung oder Aufsteigung des Gemüts zu Gott, die Zusammenfassung und Betätigung unseres ganzen Verhältnisses zu Gott, ist unsere Rückbeziehung auf Gott, ist die Anerkennung und Wiedererstattung alles dessen, was Gott uns gegeben und getan hat. Das Gebet ist der Ausdruck unseres Glaubens an Gottes Offenbarung, unserer Hoffnung auf seine Verheißung, und unserer Liebe zu seiner Wesenheit; ist der Beweis unserer Demut vor seiner Herrlichkeit, unseres Vertrauens auf seine Barmherzigkeit, unseres Dankes für seine Guttätigkeit, unseres Reuemuts über unsere Beleidigungen seiner Heiligkeit. Alle diese Tugendgesinnungen, welche die Quellen des Gebets sind, muß freilich Gott selbst mit seiner heiligmachenden Gnade uns eingießen, damit wir sie üben und äußern können, wenn wir im Gebet seine Vollkommenheiten preisen oder seine Wohltaten erkennen, Ihm unsere Sünden abbitten oder uns seine Gnaden erbitten. Der Heilige Geist selbst ist der Urheber des Gebets in uns, wie der Apostel sagt: „Ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“ Und der Geist hilft unserer Schwachheit, „denn was wir beten sollen, wie es sich gebührt, wissen wir nicht, sondern der Geist selbst fleht für uns mit unaussprechlichen Seufzern.“ (Röm. 8, 15. 26) Diese Gebetsgnade ist aber eine allgemeine, die Gott allen Gläubigen bereithält, und vermöge derer wir immer Gott nahen können. Daher ist das Gebet im christlichen Leben eine Notwendigkeit, nicht allein als allgemeines Heilsmittel, wodurch wir von Gott dem Herrn erlangen, was wir für Zeit und Ewigkeit brauchen, sondern auch als erste Religionsübung, wodurch wir Gott dem Herrn die Ehre erweisen, die Ihm gebührt. Ohne Gebet kein Christ; der Mensch, der nicht betet, ist gottlos, bricht das Band ab, das von ihm zu Gott sich schlingen soll, erstickt in sich den Heiligen Geist, der ihn zum Gebet weckt. Durch das Gebet aber alle Heiligkeit, und je größer der Heilige, desto größer der Beter.

3. Maria, die Heiligste und Gottgefälligste, mußte denn auch die Gottseligste und Gebetseligste, die größte Beterin sein, und war es in der Tat. Soweit wir in das verborgene Leben der seligsten Jungfrau Einsicht haben können, erkennen wir es als ein Leben des Gebets. Gebet war das Leben Mariä vor ihrer Gottesmutterschaft. Die Tochter des himmlischen Vaters, mit aller seiner Gnade erfüllt, mit Ihm aufs Innigste verbunden, von Ihm aufs Stärkste geliebt, mußte Maria mehr als alle andern Heiligen früh und mächtig entbrennen in Liebe zu Gott; und war diese Gottesliebe das Leben ihrer Seele, so war das Gebet zu Gott der Atemzug und der Pulsschlag dieses Lebens.

Die heilige Überlieferung sagt uns, daß Maria in ihrem dritten Jahr schon von ihren frommen Eltern zum Tempel gebracht und dem Herrn dargestellt ward, da hat sie sich selbst Gott aufgeopfert durch einen großen Gebetsakt, und diesen Gebetsakt hat sie fortgesetzt ihre ganze Jugend durch, wo sie am Tempel wohnte und im Tempel weilte, selbst ein lebendiges Heiligtum Gottes. Die künftige Herrin und Genossin der heiligen Engel, hocherleuchtet in Erkenntnis des Wesens und der Vollkommenheiten Gottes, war Maria stets vertieft in Anbetung und Lobpreisung Gottes. Die Erbin der Patriarchen und Jüngerin der Propheten, bestunterrichtet über Gottes Ratschlüsse zum Heil der Welt, war Maria stets begriffen im Gebet der Sehnsucht nach Dem, der da kommen sollte. Frei und rein von Schuld und Makel, von Trieb und Bewußtsein der Sünde wie von sündigen Gedanken und Taten, kannte Maria freilich kein Gebet der Reue und Abbitte für ihre Person: aber als Nachkomme der ersten Eltern, als Tochter Israels, hielt sie das Los ihres Geschlechts und ihres Volks nicht für ihr fremd, und ließ nicht ab vom Flehen um Gottes Erbarmung über die Völker und über Israel, besonders um die Sendung des Erlösers der Welt, des Heiligen Israels. Ohne Zweifel war es auch dieses Gebet Mariä, was die Herabkunft des Gerechten, des Heilands, bestimmte und beschleunigte.

— Gebet war das Leben Mariä seit ihrer Gottesmutterschaft. Die Mutter des Gottmenschen, die Ihn vom Heiligen Geist empfangen, Ihn als Jungfrau geboren, Ihn genährt und gepflegt hatte, Ihm mit wärmster und treuester Mutterliebe anhing, war zugleich Ihm wie ein Kind ergeben, indem sie alle Seine Worte und Werke in ihrem Herzen bewahrte, allein Seinen Willen beobachtete, in allem Seinem Vorgang folgte: So verband Maria unablässig die tiefste Anbetung des Sohnes Gottes mit der innigsten und feurigsten Zärtlichkeit für ihren Sohn. Alle Liebkosungen, die sie dem Kindlein gab, und alle Dienste, die sie Ihm erwies, alle Sorgfalt, die sie dem Knaben widmete, alle Hilfe, die sie vom Jüngling empfing, alle Ehre, die sie dem Mann erzeigte, aller Gehorsam, den sie dem Meister leistete, alles Mitleid, was sie mit dem Erlöser trug, alle Freude, die sie an Seiner Verherrlichung hatte, kurz, der ganze Verkehr Mariä mit Christo war lauter Gebet, war ein ununterbrochenes Gebet zum Sohne Gottes.

Zum Herrn betend, traf sie der Engel bei der Verkündigung; zu Ihm betend, kniete sie bei Ihm an der Krippe; zu Ihm betend, opferte sie Ihn im Tempel; zu Ihm betend, trug sie Ihn nach Ägypten; zu Ihm betend, fand sie Ihn im Tempel wieder; zu Ihm betend, sprach sie Ihn an auf der Hochzeit zu Kana; zu Ihm betend, stand sie bei Ihm am Kreuze; zu Ihm betend, geleitete sie Ihn zu Grab; zu Ihm betend, begrüßte sie Ihn nach seiner Auferstehung.

Gebet war das Leben Mariä nach der Himmelfahrt Christi. Die Braut des Heiligen Geistes, früher von Ihm überschattet, um Mutter Gottes zu werden, und nun von Ihm neu überstrahlt, um Mutter der Kinder Gottes zu sein, hatte Maria zuerst durch ihr Gebet in Mitte der Apostel und Jünger und Jüngerinnen Christi den von Gott Vater und Sohn gesandten Geber aller guten Gaben herabgefleht; und nachdem der Heilige Geist ihr das „volle, gerüttelte, geschüttelte, überfliesende Maß“ (Luk. 6, 38) von Gnadengaben für die Kirche in den Mutterschoß geschüttet hatte, hörte sie nicht mehr auf, zum Heiligen Geist zu beten und Ihn zu bitten um Zuwendung und Mitteilung von diesem ihrem Überfluß an diejenigen, die ihr göttlicher Sohn vom Kreuz ihr als Kinder anbefohlen; so daß zwar der Heilige Geist selbst und seine ewige Liebe die Quelle der Gnaden Christi in der Kirche ist, aber Maria und ihr Gebet der Fluß, der uns die Gnaden zuleitet, wie der hl. Bernhard sagt: daß Gott „die Fülle aller Güter in Maria hinterlegt habe, und alles, was wir von Gnade und Heil besitzen, uns von ihr zu- und überfließe.“ (serm. in Nativ.)

So war es aber nicht bloß im Anfang der Kirche, sondern so ist es noch heute, und so bleibt es allezeit. Gebet ist auch das Leben Mariä im Himmelreich. In den Himmel aufgenommen, ist sie in Gott wie verschlungen und versunken; im Himmel gekrönt, ist sie von Gottes Herrlichkeit und Seligkeit erfüllt und durchdrungen. Tempel der hochheiligen Drei-Einheit, ist sie immer erfüllt vom Weihrauch der Anbetung Gottes; Königin der Engel, ist sie immer die Vorsängerin aller Lobgesänge auf Gott, die auf allen Gebieten der göttlichen Offenbarung und Wirkung Ihn verherrlichen; Königin der Heiligen, ist sie immer die Vorbeterin aller Fürbitten zu Gott, für alle, die zur Gemeinschaft der Heiligen gehören. So ist Maria noch im Himmel, was sie schon auf Erden war, die mystische Rose, welche den Wohlduft des Gebets zu Gott entsendet, die Rose des Gebets.

4. Doch das Gebet Mariä im Himmel ist ein uns unerreichbares Geheimnis. Auch auf Erden liegt freilich ihr Gebet wie ihr Leben verborgen unter dem Schleier des Stillschweigens der heiligen Bücher; sie melden uns wohl, daß Maria gebetet hat, aber nicht, wie Maria gebetet hat. Einige Proben jedoch vom Gebet Mariä hat uns der Heilige Geist in den Evangelien verzeichnet. Jedes Mal, wo wir wissen, daß Maria den Mund geöffnet, war ihre Rede ein Gebet. Ihre Frage an den Engel: „Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ war ein Gebet der Beteuerung, eine neue Verlobung an Gott. Ihre Antwort an den Engel: „Sieh, die Dienstmagd des Herrn! Mir geschehe nach deinem Wort!“ war ein Gebet der Demut, der völligen Hingebung an Gott. Ihr Ausruf an ihren im Tempel wiedergefundenen Sohn: „Warum hast Du uns das getan?“ war ein Gebet der klagenden Sehnsucht. Ihre Ansprache an den Herrn bei Kana: „Sie haben keinen Wein!“ war ein Gebet des Mitleids und des Vertrauens. Ihre Anrede an die Diener dort: „Was Er euch sagt, das tuet“, war ein Gebet der Zuversicht. Das schönste Gebetsmuster aber gibt uns die einzige längere Rede Mariä, die uns der hl. Lukas meldet. Als an ihr geschehen war, was der Engel ihr angesagt und sie glaubend angenommen hatte, als das Gnadengeheimnis, wovon sie erfüllt war, seinen ersten Überfluß auf Johannes und Elisabeth ergossen, da brach auch ihre Stimmung aus in ein lobsingendes Gebet, das „Magnifikat“. Dieses Gebet Mariä bewegt sich in gewaltigen Schwüngen und Gegensätzen. Es beginnt mit der Lobpreisung Gottes als des Herrn und fährt fort mit der Frohlockung in Gott als ihrem Heil; es vertieft sich in Erkennung ihrer Niedrigkeit als der Dienstmagd des Herrn, und erhebt sich zur Voraussicht ihrer Seligpreisung durch alle Geschlechter; es erwähnt die Großtaten, die Gott an ihr getan, ohne solche zu nennen, und besingt die Vollkommenheiten in Ihm, wovon dieselben ausgegangen, namentlich seine Macht, seine Heiligkeit und seine Barmherzigkeit; es ergeht sich in Triumph über die Siege, die Gott über seine Feinde gewonnen und ergießt sich in Dank über die Segnungen, die Er seinen Freunden verliehen; es erinnert an die göttlichen Verheißungen, die dem Abraham und seinem Samen geworden, und feiert deren gnädige Erfüllung, die dem Knecht Gottes, dem Volk Israel widerfahren. In diesem wunderbaren Lobgesang, worin Maria in hoher Erleuchtung ihre Geschichte in der Mitte und auf der Höhe der Offenbarungen und Wundertaten Gottes erblickt, drückt sie in kurzen Worten alle Gesinnungen der zu Gott betenden Seele, des in Gott versunkenen Geistes aus, den sichersten Glauben, die festeste Hoffnung und die inbrünstigste Liebe; die tiefste Demut, die froheste Zuversicht und die aufrichtigste Dankbarkeit. Darum hat die Kirche sich dieses Gebet Mariä als Mustergebet angeeignet, und wiederholt es alle Tage zur Vesperzeit.

So ist Maria nicht allein unsere Fürbitterin am Throne Gottes, die uns alle Güter der Zeit und alle Gnaden der Ewigkeit erlangt; sie ist auch unsere Vorbeterin, die uns das Muster und das Beispiel guten Gebetes gibt; sie ist auch für uns die mystische Rose, die mit dem Wohlgeruch ihres Gebets alle Gläubigen anzieht und auferbaut.

II.

5. Der mystischen Rose des Himmels gegenüber will die Kirche, daß auch wir, ihre Kinder, mystische Rosen auf Erden seien, die mit der himmlischen zusammen duftend den Wohlgeruch des Gebets zu Gott emporschwingen und unter den Menschen verbreiten; mit andern Worten: Die Kirche will, daß wir mit Maria, durch Maria und zu Maria beten.

Denn gerade weil das Gebet allen Christen sowohl als Religionspflicht wie als Heilsmittel so notwendig ist, ist alles daran gelegen, daß wir es würdig und wirksam verrichten. Daran hindert uns aber unsere Sündhaftigkeit, wodurch wir den Augen Gottes mißfallen und unser Gebet seiner Erhörung unwürdig machen; daran hindert uns unsere Unwissenheit, wodurch wir nicht erkennen, wie und um was wir beten sollen; daran hindert uns unsere irdische Neigung, womit wir mehr nach den Schätzen der Erde als nach den Gütern des Himmels verlangen; daran hindert uns unsere sinnliche Gebundenheit, die es uns so schwer macht, uns zu den göttlichen Dingen zu erheben; daran hindert uns unser geistiger Unbestand, der uns nicht lange und beharrlich in übernatürlichen Gedanken und Anmutungen verweilen läßt. Allen diesen unseren Mängeln wird abgeholfen durch die große Beterin, die Gnade bei Gott gefunden; die uns Den gegeben, in dessen Namen wir beten sollen und allein Heil finden können; die vom Urheber aller Gnaden als Mutter geehrt und allezeit angesehen und erhört wird; die vom Stifter unseres Heils mit dessen Verwaltung betraut und selbst mit seiner ganzen Gnadenmacht belehnt ist.

Wie daher kein Gebet vor Gott dem Vater gilt, als durch seinen Sohn, unsern Herrn Jesum Christum, der mit Ihm lebt und herrscht in Ewigkeit, so taugt auch kein Gebet bei Christo als durch Maria, seine Mutter, die Er neben sich auf den Himmelsthron gesetzt und uns als unsere Mutter angewiesen hat. Die Kirche Christi, die wie in ihrer Lehre, so auch in ihrem Tun und besonders in ihrem Beten vom Heiligen Geist in alle Wahrheit geführt wird, lehrt ihre Kinder nicht anders zu Gott dem Vater zu beten, als durch seinen Sohn Christum, unsern Herrn; leitet aber auch ihre Kinder an, so oft sie zu Gott beten, zugleich zu Maria zu beten, damit Maria für sie und mit ihnen bete.

6. Im katholischen Volksgebet besteht daher das Gebet des Herrn nicht ohne den englischen Gruß, gibt es kein „Vater unser!“ ohne „Gegrüßt seist du Maria!“ Ja, in dem Hauptgebet des katholischen Volkes, im Rosenkranz, wird immer zehnmal zu Maria gebetet, wann einmal unmittelbar zu Gott gebetet wird. Darüber erheben nun die von uns Getrennten da draußen ein unaufhörliches Zetergeschrei als über Abgötterei, aber aus lauter Unverstand und Mangel an christlichem Sinn.

Was wird dem Allerheiligsten besser gefallen, daß wir elende Sünder zehnmal hintereinander uns vor seinen Thron stellten, und zwar in dem Dünkel, daß uns dies zustände und wir keiner Vermittlung bei seiner Majestät bedürften? Oder daß wir nur einmal Ihm geradezu zu nahen wagen, jedoch auch nur im Namen und mit den Worten seines Sohnes, der durch Maria unser Bruder geworden ist; dann aber zehnmal uns hinter Maria, die Ihm wohlgefälligste und liebste aus allen Kreaturen, seine Tochter, seine Mutter, seine Braut zurückziehen und sie bitten, uns bei Ihm zu vertreten? In welchem Gebet übrigens am meisten Ehrfurcht vor Gott dem Herrn stattfindet, ob im Katholischen, oder im Unkatholischen, wenn es ein solches gibt, das zeigt sich klar. Nur wo das „Vaterunser“ vom „Ave-Maria“ begleitet und wie getragen wird, nur da wird es auch durch das Kreuzzeichen eingeführt und in Bezug auf den alleinigen Erlöser und Heiland gesetzt, nur da wird es auch im Namen des dreieinen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes gesprochen. Wo immer je zehn „Ave-Maria“ mit einem „Vaterunser“ zu einer Gebetsrose verflochten werden, da wird das ganze Gebet mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis an die drei Personen der Gottheit und ihre äußeren Werke und Offenbarungen eröffnet; da wird jede Abteilung des Gebets ausdrücklich der Ehre des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes gewidmet, „wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit“; da wird jedes „Ave-Maria“ verbunden mit der Erinnerung an einses der Geheimnisse aus dem Leben unseres Herrn Jesu Christi. Freilich sind diese Geheimnisse des Lebens Christi meistens zugleich Ereignisse des Lebens Mariä: So haben dieselben sich aber in der von Gott gefügten Wirklichkeit zugetragen, und die heilige Geschichte sondert Christum nicht von Maria und Maria nicht von Christo, weder in den Freuden und Mühen Seiner Kindheit, noch in den Arbeiten und Leiden Seiner Erlösung, noch in den Glorien und Gnaden Seiner Verherrlichung. Dieser ganze Kreislauf des Lebens Jesu und Mariä, alle freuden- und schmerzen- und glorreichen Geheimnisse desselben, in dreimaliger Fünfzahl, werden mit der eben so oft wiederholten Zehnzahl des „Ave-Maria“ zu eben so vielen sogenannten Gesetzen des Rosenkranzes zusammengewunden. Gesetze mögen diese einzelnen Gewinde deshalb heißen, weil sie nicht allein darstellen, was wir glauben, sondern auch, was wir nachahmen sollen und was wir zu hoffen haben; weswegen die Kirche am heutigen Feste zu Gott fleht, „daß wir die heiligsten Geheimnisse des Rosenkranzes Mariä so verehren mögen, daß wir ausüben, was sie enthalten, und erlangen, was sie verheißen.“ Die katholische Gebetsweise, die Christum und Maria in einer Anrufung vereinigt, ist daher zugleich und allein die eigentlich evangelische, die biblisch begründete, die dogmatisch feste, die liturgisch beständige, die moralisch fruchtbare Gebetsweise. Die Erfahrung lehrt uns aber auch, daß nur da die Anbetung des Gottmenschen dauert, wo die Verehrung der Gottesmutter blüht und wir im Kultus und in der Lehre wie in der Geschichte Christum nur durch Maria haben und behalten.

7. So rechtfertigt es sich, daß der häufigste Bestandteil des katholischen Volksgebets das „Ave-Maria“ ist. Welche Gebetsformel, außer dem Gebet des Herrn und dem Lobgesang Mariä selbst, könnte aber auch vortrefflicher sein an Ursprung und Inhalt? Die ersten Worte bestehen ja aus dem Gruße, den der von Gott gesandte Erzengel Gabriel der seligsten Jungfrau vom Himmel brachte, zugleich mit der Botschaft, daß sie die Mutter Gottes werden sollte. Diesem himmlischen Gruß schließt sich ein anderer an, den die von der Jungfrau-Mutter heimgesuchte hl. Elisabeth im Licht und Feuer des Heiligen Geistes ihr entgegenrief. An diesen doppelten Gruß aber hat die Mutter Kirche eine kurze und kräftige Anrufung der hl. Mutter Gottes gefügt, welche seitdem im Mund aller Heiligen und aller Gläubigen ist. Mit dem Erzengel grüßen wir Maria, beglückwünschen und preisen sie als die „Gnadenvolle“, der die Gnade Gottes wie zur andern Natur geworden; der Gott alle Heiligung verliehen und bewahrt hat von Anfang, vom ersten Moment ihres Daseins an, ohne sie auch nur einen Augenblick lang auch nur von einem Schatten der erblichen Sünde beflecken zu lassen; der Er diese erste Heiligungsgnade gesichert und befestigt hat von ihrer Geburt an, und dieselbe gewahrt und bereichert alle Momente ihres Lebens hindurch, ohne daß sie jemals auch nur in die kleinste läßliche Sünde fiel: sodaß sie, nach des Apostels Ausdruck, hienieden schon „mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit Gottes spiegelte und in dessen Bild verwandelt ward von Klarheit zu Klarheit, vom Geiste des Herrn“ (2. Kor. 3, 18), welcher über diese Seele schwebte und sie bildete wie eine neue höhere Welt. Darum rufen wir dieser Hochbegnadigten weiter mit dem Engel zu: „Der Herr ist mit dir“, d.h. Gott der Herr hat sich mit dir und dich mit Ihm vereinigt von Anfang an und auf die innigste Weise; Gott der Vater besitzt und behält dich als seinen Liebling, Gott der Sohn gibt sich dir ein und wohnt in dir und hängt an dir als seiner Mutter, Gott der Heilige Geist überkommt dich und ergießt sich in dich als sein Gefäß mit allen Schätzen seiner Gnade und Liebe. Mit dem Engel und mit der hl. Elisabeth fahren wir fort, Maria zu grüßen als „die Gebenedeite unter den Weibern“, die das Fluch-Erbe der Mutter Eva in Segens-erbschaft verwandelt, deren Schmach in Ehre verkehrt hat, aus deren schmählichster Abhängigkeit vom Mann in die freieste Unabhängigkeit getreten ist, und dem ganzen Menschengeschlecht anstatt der Frucht des Todes die Frucht des Lebens hat gereicht. Mit Elisabeth schließen wir unsern Gruß mit dem Zuruf: „Gebenedeit ist die Frucht deines Leibes“: Du hast uns das Opferlamm Gottes geboren und gegeben, das mit seinem Blut die Sünden der Welt sühnt, und mit seinem Fleisch die Kinder Gottes speist; aus deinem Schoß, aus deinen Händen haben wir es empfangen, dir verdanken wir es und unser ganzes Heil.

Von diesem Gruß und Preis Mariä führt die Kirche uns wie von selbst zu der Anrufung derjenigen, die Gott zu seiner Heiligen erwählt und zu seiner Mutter gemacht hat, daß sie uns ihrer Heiligkeit teilhaft machen, ihre Mutterschaft vom Erlöser auf die Erlösten ausdehnen, ihre Macht bei Gott für die Kinder Gottes aufbieten, unsere Mittlerin und Fürbitterin bei Ihm sein wolle in allen Nöten und Gefahren des Lebens und in den Ängsten und Schrecken des Todes: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes!“ Das ist eine schwache Andeutung von dem Inhalt des Ave Maria.

8. Wie hat man nun aus der häufigen Wiederholung dieses so gehaltreichen Gebets uns einen Vorwurf machen können? Ist der Inhalt desselben wohl je zu erschöpfen? Bedarf es nicht der beständigen Wiederholung, um der Fülle dessen inne zu werden? Und wird nicht durch die Verknüpfung des englischen Grußes und des kirchlichen Gebetes mit den verschiedenen Geheimnissen des Lebens, des Leidens und der Verherrlichung Jesu Christi immer neue Anwendung und dadurch immer reicheres Verständnis desselben geboten und gefördert?

Wenn wir nach der Weisung des Herrn „immer und ohne Unterlaß beten“ (Luk. 18, 1) und doch beim Gebet nicht viele Worte machen sollen (Matth. 6, 7), wie können wir denn unser Gebet kürzer und kräftiger fassen, wie können wir es besser anhalten und fortsetzen, als in steter Wiederholung und immer neuer Beziehung dieser vom Heiligen Geist eingegebenen Worte? Auch ist das gläubige katholische Volk schon so viele Zeitalter und Geschlechter hindurch nicht müde geworden und wird sein Leben lang nicht müde, die selig zu preisen und zu grüßen, anzurufen und zu bitten, an welcher Gott die großen Dinge getan und die Er uns zur Mutter gegeben, zur Mittlerin bei Ihm angewiesen hat: wird denn sie, die selige, wohl je müde werden, den Gruß und Preis zu hören, den sie selbst vorgesehen und vorgesagt? Wird sie wohl müde werden, den Namen Mutter von uns zu hören, den ihr göttlicher Sohn am Kreuze ihr und uns zum Vermächtnis gelassen hat? Nein, so wenig unser Gott und Herr jeden Vaternamen aus dem Munde seiner in Christo angenommenen Kinder verschmäht, so wenig verschmäht Maria jeden Mutternamen aus dem Munde der Kinder, die Christus ihr an seiner statt übergeben hat. Vielmehr wird dieser Muttername mit dem Engelgruß aus betenden Herzen aufsteigend ihr ein süßer Wohlgeruch sein gleich der Rosenblüte in den Tagen des Frühlings. Das ist die Meinung der hl. Kirche; darum nennt sie die beschriebene Zusammenstellung des „Ave Maria“ mit dem Gebet des Herrn und mit der Betrachtung der freuden-, schmerzen- und glorreichen Geheimnisse des Lebens Christi und Mariä Rosenkranz; darum gibt sie der heiligsten Gottesmutter so gern den Namen: Königin des hl. Rosenkranzes.

Ja, der Sohn Gottes krönt seine Mutter im Himmel als der Königin der Engel und der Heiligen das Haupt mit einer Krone von Sternen; das sind die himmlischen Freuden und Glorien, die leuchten und strahlen durch die Ewigkeit. Wir wollen unserer Mutter im Himmel, als der holden Königin aller gläubigen und gottliebenden Seelen, die Füße umkränzen mit einem Kranze von Rosen, das ist mit unseren herzlichen und andächtigen Grüßen, mit unseren sehnsüchtigen und demütigen Gebeten. Wir wollen ihr diesen Rosenkranz winden, dies Blumenopfer zu Füßen legen, wo möglich alle Tage.

Wir wollen dies Gebet gemeinschaftlich verrichten in schallenden Wechselchören, im Gotteshause, auf Pilgerfahrten, in Werkstätten, im Familienkreise, für die allgemeinen Anliegen und Nöte der Christenheit, für die Bedrängnisse und Trübsale unserer Mutter, der hl. Kirche, für die Bedürfnisse des christlichen Hauses; und wir wollen es bei uns insbesondere beten, in unserer Kammer, auf Wegen und Stegen, in der Stille der Nacht, für die Not und das Elend unserer Seele und unseres Leibes, unserer lebenden und verstorbenen Angehörigen. Die Kirche bezeugt uns durch das heutige Fest, daß die Himmelskönigin, durch das öffentliche Rosenkranzgebet bewogen, dem Christenvolk oft gegen übermächtige Feinde wunderbaren Beistand geleistet und herrlichen Sieg verschafft hat; und sie verheißt uns im heutigen Offizium, daß die Mutter Gottes, durch das ihr so angenehme Rosenkranzgebet von uns angerufen, uns auch stärken werde im Kampfe des Heils, um die höllischen Feinde zu besiegen.

Sei uns der Rosenkranz Mariä denn wie eine Rast und ein Trost auf unserer irdischen Wanderschaft; dann wird er uns auch ein Schutz und Schirm bei deren Ausgang, in unserer Sterbestunde sein. Und wenn wir nach unserem Hinscheiden für eine Zeit lang verwiesen werden in den Schuldkerker der göttlichen Gerechtigkeit, wo die Gefangenen nicht herauskommen, bis der letzte Heller bezahlt ist, dann werden die Rosen dieses Kranzes, den die christliche Liebe uns aufs Grab legt, uns erquicken in der Pein; und aus den Rosenkränzen, die wir unser Leben lang der Himmelskönigin zu Füßen gelegt haben, wird sie ein Band winden, woran sie uns herauszieht aus den Flammen der Läuterung und hinein führt in die seligen Gefilde des Paradieses.

Amen!

(Genommen aus: Die heiligen Geheimnisse Mariä, der jungfräulichen Gottesmutter, in einer Reihe von Predigten dargestellt von Dr. Johannes Theodor Laurent, Bischof von Chersones i.p.i. und ehemaligem apostolischem Vikar zu Hamburg und zu Luxemburg, Hausprälaten und Thronassistenten sr. Päpstlichen Heiligkeit. Dritter Band. Mainz, Verlag von Franz Kirchheim. 1870. S. 305 – 319. Rechtschreibung und Sprache angeglichen.)