Der heilige Vianney – Vorbild für die Weltpriester (9)

Wie fehlen uns die Heiligen, also jene Menschen, die dem Volk sowohl im Glaubensleben als auch in der Tugendübung Vorbilder und zudem Fürsprecher sind für die Bedürftigen an Leib und Seele! Es fehlen jene Menschen, die uns zeigen, welche Wunder mit Hilfe der Gnade Gottes möglich sind, wobei damit zunächst die verborgenen Wunder der Treue gegen Gott und Seine hll. Gebote gemeint sind. Die Heiligen haben immer viele, viele Menschen mit sich gezogen auf ihrem Weg der Vollkommenheit. Jeder Heilige führt und befehligt unsichtbar eine ganz Armee von Seelen.



Der Heilige und seine Heilige

Wie beeindruckend waren erst all jene Heiligen, die heilige Freunde hatten – Heilige, die sich gegenseitig halfen, stützten, ermunterten, ermahnten, aufrichteten auf ihrem steilen Weg zum Himmel. Wie dringend bräuchten wir gerade heutzutage solch heilige Freunde, Heilige als Vorbilder und Mahner auf diesem immer noch dorniger werdenden Weg. Die papstlose Zeit bringt zweifelsohne viele Gefahren mit sich, viele schwerwiegende Versuchungen zieht sie nach sich, Versuchungen, die es früher so kaum oder gar nicht gegeben hat. Da wünscht man sich doch sehnlichst einen hl. Propheten, einen Heiligen, der einem klare Auskunft darüber gibt, worauf man besonders achten und was man besonders tun soll.

Der hl. Pfarrer von Ars war sicherlich auf seine Weise ein solcher hl. Prophet, vor allem im Beichtstuhl. Aber Gott wollte durch ihn auch den gequälten Menschen helfen, den Leidenden, den Kranken, den allzu sehr Niedergedrückten. Doch sah unser Heiliger eine bedeutende Schwierigkeit, die durch jedes Wunder wuchs, nämlich das allzu große Aufsehen bei der Menge der Pilger und die daraus folgende allzu große Verehrung seiner Person. Er wollte durchaus kein Wundertäter sein, sondern der einfache Vater der Seelen. Johannes Maria Vianney spürte instinktiv, die Wunder könnten nur allzu schnell eine Gefahr für seinen Beichtstuhl werden.

Eine außergewöhnliche Freundschaft

Die Lösung dieser Schwierigkeit ist eine wunderschöne Geschichte, eine Geschichte über eine außergewöhnliche Freundschaft, in welcher die erstaunlichen Wege der göttlichen Vorsehung greifbar werden. Wie so oft hat sich die göttliche Vorsehung auch hierzu eines anderen Menschen bedient, nämlich Pauline Jaricot, der Gründerin der „Gesellschaft der Glaubensverbreitung“ und des „Lebendigen Rosenkranzes“.

Im Alter von gerade 17 Jahren bekehrte sich Pauline Jaricot aufgrund der Predigt des Abbé Würtz über die Illusionen der Eitelkeit bei einer Abendandacht in der Kirche St. Nizier. Kurzerhand beschließt sie, ihr Leben radikal zu ändern. Sie verkauft all ihren Schmuck und die Seidenstoffe ihrer Ballkleider werden zu Paramenten verarbeitet. Sie selber kleidet sich fortan einfach wie die Arbeiterinnen. Dieser äußeren Veränderung entspricht auch eine innere Umwandlung: Anstatt an gesellschaftlichen Unterhaltungen teilzunehmen, besucht sie unheilbar Kranke in den Spitälern und pflegt sie. In der Kapelle von Fourvière legt sie in der Weihnachtsnacht 1816 ein Privatgelübde ab, Jungfrau zu bleiben.

An einem Abend im Spätherbst 1818 kommt Pauline beim Kartenspiel die zündende Idee: Wenn jede ihrer Freundinnen jede Woche auch nur einen „Sou“ für die Glaubensverbreitung spendete und dazu weitere 10 Spenderinnen fände, die ebenfalls einen Sou geben würden, so würde bald eine beachtliche Summe zusammenkommen, womit man die Missionen unterstützen könnte. So wird der Verein für die Glaubensverbreitung ins Leben gerufen, der sich über ganz Europa ausbreiten wird. Dabei ist das Ziel des Spendensammelns für den Verein gar nicht das Wichtigste. Seine eigentliche Grundlage sind das Gebet, der Informationsaustausch und das Knüpfen neuer Kontakte: „Wir versammeln uns, um zu beten und die Berichte der Missionare zu lesen, Zeugnisse, die aus der ganzen Welt gekommen sind. In dieser Epoche der Spaltung sind die Versammlungen eine Gelegenheit, uns auszutauschen und Verbindungen herzustellen.“

Der „Lebendige Rosenkranz“

Pauline erkannte sehr schnell, daß Mission nicht nur Evangelisierung nach außen ist, sondern ebenso nach innen. Sie bedauerte, daß der Rosenkranz zu ihrer Zeit fast nur noch von denen gebetet wurde, die Ordensgelübde abgelegt hatten, also insbesondere von jenen Ordensleuten, die entweder zu alt oder zu ungebildet für das lateinische Stundengebet waren. Darum erfindet sie den „Lebendigen Rosenkranz“, der nach dem gleichen Grundsatz funktioniert wie bereits das Werk der Glaubensverbreitung. Jedes Mitglied verpflichtet sich, jeden Tag ein Gesätzchen des Rosenkranzes zu beten und jeden Monat über ein Rosenkranzgeheimnis nachzudenken, das ihm zugelost wird, sowie weitere Mitglieder anzuwerben. Der Erfolg ist durchschlagend: Als Pauline 1862 stirbt, sind es bereits 2,5 Millionen registrierte Anhänger – 15 Prozent der Bevölkerung Frankreichs!

Da Pauline Jaricot an einer hoffnungslosen Krankheit litt und alle Ärzte sie schon aufgegeben hatten, machte sie im Jahre 1835 eine Wallfahrt nach Mugnano zur heiligen Philomena. Auf deren Fürbitte wurde sie wunderbar geheilt. Durch dieses Wunder wurde die hl. Philomena selbst über Italien hinaus bekannt und man überließ Pauline Jaricot einige kostbare Reliquien der Heiligen vom Schrein in Mugnano. Nach Lyon, das ganz in der Nähe von Ars liegt, zurückgekehrt, bot sie dem hl. Pfarrer einen Teil der kostbaren Reliquien der Heiligen an. Natürlich nahm der Heilige diese mit tief empfundener Freude an und bald schon fing er an, in seiner kleinen Kirche im Nebenschiff eine Seitenkapelle für die hl. Philomena zu errichten. Damit begann eine ganz und gar ungewöhnliche Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden.

Der Weg nach Mugnano

Aber wer war denn eigentlich diese „neue“ Heilige und wie kamen ihre Reliquien nach Mugnano?Jedes Jahr fanden in Rom in den Katakomben Ausgrabungen statt, bei denen immer wieder neue Gräber von Märtyrern gefunden wurden. Im Jahr 1802 grub man in jenem Teil der Katakomben, der nach der hl. Priscilla benannt wurde und an der sog. neuen salarischen Straße liegt. Am 25. Mai stieß man auf ein auffallendes Grab. Auf den Grabplatten, die aus gebrannter Erde bestanden, stand in lateinischer Sprache, in roter Farbe aufgemalt, der Name: „Filumena“ mit den Worten: „Der Friede sei mit dir!“ verbunden. Die Inschrift war jedoch vertauscht, so daß die erste Wortsilbe am Schluß derselben stand und das „pax te cum“ (der Friede sei mit dir) – zwischen den zwei Silben: „Lumena“ und „Fi“ eingeschoben war. Es stand also auf dem Grabstein: „Lumena, pax te cum, Fi“.

Eine solche Vertauschung war gemäß den Historikern und Archäologen im christlichen Altertum nicht selten. Denn in den Zeiten der größten Christenverfolgungen versah man die Gräber der heiligen Martyrer mit Inschriften, deren Deutung nur den Christen möglich und klar war, während Nichtchristen dieselben nicht zuordnen konnten. Dadurch wollte man im Fall eines Eindringens heidnischer Häscher sicherstellen, daß die Gebeine ehrwürdiger Heiliger nicht geschändet würden.

Aus dieser Gewohnheit wird also auch die Silbenversetzung am Grabstein der heiligen Philomena verständlich und die Vermutung späterer, vom Rationalismus angekränkelter Geschichtsschreiber, man hätte in der Eile die Gräber mit Bruchstücken von alten, vor Ort befindlichen Grabtafeln verschlossen, als unrichtig erwiesen. Wieso sollten auch solch zufällig verwendete Steine beim Vertauschen plötzlich einen Sinn geben? Msgr. Trochu, der von uns schon oft zitierte Biograph des heiligen Pfarrers von Ars, zeigte die Brüchigkeit dieser Hypothese auf und vertrat seinerseits auch einen deutlich früheren Zeitpunkt des Martyriums der Heiligen, nämlich nahe der apostolischen Zeit.

Außer der Inschrift befanden sich auf dem Grabstein noch folgende Symbole: Drei Pfeile, eine Palme, ein Lilienstengel, Geißel und Anker. Die Palme wies auf das Blutzeugnis hin, die Lilie auf eine Jungfrau, die Pfeile, die Geißel und der Anker auf die näheren Umstände des Martyriums. Als man das Grab öffnete, fand man darin ein Haupt und mehrere größere Gebeine. Nach genauerer Untersuchung durch Sachverständige kamen diese zu dem Urteil, die Gebeine stammten von einer noch im jugendlichen Alter stehenden Person. Das Haupt war an mehreren Stellen eingeschlagen - wohl in Folge heftiger Schläge oder auch durch Herabschleifen über steinerne Treppen. Die kleineren Gebeine hingegen waren größtenteils schon zu Staub zerfallen.

Ein Blutwunder

Neben den Gebeinen fand man noch ein gläsernes Gefäß, das eingetrocknetes Blut enthielt. Dieser Umstand wies auf eine zuletzt erfolgte Enthauptung hin, denn nur bei Blutzeugen, die durch das Schwert hingerichtet wurden, legte man Blutgefäße mit ins Grab. Da man für gewöhnlich irdene Gefäße verwendete, wies das gläserne Gefäß zusätzlich auf eine vornehme Herkunft hin. Gleich bei Auffindung der heiligen Reliquien verherrlichte Gott seine standhafte Bekennerin auf außerordentliche Weise.

„Während man beschäftigt war, von den Stücken des zerbrochenen Gefäßes das daran klebende Blut loszumachen, um es in einem Gefäß von Kristall zu sammeln, erstaunten die gegenwärtigen Personen, unter welchen gelehrte Männer sich befanden, nicht wenig, als sie bemerkten, wie das Gefäß, auf welches ihre Blicke gerichtet waren, plötzlich anfing zu glänzen. Sie gingen näher und betrachteten die außerordentliche Erscheinung recht sorgfältig und brachen, voll der lebhaftesten Bewunderung und der tiefsten Ehrfurcht in das Lob Gottes aus, der sich in seinen Heiligen verherrlicht. Die Blutteilchen verwandelten sich nämlich, so wie sie in das Gefäß fielen, in glänzende und schimmernde Körper; die einen glänzten wie Gold oder Silber, die anderen erschienen wie köstliche Steine, wie Diamanten, Rubinen und Smaragde. Am heutigen Tage sieht man noch in dem nämlichen Gefäß dieselben glänzenden Körper, aber ihr Glanz ist nicht immer gleich groß und die Farben, in denen sie schimmern, haben zu verschiedenen Zeiten verschiedene Schattierungen; bald ist es die Farbe des Rubins, bald wieder die des Smaragds, welche vorherrscht; bald ist ihr Glanz wie von Asche getrübt. Ein einziges Mal sah man ihn ganz verschwinden. Jene, die davon Zeuge waren, sahen in dem Gefäß nichts mehr als ein wenig gewöhnliche Erde. Aber bald kehrte der alte Zustand zurück, sobald nämlich, als die Augen einer unwürdigen Person, welche kurze Zeit darauf eines jähen Todes starb, aufhörten, die Heiligkeit dieser ehrwürdigen Reliquien mit ihren Blicken zu entweihen.“

(Leben und Wunder der heiligen Philomena, Wundertäterin des 19. Jahrhunderts, Druck und Verlag der Alberts´schen Buchhandlung, Sittard 1839, Rechtschreibung angepaßt)

Versprechen muß man halten…

Die bei den Grabungen gefundenen Reliquien wurden in den Vatikan gebracht, wo die sterblichen Überreste der hl. Philomena vom Jahre 1802 bis zum Jahre 1805 verblieben. 1805 kam Don Franziskus de Lucia, ein eifriger italienischer Priester, mit Don Bartholomäus de Cesare, Bischof von Potenza, von Neapel nach Rom. Der Priester hoffte, für seine Hauskapelle eine Reliquie zu erhalten. Da auch der Bischof vor den vatikanischen Stellen seine Bitte unterstützte, führte man ihn schließlich in den Saal, in welchem die teuren Überreste der Heiligen aufbewahrt werden. Als er an den verschiedenen Gebeinen vorbeiging, empfand er plötzlich eine große innere Freude, die so offensichtlich war, daß sie der Bewahrer der heiligen Reliquien mit Erstaunen bemerkte. Ohne so recht zu wissen warum, entschied sich Don Franziskus für die Gebeine der hl. Philomena, wobei der Custos prophetisch sagte: „Er habe seine Vorliebe für die Reliquien der hl. Philomena bemerkt; sie seien ihm überlassen; die Heilige wolle, daß ihre Überreste in sein Vaterland gebracht würden, wo auf ihre Fürbitte viele Wunder geschehen sollten.“

Es wurde verabredet, daß ihm die Gebeine der Heiligen noch am selben Tag übergeben werden sollten. Es verging jedoch dieser Tag und auch noch die beiden folgenden, ohne daß man das Versprechen einlöste. Deswegen stieg die Besorgnis Don Franziskus‘, der Custos der Reliquien würde sie ihm doch noch verweigern, es war nämlich in der Tat sehr selten, daß man einem Privatmann die vollständigen Gebeine eines Heiligen übergab, besonders dann, wenn der Name des Heiligen bekannt war, denn das war nur sehr selten der Fall. Diese besonderen Reliquien waren gewöhnlich nur den Bischöfen oder Kirchen vorbehalten. Aus diesem Grund ließ Don Ponzetti, jener Custos der Reliquien, Don Franziskus sagen, es sei ihm nun doch unmöglich, seinen Wunsch zu erfüllten. Anstelle der Reliquien der hl. Philomena bot er ihm an, sich von zwölf anderen namenlosen Körpern, deren Liste er ihm zuschickte, einen auszuwählen.

Nun hatte aber Don Franziskus schon mit den Vorbereitungen der Übertragung der Reliquien nach Mugnano begonnen und durch Briefe, die er nach Neapel und Mugnano sandte, die Feierlichkeiten vorbereiten lassen. Letztlich half ihm die hl. Philomena aus seiner Verlegenheit, denn diese hatte den frommen Priester zunächst als Verwahrer, dann zum Besitzer ihrer heiligen Reliquien auserwählt und überwand spielend alle unüberwindlich erscheinenden Hindernisse. Überglücklich nahm Don Franziskus die kostbaren Reliquien doch noch entgegen. In ihrer Freude machten er und Bischof Don Bartholomäus de Cesare spontan das Versprechen, dem Kasten mit den heiligen Gebeinen einen Ehrenplatz im Wagen zu geben. So sollten sie schon auf der Reise durch deren Gegenwart zu größerer Andacht und Verehrung angeregt werden. Doch aufgrund der Hektik während der Abreise vergaßen sie, ihr Versprechen einzulösen, sie legten die heiligen Reliquien einfach in den Sitzkasten des Bischofs.

Damit gab sich jedoch die hl. Philomena nicht zufrieden. Nachdem sie Rom verlassen hatten, spürte der Bischof mit einem Mal ein heftiges Klopfen an seine Beine. Ohne viel zu überlegen, beschwerte er sich beim Kutscher über die schlechte Verladung der Sachen. Der Kutscher konnte jedoch nichts Ungewöhnliches feststellen. Er zeigte dem Bischof, daß ihn durchaus nichts durch schütteln oder stoßen belästigen könne. Hierauf nahmen alle wieder Platz und man fuhr weiter. Nach kurzer Zeit jedoch wurde das Stoßen noch stärker, weshalb der Bischof verlangte, man solle sogleich die Reliquienkistchen, deren Rütteln er seine Schmerzen zuschrieb, aus dem Sitzkasten nehmen. Als man aber seinen Wunsch erfüllen wollte, bemerkte er, daß seine Beine viel zu weit von dem Kasten entfernt seien, als daß dieser der Grund für das Stoßen sein könnte. Kaum setzten sie die Reise fort, als das Stoßen zum dritten Male und noch heftiger als zuvor wieder anfing, wodurch die Schmerzen so groß wurden, daß der Bischof die Kistchen herausnehmen ließ und sagte: „Ich muß sie wohl bis zum Ziel meiner Reise in meinen Armen tragen …“

Nun konnten sie ungestört weiterreisen, und sie erkannten jetzt erst ihre Schuld, das der Heiligen gemachte Versprechen nicht erfüllt zu haben. Der Bischof bat die Heilige darum mit entblößtem Haupte und unter Tränen um Verzeihung. Er nahm auch mehrmals ihre geheiligten Überreste und küßte sie mit den Gefühlen einer lebhaften Zärtlichkeit und der tiefsten Hochachtung. Das waren noch wahre, vom hl. Glauben durchseelte katholische Bischöfe, die eine echte Verehrung der Heiligen im Herzen trugen.

Wunder in Neapel

Sobald sie in Neapel angekommen waren, brachten sie die Gebeine der Heiligen zuerst in das Haus des Don Antonius Terres. In der Hauskapelle wurden die Kisten geöffnet und die Gebeine unter Beachtung der gewöhnlichen Zeremonien nach ihrer natürlichen Lage geordnet. Hierauf wurden die Reliquien in einen künstlichen Leib aus Papier eingefügt und mit einfachen, aber schönen Kleidern angetan. Schließlich legte man sie in einen Kasten, dessen Tür von der geistlichen Behörde sorgfältig versiegelt wurde.

Die Hauskapelle erwies sich jedoch bald als zu klein für den Andrang der vielen Verehrer. Darum brachte man die Reliquien in eine Kirche der Stadt, wo sie drei volle Tage auf dem Altar der gnadenreichen Mutter Gottes ausgesetzt blieb. Obwohl der Zudrang recht groß war, fiel doch nichts Außergewöhnliches vor und es geschah kein Wunder. Die hl. Philomena wollte offensichtlich nicht in Neapel bleiben, sie hatte sich die kleine Stadt Mugnano als Wirkstätte auserkoren. Als man den heiligen Leib schließlich wieder in die Hauskapelle zurückbrachte, begannen sogleich die Wunder.

„Frau Angela Rosa, Gemahlin des Don Antonius, die Frau des Hauses, litt schon seit zwölf Jahren an einer unheilbaren Krankheit; sie flehte die Heilige um ihre Fürbitte an und wurde sogleich gänzlich geheilt und als ein Zeichen, dass sie der Heiligen ihre Gesundheit verdankte, gab sie ihr einen kostbaren Kelch. Das zweite Wunder geschah an einem Advokaten, Don Michael Ulpicella, welcher wegen eines Hüftleidens, gegen welches kein Mittel fruchten wollte, seit sechs Monaten das Zimmer nicht verlassen konnte. Er ließ sich in die Kapelle tragen und kehrte vollkommen geheilt daraus zurück. Eine Dame von Stand war die dritte, welche die Kraft der Fürbitte der Heiligen erfuhr. Sie hatte ein Geschwür auf der Hand, welches krebsartig wurde und daher operiert werden sollte. Man brachte ihr eine Reliquie der Heiligen, diese legte sie abends auf die Wunde und als am anderen Morgen der Wundarzt kam, um die Operation vorzunehmen, war die Wunde verschwunden.“

(Ebd.)

Weiterreise nach Mugnano

Es wurde allmählich Zeit, die Gebeine der Heiligen nach Mugnano zu bringen. Um Frau Terres etwas zu trösten und zugleich ihre Gastfreundschaft zu belohnen, übergab ihr Don Franziskus die Schlüssel zum Reliquienkasten. Zwei Träger übernahmen den Reliquienkasten und man brach nach Mugnano auf.

Damals herrschte in der ganzen Gegend seit mehreren Monaten eine große Dürre. Darum sagten die Leute am Tag vor der Ankunft des heiligen Leibes, als sie das Glockengeläute der Kirchen hörten, voll Freude zueinander: „Oh, wenn diese neue Heilige die Verehrung und die Liebe, die wir schon zu ihr fühlen, vermehren wollte, so könnte sie das sehr leicht, wenn sie uns reichlichen Regen für unsere Felder zuschicken wollte.“ Und in der Tat, kaum daß das Glockengeläute endete, kam auch schon der so lange ersehnte Regen. Überall hörte man deswegen den Freudenruf: „Es lebe die hl. Philomena!“ Hören wir nun von der Ankunft der Heiligen in ihrer neuen Heimat:

„Sowie es anfing Tag zu werden, kamen die Bewohner von Mugnano in kleinen Scharen herbei. Man sah eine Menge Jünglinge mit Ölzweigen in der Hand vor Freude aufspringen, ihren Hut und ihr Schnupftuch in die Höhe werfen und unaufhörlich rufen: ‚Es lebe die Heilige.‘ So fing der Tag des Triumphes unserer Heiligen an. Nicht allein von Mugnano, sondern von allen benachbarten Gegenden eilte man herbei. Der Andrang wurde bald so groß, daß man stehen bleiben mußte, um der Frömmigkeit des Volks Genüge zu leisten, das die Reliquien durchaus sehen wollte. Man stand gerade bei einem Landhaus, vor welchem ein ziemlich großer Hof war. Auf diesen begab sich die Menge und Don Franziskus beeilte sich, ihren frommen Wünschen zu entsprechen. Als er nun den heiligen Leib aufdeckte und als das Volk beim Anblick der kostbaren Reliquien voll Verwunderung hingerissen ausrief: ‚Himmel, wie schön ist sie doch...! Welche Schönheit des Paradieses ...!‘, siehe, da bildete sich auf einmal ein schrecklicher Wirbelwind und drohte den Reliquienkasten umzustürzen. Aber plötzlich war der Sturmwind wie durch eine unsichtbare Hand vertrieben und tobte sich in einem naheliegenden Gebirge aus, wo er einige Bäume mit den Wurzeln herausriss. Die Prozession setzte nun ihren Weg wieder fort, mitten in einem Gedränge, das immer mehr anwuchs. Als man zu Mugnano angekommen war, richtete man seinen Weg zur Kirche ‚Unserer lieben Frau der Gnaden‘, wo man den heiligen Leib auf dem Hochaltar aussetzte.“

(Ebd.)

Heilungen zur Begrüßung

Als Tag der feierlichen Begrüßung hatte man einen Sonntag, den 11. August, bestimmt. Von überall strömten die Leute herbei, um die neue Heilige zu sehen und zu verehren. Man hoffte auch auf irgendein Wunder, womit Gott seine Heilige verherrlichen werde – und diese Hoffnung war nicht vergeblich:

„Gott hatte ihre Wünsche erhört, denn in ebendieser Nacht (zwischen dem 10. und 11. August) vor dem erwähnten Feste, machte einer unter ihnen namens Angelus Bianko, den die Gicht seit mehreren Monaten bettlägerig gemacht hatte, als er die Ankunft des heiligen Leibes erfuhr, das Gelübde, daß er, wenn er von seinen Schmerzen befreit werde, der Prozession beiwohnen wolle. Anfangs schien es, daß sein Gebet nicht erhört wird; nie hatte er solche Leiden wie in diesem Augenblick. Aber kaum hörte er die Glocken läuten, als er mit lebendigem Glauben aus seinem Bett sprang. Das Übel verlor sich indes noch nicht ganz, hinderte ihn aber doch nicht, sich anzukleiden. Sein Zutrauen vermehrte sich, er versuchte seine Schmerzen zu überwinden, ging einige Schritte und als er auf dem Platz ankam, verschwand das Übel ganz zum großen Erstaunen aller, welche von seinen langen und schmerzhaften Leiden Zeugen gewesen waren. Am Tag der Oktav der Übertragung sah man unter dem feierlichen Hochamt plötzlich ein Kind von ungefähr zehn Jahren mitten in der Kirche sich erheben und sich durch die Volksmenge drängen bis zum Reliquienbehälter, um seiner Wohltäterin seinen Dank abzustatten. Dieses Kind, welches Modestus Vecchiarelli hieß und welches in der ganzen Stadt bekannt war, war so verkrüppelt, daß es weder gehen noch stehen konnte. Seine Mutter hatte es in die Kirche getragen und während der heiligen Messe die hl. Philomena um seine Heilung angefleht. Da spürte sich der Knabe bei der Wandlung plötzlich vollkommen hergestellt. Nach der Messe sah man den kleinen Modestus durch die Straßen laufen, um das Wunder zu erzählen, was mit ihm vorgegangen und wovon alles Volk Zeuge gewesen war. Dieses Wunder zog zur Vesper eine Menge Menschen in die Kirche, die zu klein war, um alle zu fassen; eine große Menge stand draußen vor der Tür. Unter ihnen befand sich auch eine Frau aus dem Dorf Avella, die eine Tochter von zwei Jahren, welche durch die Kinderpocken blind geworden war, auf den Armen trug. Die geschicktesten Ärzte der Hauptstadt hielten das Übel für unheilbar. Aber die betrübte Mutter zweifelte nicht an der Genesung ihrer Tochter. Sie eilte nach Mugnano in die Kirche, wo es ihr mit vielen Mühen gelang, zu dem Reliquienkasten zu gelangen. Nachdem sie dort angekommen war, nahm sie, beseelt von einem lebendigen Glauben, Öl aus der Lampe, welche vor der hl. Philomena brannte. Sie bestrich damit die Augen ihres unheilbaren Kindes und auf der Stelle war es hergestellt. Bei diesem Wunder entstand eine so freudige Bewegung unter dem Volke, daß der Prediger Don Antonio Veterano sein eigenes Wort nicht mehr hören konnte und alle laut baten, man möge ihnen das wunderbar geheilte Kind zeigen. So stieg ein Priester auf eine Erhöhung, nahm das Kind und zeigte es dem ganzen Volke, welches in seiner Bewunderung die Macht Gottes und den Ruhm seiner Dienerin bis zum Himmel erhob.“

(Ebd.)

Die Macht der Fürsprache der hl. Philomena

In all den folgenden Jahren erwies sich hl. Philomena als außerordentliche Wohltäterin des Volkes. Bereits Papst Leo XII. nannte sie die große Wundertäterin und gewährte im Jahre 1826 die Feier der Philomena-Messe an ihrem Festtag. Auch der heilige Pfarrer von Ars bekannte bei jeder Gelegenheit: „Philomena hat große Macht im Himmel, ihr wird nichts verweigert, um was sie auch bitten mag.“ Auch pflegte der hl. Pfarrer oft mit einer leisen, aber eindringlichen Stimme, die alle Herzen ansprach, zu betonen: „Mein Kind, die heilige Philomena hat eine große Macht bei Gott, und sie hat überdies ein liebes Herz. Laßt uns in Vertrauen zu ihr beten. Ihre Jungfräulichkeit und Großzügigkeit beim Annehmen ihres heroischen Martyriums haben sie Gott gegenüber so wohlgefällig erwiesen, daß Er ihr nie etwas verweigert, um was immer sie bittet.“

Seltsame Wunder

In dem nun schon öfter zitierten Lebensbricht der heiligen Philomena wird noch auf ein merkwürdiges Wunder hingewiesen, durch das die Heilige sich als recht eigenwillig erwies. Da heißt es:

„Wir haben im dritten Kapitel gesehen, daß man in der Hauskapelle des Antonius Terres die Reliquien der Heiligen mit einem künstlichen Leibe von Papier bedeckt in einen verschlossenen Reliquienkasten gelegt hatte. Da der Arbeiter indes ungeschickt war, so war das Ganze sehr schlecht ausgefallen. Die Lage, welche man dem hl. Leib gegeben hatte, schien nicht anständig genug zu sein. Die bleiche Gesichtsfarbe, verbunden mit der schlechten Lage der Zähne der Heiligen, verunstaltete sie ganz und gar. Auch war der Kasten viel zu klein. Man begnügte sich indes damit, diese Fehler durch die Pracht des Schmuckes etwas zu verdecken. Ein Unterkleid von weißer Seide, Zeichen der jungfräulichen Reinheit und über demselben ein purpurfarbiges Oberkleid nach griechischer Weise, gewöhnliches Zeichen des Martyriums, waren die Kleidung der Heiligen. Ihr Haupt bedeckte man mit seidenen Haaren, diese waren kastanienbraun und mit einem Blumenkranze umwunden. In der rechten Hand hielt sie einen Pfeil, eine Palme und eine Lilie standen zu ihrer Linken. Der Leib hatte jetzt nur eine Länge von zwei und einem halben Fuß.
Als es sich nun im Jahre 1814 darum handelte, die Kapelle der hl. Philomena zu verschönern, war man auch darauf bedacht, einen neuen Kasten machen zu lassen. Seit mehreren Jahren hatten alle Einwohner von Mugnano und der umliegenden Dörfer, welche häufig dieses wunderbare Heiligtum besuchten, den heiligen Leib immer in derselben Stellung gesehen. Auch hätte ihn niemand berühren können, da man den Kasten sorgfältig versiegelt hatte und da die Familie Terres niemanden den Schlüssel dazu anvertraute. Nichts desto weniger sah man eines Morgens, da einige Fremde den heiligen Leib zu sehen wünschten, die Stellung der Heiligen ganz verändert, das schien unglaublich, aber die Zeugen konnten sich nicht täuschen. Sie hatten vor Kurzem den heiligen Leib ausgestreckt gesehen, seine Knie erhoben und wie ein Winkel gebogen; diese sahen sie nun mit Anstand auf einem kleinen Polster ruhen, während der übrige Teil des Leibes sich erhoben hatte und eine sitzende Person vorstellte. Das Kopfkissen war auch nicht mehr an seiner Stelle, es war höher hinaufgerückt. Der rechte Arm schien ein zweites Kissen verschoben zu haben, um seine Lage noch natürlicher zu machen. Den Pfeil, dessen Spitze früher gegen das Herz gekehrt war, sah man nun in entgegengesetzter Richtung. Selbst an ihrer linken Seite war eine Veränderung vorgegangen: Der Arm, welcher die Palme und Lilie hielt, hatte sich im Verhältnis mit der Erhebung des Leibes und des Hauptes gehoben und diese neue Stellung hatte das purpurne Oberkleid zum Teil zurückgezogen, so daß das Angesicht der Heiligen, welches sichtbarer wurde, viel an Freundlichkeit gewann. Das Gesicht hatte sogar seine vorigen Züge verloren, das Kinn war abgerundet wie das einer jungen Person wenn sie schläft; die Lippen, deren weite Öffnung das Gesicht verunstalteten, öffneten sich nun mit einer bewunderungswürdigen Anmut. Das Haupthaar, welches vorher großenteils bedeckt war, teils hinter dem Halse, teils auf der linken Schulter, sah man nun ganz zierlich von der Schulter herabfallen. Sobald das Gerücht dieser Wunder in Mugnano sich verbreitete, liefen alle herbei, um sich mit ihren eigenen Augen davon zu überzeugen und es war keiner, selbst nicht unter den Ungläubigen, welcher sich nicht von der Wirklichkeit überzeugte. Diese hielten es nicht für ein Wunder, sondern sagten, es sei ein Menschenwerk. Aber dagegen brauchte man ihnen nur die vier Siegel des Bischofs von Potenza zu zeigen und ihnen zu bemerken, daß man nur einen Schlüssel habe, der immer zu Neapel im Besitz der Frau Terres geblieben sei. Bei dieser Gelegenheit, gerade als wenn der Himmel das Wunder dieser Umwandlung hätte bestätigen wollen, erlangte ein Kind, welches durch die Blattern blind geworden war, plötzlich das Gesicht wieder in Gegenwart mehrerer sehr verdienstvoller Männer, die von Neapel gekommen waren, um die Siegel zu untersuchen.
Nachdem man einen so schönen Altar gebaut hatte, hielt man den Kasten, in welchem man die Reliquien der Heiligen bewahrte, für zu klein und beschloss, einen anderen zu machen. Auch war es notwendig geworden, den Leib mit einem neuen Gewand zu bekleiden, denn das alte Kleid nahm von Tag zu Tag ab. Als man nun der Heiligen die neuen kostbaren Kleider angelegt, die man verfertigt hatte, ehe sie in den neuen Kasten verlegt wurde, welcher um einen halben Fuß länger war als der erste, so sagten die Leute, welche, um sie zu verehren, hinzugekommen waren, wenn sie dieselbe betrachteten: Unsere neue Heilige erscheint uns in ihren neuen Kleidern weit schöner und weit größer als vorher. Man glaubte indessen, dieses scheine nur so. Aber als man sie in den neuen Kasten legte, musste man sich ein neues Wunder eingestehen, denn der heilige Leib war anstatt kürzer und kleiner als der Kasten, wie man doch nach dem Maße, welches man genau genommen hatte, urteilen sollte, noch länger als derselbe. Dieses konnte gar nicht stattfinden ohne anzunehmen, daß der Leib auf eine wunderbare Weise größer geworden sei.
Später wurde noch ein dritter und nachher ein vierter Kasten gefertigt, jeder um einen Fuß länger als der vorhergehende und doch war er noch nicht lang genug für den Leib der Heiligen, die von Neuem wieder gewachsen war; selbst die Kleider, welche vorher etwas zu lang waren und die schnell zu kurz wurden, bezeugen dieses Wunder.“

Das Martyrium der hl. Philomena

Die Reliquien der hl. Philomena hatten also eine neue Heimat gefunden und das Volk verehrte sie aus ganzem Herzen und rief sie mit großem Vertrauen als Fürsprecherin an, aber man wußte leider von ihrem Leben nichts. In den alten Geschichtsquellen fanden sich keine Hinweise, nirgends wurde sie erwähnt. Wiederum brachte die hl. Philomena wunderbare Hilfe, um diesem Mangel abzuhelfen.

„Das auffallendste Wunder aber war, daß drei frommen Personen, einem Handwerker, einem Priester und einer Klosterfrau, die einander nicht kannten, weit von einander entfernt lebten und von dem in Rom aufgefundenen Grabstein nichts wußten, zu gleicher Zeit die Lebensgeschichte der hl. Philomena ganz übereinstimmend geoffenbart wurde. Sie erzählten Folgendes: Philomena war die Tochter eines griechischen Fürsten. Ihre heidnischen Eltern hatten lange und inständig die Götter um ein Kind gebeten. Ihr Hausarzt Publius, ein eifriger Christ, redete öfters mit ihnen von der Macht und Güte des Gottes der Christen, und verhieß ihnen eine Nachkommenschaft, wenn sie den wahren Glauben annehmen und die heilige Taufe empfangen würden. Sie befolgten diesen Rat und erfreuten sich bald eines Töchterleins, dem sie in der hl. Taufe den Namen Philomena – die Geliebte – gaben. Als Philomena dreizehn Jahre alt war, nahmen sie die Eltern mit nach Rom, wo der Vater beim Kaiser Diokletian Geschäfte hatte. Wie der Kaiser diese Perle leiblicher Schönheit und anmutiger Sittsamkeit erblickte, versprach er dem Vater alles Mögliche, wenn er ihm seine Tochter gebe. Der Vater, von solcher Ehre geblendet, sagte zu, auch die Mutter willigte ein, aber die Tochter protestierte mit unbeugsamer Entschiedenheit, weil sie schon mit Jesus Christus verlobt sei und ewig keinen Heiden heiraten werde. Diokletian verschwendete Versprechungen und Schmeicheleien, aber umsonst: er drohte mit Marter und Tod; aber wieder umsonst; er sperrte sie in einen abscheulichen Kerker und wiederholte vierzig Tage lang seine Anträge, aber Alles umsonst. Von Zorn entbrannt befahl nun der Kaiser die Starrköpfige scharf zu geißeln und wieder ins Gefängnis zu werfen: aber zwei Engel heilten ihre Wunden. Diokletian darüber verwundert, rühmte: „Sieh doch, diese Heilung verdankst du dem Jupiter, der dich durchaus zur Kaiserin bestimmt hat!“ Philomena wies diese Schmeichelei mit Abscheu von sich und protestierte fest gegen jede weitere Zumutung. Der beschämte Kaiser befahl, ihr einen Anker um den Hals zu hängen und sie in dem Tiber zu ertränken; aber die zwei Engel lösten den Anker ab und führten sie unversehrt ans Ufer. Dieses Wunder rührte viele Zuschauer so, daß sie sich zum Glauben an Christus bekannten. Diokletian schrieb diesen Vorfall der Zauberei Philomenas zu, befahl sie durch die Straßen der Stadt zu schleifen, und die aus vielen Wunden Blutende wieder ins Gefängnis zu werfen. Gott lobend und preisend schlief sie ein und war beim Erwachen vollkommen hergestellt. Der Kaiser, nun fest überzeugt, daß Philomena eine Zauberin sei, und in der Meinung, dieser Zauber könne durch Feuer gelöst werden, befahl, Philomena an eine Säule zu binden und mit glühenden Pfeilen zu erschießen. Allein ein neues Wunder verherrlichte die heldenmütige Märtyrerin: die glühenden Pfeile schnellten zurück auf diejenigen, welche sie abgeschossen hatten, und töteten sie. Laut pries das zuschauende Volk die Macht des Gottes der Christen, und viele bekehrten sich. Nun sah der Kaiser, daß er besiegt sei, und befahl ihre Enthauptung mit dem Schwert, welche ihm gelang. Die Christen begruben ihren Leichnam in den Katakomben. Soweit die Aussage der drei oben erwähnten Personen. Die Verehrung der hl. Philomena verbreitete sich wegen der vielen und mannigfachen Wunder, welche durch ihre Anrufung geschahen, mit großer Schnelligkeit über Italien und Europa. Papst Gregor XVI. († 1846) prüfte reiflichst alle diese Vorkommnisse und erlaubte ihr Fest zu feiern.“

(Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 594f)

Die Verbreitung der Verehrung der hl. Philomena

Aber kehren wir nach diesem kurzen Blick auf die Lebensgeschichte der hl. Philomena und ihrer beginnenden Verehrung wieder zurück nach Ars. Wir haben schon erwähnt, daß der hl. Pfarrer von Ars nach Erhalt der Reliquien unverzüglich begann, eine Kapelle zu Ehren der hl. Philomena in seiner Kirche erbauen zu lassen. Dabei kann man durchaus sagen, daß dem Heiligen die hl. Philomena gerade recht kam. Fortan verwies er nämlich fast alle Kranken an seine „liebe kleine Heilige“, die hl. Philomena, d.h. er ließ sie eine Novene zur Heiligen machen, hieß sie vor ihrem Altar beten, und wenn sie Erhörung gefunden hatten, schrieb er allen Erfolg ihr zu, obschon er selbst mit den Kranken betete, sie segnete und ihnen die Hände auflegte.

Schon bald geschahen auch tatsächlich die ersten Wunder, die immer zahlreicher wurden. Der hl. Pfarrer erachtete die hl. Philomena als seine heilige, himmlische Schutzpatronin. Die glühende Verehrung, die der hl. Pfarrer von Ars der hl. Philomena entgegenbrachte, zerstreute auch das letzte zögerliche Verhalten bei denen, die noch an der Macht und sogar an der Existenz dieser Heiligen zweifelten. Er nannte sie zärtlich ‚seine liebe kleine Heilige‘ und zu jeder Jahreszeit sprach er von ihr zu den Pilgern. Denjenigen, die um seinen Rat baten, empfahl er meist, zu ihr Novenen für viele Gebetsmeinungen aller Art zu beten. Ernsthaft ermahnte er die Kranken, vertrauensvoll zur hl. Philomena zu beten. Er segnete sie und schloß sich ihren Novenen zur Heiligen an. Dabei drängte er darauf, alle Heilungen der kleinen Heiligen zuzuschreiben und daß man nach Gott ihr vor allem Dankbarkeit schulde. Tausende pilgerten dorthin, um in ihrer Not die hl. Philomena anzurufen.

Man kann darum sicherlich ganz zurecht sagen, erst durch den hl. Pfarrer von Ars, der in ganz Frankreich — und darüber hinaus — hohes Ansehen genoß, verbreitete sich die Verehrung der hl. Philomena in vielen Ländern. Bei der Heiligsprechung des hl. Pfarrers von Ars 1925 wurde in den Akten des Kanonisierungsprozesses immer wieder auf seine große Liebe und Verehrung zu ihr hingewiesen. In Ars, Paris, Thivet, Gigny, Sempigny, Lyon, Toulouse, Le Cannet und vielen anderen Städten Frankreichs wurden der hl. Philomena zu Ehren neuerrichtete Kirchen und Kapellen geweiht. Das gleiche geschah auch in Bayern, im Schwarzwald, in Böhmen, England und Irland. Ihre Verehrer verbreiteten diesen Kult selbst bis nach Nordamerika und Indien.

Die Heilung des hl. Pfarrers von Ars

Als der hl. Pfarrer im Mai 1843 selber an einer schweren Krankheit daniederlag und bereits die Letzte Ölung empfangen hatte, bat er an jenem Morgen, an dem mit seinem Tod gerechnet wurde, man möge am Altar seiner „lieben kleinen Heiligen“ eine hl. Messe für ihn feiern. Während dieser hl. Messe, so vermutet man, erschien ihm die Heilige. Jedenfalls war er am Ende der hl. Messe geheilt.

Der hl. Papst Pius X. sagte einmal: „Das gewichtigste Argument für die Verehrung der heiligen Philomena ist der heilige Pfarrer von Ars.“ Und in seinem Breve vom 21. Mai 1912 heißt es: „Es sei und bleibe für immer festgesetzt, daß man ihr (der heiligen Philomena) volle und ungeteilte Ehren erweise. Nach dieser Regel soll geurteilt und entschieden werden. Wenn in anderer Weise verfahren wird, so soll dies null und nichtig sein, von wem immer es ausgegangen sein mag.“

Die Art der Zusammenarbeit der beiden Heiligen

Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Eigenart der Zusammenarbeit der beiden Heiligen. Damals lebte in Lyon ein ungläubiger Wissenschaftler mit Namen Massiat. Eines Tages wurde dieser von einem Freund eingeladen, ihn nach Ars zu begleiten, um dort „einen Pfarrer zu sehen, der Wunder wirkt“. Massiat lachte nur über diese Bemerkung, denn er glaubte nicht an Wunder. Dennoch ging er aus Neugier, aber auch um seinem Freund eine Freude zu machen, mit ihm nach Ars. Dort angekommen war er sogar bereit, an der hl. Messe teilzunehmen, die vom hl. Pfarrer zelebriert wurde, obwohl er seit seiner Erstkommunion keine Messe mehr besucht hatte.

Herr Massiat nahm gegenüber der Sakristei Platz. Als der Heilige diese verließ, um die hl. Messe zu beginnen, kreuzten sich die Blicke der beiden für einen kurzen Augenblick. Was dann geschah, erinnert an den Blick Jesu nach Petri Verleugnung. „Ich fühlte mich unter seinem Blick wie zermalmt“, bekannte der Wissenschaftler später. „Ich habe den Kopf gesenkt und mein Gesicht mit den Händen bedeckt. Während der ganzen Messe blieb ich wie erstarrt.“

Am Ende der Messe ging der Heilige direkt auf ihn zu und forderte ihn auf, ihm in die Sakristei zu folgen, wo er beichtete. Hierauf schickte ihn der Heilige mit folgenden Worten zum Altar der hl. Philomena: „Sagen Sie ihr, sie möge von Gott Ihre Bekehrung erbitten.“ Massiat gestand später: „In der Sakristei habe ich nicht geweint, aber am Altar der hl. Philomena habe ich reichlich geweint.“ Durch den hl. Beichtvater von Ars und die Fürsprache der hl. Philomena wurde durch Gottes Gnade aus dem vom Zweifel durchdrungenen Wissenschaftler ein überzeugter Katholik.

Gegen Ende des Lebens unseres Heiligen wurden die Heilungen in Ars immer seltener. Als sein Mitarbeiter, Abbé Toccanier, den Heiligen fragte: „Herr Pfarrer, wissen Sie auch, was gegen Sie ausgestreut wird? Man sagt, Sie hätten der hl. Philomena verboten, Wunder zu wirken“, entgegnete dieser schlicht und ehrlich: „Das ist ganz wahr, mein lieber Freund, es verursachte zu viel Gerede und zog alle Welt hierher. Ich habe sie gebeten, sie möge sich damit begnügen, hier die Seelen zu bekehren und die Körper in der Ferne heilen.“

Die Lieblingsheilige des hl. Pfarrers von Ars

Wir können also festhalten: Die hl. Philomena war die Lieblingsheilige des hl. Pfarrers von Ars! Sie war aber auch die Lieblingsheilige anderer heiliger oder heiligmäßiger Männer, Frauen und Kinder wie etwa Pauline Jaricots, sel. Julian Eymard, Kardinal Mannigs, Ernest Hellos, Diana C. Wyssdoms. Zudem zählen zu ihren Verehrern sechs Päpste: Gregor XVI., Leo XII. Pius IX., der hl. Pius X. und Benedikt XV., die alle kraft ihrer Autorität wiederholt erklärt haben, Philomena ist eine Heilige, eine Jungfrau, eine Märtyrerin und eine außerordentliche Wundertäterin.

„Die große Wundertäterin des 19. Jahrhunderts“

Leo XII. erlaubte, daß ihr Altäre und Kapellen geweiht werden. Gregor XVI. war Zeuge der Heilung von Pauline-Marie Jaricot, die er in einer hoffnungslosen Lage gesehen hatte. Als sie kurz danach völlig geheilt von Mugnano zurückkehrte, wo die Reliquien der Heiligen aufbewahrt werden, nannte er die hl. Philomena „die große Wundertäterin des 19. Jahrhunderts“. Pius IX. war durch die Fürbitte der hl. Philomena, deren glühender Verehrer er war, von schweren Krampfanfällen geheilt worden, als er noch Erzbischof von Imola gewesen war. Auch als Papst pilgerte er zum Heiligtum seiner Wohltäterin nach Mugnano. Er erklärte die hl. Philomena zur „Patronin des Königreichs Neapel“ und ernannte sie 1849 zur „Patronin der Kinder Mariens“ und verlieh ihr den Ehrennamen „Beschützerin des Rosenkranzes“. Leo XIII. hatte, bevor er Papst wurde, zwei Wallfahrten nach Mugnano gemacht. Er bestätigte die „Bruderschaft der hl. Philomena“ und erhob sie in den Rang einer Erzbruderschaft, die mit bedeutenden Ablässen versehen wurde. Auch der hl. Papst Pius X. war ein glühender Anhänger der Heiligen. Er sandte einen goldenen Ring und weitere Geschenke nach Mugnano.

Natürlich setzten sich all diese Päpste nicht leichtfertig für die Verehrung der Heiligen ein. Der Entdeckung des Grabes waren Untersuchungen und gründliche Studien von Experten mehrerer Disziplinen gefolgt. Alle bestätigten die Echtheit der Reliquien. Zudem wurde die Verehrung, wie wir schon gesehen haben, durch zahlreiche, ja ganz und gar erstaunliche Wunder beglaubigt. Wir haben von den Blutwundern dieser Heiligen gehört, über die erstaunlichen Verwandlungen ihrer Statue gesprochen. Hinzu kämen noch die gelegentlichen, kristallklaren Absonderungen durch eine Urne, in der ein Bild der Heiligen aufbewahrt ist oder die Vermehrung von Büchern, die dem Leben der hl. Philomena gewidmet sind, usw. Die Wunder dieser Jungfrau und Märtyrerin erstrecken sich sowohl über Gegenstände, die in Beziehung zu ihr stehen, als auch über Menschen. Kurz gesagt: Die hl. Philomena ist eine der größten Wundertäterinnen der beiden letzten Jahrhunderte.

Das alles ficht freilich einen Modernisten nicht an. Bei der Überprüfung des römischen Märtyrerverzeichnisses im Jahre 1961 wurde der Name Philomena einfach gestrichen, weil es angeblich keine genügenden geschichtlichen Beweise für die Existenz der Heiligen gebe. Wobei man hätte zugeben müssen, die Existenz der heiligen Philomena ist – geschichtlich gesehen – nicht besser und auch nicht schlechter nachgewiesen als die Existenz anderer, offiziell verehrter Heiliger der Kirche, wie z. B. des heiligen Georg oder des hl. Christophorus, der hl. Barbara oder der hl. Cäcilia.

Nun in der Tat, auch der hl. Christophorus und die hl. Barbara, fielen damals der vatikanischen „Säuberung“ des Heiligenkalenders zum Opfer. Als die Aufregung unter den Katholiken darüber allzu sehr hochkochte, schrieb das vatikanische Sonntagsblatt „Osservatore della Domenica“, die Kirche habe keinen ihrer Märtyrer verleugnet. Sie alle seien „authentische Heilige, ob sie nun im Kalender stehen oder nicht. Selbst wenn der eine oder andere von ihnen nie existiert haben sollte, würde Gott doch das Vertrauen dessen, der betet, sehen und sein Flehen erhören.“

Was ist denn das für eine seltsame Ansicht, Gott wirkt durch Heilige, die gar nicht existiert haben, eine erstaunliche Anzahl von ebenso erstaunlichen Wundern, nur um das Vertrauen derer zu belohnen, die sich durch den frommen Betrug täuschen lassen. So als hätte es nicht genügend andere, echte, existierende Heilige gegeben! Das nennt man modernen Rationalismus und zugleich modernistische Unvernunft. Für diese Leute sind nur die Quellen weltlicher Geschichtsschreibung wirklich authentisch, wohingegen das Zeugnis selbst der größten Heiligen und einer langen Reihe von Päpsten – die ebenfalls dem frommen Betrug aufgesessen waren – keinerlei geschichtlichen Wert hat. Was für ein armseliger Haufen von Zweifelsüchtigen! Womöglich sind die vielen unheiligen „Heiligen“ der Menschenmachwerkskirche die gerechte Strafe für diesen Unglauben.

Novene zur heiligen Philomena

Gebet für jeden Tag der Novene:

O keusche Jungfrau und unbesiegte Märtyrerin Jesu Christi, heilige Philomena! Mit völliger Hingabe liege ich hier vor Gott auf den Knien und im Staube vor Dir, die ich zu meiner Mittlerin und liebenden Schützerin gewählt habe, damit ich Deiner Fürbitte bei Deinem göttlichen Bräutigam Jesus Christus und bei Maria, seiner heiligsten Mutter, gewürdigt werden möge. Ich weiß, dass Dir beide gewiss nichts versagen, und bitte Dich, mit der ganzen Innigkeit meines Herzens, auf mich armseligen, als auf eines Deiner Pflegekinder, herabzusehen und mich vor meinen Feinden in Schutz zu nehmen. Erhalte mir die Gnade, bis an das Ende meines Lebens von jeder Makel der Sünde mich rein zu bewahren und meine Seele mit jeder Tugend zu schmücken, besonders mit vollkommener Hingabe an meinen Gott und in die Leiden, die er in dieser Welt mir zuzuschicken für gut befindet, um dadurch meine Seele zu läutern, und ihr Gelegenheit zu verschaffen, für viele Sünden Buße zu wirken. Von Deiner wundervollen Liebenswürdigkeit angezogen, bitte ich Dich bei Deinen großen und ausgezeichneten Verdiensten, mir die Gnaden zu erwirken, die ich demütig von Dir erwarte, wenn dieselben dem göttlichen Willen gemäß und meinem ewigen Heile nützlich sind… (gib der Heiligen Deine Anliegen mit Vertrauen und Demut an.) Auch bitte ich Dich, verschaffe mir die Vermehrung des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und der Reue über meine Sünden. Befreie mich von jedem bitteren Unfall, er mag mir von was immer für einer Seite her drohen. O vielgeliebte heilige Philomena, bitte für mich bei Jesus und Maria! Amen. Vater unser… Gegrüßet seist Du Maria… Ehre sei dem Vater… Ich glaube…

(nach dem Gebetbüchlein von Th. Nelk 1870)