Unversöhnliche Logik

Der moderne Mensch ist immer wieder und in den meisten Lebensbereichen mit der doch sehr bedrückenden Erfahrung konfrontiert: Es ist weitgehend nichts mehr normal. Oder, sozusagen von der anderen Seite her formuliert: Es ist fast alles verrückt geworden. Diese Erfahrungstatsache zeigt, daß inzwischen der irrationale Grund modernen Denkens, der von den modernen sog. Philosophen über Jahrhunderte den Leuten gepredigt und von den Medien eingehämmert wurde, im alltäglichen Leben angekommen ist. Infolgedessen werden die Menschen immer verhaltensauffälliger und daraus folgend unberechenbarer.

Nun gewöhnt man sich aber doch recht schnell und großteils auch viel leichter als man meint an das Unnormale, so daß man heutzutage allmählich Angst haben muß, wenn man noch einigermaßen normal ist.

G. K. Chesterton: „Kugel und Kreuz“

In seinem sehr eindrücklichen Werk „Kugel und Kreuz“ beschreibt Gilbert Keith Chesterton zwei ehrenwerte Männer – der eine ist der Herausgeber der Zeitschrift „Atheist“, Mr. Turnbull, ein feuriger kleiner Schotte mit feurigen roten Haar und Bart, und ein strenggläubiger Römischer Katholik, ein junger Highlander der Macdonalds, Evan McIan genannt. Als der Highlander Evan McIan einen im Schaufenster ausgehängten Artikel von „Atheist“ las, erregt er sich darüber derart, daß er das Schaufenster zertrümmert und in den Laden stürmt:

„Was soll das?“ schrie der kleine Mr. Turnbull, der mit flammendem Haar auffuhr. „Wie können Sie es wagen, meine Scheibe einzuschlagen?“
„Weil es der kürzeste Weg war, um an Sie heranzukommen“, schrie Evan und stampfte mit dem Fuß. „Stellen Sie sich und kämpfen Sie, Sie elender Feigling. Sie gemeiner Irrer, werden Sie sich nun stellen? Haben Sie irgendwelche Waffen hier?“
„Sind Sie wahnsinnig?“ fragte Turnbull mit wildem Blick.
„Und Sie?“ schrie Evan. „Sie müssen es wohl sein, wenn Sie ihr eigenes Haus mit gotteslästerlichem Schund dekorieren? Stellen Sie sich und kämpfen Sie.“
Ein breites Aufleuchten wie die Morgendämmerung überzog Mr. Turnbulls Gesicht. Unter seinem roten Haar und Bart wurde er totenbleich vor Freude. Hier, nach zwanzig einsamen Jahren vergeblicher Plackerei, hatte er seine Erfüllung. Jemand war wütend auf die Zeitung. Er sprang auf wie ein Junge; er sah, wie sich ihm eine zweite Jugend eröffnete. Und wie es recht häufig Gentlemen in mittleren Jahren ergeht, wenn sie sehen, wie sich ihnen eine zweite Jugend eröffnet, fand er sich in Gesellschaft der Polizei wieder.

(G. K. Chesterton, Kugel und Kreuz, verlag nova & vetera, Bonn 2007, S. 22f)

Um es kurz zu machen, diese kleine Auseinandersetzung brachte beide vor den Richter – und schließlich, nach vielen Umwegen könnte man sagen, nach einer langen, abenteuerlichen Flucht, ins Irrenhaus. Die beiden kletterten mühsam über eine Mauer, um der Polizei zu entkommen und befanden sich, ohne es zu wissen, im Park des Irrenhauses. Als sich nun beide eine Zeitlang im Irrenhaus befanden, machten sie eine äußerst erstaunliche Entdeckung: Auch all diejenigen Menschen, die sie für ganz und gar bodenständige, normale Leute gehalten haben, waren in diesem Irrenhaus.

Eines Tages traf Turnbull McIan ganz verwirrt an. „Die haben recht, die haben recht!“, rief er. „Oh, mein Gott! Die haben recht, Turnbull. Ich bin zu Recht hier.“ Der Grund für diese äußerste Erregung war die Entdeckung derjenigen Frau im Park des Irrenhauses, die ihnen auf der Flucht vor den Polizisten geholfen hatte, indem sie sie in ihrem Auto mitnahm und bei einer Polizeisperre einfach davonfuhr. MacIan konnte sie seither nicht mehr vergessen.

„Ich habe Sie gesehen“, sagte er also zu Turnbull, „vor drei Minuten – hier in diesem Höllenhof beim Spaziergang.“ Dieser wollte ihn beruhigen: „Mein lieber Freund, die Phantasie ist wirklich mit Ihnen durchgegangen. Sie haben sie mit irgendeinem anderen armen Mädchen von hier verwechselt.“ Aber Maclan konnte das beim besten Willen nicht glauben und als er sich etwas beruhigt hatte, sprudelte aus ihm heraus: „Na ja, sei es drum, wenn ich schon verrückt bin, dann bin ich froh, daß es aus diesem Grund ist.“
Da geschah aber das ganz und gar Unerwartete, plötzlich sah sie auch Turnbull: Es war der Schock des Zusammentreffens, der ihn geradezu auf seinen Platz bannte, denn vor dem klaren Hintergrund des kalten silberfarbenen und blassen zitronengelben Himmels, der sich durch eine Lücke im Stechpalmenhain abzeichnete, bewegte sich eine schlanke, dunkle Gestalt mit einer Silhouette und der Haltung des dunklen Kopfes wie von einem Vogel. Mit Mühe kam er auf die Beine und sagte mit einer Stimme vorgetäuschter Sorglosigkeit: „Beim Heiligen Georg! Maclan, sie ähnelt unglaublich ...“
„Wie!“ rief Maclan und sprang mit einer Lebhaftigkeit auf, dass es einem das Herz zerbrach, „Sie sehen sie auch?“ Und das Feuer kehrte wieder in die Mitte seiner Augen zurück.
Nach dieser Entdeckung hielt es beide nicht mehr auf ihrem Platz. Sie liefen voller Erregung so schnell sie konnten zu ihr.
Sie kam durchaus erfreut und besonnen auf ihn zu und streckte ihre Hand aus. In dem Augenblick, da er sie ergriff, wusste er, dass er normal war, selbst wenn das Sonnensystem verrückt gewesen wäre.
Sie war vollendet elegant und kein bisschen verlegen. …
Evan kann sich bis auf den heutigen Tag nicht mehr der genauen Frage entsinnen, die er gestellt hat, aber er erinnert sich lebhaft, dass sie geantwortet hat, und an jede Linie und Regung in ihrem Gesicht, als sie sprach.
„Oh, wissen Sie es denn nicht?“ sagte sie lächelnd und zog unvermittelt ihre waagerechten braunen Augenbrauen hoch. „Haben Sie noch nicht die Neuigkeit erfahren? Ich bin eine Irre.“ Dann fügte sie nach einer kurzen Pause und mit einem gewissen Stolz hinzu: „Ich habe ein Gutachten.“

(Ebd. S. 210f)

Die moderne, so genannte „Bewußstseinsphilosophie“

Chesterton will mit seiner Geschichte auf eher humorvolle Weise etwas im Grunde Todernstes verständlich machen: Der moderne Geist trägt den Wahnsinn in sich, denn auf dem Fundament einer reinen Bewußtseinsphilosophie, wie man das nennt, ist keine rationale Unterscheidung mehr möglich. Die Dinge werden nämlich nicht mehr erkannt, aufgrund ihres realen, mit der Vernunft einsehbaren Wesens, sondern nur noch aufgrund ihres Seins im Bewußtsein des Erkennenden. Das Bewußtsein ist – bzw. soll es nach dieser Philosophie sein – bei jedem wieder verschieden. Jeder hat somit seine eigene, ganz individuelle Art, die Dinge zu „erkennen“, d.h. eigentlich zu „sehen“, d.h. wiederum zu empfinden, zu erleben. Darum kann man auch keinen wirklichen Widerspruch mehr feststellen, man kann zum anderen nur sagen: Das „sehe“ ich so!

Die moderne „Philosophie“ – Ein irrationales Denksystem

Sobald sich der Mensch auf dieses irrige System einläßt, kann er letztlich nichts mehr als Bestimmtes, wirklich So-Seiendes erkennen, d.h. wiederum, er kann dies Bestimmte von jenem Bestimmten nicht mehr mit Bestimmtheit unterscheiden, wodurch alles gleichwertig oder auch gleich unwertig wird. Diese Haltung führt sodann unweigerlich zu Wahrnehmungsstörungen. Einem modernen Menschen kann man jederzeit ein X für ein U vormachen, weil er niemals ein X klar von einem U unterschieden kann. Wenn darum zwei moderne Menschen darüber streiten, ob das nun ein X oder ein U ist, so werden sie sich sicherlich darin einigen: Sowohl das X, als auch das U sind Buchstaben, was aber Buchstaben wirklich sind, das wissen wir nicht, und darum lohnt es sich auch nicht, darüber zu streiten.

Chesterton gibt nun zu bedenken, wenn immer mehr Leute verrückt werden, dann wird es immer schwerer, das Verrücktsein vom Normalsein zu unterscheiden. Denn wer bestimmt schließlich, wer verrückt ist und wer nicht? Etwa die Mehrheit? Wenn aber die Mehrheit verrückt geworden ist, also auch die meisten Ärzte genauso verrückt sind wie die Patienten, stellt sich die Frage, wer dann eigentlich noch normal ist? Wer bestimmt letztendlich, was unter „normal“ und was man unter „verrückt“ zu verstehen ist? Da aber der Grund des modernen Denkens irrational ist, womit jedwede sachlich klare Unterscheidung verunmöglicht wird, wird die Festlegung, was verrückt und was normal bedeutet, beliebig. Was ist die Folge davon?

„Nun ja“, fuhr Dr. Hutton fort, „der Meister hat vor beiden Häusern des Parlaments die bestehenden wissenschaftlichen Einwände gegen die gesamte bestehende Gesetzgebung zur Unzurechnungsfähigkeit dargelegt. Wie er ganz richtig bemerkte, bestand der Fehler in der Annahme, dass Schwachsinn lediglich eine Ausnahme oder ein Extrem wäre. Schwachsinn, wie auch Vergesslichkeit, ist jedoch einfach nur eine Qualität, die sich mehr oder weniger in allen menschlichen Wesen manifestiert; und aus praktischen Gründen ist es notwendiger, zu wissen, wessen Verstand wirklich zuverlässig ist, als wessen Verstand irgendeinen zufälligen Makel aufweist. Deshalb haben wir die bestehende Methode umgekehrt, und die Leute müssen jetzt nachweisen, dass sie zurechnungsfähig sind. Im ersten Ort, den Sie betreten, würde der Dorfpolizist bemerken, dass Sie nicht das kleine ‚Z‘ aus gegossenem Zinn an Ihrem linken Mantelaufschlag tragen, das jetzt für jeden erforderlich ist, der sich außerhalb der Anstaltsmauern bewegt oder die Anstaltssperrstunden überschreitet…“

(Ebd. S. 204f)

Turnbull kann es nicht fassen, daß dieses Gesetz auf demokratischem Wege zustande gekommen sei soll. Aber es ist tatsächlich vom House of Commons und dem House of Lords verabschiedet worden! Obwohl nun gesetzlich festgelegt wurde, daß im Grunde alle verrückt sind, weswegen man eigentlich auch keine Irrenhäuser mehr bräuchte, wurden Turnbull und MacIan dennoch in Einzelhaft gesperrt:

„Aber warum sollte Ihr teuflischer Obermedizinmann uns in getrennteste Zellen sperren, während er dabei war, England in ein Irrenhaus zu verwandeln? Ich bin nicht der Prime Minister; wir sind nicht das House of Lords.“
„Er fürchtete nicht den Prime Minister“, erwiderte Dr. Hurton, „er fürchtet nicht das House of Lords. Aber ...“
„Was?“ fragte Turnbull nach und stampfte wieder auf.
„Er fürchtet Sie“, sagte Hutton unumwunden. „Wieso, wussten Sie das nicht?“ (Ebd.)

Der hier angesprochene „Meister“ ist der Teufel, Professor Luzifer. Im gewissen Sinne kann man sagen haßt der Teufel noch mehr als die Wahrheit denjenigen, der die Wahrheit ernst nimmt und bereit ist, aus ihr die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Denn solange jemand zwar um der Wahrheit willen viel diskutiert, debattiert und nächtelang darüber schwätzt, aber keine Konsequenzen aus seinem Geschwätz zieht, kann das dem Teufel gleich sein. Aber wehe, wenn jemand meint, die Wahrheit ernst nehmen zu müssen, ja glaubt, sie auch noch tun zu müssen, sie im Leben umsetzen zu müssen, dann wird der Teufel sofort tätig. Am effektivsten ist es natürlich, solches Verhalten grundsätzlich in der Gesellschaft in Mißkredit zu bringen. Sobald das gelingt, ist ein solcher Wahrheitsfreund sofort ein Fanatiker, ein Fundamentalist oder noch schlimmer, er ist gleich ein Terrorist und Kriegstreiber. Man darf also viel über die Wahrheit reden, man darf sie aber niemals ernst nehmen und unter keinen Umständen Konsequenzen aus ihr ziehen. Solange das der Fall ist, ist der Teufel durchaus zufrieden und läßt einen in Ruhe.

Ist die „Neue Messe“ gültig?

Je mehr man dies bedenkt, desto erstaunter ist man darüber, einsehen zu müssen, daß genau diese Haltung viel weiter und viel mehr selbst unter den sog. konservativen Katholiken oder Traditionalisten verbreitet ist als man meint und sich gewöhnlich zugesteht.

Kürzlich stolperten wir über einen älteren Text, der diese Erfahrungstatsache bezüglich der Frage nach der Gültigkeit der sog. Neuen Messe aufweist. Der Text stammt von Klaus Gamber (?1919, †1989), dem bekannten Regensburger Liturgiewissenschaftler. Aufgrund seiner schlechten Gesundheit wurde Klaus Gamber 1957 von der Seelsorge ganz freigestellt, weshalb es ihm möglich wurde, am „Liturgiewissenschaftlichen Institut Regensburg-Prüfening“ mitzuarbeiten, das Alban Dold zusammen mit dem Regensburger Pater Emmeram von Thurn und Taxis und Klaus Gambers Bruder Wolfram Gamber (1909–1987) in Regensburg-Prüfening begründet hatte. Nach dem Tod Dolds im Jahr 1960 übernahm Klaus Gamber die Leitung des Institutes, das 1972 in die Bischöfliche Zentralbibliothek umzog und in die Trägerschaft der Diözese Regensburg überführt wurde.

Weil Gamber öfter Kritik an der Durchführung der Liturgiereform unter Paul VI. äußerte, hatte er bei den Konservativen und Traditionalisten einen recht guten Namen. In seinem Buch „Zurück zum gemeinsamen Erbe“ ging er der Frage nach: Ist die Neue Messe gültig? Der Liturgiewissenschaftler beginnt seine Überlegungen mit der vermeintlichen Feststellung: „Nichts hat zahlreiche gläubige Katholiken mehr in Unruhe versetzt und im Glauben unsicher gemacht als die verschiedentlich aufgestellte Behauptung, die ‚neue Messe’ sei in jedem Fall ungültig. Es sei daher auch nicht erlaubt, einem solchen Gottesdienst beizuwohnen und dabei zu kommunizieren.“

Der NOM – „das platte Produkt des Augenblicks“

Wir nannten die Feststellung „vermeintlich“, denn immerhin spricht Klaus Gamber diese Worte in eine kirchliche Welt hinein, die seit der vatikanischen Revolution von 1962-1965, die man fälschlicherweise „Konzil“ nennt, vollkommen im Aufruhr ist, weil in der Folge durch die eigenen Hirten nicht nur der Glaube, sondern selbst das Allerheiligste angetastet wurde. In der „Gedenkschrift für den verstorbenen Liturgiewissenschaftler Msgr. Dr. Klaus Gamber ‚Simandron - der Wachklopfer‘", herausgegeben von W. Nyssen, Köln 1989, schrieb „Kardinal“ Joseph Ratzinger auf S. 14f.: „An die Stelle der gewordenen Liturgie hat man die gemachte Liturgie gesetzt… Man wollte nicht mehr das organische Werden und Reifen des durch die Jahrhunderte hin Lebendigen fortführen, sondern setzte an dessen Stelle - nach dem Muster technischer Produktion – das Machen, das platte Produkt des Augenblicks.“

Nicht die Auskunft, die „neue Messe“ sei in jedem Fall ungültig, hat also die Katholiken in Unruhe versetzt, sondern „das platte Produkt des Augenblicks“, das man an die Stelle des katholischen Meßopfers gesetzt hat. Klaus Gamber lenkt jedoch mit seiner Formulierung von diesem grundlegenden Sachverhalt ab und unterstellt den Kritikern an der Gültigkeit dieses Menschenmachwerks von vorneherein eine schlechte Absicht, nämlich gläubige Katholiken in Unruhe versetzen zu wollen. Zudem suggeriert er dem unaufmerksamen Leser, wenn man nur behaupten würde, die Neue Messe sei nicht in jedem Fall ungültig, dann wäre das in Ordnung und dann bräuchte man sich nicht zu beunruhigen! Man könne also schon mit einer zweifelhaften Gültigkeit der Sakramente durchaus zufrieden sein, was freilich falsch und gegen die Lehre der Kirche ist.

Es geht aber bei der Frage nach der Gültigkeit der Neuen Messe gar nicht darum, ob die Gemeinde in Unruhe versetzt oder in Ruhe gelassen wird, sondern es geht darum, ob dieses „platte Produkt des Augenblicks“ ein katholischer Ritus, also überhaupt für einen Katholiken legitim und gültig sein kann! Wenn das aber wirklich so ist, wenn dieser bugninische Antiritus nicht nur ungültig ist, sondern eine Erneuerung des von Gott verworfenen Kainsopfers sein will, dann kann die Unruhe der Gemeinde gar nicht groß genug und nur heilsam sein. Dementsprechend wäre aber die Unterdrückung dieser heilsamen Unruhe durch Scheinargumente ein Verbrechen an den unsterblichen Seelen.

Im Laufe seiner Ausführungen wird Klaus Gamber zumindest zugeben müssen, daß der Ritus der Neuen Messe schwere Mängel aufweist, also die nichtigen Gründe der Gegner gar nicht so nichtig sind. Aber wie nicht anders zu erwarten, sieht er sodann dennoch einen Ausweg: All diese schwerwiegenden Mängel reichten nämlich nicht aus, den Ritus als solchen ungültig zu machen. Das überrascht ein wenig, denn man hätte angenommen, der Liturgiewissenschaftler würde sich wenigstens ein paar Gedanken darüber gemacht haben, was nochmals Josef Ratzinger so formulierte: „Eine Gemeinschaft, die das, was ihr bisher das Heiligste und Höchste war, plötzlich als strikt verboten erklärt und das Verlangen danach geradezu als unanständig erscheinen läßt, stellt sich selbst in Frage. Denn was soll man ihr eigentlich noch glauben? Wird sie nicht morgen wieder verbieten, was sie heute vorschreibt?“ (Joseph Kardinal Ratzinger, Salz der Erde, Heyne, 2001, S. 188).

Wenn eine Gemeinschaft das Heiligste und Höchste, das sie besitzt, plötzlich als strikt verboten erklärt, dann soll das die gläubigen Katholiken nicht zutiefst beunruhigen? Was sollte es denn für eine Gemeinschaft überhaupt für einen vernünftigen Grund geben, das Heiligste und Höchste, das sie besitzt, zu verbieten! Ist nicht vielmehr das Gegenteil ihre gottgegebene Aufgabe, das Heiligste und Höchste, das sie besitzt, unversehrt zu bewahren? Darum stellt sich auch jedem Katholiken bei diesem Sachverhalt sofort und unmißverständlich die entscheidende Frage: Was verbirgt sich denn für eine Autorität hinter dieser Absicht, das Heiligste und Höchste, das unser göttlicher Herr und Meister seiner Kirche anvertraut hat, mit einem Mal strikt zu verbieten?

Es sei hier kurz erwähnt, wir wissen natürlich, daß Joseph Ratzinger seine eigene Aussage nicht ernst genommen hat und wir wissen auch, bei dem theologischen Chamäleon Joseph Ratzinger könnte man problemlos auch eine ganze Reihe anderslautender Aussagen zitieren. Aber gemäß dem Sprichwort, „Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn“, wollen wir diese durchaus richtigen und bedenkenswerten Sätze Ratzingers hier als Kontrast zu Klaus Gambers Ausführungen, sozusagen von modernistischen Kollegen zu modernistischen Kollegen, stehen lassen.

Der Regensburger Liturgiewissenschaftler spinnt seinen Gedanken so weiter: „Man muss sich jedoch ernsthaft fragen, ob der Herr, der seinen Beistand bis zum Ende der Zeiten versprochen hat, es tatsächlich zulässt, daß ein großer Teil der Gesamtkirche, also mehrere 100 Millionen Gläubige, der Gnaden des heiligen Messopfers verlustig gehen.“ Dies ist doch ein überraschender Gedankensprung, denn das angeführte Argument hat mit der Sache – nämlich dem platten Produkt des Augenblicks, das man in der Menschenmachwerkskirche Neue Messe nennt – zunächst einmal gar nichts zu tun. Oder wird seit neuestem eine theologische Frage dadurch gelöst, daß man deren Konsequenzen als allzu aufregend qualifiziert?

Nun ist die Konsequenz aus der Ungültigkeit der Neuen Messe zwar durchaus schwerwiegend für diese 100 Millionen Gläubige (?), aber weshalb sollte man daraus auf die Unmöglichkeit schließen können? Übrigens könnte man mit dieser Art der Schlußfolgerung auch zum gegenteiligen Ergebnis kommen, wie etwa: Durch die weltweite Einführung der Handkommunion zusammen mit der Neuen Messe ist es doch sicherlich besser, wenn das Brot erst gar nicht verwandelt wird, also all diese „Messen“ ungültig sind, weil dadurch Hunderte Millionen von Sakrilegien verhindert werden. Das wäre es doch sicherlich ein Ausdruck der Güte und Barmherzigkeit Gottes!

Wir wollten nun unsererseits mit dieser Erwägung nicht vom eigentlichen Thema ablenken, sondern nur darauf hinweisen, daß eine derartige Argumentation durchaus nicht eindeutig ist und auch nicht sein kann. Dabei ist es eigentlich der Mühe wert, der Frage nachzugehen, ob es wirklich undenkbar ist, daß die meisten Katholiken der Gnaden des heiligen Messopfers verlustig gehen und man sich wirklich hierbei auf den bis zum Ende der Zeiten versprochen Beistand Jesu Christi berufen kann?

Das heilige Meßopfer – Der Daseinsgrund der Schöpfung

In seinem Buch „Die Heilige Messe“ geht Dom Prosper Guéranger kurz und eindringlich auf diese Frage ein: „Die heilige Kirche beruft alle ihre Glieder zur Teilnahme an dem großen Opfer; und wenn es möglich wäre, daß das Meßopfer einmal zu Ende ginge, daß es der Flamme gleich, die keine Nahrung mehr findet, erlösche, dann würden wir sofort aufs Neue in jenen unwürdigen Zustand zurücksinken, in welchem sich die mit dem Götzendienst befleckten Völker befanden. Darauf wird auch das Streben des Antichrist gerichtet sein. Er wird alle Mittel anwenden, um die Darbringung des heiligen Meßopfers zu verhindern, damit dies mächtige Gegengewicht gegen seine Herrschaft in Wegfall komme, und Gott die Schöpfung vernichte; denn es ist dann kein Grund mehr vorhanden, dieselbe bestehen zu lassen. Wir erfahren diese Tatsache seit dem Bestehen des Protestantismus, der die Messe abgeschafft hat. Seit dieser Zeit hat die Kraft im Schoß der Gesellschaften eine bedeutende Abnahme erlitten. Ein gesellschaftlicher Kampf hat sich erhoben, der trostlose Zustände im Gefolge hat, und dessen letzte Wurzel darin zu suchen ist, daß das heilige Meßopfer nicht mehr in der gleichen Ausdehnung dargebracht wird. Das ist der Anfang dessen, was geschehen wird, wenn der über die Erde entfesselte Teufel und seine Anhänger Verwirrung und Trostlosigkeit verbreiten; wie dies Daniel vorherverkündigt hat. Er wird die Weihen verhindern, die Priester aussterben lassen, und so der Darbringung des großen Opfers immer engere Grenzen ziehen. Dann aber kommen die Tage des Unglücks“ (Dom Prosper Guéranger „Die Heilige Messe“, Sarto-Verlag 2004, S. 79).

Jedem Katholiken ist unmittelbar einleuchtend, wenn einst der Antichrist kommen wird, wird er „die Weihen verhindern, die Priester aussterben lassen, und so der Darbringung des großen Opfers immer engere Grenzen ziehen“. Man muß es schon aufmerksam lesen und bedenken, es heißt hier: „immer engere Grenzen ziehen“. Das geschah etwa schon vor Jahrhunderten durch den Protestantismus, als fast halb Europa vom katholischen Glauben abfiel und damit das hl. Meßopfer für diese Länder verloren war – und weil das nur „der Anfang dessen ist, was geschehen wird“, geschah es durch den Modernismus, daß fast die ganze übrige Welt für das hl. Meßopfer verloren ging, weshalb auch alle ehemals katholischen Länder „aufs Neue in jenen unwürdigen Zustand zurücksinken, in welchem sich die mit dem Götzendienst befleckten Völker befanden“. „Das sieht doch ein Blinder!“ möchte man da nur ausrufen. Aber warum sahen und sehen es so viele Konservative, wie etwa Klaus Gamber, und Traditionalisten nicht?

Klaus Gamber über den neuen Ritus

Klaus Gamber mußte immerhin auch zugeben, es gebe viele Gründe, die für die Ungültigkeit der sog. Neuen Messe sprechen: „Wahr ist, daß im neuen Missale und im neuen Messritus im besonderen eine Reihe wichtiger Elemente des überlieferten Glaubensgutes zu kurz kommen. Wahr ist, daß auch der äußere Ritus eine starke Wandlung mitgemacht hat. Diese macht die modernen dogmatischen Anschauungen auch nach außen hin deutlich, so die Zelebration des Priesters zum Volk hin, sowie die verstärkte Einbeziehung der Laien als Kommunionhelfer und Prediger in die Liturgie – und dies gegen eine fast 2000jährige Tradition der Kirche. Wahr ist auch, daß der Glaube an den eucharistischen Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein heute vielfach neuen unklaren Vorstellungen gewichen ist, wobei die Einführung der Handkommunion in mehreren Ländern diese negative Entwicklung gefördert und zum Schwinden der Ehrfurcht vor diesem heiligen Sakrament geführt hat …“

Diese Litanei, die sich noch beliebig erweitern ließe, zählt der Regensburger Liturgiewissenschaftler auf, ohne sich die dadurch aufdrängende Frage zu stellen: Und das soll ein Ritus der katholischen Kirche sein? Dieser glaubenszerstörende Ritus soll den würdigen und gottwohlgefälligen Rahmen bilden für das vollkommene Opfer des Neuen Bundes? Ein Ritus „gegen eine fast 2000jährige Tradition der Kirche“? Und sollte dieser Ritus dennoch gültig sein, sollte in diesem vollkommen unwürdigen, gegen den Glauben der Kirche zeugenden Ritus eine Gültige Wandlung vollzogen werden, könnten dann die Gläubigen beruhig sein? Was für ein Irrsinn!

Dom Prosper Guéranger über den heiligen Ritus

Bei solch abenteuerlichen Gedanken ist es gut, einen katholischen Autor zu Rate zu ziehen. Lesen wir einfach im obigen Text bei Dom Prosper Guéranger weiter: „Wir brauchen uns darüber nicht zu verwundern; denn die heilige Messe ist vor Gott ein Ereignis gerade wie für uns. Dies Ereignis zielt unmittelbar auf seine Verherrlichung. Er kann darum das Gehör nicht verschließen, wie das ja vorkommen kann, wenn wir privatim ein Gebet an ihn richten. Er muß der heiligen Messe eine besondere Aufmerksamkeit widmen; denn seine Herrlichkeit ist dabei interessiert; sein Sohn selbst, das ewige Wort, Jesus Christus, bietet sich ihm als Opfer dar, und bittet für uns seinen Vater. So müssen wir allezeit drei Dinge in der heiligen Eucharistie wohl erwägen: zuerst das Opfer, welches zur Verherrlichung Gottes dient, sodann das Sakrament, welches die Nahrung unserer Seelen bildet, und endlich drittens den Besitz unseres Herrn, den wir darin anbeten können, und welcher den Trost in unserem Exil ausmacht“ (Ebd. S. 79f).

Wenn das so ist, die heilige Messe ist vor Gott ein Ereignis gerade wie für uns, dann muß selbstverständlich der Ritus der Gottesverehrung in der Kirche Jesu Christi vollkommen heilig sein. Darum spricht man in der wahren Kirche von der „göttlichen Liturgie“, denn: „Dies Ereignis zielt unmittelbar auf seine Verherrlichung“. Wenn also stimmt, was Klaus Gamber über die Neue Messe sagt, wie kann dieser dann ein gültiger Ritus der heiligen Kirche sein? Aber dem Regensburger Liturgiewissenschaftler kommen solcherlei Gedanken gar nicht er erst in den Sinn, er ist schon zufrieden, wenn er meint sagen zu können: „Dies alles beweist jedoch noch lange nicht, daß die von einem gläubigen Priester im Gehorsam gegenüber den kirchlichen Vorschriften nach dem neuen Missale gefeierte Messe ohne weiteres ungültig ist.“ Nein, nein, natürlich beweist das nichts… – nichts für den, der die eigentlichen Tatsachen einfach nicht sehen will, weil er im Grunde ein Modernist ist, wenn auch ein konservativer, weshalb ihm die klaren Unterscheidungen verloren gegangen sind. Ein Modernist findet immer seine Ausreden und meint sodann erleichtert: Man muß immer besonnen blieben und darf nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten! So einfach ist das, wenn man Modernist ist.

Wir wollen nun dem Leser die eher irreführenden als klärenden Ausführungen Gambers nicht auch noch zumuten und uns ein wenig weiter umschauen…

Das Argument der großen Zahl

Vor kurzem wurde uns ein anderer Text zugesandt, der in seiner Argumentation den Gedanken von Klaus Gamber erstaunlich gleicht. Dieser Text ist eine „Warnung vor sedisvakantistischer Argumentation“. Der Anlaß zu dieser engagierten Warnung sind offensichtlich in letzter Zeit veröffentlichte Arbeiten zur Frage der Gültigkeit der Weihen in den neu geschaffenen Riten der Menschenmachwerkskirche. Der Bonner Altphilologe Dr. H.-L. Barth rät den Piusjüngern, sich vor solch „pseudotheologischen“ Arbeiten in Acht zu nehmen. Wobei es der Altphilologe sodann einerseits für notwendig findet, auf seine eigene theologische Kompetenz hinzuweisen, er habe „selbst ja immer wieder nachzuweisen versucht, daß es in der Kirche seit Jahrzehnten bis in die höchsten Spitzen hinein einen erschütternden Verrat am depositum fidei, am überlieferten Glaubensgut gibt, … so daß“ ihn „wahrlich niemand der Anbiederung an die derzeitigen offiziellen Autoritäten bezichtigen kann“; anderseits aber pauschal zu bedenken gibt: „Wie jene Leute aber vorgehen, die meist ohne adäquate wissenschaftliche Vorbildung (u. a. auch ohne ausreichende Kenntnis der heiligen Sprachen!) die Gläubigen verunsichern, bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten.“

So einfach kann man sich die Sache machen. Nun, soweit wir wissen, verfügt der Autor der in Frage stehenden Texte durchaus über genügend Sprachkenntnis in der fraglichen Sache. In den Sprachen aber, die er selbst nicht beherrscht, hat er einen Fachmann hinzugezogen, wie es jeder seriöse Wissenschaftler tut. Außerdem scheint dieser Hinweis des Altphilologen, der doch selber ebenfalls kein gelernter Theologe ist – oder macht ihn die Kenntnis der alten Sprachen automatisch zum Theologen? –, ein primitives Ablenkungsmanöver zu sein. Kommt doch unmittelbar nach dieser unsachlichen Abqualifizierung des Gegners dasselbe Argument wie bei Klaus Gamber: „Wenn sie recht hätten (Irrealis!), wären mehr als eine Milliarde Katholiken, die vielfach von Schuld ganz oder weitgehend frei sein können, der Sakramente und damit der göttlichen Gnadenmittel beraubt – eine Ungeheuerlichkeit, die Gott angeblich zulassen soll!“

Man ist schon etwas verblüfft: Da haben wir es wieder, das Argument der großen Zahl! Nun, wie wir schon gesehen haben, ist die Frage durchaus offen: Irrealis oder nicht? Und wie wir oben aufgrund der Erwägungen von Dom Prosper Guéranger gezeigt haben, ist für jeden, der Augen hat zu sehen, diese Sache nicht als Irrealis, sondern als Realis erwiesen: Gott wird diese Ungeheuerlichkeit ganz sicher zur Zeit des Antichristen zulassen und offensichtlich, wie die täglich schmerzlich erlebten Tatsachen zeigen, auch schon unter dessen Vorläufern.

An dem Gedankengang fällt übrigens noch etwas auf: Der Bonner Altphilologe warnt die Piusjünger nicht vor den Argumenten – „Ich habe mir immer wieder derartige Traktate und Traktätchen genauer angeschaut. Sie lohnen keiner Erwiderung. Möge das eine oder andere Argument vielleicht sogar überzeugen (was eher seltener der Fall ist), so sind die weitgehenden Schlußfolgerungen stets absurd.“ –, er warnt sie vor den Schlußfolgerungen! Es ist freilich recht einfach und zudem auch ziemlich unfair, diese pauschal zurückzuweisen, ohne auch nur ein Argument argumentativ zurückzuweisen, mit dem Hinweis: „Sie lohnen keiner Erwiderung.“ Wissenschaftlich ist so ein Pauschalurteil jedenfalls nicht. Während übrigens der Altphilologe aus Bonn den Autor keiner Silbe würdigt, hat ein inzwischen emeritierter Professor es immerhin nicht unter seiner Würde gefunden, diesem eine Antwort zu schreiben und sachliche Anmerkungen zu der zugesandten Arbeit zu machen. So stellt sich jedem unbefangenen Leser spätestens hier die Frage: Wessen Vorgehen ist hier eigentlich absurd?

Damit der Leser die Frage leichter entscheiden kann, fügen wir noch die beiden letzten Gedanken des Bonner Altphilologen an, die in der „Kirchlichen Umschau“ vom Januar 2018 abgedruckt waren. „Glauben diese Leute wirklich, theologisch gebildeter, geistig weitsichtiger und spirituell frommer zu sein als jener große französische Bischof, dem der ganze Widerstand gegen das moderne Zerstörungswerk in der Kirche im wesentlichen zu verdanken ist?“

Da haben wir es wieder, das letzte und entscheidende Argument der Piusbrüder und ihrer Anhänger: DER ERZBISCHOF! Hiermit outet sich also Dr. H. L. Barth als eingefleischter Lefebvrist, denn uns ist nicht bekannt, daß man sich als Katholik in so schwerwiegenden Fragen der kirchlichen Lehre und Praxis, wie es die Frage der Gültigkeit der Bischofsweihe ist, auf eine nicht von der Kirche geprüfte und anerkannte Autorität stützen könne und dürfe. Für uns sind jedenfalls allein die Entscheidungen des unfehlbaren Lehramtes der Kirche und der heiligen Kirchenlehrer und von der Kirche anerkannten Theologen ausschlaggebend. Sodann meint der Bonner Altphilologe abschließend betonen zu müssen: „Erzbischof Marcel Lefebvre hat immer solche Radikalpositionen abgelehnt.“

Da können wir ihm allerdings nur halb Recht geben, hat doch Mgr. Lefebvre etwa in seiner Predigt zu den Bischofsweihen 1988 auf die Frage, von wem denn seine Seminaristen geweiht werden sollten, wenn der liebe Gott ihn morgen rufe, mit er rhetorischen Frage geantwortet: „Vielleicht von konziliaren Bischöfen, deren Sakramente alle zweifelhaft sind, weil man nicht genau weiß, welches ihre Intentionen sind?“ Sie hören richtig: „…alle zweifelhaft sind“. Wenn das keine Radikalposition ist! Die Bischofsweihe war halt ein Moment besonders starker Worte. Wir wollen und können uns darum den Hinweis nicht verkneifen: Was heißt hier „Radikalposition“?

„...ein endgültiges Urteil von gleichsam unversöhnlicher Logik“

Um das etwas klarer herauszuarbeiten, lassen wir DEN ERZBISCHOF selbst nochmals zu Wort kommen. Der von Dr. Barth so hochgelobte „große französische Bischof“ hat am 17. 2. 1987 folgende Gedankenreihe geäußert: „Daher glaube ich, daß wir, wie diese beiden Päpste [Pius IX. und Pius X.], streng über sie [die "Liberalen" und "Modernisten" in der "Kirche"] urteilen, aber nicht notwendig sie als außerhalb der Kirche betrachten sollen. Deshalb möchte ich nicht den ‚Sedisvakantisten‘ folgen, die sagen: Das sind Modernisten; der Modernismus ist das Sammelbecken aller Irrlehren; also sind die Modernisten Häretiker, also sind sie nicht mehr in der Gemeinschaft der Kirche; also gibt es keinen Papst mehr... Man hat solchermaßen ein endgültiges Urteil von gleichsam unversöhnlicher Logik formuliert“ („Mitteilungsblatt der Priesterbruderschaft St. Pius X.”, Nr. 103 vom Juli 1987).

Da man bei Mgr. Lefebvre immer auf die jeweilige Situation schauen muß, in der seine Worte gesprochen wurden, soll diese kurz umrissen werden: Lefebvre ist mit seiner Bruderschaft gerade wieder einmal in Romverhandlungen involviert, an deren Ende eine beiderseitige Übereinkunft und die Weihe von Bischöfen für die eigene Gemeinschaft stehen sollen. Zur Zeit also, als diese Worte gesprochen wurden, waren die Römer die Freunde und die Sedisvakantisten die Feinde, da diese natürlich grundsätzlich gegen solche Verhandlungen waren. Es ist zu beachten, eine Ideologie lebt nicht von der Wahrheit, sondern vom Feindbild. Wie etwa die Prostestanten durchaus nicht von der neu erkannten evangelischen Wahrheit lebten, wie sie vorgaben, sondern von ihrem Haß gegen die katholische Kirche. In diesem Haß war ein Martin Luther wohl kaum noch zu überbieten.

Liest man die Worte von Mgr. Lefebvre, so fällt vor allem die letzte Formulierung auf: „ein endgültiges Urteil von unversöhnlicher Logik“. Was soll bitte eine unversöhnliche Logik sein? Es gibt unversöhnliche Menschen, eine unversöhnliche Gesinnung oder Haltung, aber es gibt keine unversöhnliche Logik. Die Logik kann entweder richtig oder falsch sein, aber nicht unversöhnlich.

Eine solch psychologisierende Formulierung ist letztlich typisch für einen modernen Menschen, der immer ein Ideologe ist, und sie gilt natürlich vorwiegend dem Feind, den sog. Sedisvakantisten. Ein Ideologe weicht immer dann auf eine psychologisierende Sprechweise aus, wenn es mit der Wahrheit ernst wird, d.h. wenn die Wahrheit offensichtlich nicht zu seiner Ideologie paßt. Dann springt er jeweils ganz geschwind von der Ebene der Wahrheit auf die emotionale Ebene. Hier ist es die Frage, ob ein Modernist noch zur Gemeinschaft der Kirche gehört oder nicht. Diese Frage kann man natürlich nicht emotional lösen – wie etwa nach der Art: Der hat doch eine unversöhnliche Logik, der den armen Modernisten gleich so hart anpackt und ihn gleich exkommuniziert, den Armen! –, sondern selbstverständlich nur theologisch.

Wenn der Modernist, was offensichtlich ist, keinerlei katholischen Glauben mehr hat, dann kann er auch nicht mehr zur Kirche gehören, vielmehr hat er sich durch seinen Unglauben selbst von dieser ausgeschlossen. Diese klare Schlußfolgerung scheut der Ideologe, weil sie, wie schon gesagt, seiner Ideologie widerspricht. Würde die Schlußfolgerung seine Ideologie stützen, dann würde er sie sich sofort mit unversöhnlicher Logik zu eigen machen und dem Gegner deftig um die Ohren hauen.

Lassen wir Lefebvre seine obigen Ausführungen ergänzen: „Es scheint mir freilich, daß in dieser Art zu urteilen Leidenschaft liegt und auch ein bißchen Stolz. Beurteilen wir die Menschen und ihre Irrtümer so, wie die Päpste selbst es getan haben! Der Papst ist Modernist, das ist sicher, wie auch Kardinal Ratzinger und genug Männer in ihrer Umgebung. Aber urteilen wir über sie, wie Papst Pius IX. und der heilige Papst Pius X. über diese Leute geurteilt haben. Deshalb beten wir übrigens weiter für den Papst, deshalb bitten wir Gott, ihm die Gnaden zu gewahren, deren er bedarf zur Erfüllung seiner Aufgabe.“

Bei Mgr. Lefebvre scheint jeweils dann sein sonst recht gutes Gedächtnis versagt zu haben, wenn es ihm nützlich war. Denn die Behauptung, die Päpste Pius IX. und Pius X. hätten zwar streng über die Modernisten geurteilt, aber sie nicht notwendig als außerhalb der Kirche betrachtet, ist letztlich unwahr und zudem unsinnig.

Immerhin gibt Lefebvre kurz vorher bezüglich Papst Pius X. zu: „Der heilige Papst Pius X. faßte in seiner Enzyklika ‚Pascendi dominici gregis‘ ein ebenso strenges Urteil über den Modernismus, indem er ihn als ‚Sammelbecken aller Häresien‘ bezeichnete. Ich weiß nicht, ob man zur Verurteilung einer Bewegung noch ein strengeres Urteil fallen kann!“ Sodann meint er aber dieses Urteil wieder einschränken zu können: „Aber er hat nicht gesagt, daß hinfort alle Modernisten exkommuniziert, daß sie außerhalb der Kirche seien und daß man ihnen die Kommunion verweigern müsse. Er hat einige von ihnen verurteilt.“ Eine recht seltsame Behauptung, die natürlich nicht richtig sein kann.

Dr. Filser: Der Lefebvrismus

Hierzu ein Kommentar von Dr. Josef Filser in seinem Aufsatz „Der Lefebvrismus“, veröffentlicht in der Zeitschrift „Athanasius“, München 1.2.3./2000.

„Im weiteren zum heiligen Papst Pius X. Dieser hatte, nach vorangegangenen Äußerungen gegen modernistische Irrlehren, beim Heiligen Offizium alle aktuellen Irrlehren der Modernisten oder Reformkatholiken, wie sie sich auch nannten, zusammenstellen lassen. Nach Billigung dieser Zusammenstellung hatte er diese als Apostolische Konstitution ‚Lamentabile sane exitu‘ am 3. Juli 1907 veröffentlichen lassen. Darin wurden 65 falsche Lehraussagen der Modernisten als Syllabus, also als Verzeichnis wie Papst Pius IX. in der Form von Aussagesätzen dargestellt und als Irrlehren feierlich verworfen. Bereits 2 Monate später, am 8. September 1907, veröffentlichte Papst Pius X. seine berühmt gewordene Enzyklika ‚Pascendi dominici gregis‘, in der er insbesondere die Absichten und die Vorgehensweisen der Modernisten ausführlich darstellte und deren falsche Lehren und falsches Tun verurteilte. (Erzbischof Lefebvre bezog sich bei seinen vorgenannten Antworten allein auf diese Enzyklika!) Da die Modernisten auf diese Äußerungen des obersten Lehramts der Kirche wohl sehr rasch und sehr negativ reagierten, verstärkte Papst Pius X. seine Abwehr gegen den Modernismus und gegen die Modernisten durch eine weitreichende Entscheidung. Denn wiederum kaum mehr als 2 weitere Monate später, am 18. November 1907, erließ er ein Schreiben (Motu proprio): ‚Praestantia Scripturae‘. In dem verfügte er genau das feierlich, was Erzbischof Lefebvre ausdrücklich bestritten hatte. Wegen der besonderen Bedeutung dieser Entscheidung im Fall der Beurteilung der Modernisten sei nachstehend die ganze Entscheidung zu diesem Punkt wörtlich wiedergegeben. Sie lautet:
‚Wir haben außerdem noch die Absicht, die Geister der täglich wagemutiger werdenden Modernisten zurückzuweisen. Diese trachten danach, mittels Trugschlüssen und schlauen Kunstgriffen allem und jedem seine Bedeutung und seine Wirksamkeit zu rauben: nicht nur dem Dekret Lamentabile sane exitu, welches die Heilige Römische und Allgemeine Inquisition am 3. Juli dieses Jahres auf Unseren Befehl herausgegeben hat, sondern auch Unserer Enzyklika Pascendi dominici gregis, datiert vom 8. September dieses Jahres. Daher, kraft Unserer Apostolischen Autorität, wiederholen und bekräftigen Wir sowohl jenes Dekret der Heiligen Römischen Kongregation als auch Unsere Enzyklika durch Hinzufügung der Strafe der Exkommunikation gegen die Widersprechenden. Und Wir erklären und ordnen an: Wenn jemand – was Gott verhüten möge – so weit in seiner Verwegenheit gehen würde, daß er irgendeine von den Thesen, Meinungen und Lehrsätzen, welche in einem von beiden der von Uns oben genannten Dokumente getadelt worden ist, verteidigen wollte, so ist seine Strafe die im Abschnitt Docentes der Konstitution Apostolicae sedis auferlegte, auf die vollbrachte Tat von selbst folgende Zensur der automatisch eintretenden Exkommunikation der ersten unter denen, deren Lossprechung dem Papst in Rom schlichtweg vorbehalten ist. Diese Exkommunikation ist unter Wahrung der Strafen zu verstehen, in welche diejenigen fallen können, die sich gegen die genannten Dokumente irgend etwas zuschulden kommen lassen: diese Leute können unter die Verbreiter und Verteidiger von Häresien fallen, wenn ihre Behauptungen, Meinungen und Lehren häretisch sind: Dies ist bei den Gegnern der beiden Dokumente mehr als einmal vorgekommen, und zwar deshalb, weil sie die Irrtümer der Modernisten verteidigen, also das Sammelbecken aller Häresien.‘“

Dr. Filser macht sich die Mühe, geschichtlich aufzuzeigen, daß Mgr. Lefebvre diesen Text gekannt haben muß. Wir ersparen uns diese Mühe, denn das Gegenteil anzunehmen scheint schlichtweg absurd. Also am 17. 2. 1987, im Vorfeld der angekündigten Bischofweihen, in einer Atmosphäre der Annäherung an das modernistische Rom, wagte es Mgr. Lefebvre zu sagen: „Aber er [Papst Pius X.] hat nicht gesagt, daß hinfort alle Modernisten exkommuniziert, daß sie außerhalb der Kirche seien und daß man ihnen die Kommunion verweigern müsse. Er hat einige von ihnen verurteilt.“

Nach den Bischofsweihen von 1988, als sich die Situation wieder einmal grundlegend geändert hatte – die Verhandlungen waren gescheitert, also waren nun nicht mehr die sog. Sedisvakantisten, sondern die Römer der Feind! –, war wieder einmal die Zeit der großen Worte gekommen, und alles sah, wie Dr. Filser weiter zeigt, plötzlich ganz anders aus:

„Jetzt mußte beim Erzbischof die ganze Wahrheit zur Verteidigung herhalten. In einer Predigt am 10. Juli 1988, das heißt nur gut eine Woche nach der Exkommunikation gegen ihn und die anderen Betroffenen, trat die noch 16 Monate vorher von ihm so nachhaltig abgestrittene Wahrheit der Exkommunikation der Modernisten klar ans Licht des Tages. Der einschlägige Text in dieser Predigt ist ganz kurz und eindeutig. Er ist im Buch: ‚Damit die Kirche fortbestehe‘, S. 761 und hier im folgenden wortgenau angegeben:
‚Fragen wir uns aber, wer uns solchermaßen anklagt und warum man uns exkommuniziert? Diejenigen, welche uns exkommunizieren, sind ja bereits selbst seit langem exkommuniziert! Warum? Weil sie Modernisten sind, weil sie, selbst von modernistischem Geist, eine Kirche geschaffen haben, die dem Geist der Welt konform ist. Das aber ist jener Modernismus, der vom hl. Pius X., dem Patron der Bruderschaft, verurteilt wurde. Dieser letzte heilige Papst hat die Modernisten verurteilt und exkommuniziert. Alle diese Geister, die modernistisch sind, sind durch den hl. Pius X. exkommuniziert. Diese von modernistischen Prinzipien durchdrungenen Personen sind es, die uns exkommunizieren, wo doch sie selbst durch den heiligen Papst Pius X. exkommuniziert sind.‘“

Man ist doch etwas sprachlos, denn auf einmal weiß Mgr. Lefebvre, daß der Patron seiner Bruderschaft nicht nur den Modernismus exkommuniziert hat, sondern: „Dieser letzte heilige Papst hat die Modernisten verurteilt und exkommuniziert. Alle diese Geister, die modernistisch sind, sind durch den hl. Pius X. exkommuniziert. Diese von modernistischen Prinzipien durchdrungenen Personen sind es, die uns exkommunizieren, wo doch sie selbst durch den heiligen Papst Pius X. exkommuniziert sind.“ Er behauptet also genau das mit „unversöhnlicher Logik“, was er vor gerade mal 16 Monaten den sog. Sedisvakantisten als „unversöhnliche Logik“ vorgeworfen hatte.

Aber jetzt paßt die Wahrheit (wenigstens teilweise, wie wir noch sehen werden) zu seiner Ideologie, und er kann sie den neuen Feinden, also den Römern, um die Ohren hauen: „Diejenigen, welche uns exkommunizieren, sind ja bereits selbst seit langem exkommuniziert! Warum? Weil sie Modernisten sind, weil sie, selbst von modernistischem Geist, eine Kirche geschaffen haben, die dem Geist der Welt konform ist.“ Ganz nach Konrad Adenauer: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Darin ist auch der Unterschied zwischen Mgr. Lefebvre und den sog. Sedisvakantisten, also den Katholiken der papstlosen Zeit, festzumachen: Im Gegensatz zu Mgr. Lefebvre ändern diese nicht alle 16 Monate ihre Theologie, weil es gerade so gut zur Situation paßt. Lassen wir deswegen am besten Mgr. Lefebvre selber über sich urteilen: „Es scheint mir freilich, daß in dieser Art zu urteilen Leidenschaft liegt und auch ein bißchen Stolz.“ Vielleicht sogar ein bißchen zu viel Stolz auf seine Bruderschaft?

Aber nehmen wir Mgr. Lefebvre einmal ernst und ziehen wir nicht mit unversöhnlicher, sondern richtiger Logik – also „sine ira et studio“, wie der Lateiner sagt, ohne Zorn und Leidenschaft – den Schluß aus seinen Einsichten, den die Lehre der Kirche allein logisch richtig folgen läßt, ist doch eine Kirche mit einer komplett exkommunizierten Führungsmannschaft, den „Papst“ eingeschlossen, schon etwas mehr als nur ein Kuriosum. Dr. Filser führt seinen Gedankengang, dem wir bisher gefolgt sind, folgendermaßen zuende:

„Wer kann auf Erden die katholische Kirche leiten? Es ist in der Tat ein aberwitziger Gedanke zu glauben, daß Exkommunizierte, das heißt: aus der katholischen Kirche Ausgeschlossene eben dieser Kirche vorstehen, sie führen und leiten könnten. Genau über diesen Tatbestand ist nicht erst auf Grund des allgemeinen Glaubensabfalls in den letzten Jahrzehnten, insbesondere seit dem sogenannten 2. Vatikanischen Konzil, sondern schon vor mehr als hundert Jahren vom damaligen Papst Leo XIII. in seinem Apostolischen Rundschreiben ‚Satis cognitum – de unitate ecclesiae‘ – ganz eindeutig entschieden worden. Hier der Text:
‚Bloß derjenige kann also an Amt und Würden teilhaben, der mit Petrus verbunden ist, da es doch widersinnig ist, zu meinen: es könne jemand in der Kirche ein Vorsteheramt bekleiden, der außerhalb der Kirche ist. Aus diesem Grunde tadelte Optatus von Mileve die ‚Donatisten‘. Gegen diese Pforten (der Hölle), so lesen wir, hat Petrus die Schlüssel des Heiles empfangen: Petrus, unser Haupt, zu dem Christus gesagt hat: Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben und: die Pforten des Hölle werden sie nicht überwältigen. Wie könnt ihr also die Schlüssel des Himmelreiches für euch in Anspruch nehmen, die ihr gegen den Lehrstuhl Petri... streitet?‘…
Diese zwingende Schlußfolgerung des Papstes Leo XIII. in der vorstehend zitierten Enzyklika zieht in vielfacher Hinsicht massive Folgerungen nach sich. Zum ersten und allerwichtigsten ergibt sich daraus, daß Wojtyla [heute Bergoglio] selbstverständlich nicht wirklich Papst, nicht wirklich der Stellvertreter Jesu Christi ist und sein kann.“

Das Ende des Irrenhauses

Lassen wir diese Einsicht einfach einmal so stehen und kehren wir nochmals zu Gilbert Keith Chestertons Buch „Kugel und Kreuz“ und ins dort beschriebene Irrenhaus zurück. Wie sich jeder denken kann, wurde das Irrenhaus nach der Gesetzesänderung universal – die ganze Welt wurde zum Irrenhaus. Chesterton beschreibt am Ende seines Buches den „Dies Irae“, den Tag des Zornes.

Dieser Tag beginnt mit einer Rede des Meisters, also des Teufels, vor der ganzen versammelten Gemeinschaft. Alles ist bereitet, und als Maclan und Turnbull „auf das Anstaltsgebäude zugingen, sahen sie zu den endlosen Fensterreihen hinauf und begriffen die substantielle Drohung des Meisters. Mit Hilfe jenes komplexen, aber verborgenen Mechanismus, der wie ein Nervensystem das ganze Gebäude durchzog, waren unter jedem Fenstersims Reihen über Reihen von polierten Stahlzylindern herausgeschoben worden, jene kalten Wunderwerke des modernen Geschützwesens. Sie beherrschten den gesamten Garten und die gesamte Umgebung und hätten eine Armeeeinheit hinwegfegen können.
Diese stillschweigende Kriegserklärung hatte offensichtlich ihre durchschlagende Wirkung gezeigt. Als Maclan und Turnbull gleichmäßigen Schrittes, wenngleich langsam, zur Eingangshalle der Anstalt gingen, sahen sie, dass sich die meisten oder zumindest viele der Patienten ebenso wie die Ärzteschaft und die ganze Belegschaft von Wächtern und Assistenten bereits dort versammelt hatten...“ (G. K. Chesterton, Kugel und Kreuz, verlag nova & vetera, Bonn 2007, S. 222).

Turnbull konnte es nicht glauben, überall sah er bekannte Gesichter, wobei ihm besonders Durand auffiel, der ihm durch seine „gleichförmige, immerwährende Klarheit, seine verblüffenden, vernünftigen Ansichten über alles, seine unermessliche Begeisterung für Binsenwahrheiten, einfach weil sie wahr waren“ so unvergeßlich in Erinnerung geblieben war. Vollkommen überrascht sagte er zu sich selbst: „Verflixt noch mal, wenn er in der Anstalt ist, dann kann niemand mehr draußen sein.“

Als alle Insassen versammelt und planmäßig aufgestellt waren, begann der Meister mit seiner Rede: „Dies ist in der Tat eine gemütliche Party“, sagte er mit blitzenden Augen, kam aber nicht weiter, weil er von Mister Durand unterbrochen wurde. Dieser wies vor versammelter Mannschaft auf die offensichtlichen Ungerechtigkeiten hin, die man ihm zugefügt hatte und stellte fest: „Das Gesetz beruht auf dem Gesellschaftsvertrag. Wenn der Bürger sich jener Vergnügungen und Befugnisse beraubt sieht, die ihm selbst in einem unzivilisierten Staat zugebilligt werden würden, ist der Gesellschaftsvertrag aufgekündigt.“ Als man ihn einfach abwimmeln wollte, bestand er beharrlich auf eine Antwort: „Ich bitte Sie nur zuzugeben, dass der Gesellschaftsvertrag aufgekündigt ist, wenn derartige Dinge hinter den Standard der Barbarei zurückfallen. Es handelt sich um eine hübsche kleine theoretische Fragestellung.“
„Oh, das ist gut möglich“, sagte Hutton.
Durand verneigte sich höflich und zog sich zurück.“ (Ebd. S. 224)

Nun erst konnte der Meister mit seiner Rede fortfahren:
„Eine gemütliche Party“, resümierte der Meister spöttisch, „und doch glaube ich, dass einige von Ihnen im Unklaren darüber sind, wie wir alle zueinander gefunden haben. Ich werde es erklären, Ladies and Gentlemen; ich werde alles erklären. An wen soll ich mich besonders wenden? An Mr. James Turnbull. Er ist naturwissenschaftlich gebildet.“ …
„Es war von unserer Seite vergebens, eindringlich zu betonen, dass die Begebenheit belanglos sei; dass es viele von diesen Fanatikern gebe, viele von diesen Hinrichtungen. Wir waren gezwungen, uns der Sache gründlicher anzunehmen, sie im Geiste der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung zu untersuchen. Und mit Unterstützung von Mr. Turnbull und anderen konnten wir erfreut bekanntgeben, dass die angebliche Kreuzigung überhaupt niemals stattgefunden hat.“
Maclan hob seinen Kopf und sah den Meister fest an, aber Turnbull blickte nicht auf.
„Wir dachten, dass dies die einzige Verfahrensweise mit dem ganzen Aberglauben wäre“, fuhr der Redner fort. „Es war nötig, ihn historisch begründet zurückzuweisen, und wir waren sehr erfolgreich im Fall von Wundern und derartigen Dingen. Nun aber war zu unserer Zeit ein unglückseliger Streit ausgebrochen, der (wie Mr. Turnbull sagen würde) die Leiche des Christentums zu fiktivem Leben zu erwecken drohte – der angebliche Fall eines Exzentrikers aus den Highlands, der für die Heilige Jungfrau kämpfen wollte.“ (Ebd. S. 224f)

Unerwarteterweise rief dieser mit unversöhnlicher Logik ausgeführte Einsatz für die Heilige Jungfrau keine allgemeine Entrüstung hervor, sondern immer mehr Bewunderung. Darum mußte alles getan werden, wie der Meister erklärt, dem entgegenzuwirken. Nachdem alle Mittel versagten, hat man auf die alte überlieferte Methode zurückgegriffen: „Wir haben nach wissenschaftlichen Prinzipien die Geschichte von Maclans Herausforderung untersucht, und wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass die ganze Geschichte des beabsichtigten Duells ein Märchen ist. Es hat nie eine Herausforderung gegeben. Es hat nie einen Mann namens Maclan gegeben. Es ist eine melodramatische Legende, wie die vom Kalvarienberg.“ Nach seiner Rede blickte der Meister „sich im Raum um, wobei er lediglich seine perfekten Zähne mit der Perfektion kunstvoller Grausamkeit zeigte, und war für einen Moment begeistert von der überwältigenden Einfachheit seines Erfolgs. Sodann durchschritt er die Halle und verschwand durch eine Innentür.“ (Ebd. S. 226)

Nun, der Erfolg war doch nicht so groß, wie es sich der Meister gewünscht hatte, denn Mr. Durand hatte während der Rede „das Gebäude in Übereinstimmung mit den strengen Prinzipien des Gesellschaftsvertrags in Brand gesetzt“.

So stellt sich zu guter Letzt die Frage: Da das Irrenhaus abgebrannt ist, sind die Normalen wieder frei, aber was ist mit den Irren?