Alte Bücher neu gelesen - Schule der Reinheit

Für viele, vor allem junge Menschen, stehen die alten Bücher nur verstaubt in den Bücherregalen, weil sie meinen, diese wären völlig veraltet und hätten ihnen deswegen nichts von Bedeutung oder gar Interessantes zu sagen. Der Zeitgenosse hat sich großteils so an die Tagesmeinung gewöhnt, daß er gar nicht mehr danach fragt, ob es denn noch anderes, tiefergehendes, bleibendes Wissen gibt. Ja vielleicht sogar ein Wissen, das unverrückbar ist und Bestand hat, weil es etwas von den ewigen Wahrheiten ins Wort faßt.

Wir Katholiken wissen noch um dieses Geheimnis der Wahrheit, die uns offenbar geworden ist in Jesus Christus. Deswegen sind uns alte Bücher meist viel lieber als neue, weil sie noch viel mehr von dieser Wahrheit durchdrungen sind und die Liebe zur Wahrheit spüren lassen. Beim Lesen erkennt man, welch ernsthafte Mühe sich die Autoren geben, diese Wahrheit verständlich zu machen.

Eine dieser Wahrheiten lautet: Wir sind für die Ewigkeit geschaffen. Der Weg zur ewigen Glückseligkeit wird uns durch die göttlichen Gebote gewiesen. An sich könnte der Mensch selber zur Erkenntnis dieser Wahrheit vordringen, aber leider ist seine Erkenntniskraft durch die Folgen der Erbsünde erheblich geschwächt worden. Ohne die Hilfe der von Gott geoffenbarten Wahrheit fällt es uns schwer, sehr schwer, den rechten Weg zu finden und noch schwerer, ihn auch konsequent zu gehen. Ohne Gnadenhilfe ist es uns sogar unmöglich, das letzte Ziel zu erreichen, fehlt uns doch dazu die sittliche Kraft.

Anarchie

Die sog. moderne Welt hat sich zwar schon vor Jahrhunderten gedanklich vorbereitet, hat aber erst im letzten Jahrhundert so Gestalt angenommen, wie wir sie jetzt überall verwirklicht sehen. Diese moderne Welt ist letztlich eine Welt ohne Gott und somit ohne Gebote. Seit der 1968er Revolution schwebt das Damoklesschwert der Anarchie über uns. Wobei jeder einigermaßen gebildete Christ wissen muß, daß die Anarchie wesentlich verbunden ist mit der Diktatur der Beliebigkeit. Denn ganz ohne Normen, ohne gemeinsame Regeln funktioniert keine Gemeinschaft auf Dauer, weshalb diese letztlich durch Beliebigkeit ersetzt werden. Es ist zwar ein Witz, aber dieser beinhaltet doch einen tiefen Kern von Wahrheit. Ein einfacher Bauer sagt zum andern: „Eine g’scheite Anarchie muß her, mit einem g’scheiten Anarchen.“ Zwar meinte der Bauer selbstverständlich „Monarchie“ aber dennoch beschreibt der Witz die innere Tendenz der Wirklichkeit: Eine Gesellschaft kann sich nicht beliebig lang und weit auflösen. Eine anarchistische Gesellschaft ist letztlich eine Utopie, die nach einem „Anarchen“ ruft. Denn irgendeinmal wird der Selbsterhaltungstrieb wieder die Oberhand gewinnen, dann ist es aus mit der Anarchie. Was aber folgt dann?

Die 68er Revolution

Die 1968er Revolution hat nicht nur die Politik wesentlich geprägt, sondern auch das sittliche Leben. Eine wesentliche Forderung war die sexuelle Freiheit. Keine Bindung mehr an feste Formen der Partnerschaft wie etwa die Ehe. Diese stellt eine Tyrannei dar, wir fordern Freiheit! Um die Auswirkungen dieser sexuellen Revolution in ihren Breiten und Tiefen verstehen zu können, muß man sich Gedanken über das Wesen des Menschen machen, man muß über Sinn und Ziel des Menschenlebens nachdenken. Nur dann wird man fähig, die weitreichenden Folgen dieser Auflehnung gegen die göttliche Ordnung abzuschätzen, die übrigens auch das kirchliche Leben grundlegend verändert hat. Der Modernismus vertritt nicht nur viele irrige Lehren, sondern auch eine irrige Auffassung von Sitte und Moral, denn im Windschatten der theologischen Irrtümer finden sich immer auch moralische. Etwas anders ausgedrückt: Ein Irrtum bezüglich des Seins des Menschen bedingt immer auch einen Irrtum bezüglich des rechten Handelns.

„Zucht und Maß“

In der Schriftenreihe des Kösel-Verlags zum Autor Josef Pieper findet sich auch das Bändchen „Zucht und Maß – über die vierte Kardinaltugend“. Im Lateinischen heißt diese Tugend: Temperantia. Da es im Deutschen kein gleichbedeutendes Wort gibt, muß es mit Zucht und Maß wiedergegeben werden.

Gestützt auf den hl. Thomas von Aquin und damit auf die ganze abendländische Denktradition bestimmt Josef Pieper diese Tugend folgendermaßen:

„Der Zielsinn der temperantia ist die innere Ordnung des Menschen, aus der allein diese ‚Ruhe des Gemütes‘ erfließt. Zucht heißt: in sich selber Ordnung verwirklichen.

Dies unterscheidet die temperantia von allen anderen Kardinaltugenden: daß sie ausschließlich auf den Wirkenden selbst bezogen ist. … Thomas von Aquin hat den Gedanken, daß in Gott die Urbilder aller Dinge gegenwärtig sind, auch auf die Kardinaltugenden bezogen: die urbildliche, göttliche Weise der temperantia aber sei ‚die Hinkehr des göttlichen Geistes zu sich selbst‘.

Für den Menschen gibt es zweierlei Weise der Hinkehr zu sich selbst: eine selbstlose und eine selbstische. Nur die erste wirkt Selbstbewahrung, die zweite ist zerstörerisch. …

Unzucht ist Selbstzerstörung durch selbstische Entartung der auf Selbstbewahrung zielenden Kräfte.

Es ist ein zwar alltäglicher, aber darum nicht weniger geheimnisreicher Sachverhalt, daß die innere Ordnung des Menschen nicht — wie die von Kristall, Blume und Tier — eine einfachhin gegebene und selbstverständliche Wirklichkeit ist, sondern daß vielmehr die gleichen Kräfte, aus denen das menschliche Dasein sich erhält, jene innere Ordnung bis zur Zerstörung der geistig-sittlichen Person verkehren können. Daß uns dieser Zwiespalt im Menschenwesen ohne die gläubige Hinnahme der geoffenbarten Wahrheit von der Ursünde völlig undeutbar bliebe [wenn wir uns nicht gar einreden, er sei überhaupt nicht da] — davon kann in diesem Buche nicht des näheren die Rede sein.“

(Josef Pieper, Zucht und Maß, Kösel-Verlag, München 1964, S. 17 f.)

Die Notwendigkeit des Maßhaltens

Während alle anderen Geschöpfe in unserer Welt von Natur aus wirken und somit ihr gottgegebenes Ziel erreichen, wenn kein gewaltsames Hindernis sich ihnen entgegenstellt, ist der Mensch frei. Er kann die ihm von Natur aus gegebenen Kräfte im Guten und im Bösen verwenden. Für den Menschen gibt es zweierlei Weise der Hinkehr zu sich selbst: eine selbstlose und eine selbstische. Nur die erste wirkt Selbstbewahrung, die zweite ist zerstörerisch. Diese zweite Möglichkeit der Selbstzerstörung wird uns allein dann einsichtig, wenn wir die Offenbarung der Erbsünde gläubig annehmen. Aus der Auflehnung gegen Gottes Gebot und der Übertretung desselben erahnt man die abgrundtiefe Gefährdung, die sich seitdem im Menschenwesen findet. Dasselbe gilt auch für die Erkenntnis der Notwendigkeit der Tugend der temperantia.

Selbstzerstörerische Verletzung der Gottesliebe

Betrachtet man den erbsündlich belasteten Menschen und seine gefallene Natur, so drängen sich folgende Fragen auf:

„Wie aber kann das sein, daß gerade die Kräfte der Selbstbewahrung so nahe daran sind, zerstörerisch zu werden? Wie kann das sein, daß der Mensch, der sich selber sucht, sich just auf solche Weise auch verfehlen kann? Wie anderseits kann Selbstliebe ‚selbstlos‘ sein?

Ein schmaler Zugang des Verständnisses öffnet sich in einem Satz des heiligen Thomas, den man getrost das Fundament schlechthin einer metaphysischen Lehre vom handelnden Menschen nennen darf. Er besagt: es sei dem naturhaften Wesen und Wollen des Menschen — wie jeder Kreatur überhaupt — gemäß, Gott mehr zu lieben als sich selbst. Dadurch also empfängt die Verletzung der Gottesliebe ihre selbstzerstörerische Schärfe, daß sie zugleich dem Wesen und dem naturhaften Wollen des Menschen selbst widerstreitet. Und mit innerer Notwendigkeit also verfehlt und verkehrt der Mensch, wenn er nichts so sehr liebt wie sich selbst, den der Selbstliebe, wie aller Liebe überhaupt, innewohnenden Sinn: zu bewahren, zu verwirklichen, zu erfüllen. Dieser Sinn wird allein der selbstlosen Selbstliebe geschenkt, die nicht blind sich selber sucht, sondern sehenden Auges der wahren Wirklichkeit von Gott, Ich und Welt zu entsprechen sich bemüht.“

(Ebd. S. 20 f.)

Es ist eine aus vielen, vielen Jahrhunderten gewonnene Erfahrungstatsache: In dem Augenblick, in dem sich der Mensch von Gott lossagt, verfällt er einer ungeordneten Selbstliebe, die eine selbstzerstörerische Schärfe in sich schließt. Mag der Mensch diese kaschieren wie er will, sie wird letztlich immer in seinem sündhaften Tun offenbar werden. Dieser ungeordneten Selbstliebe muß jeder Mensch gezielt und beharrlich durch die Tugend der temperantia entgegenwirken, will er in Frieden mit sich selbst leben.

Wahrende und wehrende Zucht

„Zucht also ist, als selbstlose Selbstbewahrung, die wahrende und wehrende Verwirklichung der inneren Ordnung des Menschen. Zucht ist nämlich nicht bloß wahrend, sondern auch wehrend; ja, sie wahrt, indem sie wehrt. Denn seit der Ursünde ist der Mensch nicht nur fähig, sondern geneigt, wider seine eigene Natur sich selber mehr zu lieben als Gott, seinen Schöpfer. Zucht wehrt aller selbstischen Verkehrung der inneren Ordnung, kraft deren die sittliche Person besteht und wirkend lebt.“

(Ebd. S. 22)

Eigentlich müßte jeder dieses inwendige Gewicht spüren, das zur Sünde drängt. Seit der Ursünde erscheint uns nämlich das Gute mühsam, wohingegen das Böse einen gewissen verführerischen Zauber auf die Seele ausübt. Darum muß die Zucht aller selbstischen Verkehrung der inneren Ordnung wehren. Die Gefährdung der inneren Ordnung zeigt sich besonders in den urtümlichsten Daseinskräften:

„Der naturhafte Drang zum sinnlichen Genuß, in der Lust an Speise und Trank und in der Geschlechtslust, ist das Echo und der Spiegel der stärksten naturhaften Bewahrungskräfte des Menschen. Diesen urtümlichsten Daseinskräften — die darauf gerichtet sind, den einzelnen wie das Menschengeschlecht im Sein zu erhalten, für das sie geschaffen sind [Weish 1,14] — entsprechen die Urformen des Genießens. Gerade weil aber diese Kräfte aufs engste dem tiefsten menschlichen Seinsdrang zugeordnet sind, gerade deswegen übertreffen sie, wenn sie selbstisch entarten, alle übrigen Kräfte des Menschen an selbstzerstörerischer Wucht. Darum auch ist hier der engste Bezirk der temperantia: Enthaltsamkeit und Keuschheit, Unenthaltsamkeit und Unkeuschheit sind die Urgestalt von Zucht und Unzucht.“

(Ebd. S. 23)

Dabei geht der Wirkungsbereich der temperantia noch weit über diesen engsten Bezirk hinaus, denn vielfältig sind die Aufgaben des Menschenlebens, und die daraus sich ergebenden Gefährdungen sind so vielfältig wie die Wirklichkeit selbst. Josef Pieper faßt die Wirkungsweise der Tugend der Zucht und ihr Gegenteil so zusammen:

„Keuschheit, Enthaltsamkeit, Demut, Milde, Sanftmut, studiositas [Strebsamkeit] sind Verwirklichungsweisen der Zucht; Unkeuschheit, Unenthaltsamkeit, Hochmut, hemmungsloser Zorn, curiositas [Neugierde] sind Formen der Unzucht.“

Die Notwendigkeit eines sittlich geordneten Umfeldes

Solange wir in einem einigermaßen sittlich geordneten Umfeld leben, hält sich die Gefährdung in Grenzen. Der hl. Thomas von Aquin versichert:

„Um der naturhaften Begehrungen willen wird nicht viel gesündigt … Etwas anderes aber, um dessentwillen am meisten gesündigt wird, sind die Aufreizungen des Begehrens, die der Menschen Vorwitz hinzuerfunden hat.“

Was würde der Heilige heute angesichts unserer modernen Gesellschaft sagen? Wenn es schon im Sühnegebet zum heiligsten Herzen Jesu, das Papst Pius XI. zu beten angeordnet hat, heißt: „Laß uns, Herr, wiedergutmachen, was maßlos und schamlos ist in Kleidung und Lebenshaltung, denn so werden unschuldige Seelen heimtückisch ins Verderben gelockt“, was soll man da erst heute sagen und klagen? Wie schwer ist es geworden, inmitten der fast allgegenwärtigen Versuchungen, die Reinheit des Herzens zu bewahren. Um wie viel schwerer ist es geworden, heutzutage um des Himmelreiches willen auf die Ehe zu verzichten und ein jungfräuliches Leben der Weltentsagung zu führen. Das Verständnis für diesen Verzicht scheint kaum mehr möglich.

Die Tugend der magnificentia

Wie Josef Pieper darlegt, vergleicht der hl. Thomas von Aquin diese Entscheidung für die Jungfräulichkeit mit der Tugend der magnificentia„Die hohe und wahrhaft fürstliche Geneigtheit, für die prächtige Versichtbarung eines erhabenen Gedankens in festlicher Feier, in Bildwerk oder Bau große Ausgaben zu machen.“ Genauso wie die Tugend der magnificentia über das gewöhnliche Maß der Freigebigkeit hinausgeht, geht die Jungfräulichkeit über das gewöhnliche Maß der Tugend der Keuschheit hinaus. Um das wiederum verstehen zu können, muß man die ganze Wirklichkeit in den Blick bekommen.

„Es gibt Begriffe, in denen sich, wie in einem Hohlspiegel, ein ganzes Weltbild zusammenfaßt. Es sind das zugleich Begriffe, an denen die Geister sich erkennen und scheiden. Zu ihnen gehört auch der Begriff der Jungfräulichkeit.

Nur wer die Rangordnungen anerkennt, von denen her jene dreigliedrige Antwort des heiligen Thomas gegeben ist: daß nämlich das Göttliche höher, unendlich höher als das Menschliche ist und das Geistige höher als das Leibliche — nur wer diese Rangordnungen anerkennt, und zwar, um mit John Henry Newman zu reden, nicht nur ‚begrifflich‘, sondern ‚real‘, nur der kann auch den Sinn und das Recht und die Würde der Jungfräulichkeit begreifen.“

(Ebd. S. 75)

Einwände gegen die Jungfräulichkeit

Versuchen wir also diese Rangordnung - daß nämlich das Göttliche höher, unendlich höher als das Menschliche ist und das Geistige höher als das Leibliche – anerkennend, die Antwort des hl. Thomas mit der Hilfe von Josef Pieper nach-zu-denken:

„Es gibt zwei sozusagen ewige Einwände gegen die Jungfräulichkeit: sie sei wider die Natur, und: sie widerstreite, als Schwächung der natürlichen Volkskraft, dem Gemeinwohl.

Nur den, der die Weite und Schärfe dieses Geistes nicht kennt, kann es überraschen, beide Einwände in der Summa theologica des heiligen Thomas auf das präziseste formuliert zu finden.

Wichtiger aber ist die Antwort, ein Gefüge aus drei Gliedern. — Erstes Glied: Wie es natürlich ist, daß einer um der Gesundheit des Leibes willen die äußeren Güter von Geld und Besitz dahingibt, so ist es nicht wider die Natur, daß der Mensch um des geistigen und geistlichen Lebens willen verzichtet auf die Stillung der Begehrungen des Leibes. Das ist die natürliche, dem Wesen der Dinge und des Menschen gemäße Ordnung. — Wie aber ist dies: niemand würde doch um der geistigen Güter willen aufhören zu essen und zu trinken; und: heißt es nicht in der Heiligen Schrift: «Wachset und mehret euch und erfüllt die Erde!» [Gen 1,28]?

Zweites Glied der Antwort: Es gibt zweierlei natürliches Dürfen und Müssen; eines richtet sich an das einzelne Ich, das andere richtet sich an das Wir. Essen und Trinken muß jeder einzelne Mensch. Das Gebot der Genesis aber gilt für das gesamte Wir des Menschengeschlechtes. «Im Heere bewachen die einen das Lager, andere tragen die Feldzeichen voran, und andere kämpfen mit dem Schwerte: dies alles sind Pflichten, die an die Gemeinschaft gerichtet sind, aber durch den einzelnen Menschen nicht erfüllt werden können.» Dem menschlichen Wir nun ist es vonnöten, «nicht nur, daß es durch leibliche Zeugung sich fortpflanze, sondern auch, daß es geistig-geistlich gedeihe. Und darum ist dem Wohl der menschlichen Gemeinschaft genuggetan, wenn die einen die Aufgabe der leiblichen Zeugung erfüllen, andere aber, sich jener enthaltend, ganz frei sind für die Betrachtung der göttlichen Dinge — zu des ganzen menschlichen Geschlechtes Schönheit und Heil».

Letztes Glied im Gefüge der Antwort: «Das gemeine Wohl ist höher als das des einzelnen, wenn beide von der gleichen Gattung sind; es kann aber sein, daß das Gut des einzelnen seiner Gattung nach höher ist. Auf solche Weise wird die leibliche Fruchtbarkeit von der gottgeweihten Jungfräulichkeit überragt».“

(Ebd. S. 73 – 75)

Das Buch von Josef Pieper ist zwar auch schon älter, es stammt in erster Auflage aus dem Jahr 1939, aber dennoch steht es unserer Zeit nahe, weshalb es uns noch verhältnismäßig leichtfällt, es neu zu lesen. Wenden wir uns nun nach diesen vorbereitenden Gedanken einem alten Buch zu, das zwar gleichfalls über das Thema Keuschheit und Jungfräulichkeit handelt, aber dennoch anders über dieses Thema spricht, um es gleichfalls neu zu lesen…

Leben und Gebet der reinen Seele in Nachfolge der allerseligsten Jungfrau Maria und der Heiligen Aloysius Gonzaga und Thomas v. Aquin

von Dr. J. Pruner, Domkapitular und Seminarregens. Eichstätt, 1884. Druck und Verlag von A. Hornik

Das Marienkind

(Als Einleitung)

Die seligste Jungfrau Maria übt nach dem anbetungswürdigen und liebevollen Ratschlusse Gottes in seinem Reich den Beruf der Mutter. Sie ist die Mutter des Königs der Liebe selbst, welcher im Reiche Gottes Herrscher ist, Jesus Christus. Sie ist aber auch die Mutter aller, welche er in seiner unendlichen Liebe erlöset und am Kreuz ihrer Liebe anempfohlen hat, - Mutter der schönen Liebe. Es ist deshalb von jeher für jede fromme gläubige Seele eine heilige Pflicht, Maria zu ehren, und ein süßer Trost, sich ihr Kind zu nennen. Alle heilsbegierigen Christen liebten es in Folge dessen auch zu jeder Zeit, sich zu frommen Bündnissen unter dem Schutze Mariä zu vereinigen, deren Aufgabe es ist, alle Mitglieder zur Nachfolge Mariä in allen Tugenden anzueifern und anzuleiten und durch gemeinsames Flehen um die Fürbitte Mariä ihnen reiche Gnaden hierzu zu erwirken. Dieselben fanden besonders eifrige Pflege und Verbreitung seit der zweiten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts, das ist seit jener Zeit, in welcher die Hölle vorzüglich gegen Maria zu wüten begann, um mit der Entfremdung von der gemeinsamen Mutter die Kinder umso sicherer zu Unglauben und Sünde zu führen.

Es entstand damals in Rom die Hauptkongregation zur Verehrung Mariä (Congregatio Mariana prima primaria), und an sie schlossen sich allwärts unzählige Kongregationen und Sodalitäten [Kirchliche Bruderschaften] von Christgläubigen aller Stände, jedes Alters und Geschlechtes an. Heutzutage entfalten sich dieselben in erfreulicher Weise zu schöner Blüte, und gestalten sich dadurch zum Mittelpunkt katholischen Lebens in jeder Gemeinde und in jedem Institut, worin sie Aufnahme gefunden haben. Ihre Mitglieder sollen sich eines reinen Lebens je nach und in treuer Erfüllung der Pflichten desselben durch Gebet und echt christkatholisches Tugendleben sich und ihre Angehörigen heiligen. … Weil aber die „Marienkinder“ keine anderen Obliegenheiten übernehmen, als welche ein lebendig gläubiger und Gott getreuer katholischer Christ überhaupt zu erfüllen hat …

Eine nach Reinheit des Herzens strebende Seele wird sich unwillkürlich der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria zuwenden. Sie ist die Mutter des Königs der Liebe selbst, welcher im Reiche Gottes Herrscher ist, Jesus Christus. Sie ist aber auch die Mutter aller, welche er in seiner unendlichen Liebe erlöset und am Kreuz ihrer Liebe anempfohlen hat, - Mutter der schönen Liebe.

Weil hierbei eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten eine überaus große Hilfe ist, haben sich seit jeher die Katholiken zu frommen Bündnissen unter dem Schutze Mariä zusammengeschlossen, deren Aufgabe es ist, alle Mitglieder zur Nachfolge Mariä in allen Tugenden anzueifern und anzuleiten und durch gemeinsames Flehen um die Fürbitte Mariä ihnen reiche Gnaden hierzu zu erwirken.

Leider sind auch die Marianischen Kongregationen in den Sog des Modernismus geraten und haben damit ihren Sinn verloren, dennoch bleibt für jeden Katholiken auch und gerade in der heutigen Diaspora die schwere Aufgabe bestehen, sich eines reinen Lebens je nach und in treuer Erfüllung der Pflichten desselben durch Gebet und echt christkatholisches Tugendleben zu befleißigen und die Angehörigen zu heiligen. Um dieser Aufgabe einigermaßen gerecht werden zu können, gilt es, eifrig in die Schule der Reinheit zu gehen.

Schule der Reinheit

Vorbilder der Unschuld

Maria ohne Sünde empfangen, St. Thomas von Aquin, St. Aloysius Gonzaga

1. Christliche Seele, willst du rein bleiben oder wieder rein werden, so mußt du vor allem eine recht große Liebe und Hochschätzung für die heilige englische Tugend der Reinheit haben. Diese aber wirst du am sichersten gewinnen, wenn du die himmlischen Vorbilder der heiligen Unschuld immer vor Augen hast. Unter allen Geschöpfen Gottes aber ist das höchste und heiligste Vorbild derselben Maria, die allerseligste Jungfrau, die Jungfrau der Jungfrauen, die allerreinste, unbefleckte Mutter Gottes, die wunderbare Mutter und Jungfrau zugleich, die Königin der Jungfrauen.

2. Maria ist Mensch wie wir, aber ohne allen Anteil an der Erbschaft der Sünde Evas.

Maria ist ein Engel in ihrer Reinheit, aber so hoch steht sie über den Engeln, daß auch die reinsten und höchsten Geister des Himmels ihre heilige Reinheit anstaunen und als ihrer Königin ihr huldigen. So erhaben ist ihre Heiligkeit über allem, was es außer dem Dreieinigen Gotte und ihrem göttlichen Sohne Heiliges im Himmel gibt, wie es der Glanz der Sonne über dem Glanze der Gestirne ist, welche erbleichen und nicht mehr gesehen werden, sobald die Sonne aufgeht.

Ihr heiligster Leib strahlt in einer Unschuld, welche so sehr die Liebe Gottes des Allerheiligsten verdiente, daß er sich würdigte, sich selbst mit ihrem Fleische und Blute zu umkleiden. – Ihre Seele ward um ihrer Reinheit willen entzückt von dem Worte der höchsten Liebe aus dem Munde ihres Gottes; er nannte sich ihr Kind, sie seine Mutter. „Wie herrlich ist die Anmut jener Jungfräulichkeit“, ruft der heilige Ambrosius aus, welche es verdiente, von Christus erwählt zu werden, daß sie Gottes leiblicher Tempel werde, welchem körperlich die Fülle der Gottheit innewohnen sollte! Ein Opfer unbefleckter Reinheit für Gott war jeder Augenblick des heiligsten Lebens Mariä von ihrer Empfängnis bis zum Tage ihrer feierlichen Opferung im Tempel, und von da bis zum Opfer, das sie auf dem Kalvarienberg darbrachte, wo ihr von Jesus dem unschuldigen Gotteslamme in Johannes dem jungfräulich Reinen alle zu Kindern und Schützlingen übergeben wurden, welche rein sein oder es werden wollen. Maria kann niemand denken, niemand nennen, ohne daß im selben Augenblicke ein Strahl des Wunderbildes der Unschuld und Reinheit in seine Seele dringt, und ihn mit himmlischem Troste erfüllt, wenn er noch unschuldig ist, mit Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese, wenn er befleckt, aber guten Willens ist, mit Scham und Furcht vor Gottes Gerichten, wenn ihn noch die Banden der Sünde fest umschließen. Alle, welche wann nur immer ein unschuldiges Leben führten, hatten Maria zu ihrer Königin, Lehrerin und Mutter.

Die reinen Seelen, die es im alten Bunde gab, waren von Gott bestimmt, die Herrlichkeit der Reinheit vorzubilden, welche in Maria vor Himmel und Erde offenbar werden sollte, und fanden die Kraft zur Bewahrung ihrer Unschuld in der glaubensvollen Hoffnung auf den als Sohn der Jungfrau verheißenen Messias. Und die zahllosen Scharen, die seit dem Kreuzesopfer Gott allein zu ewiger Liebe sich verlobt haben, waren alle zärtlich liebende Kinder Mariä, und bekennen es vor Himmel und Erde, daß sie ihre Unschuld niemand anderem verdanken, als Maria. Sie werden dem Könige zugeführt nach ihr (Maria); zunächst nach ihr werden sie zu dir geleitet“ (Ps. 44, 15) , singt König David von den reinen Seelen aller Zeiten und Orte.

3. Nun sagst du vielleicht, ich stehe zu tief unter Maria, der unbefleckt Empfangenen, als daß ich ihr nachstreben könnte. Aber Maria zeigt dir ihre frommen Kinder, alle, welche nach ihrem Beispiele und unter ihrem Schutze sich rein erhielten mitten in einer Welt voll des Schmutzes und der Befleckung, und sagt dir: „Auch diese waren in Sünden empfangen und geboren wie du, und doch sind sie an meiner Hand die Wege der Unschuld gewandelt. Scheint dir mein Beispiel nicht nachahmbar, so blicke auf die Heiligen, die mir nachfolgten.“

Heilige Vorbilder der Reinheit: St. Thomas von Aquin und St. Aloysius von Gonzaga

4. Unter allen Heiligen Gottes, die im Himmel in ungetrübtem Glanze vollkommenster Reinheit und Jungfräulichkeit leuchten, und auf welche uns die heilige Kirche Gottes als Vorbilder und Beschützer der Unschuld und Reinheit hinweist, nenne ich nur zwei, den heiligen Thomas von Aquin nämlich und den heiligen Aloysius Gonzaga.

5. Beide waren der Geburt nach von hochadeligen fürstlichen Eltern, verwandt mit Kaisern und Königen, und es stand ihnen die Bahn zu allen Gütern, Ehren und Lüsten der Welt ungehindert offen. Beide aber waren auch von Kindheit an durch Maria zum höchsten Adel der innigsten Lebensgemeinschaft und Seelenvereinigung mit Gott in einem engelreinen Leben berufen.

Der heilige Aloysius sollte schon im ersten Augenblicke seines Eintrittes in die Welt sein Leben der Mutter Gottes verdanken, welcher seine fromme Mutter sich und ihn verlobt hatte; als Kind Mariä wurde er geboren. Der heilige Thomas, fand gleichfalls schon als zartes Kind an Maria seine liebevollste Mutter. Den Namen Mariä kannte er, ehe er den Namen seiner Mutter kennenlernte. Zeugnis davon war das Wunder, daß man, als er noch auf den Armen getragen wurde, in seinen Händen ein Zettelchen fand, auf welches mit himmlischer Schrift die Worte „Ave Maria“ geschrieben waren. Man nahm es ihm; er zeigte aber das bitterste Schmerzgefühl, und kaum hatte man es ihm wieder gegeben, so verschlang er es, um nicht mehr desselben beraubt werden zu können.

Der allerseligsten Jungfrau geweiht

6. An Mariä Hand und unter ihrem mütterlichen Schutze feierte die heilige Unschuld in St. Thomas und St. Aloysius die herrlichsten Triumphe über die Welt und die Hölle. Sie waren noch Knaben, als die Welt mit ihren gefährlichsten Lockungen ihnen nahte, indem sie sich gegen den heiligen Thomas der bösen Beispiele seiner Genossen, gegen den heiligen Aloysius aber der Sinnenreize des fürstlichen Hoflebens als Mittel der Versuchung bedienen wollte. Was werden diese beiden Engel der Erde tun? Sie fliehen, fliehen zu Maria. Aloysius legt neun Jahre alt vor dem Altare Mariä das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit ab, Thomas wallfahrt im Alter von zehn Jahren mit seiner Mutter nach Loretto, und stellt sich unter Mariä Schutz, weiht sich dem Dienst der Jungfrau der Jungfrauen, ehe er nach Neapel an die Hochschule geht.

7. Von dieser Zeit an sind die beiden englischen Jünglinge ein leuchtendes Beispiel für die Jugend, ein jeder in anderer Weise. Der heilige Aloysius empfand mitten in einer verführerischen Welt nicht die mindeste Versuchung gegen die heilige Reinheit, und doch übte er Bußwerke gleich den strengsten Einsiedlern der Wüste, und gleich als hätte er die ärgsten Sünden abzubüßen.

###Die Gelegenheit meiden

So predigte er die große Wahrheit, daß man sich nie für sicher halten dürfe, selbst nicht, wenn es den Anschein hat, als habe man felsenfesten Willen und ein für die Lockungen der Sinnlichkeit unempfängliches Herz. So lange wir in diesem gebrechlichen Fleische wandeln, ist jeden Augenblick zu fürchten, daß die böse Begierlichkeit obsiege, wenn wir nicht ohne Unterlaß wachen, unseren Sinnen alle ungeordnete Freiheit versagen, und nach Kräften jede Gelegenheit der Versuchung meiden.

Gebet und Wachsamkeit

Der heilige Thomas dagegen hatte die heftigsten inneren Kämpfe und Versuchungen zu bestehen; Gebet und Wachsamkeit, Strenge gegen sich selbst, rastlose Tätigkeit und Arbeit, Empfang der heiligen Sakramente, Flucht vor der Welt und Flucht zu Maria waren die Waffen, womit er jeden Tag neue glorreiche Siege erkämpfte.

8. „In ein reines Herz senkt sich immer das Feuer des Himmels, die heilige Liebe Gottes herab, entzündet durch den Heiligen Geist, dessen Tempel die reine Seele ist. Die Welt wird ihr zur Last, nur Gottes ungestörter Besitz kann sie erfreuen. In der reinen Seele vereinigen sich alle himmlischen Wonnen“, sagt der heilige Augustinus. Aber St. Thomas und St. Aloysius, sie waren rein wie die Engel des Himmels; in Marias, der Allerreinsten, Liebe wurden ihre Herzen täglich mehr dem ewigen Urbilde aller Reinheit, Jesus dem Abglanze des Vaters, zugewendet.

Wahl des Ordensstandes

War es daher anders möglich, als daß sie der Welt vergaßen, der ihr Leib angehörte, und keine andere Welt mehr kannten, als Jesu heiligstes göttliches Herz, und nach der engsten Vereinigung mit ihm dürsteten? Ein lebendiges Brandopfer wollten sie werden durch die heiligen klösterlichen Gelübde. Eines geliebten Vaters Bitten, Tränen, Befehle, in die härteste Behandlung ausartende Strenge, konnte Aloysius nicht vom Entschlusse abbringen, statt der irdischen Bande die heilige reinste Vermählung mit der ewigen Liebe selbst zu wählen. Für den heiligen Thomas hatten die Zärtlichkeit und die rührendsten Bitten einer Mutter, das Flehen der Schwestern, die Grausamkeit der Brüder, harte Gefangenschaft, nur die Wirkung, daß er um so entschiedener das heilige Ordensgewand festhielt, in das er, 14 Jahre alt, gekleidet worden, und das die Brüder mit Gewalt ihm vom Leibe gerissen hatten. Die letzte Erfindung der Hölle, die Lilie der Reinheit ihm zu entwinden, diente nur dazu, mit der glänzendsten Siegespalme ihn zu schmücken, und sein himmlisches Kleinod der Engelsunschuld vor jedem ferneren Angriffe irdischer oder höllischer Feinde sicher zu stellen.

9. Seine Brüder gingen in der Absicht, die Klosterpforte ihm zu verschließen, so weit, daß sie während seiner Gefangenschaft in einem Turm seiner heiligen Tugend die schrecklichste Versuchung bereiteten. Thomas hatte aber nicht so bald die Gefahr erkannt, als er einen Feuerbrand ergriff, und die Person zur Flucht zwang, welche ihn seines kostbarsten Gutes berauben wollte. Er zeichnete mit dem verkohlten Holze desselben das Zeichen des heiligen Kreuzes an die Wand, warf sich nieder vor diesem Zeichen des Lebens, brachte Gott seinen Dank dar für den errungenen Sieg, gelobte ihm neuerdings seine Reinheit, und flehte mit glühenden Gebeten inständig den Allerhöchsten an, er möge ihm die Gnade verleihen, in makelloser Reinheit und Unschuld ihm treu dienen zu können bis an das Ende seines Lebens. Kaum hatte der heilige Jüngling sein Gebet geendigt, so geriet er in eine selige Entzückung, während welcher zwei Engel ihm erschienen und ihn der gnadenreichen Erhörung seines Gebetes versicherten.

Ein Keuschheitsgürtel vom Himmel

„Wir kommen zu dir“, sagten sie, im Auftrage Gottes, „um dir die Gabe ewiger Jungfräulichkeit zu verleihen, welche dir Gott als unwiderrufliches Gnadengeschenk gibt.“ Nach diesen Worten legten sie einen Gürtel um seine Lenden und gürteten ihn so enge und mit so fühlbarem Schmerze daß er von seiner Entrückung wieder zum Gebrauche der äußeren Sinne zurückkehrte. Diese göttliche Gnadenerweisung hielt der Heilige in seiner tiefen Demut während seines ganzen Lebens geheim. Erst wenige Tage vor seinem Tode teilte er sie zur Ehre Gottes seinem Ordensbruder und Beichtvater P. Reginald mit und fügte bei, er habe seit jenem seligen Augenblicke niemals mehr in sich irgendeinen Kampf der Sinnlichkeit gegen den Geist gefühlt. Er erklärte zugleich, nach Gott habe er die Erhaltung seiner Reinheit der seligsten Jungfrau zu verdanken, zu welcher er von seinen Kinderjahren an die kindlichste Andacht getragen. Jener vom Himmel gebrachte Gürtel wurde dem P. Johannes von Vercelli geschickt, welcher zur Zeit des Todes des Heiligen General des Dominikanerordens war. Er übermachte ihn seinem Kloster in Vercelli, wo er noch heutigen Tages mit großer Ehrfurcht aufbewahrt wird. Er ist aus Linnenfaden und sieben Spannen lang. An einem Ende hat er zwei kleine Schlingen, um das andere durchzustecken und auf diese Weise ihn enge um die Lenden befestigen zu können. Der Teil, welcher den Körper umschließt, ist glatt und etwa einen Zoll breit. Ihm angefügt sind zwei Schnürchen, in Vierecke abgeteilt, welche durch 15 etwas von einander abstehende und gleich große Knoten miteinander verbunden sind. Diese bezeichnen die 15 Geheimnisse des heiligsten Rosenkranzes, deren besonderer Verehrer nach dem Beispiel seines heiligen Ordensstifters der heilige Lehrer gewesen ist. Es entstand die fromme Übung, Gürtel nach dem Maße und Muster desselben zu fertigen und zu tragen, und Gott belohnte alle, welche auf solche Weise ihr Verlangen kundgaben, dem Heiligen nachzufolgen, mit wunderbarem Schutze gegen die Gefahren und Versuchungen zur Sünde.

Man hat in der Folge nach dem Maße dieses heiligen Gürtels unzählige andere gemacht.

St. Aloysius folgt dem Beispiel des hl. Thomas

10. Dreihundert Jahre später sehen wir den englischen heiligen Aloysius auf den Knien vor dem Bilde des englischen heiligen Thomas; er erwählt ihn zum besonderen Schützer seiner heiligen Unschuld, umgürtet sich mit einem jener geweihten Gürtel, und sucht mit allem Eifer, seinem englischen Beschützer neue Verehrer zu gewinnen.

11. Siehe also, Aloysius ist ein Sohn des heiligen Thomas, Aloysius und Thomas aber sind beide Kinder Mariä. Erwählst du den heiligen Aloysius zu deinem Beschützer und Vorbild in der standesmäßigen Reinheit, so wirst du seiner Liebe und seines Schutzes umso sicherer sein, wenn du auch nach seinem Beispiel den heiligen Thomas innig verehrest und mit seinem Gürtel dich umgürtest. Gott, der da wunderbar ist in seinen Heiligen, hat in diesen beiden irdischen Engeln am Himmel seiner Kirche zwei Sterne aufgehen lassen, welche in wunderlieblichem Glanze allen leuchten, die den Weg der heiligen Reinheit wandeln in welchem Stande nur immer, aber beide sind unzertrennlich verbunden. Erfreust du dich des seltenen Glückes, in stillem Herzensfrieden ohne große Kämpfe und Versuchungen das hochherrliche Gut der deinem Stande zur Pflicht gemachten Reinheit zu besitzen, so siehe auf Aloysius, diesen Engel, der nie die leiseste Versuchung in seinem Herzen fühlte, und seine Verehrung und Nachfolge wird dich ferne halten von allem, was dich um die Beharrlichkeit in der Tugend bringen könnte. Seine Nachfolge aber fordert von dir auch die Andacht zum heiligen Thomas, deren Verbreitung dem heiligen Aloysius so sehr am Herzen lag. Liegst du dagegen in heißem Kampfe mit den Versuchungen des Fleisches und der Welt, so findest du am heiligen Thomas einen mächtigen Beschützer.

Er ist engelrein wie Aloysius, aber wie schwer hatte er zu leiden und zu kämpfen, bis er durch ein Wunder der Allmacht und Liebe Gottes so in der heiligen Reinheit für immer begründet wurde, daß er nicht die mindeste Regung dagegen mehr empfand! Du darfst jedoch von der Verehrung des heiligen Thomas die Andacht zum heiligen Aloysius nicht trennen, welcher der Reinste und Heiligste ist unter allen, die jemals unter St. Thomas‘ Schutz sich gestellt und seinen heiligen Gürtel getragen haben. St. Thomas und St. Aloysius aber nehmen dich nicht an zu ihrem Schützling, wenn du nicht vor allem kindliche Liebe zu Maria mitbringst, welcher beide ihre Engelreinheit nach Gott zunächst verdanken.

Der Reinheit Lohn

12. Nachdem unsere beiden heiligen Patrone ihr Opfer vollendet und Gott sich ganz zum Eigentum gegeben hatten, wurde auch ihnen alles gegeben, was ihre Seele suchte, Gott selbst. Die seligste Vereinigung mit Gott, dem höchsten Gute, ist der Lohn der heiligen Reinheit. Frage die allerseligste Jungfrau, wie Gott das heilige Opfer ihres allerreinsten Herzens belohnt hat, und sie sagt dir, Gott selbst als Kind auf meinen Armen ist mein Lohn und die Mutterschaft über alle, die Gottes Sohn und mein Sohn erlöst und mir zu Kindern gegeben hat. Und Aloysius, was hat er gefunden, nachdem er alles verlassen? Als er endlich aus dem väterlichen Hause sich hatte entfernen dürfen, und niemand mehr um sich sah, der einen irdischen, wenn auch noch so sehr geheiligten Anspruch an ihn geltend machen konnte, verschloß er sich in die heilige Kapelle von Loreto. Dort kommunizierte er, erneuerte sein heiliges Gelübde ewiger Jungfräulichkeit, und die Tränen der Wonne, in welche er aufgelöst war, gaben Zeugnis, daß Gott selbst sein Herz erfüllte, und daß die ewige Vermählung des Heiligen Geistes mit des Engelreinen Seele vollzogen wurde. Er in Gott und Gott in ihm, so bezog er seine enge Klosterzelle, und von nun an ist es nur Gott, den er überall sieht; Gott, dem allein er dient; Gott, der jeden Augenblick seine Seele tiefer in die Geheimnisse der ewigen Wahrheit hineinsehen läßt, als sie die Weisheit aller Weisen während einer ganzen Ewigkeit zu ergründen vermöchte; Gott, der mit der verzehrenden Sehnsucht glühendster Liebe ihn an den Fuß des Kreuzes und zum Tabernakel des heiligsten Sakramentes und zum Tische des Himmelsbrotes hinzieht, und mit jedem neuen Besuche des Allerheiligsten, mit jeder neuen heiligen Kommunion seliger an seinem Herzen ruhen fäßt. Er will nichts mehr, als nur für Gott; er will seine Seelenkräfte nur, um Gott zu lieben; seinen Leib nur, um mit ununterbrochener freiwilliger Marter und Abtötung ihn Gott zu opfern; sein Leben nur, um für Gott zu leiden und zu arbeiten; er kennt keinen Schmerz außer dem, Gott nicht noch mehr lieben zu können und ihn so wenig von den Menschen geliebt zu sehen, ein Schmerz, der ihn nach den Worten der heiligen Magdalena von Pazzis zu einem verborgenen Martyrer machte. Gott selbst hat sich ihm zum Lohne gegeben, und zugleich mit sich gab er ihm zu seinem unaussprechlichen Troste ebenso viele Seelen zu eigen, als er Sünder durch Wort und Beispiel zur Tugend führte, durch Gebet den Himmel gewann, durch liebevolle Hilfe in Krankheit und Not empfänglich machte für die Schönheiten, Tröstungen und Gnadenwirkungen des heiligen Glaubens. Heilige Liebe Gottes und Gottes im Nächsten war sein ganzes Leben, und gar bald hatte sie jene Höhe erreicht, auf welcher ihr die Erde keine Wohnstätte mehr bieten kann. Gelöst von den Banden des Leibes durch eine in heroischer Übung der Nächstenliebe entstandene Krankheit und durch das sein ganzes Wesen durchglühende Feuer der göttlichen Liebe, eilte seine Seele in den Himmel, wo Aloysius ewig mit Gott und Maria vereiniget ist im Besitze einer Seligkeit, von der die heilige Magdalena von Pazzis in ihrer Entzückung sagte, die Glorie weniger Heiligen nur komme der seinigen gleich.

13. In gleicher Weise wurde dem heiligen Thomas von Aquin kein geringerer Lohn zu Teil als Gott selbst. Als einen Engel im Fleische ließen ihn die von Gott gesendeten Engel zurück, welche mit dem Gürtel der Reinheit ihn gegürtet hatten. Er war ein Seraph der Liebe in seiner Vereinigung mit dem heiligsten Sakramente des Altares, dessen Anbetung von Kindheit an schon seine Lust gewesen war, an welches aber seit den heiligen Ordensgelübden und der Priesterweihe sein Herz unzertrennlich gekettet schien. Mehrere Stunden des Tages und der Nacht lag er wie ganz in die Unendlichkeit der Liebe Jesu verloren vor dem Tabernakel. Beim heiligen Meßopfer leuchtete sein Antlitz, Tränen benetzen den Altar, nach der Kommunion hatte er mehr das Ansehen eines in der beseligenden Anschauung Gottes verklärten Geistes, als eines auf der Erde pilgernden Menschen. Die Tageszeiten vom heiligsten Sakrament, die er verfaßte, und welche noch immer von der Kirche gebetet werden, die auf dieses heiligste Wunder der Liebe von ihm gedichteten Hymnen und seine uns noch aufbewahrten Kommuniongebete sind der Erguß eines ganz von Liebe Jesu erfüllten und innigst mit Jesu allerheiligstem Herzen vereinigten Herzens.

Ein engelgleicher Lehrer

14. Je größer die Glut der Liebe, desto vollkommener muß die Erkenntnis des Geliebten sein. War St. Thomas ein Seraph der Liebe, so war er auch ein Cherub der Weisheit. Seine Zeitgenossen staunten über die Tiefe seiner Weisheit und Wissenschaft, und alle, welche jemals nach ihm wahre Weisheit und Wissenschaft fanden, erkannten in ihm ihren unübertrefflichen Lehrer, aber nicht einen bloß menschlichen Lehrer, sondern einen von Gott selbst unterrichteten und begeisterten, den englischen Lehrer.

All sein Wissen war ein im Gebet, ein vor dem Kruzifix, das er sein einziges Buch nannte, gewonnenes Wissen; der einzige Gegenstand seiner Wissenschaft und seiner zahlreichen Bücher war Gott. Dies offenbarte der Heiland selbst, da er einmal in Neapel aus einem Bilde des Gekreuzigten in Gegenwart eines eben hinzugekommenen Ordenspriesters an den in Ektase erhobenen heiligen Thomas die liebevollen Worte richtete: „Du hast gut von mir geschrieben, o Thomas, welche Belohnung willst du von mir? – Keine andere, als dich, o Herr“, gab der getreue Diener des Heilandes zur Antwort.

In der Fülle seines von Gott eingegebenen Wissens und seiner von Gottes Geist entflammten Liebe war ihm auch die Macht und Kraft der englischen Geister gegeben über die Herzen. Seine Predigten wirkten Wunder der Bekehrung unter Sündern und Ketzern und unter den Juden.

15. Versenkt in die beseligende Liebe seines Gottes schien er einem Engel gleich ohne Gefühl für alle Eindrücke irdischer Dinge. Was sie Anziehendes haben, war ihm wie Auskehricht, die Leiden und Schmerzen, die sie dem Körper bereiten können, waren für ihn Gegenstand der Sehnsucht; sah er ja, wie seine langen schweren Krankheiten allmählig seinen Körper aufzehrten und die einzige Scheidewand niederrissen, die ihn noch hinderte, ein Engel mit den Engeln von Angesicht zu Angesicht seinen Gott zu schauen.

Ein Engel war St. Thomas im Leben; er war es auch im Tode. Wie die Engel im Himmel nur Gottes Willen dienstbar und ohne Unterlaß tätig sind, allenthalben Boten und Vollstrecker seines allerheiligsten Willens zu sein, so war Thomas sein ganzes Leben ein demütig gehorsamer Sohn seines göttlichen Meisters Jesu Christi in der Person seines Stellvertreters auf Erden, des sichtbaren Hauptes seiner Kirche gewesen, und als er bereits an seiner Todeskrankheit darniederlag, raffte er sich noch auf, um dem Rufe des Papstes zu folgen und zur großen Kirchenversammlung nach Lyon zu reisen, wo man von seiner Weisheit, Liebe und Heiligkeit die höchsten Erfolge für die Verherrlichung der heiligen Kirche Gottes und die Zurückführung ihrer verirrten und von ihr getrennten Kinder erwartete. Aber der Ruf Gottes zum Himmel traf ihn auf der Reise, und ließ ihn nicht das aufgetragene Werk vollziehen. Im Kloster von Fossa Nuova sollte er seine irdische Laufbahn vollenden. Die Erklärung eines Teiles des Hohenliedes, des Liedes der Liebe der jungfräulichen Seele und des göttlichen Bräutigams, war auf dem Sterbebette seine letzte Beschäftigung.

Die leuchtendsten Strahlen seiner göttlich eingegossenen Weisheit und die hellsten Flammen seiner seraphischen Liebe sind in jener erhabenen Erklärung als Andenken seines englischen Geistes uns hinterlassen, welcher einzog in das Paradies, um dort ewig das nur den verklärten Jungfrauen bekannte Liebeslied zu singen.

Ein Lobpreis der Reinheit

16. Sieh, christliche Seele, das ist die heilige Unschuld. Gott selbst ruft sie in der heiligen Taufe ins Leben aus dem kostbaren Blut des Lammes Gottes, in welchem die Seele gewaschen wird. Die Mutter Gottes, die Königin der Engel, nimmt sie in Schutz und Obhut, und umgibt sie mit einer Engelschaar, welche die List und Bosheit der unreinen Geister zu Schanden macht. Das Brot der Engel und der Wein der Jungfrauen, Christi Leib und Blut, nährt sie und zieht sie groß. Ihr entkeimen die herrlichsten Früchte des Gartens Gottes. Des Herrn liebster Apostel ist der Jungfräulichste; die schönste Krone des Martyriums schmückt jene, welche Jungfrauen und Martyrer zugleich sind.

Ja, die Jungfräulichkeit, sagt der heilige Ambrosius, macht die Jungfrau zum Martyrer, und nicht so fast deshalb ist sie preiswürdig, weil sie unter den Martyrern gefunden wird, sondern weil sie selbst die Jungfrauen zu Martyrern macht. Zutiefst in die Lehren der ewigen Wahrheit und Weisheit sind eingedrungen jene Lehrer der Kirche, welche am reinsten der Glanz der Unschuld umstrahlt; die erhabensten Muster christlicher Tugend waren zu jeder Zeit die jungfräulich reinen Herzen. Alles, was die heilige Kirche Großes und Erhabenes hat, gewinnt seine höchste Verklärung durch die Schönheit der Lilie der Jungfräulichkeit. O heilige Reinheit, ruft der heilige Zeno aus in seiner Predigt über diese heilige Tugend, du befehligst die Jungfrauen, machest stark die Witwen, treu die Ehegatten, du bist heilig in den Priestern, glorreich in den Martyrern, du bist der Glanz der Engel, in allem und überall erscheinst du als die Königin. Und war nach den Worten des heiligen Martyrers Ignatius die jungfräuliche Seele der herrlichste Schmuck der Kirche Gottes auf Erden, so tritt sie im Himmel in die Gesellschaft der unzertrennlichen Begleiter des unbefleckten Lammes, mit welchem sie ewiger Vermählung sich erfreut.

„Wahrhaftig schön ist ein keusches Geschlecht in seinem Glanze; denn unsterblich ist sein Andenken, weil es bei Gott gekannt ist und bei den Menschen. Ist es gegenwärtig, so ahmt man es nach, und man sehnt sich nach ihm, wenn es sich entzogen hat, und geschmückt mit der Krone triumphiert es ewig tragend den Lohn des Sieges nach den Kämpfen für die unbefleckte Reinheit.“ (Weish. 4, 1. 2.) „Unschuld, du reicher, makelloser, nie welkender Tugendkranz! Unschuld, Gottes Tempel, Wohnstätte des Heiligen Geistes, Zierde der Apostel, Leben der Engel, schönste Krone der Heiligen!“ (HI. Athanasius)