Ewigkeit im Augenblick

Jeder eifrige, ernsthafte Katholik wird sich nicht nur darum bemühen, immer tiefer in die Geheimnisse seines hl. Glaubens einzudringen, sondern immer auch zugleich danach streben, die gewonnenen Erkenntnisse zu leben. Jede wahre Gotteserkenntnis führt zu einer größeren Gottesliebe. Denn wie sollte man den Gott, der DIE LIEBE ist, besser kennen, ohne IHN mehr lieben zu wollen? Im alltäglichen Leben erweist sich aber gerade das als sehr schwierig und nicht wenige resignieren aufgrund ihrer eigenen Schwächen und geben sich mit einem Mindestmaß an Glaubenspraxis zufrieden. Die Liebe bleibt immer halbherzig.

Wie kann man dies vermeiden? Wie kann man auch unter den recht schweren gegenwärtigen Zeitverhältnissen auf dem Weg der Vollkommenheit vorwärtsstreben, ohne an seiner eigenen Schwachheit zu scheitern?

Der Jesuitenpater Jean-Pierre de Caussade hat eines der meistgelesenen religiösen Bücher der neueren Zeit geschrieben, das den Titel trägt: „Hingabe an Gottes Vorsehung“. Der bekannte französische Schriftsteller, Henri Bremond, bekennt, daß er de Caussade seine tiefsten religiösen Erkenntnisse verdanke. Ebenso schrieb der gelehrte und tieffromme englische Benediktinerabt John Chapman (1865—1933), daß ihm in den letzten Jahren seines Lebens kein geistlicher Schriftsteller so viel gegeben habe wie P. de Caussade.

P. Jean-Pierre de Caussade wurde im Jahre 1675 geboren und trat, noch nicht zwanzigjährig, in Toulouse in die Gesellschaft Jesu ein. Nachdem er 1705 zum Priester geweiht worden war, wirkte er zuerst acht Jahre als Lehrer an verschiedenen Ordensschulen. Danach begann seine rege Tätigkeit als Prediger, Exerzitienleiter und Beichtvater, die ihn während mehr als 25 Jahren kreuz und quer durch Frankreich führte. Ab 1741 war er Vorsteher der Ordenskollegien von Perpignan und Albi und zuletzt Spiritual von Theologiestudierenden in Toulouse. Dort starb er 1749 oder 1751.

Jean Pierre de Caussade S. J. (1675 bis 1751) gehört zu der berühmten klassischen Schule des Frömmigkeitslebens in Frankreich im 17. Jahrhundert. Obwohl der Hauptteil seines Lebens bereits ins 18. Jahrhundert fällt, fußt sein religiöses Denken dennoch ganz auf den Meistern des 17. Jahrhunderts, nämlich den Jesuiten Lallemant, Surin und Rigoleuc. In all seinen persönlichen Aufgaben war das Trachten und Sehnen von P. de Caussade ganz auf Gott gerichtet. Darum läuterte ihn sein inneres Ringen und Opfern immer mehr und machte ihn zum begnadeten Seelenführer und ungewollt zu einem der größten und einflußreichsten geistlichen Schriftsteller aller christlichen Jahrhunderte, denn außer einer anonym erschienenen Schrift über die verschiedenen Stufen des Gebetes nach der Lehre von Bossuet hat P. de Caussade nichts veröffentlicht. Sonst ist P. de Caussade schriftstellerisch nicht hervorgetreten. Eine Zeitlang war er jedoch Beichtvater im Kloster der Heimsuchung in Nancy, wo seine allwöchentlichen religiösen Vorträge von den Schwestern fleißig nachgeschrieben und gesammelt wurden. Außerdem schrieb P. de Caussade eine ganze Reihe von Seelsorgebriefen an die Schwestern des Klosters, die ebenfalls gesammelt und handschriftlich in den Klöstern der Heimsuchung verbreitet wurden. So hatte es der Stifter des Ordens, der heilige Franz v. Sales, selber angeregt.

Leider blieben all diese Niederschriften hundert Jahre verschollen. Erst P. Ramière S. J. sammelte und ordnete die verschiedenen Manuskripte. Sie erschienen 1861 unter dem Titel: L`Abandon à la Providence Divine (Hingabe an die göttliche Vorsehung).

Alle erhaltenen Brieftexte von P. de Caussade zeigen, daß die Grundlage seiner persönlichen Seelenführungsmethode vor allem ein Gedanke war, nämlich die Hingabe an die Führung der göttlichen Vorsehung. Diese Hingabe ist in seinen Briefen bald gezeichnet als eine Tugend, zu der alle Christen verpflichtet sind, bald aber auch als dauernde Grundhaltung jener Menschen, die Gott zu einer besonders treuen und innigen Gefolgschaft berufen hat. P. de Caussade ermunterte seine Seelenkinder dazu, sich immer mehr in das Geheimnis der göttlichen Vorsehung hineinzubeten und hineinzuleben, denn in jedem Augenblick ist eine ganze Ewigkeit verborgen. Darum könnte man den Leitgedanken dieses großen Seelenführers wohl am besten überschreiben mit: Ewigkeit im Augenblick.

Ewigkeit im Augenblick

Die Theologen machen im Hinblick auf die Vorsehung Gottes eine wichtige Unterscheidung: Soweit sie sich auf die Allgemeinheit erstreckt, sprechen sie von der Providentia generalis, von der allgemeinen Vorsehung; sofern sie sich auf den einzelnen Menschen bezieht, reden sie von der Providentia specialis, von der besonderen oder individuellen Vorsehung.

Während die meisten Katholiken keine Schwierigkeit haben sollten, an die allgemeine Vorsehung Gottes zu glauben, durch welche Gott die Welt lenkt, dürfte es mit der besonderen Vorsehung schon anders sein. Glauben wir wirklich, daß Gott unser Leben nicht nur im allgemeinen, nicht nur aus der Ferne, nicht nur dann und wann, sondern immer bis in die kleinste Kleinigkeit hinein lenkt? Das ist es nämlich, was unser hl. Glaube sagt: Gott kümmert sich um mich als einzelne Person – und nicht nur um mich, sondern um jeden anderen Menschen auf dieser weiten Erde. Dabei kümmert ER sich um jeden einzelnen und lenkt sein Lebensgeschick, ohne die Freiheit des Geschöpfs aufzuheben. Durch die besondere Vorsehung wird mein Leben nicht zu einem unentrinnbaren Schicksal, sondern es bleibt in meiner freien Verantwortung. In diesem Sachverhalt spiegelt sich das große Geheimnis der Wirksamkeit der Gnade.

Die Lehre von der Existenz einer göttlichen Vorsehung gehört zu den Fundamenten unseres christlichen Glaubens. In gewisser Hinsicht kann man sogar sagen, sie stellt den Kern der ganzen christlichen Lehre dar. Denn jede Religion ist letztlich dadurch charakterisiert, daß sie ein bestimmtes Grundverhältnis zwischen Gott und Mensch lehrt. Für unseren hl. Glauben ist das Grundverhältnis zwischen Gott und Mensch das Verhältnis des Vaters zu seinem Kind: Gott ist unser aller Vater, der für das Wohl aller und jedes einzelnen besorgt ist, und der Mensch ist ein Kind Gottes, das sich in Glaube, Vertrauen und Liebe dem himmlischen Vater und Seiner Führung vollkommen anvertrauen soll.

Allein schon durch dieses grundlegende Verhältnis Gottes zu Seinem Geschöpf unterscheidet sich das Christentum von allen andern Religionen der Welt. Durch dieses Kind-Vater-Verhältnis ist es zudem über die Frömmigkeit des Alten Bundes hinausgewachsen. Es hebt sich dadurch natürlich am schärfsten ab von allen Formen des Atheismus und des Unglaubens der heutigen Zeit, da es für diese weder einen Gott noch ein Walten Gottes in der Welt noch den Menschen als Geschöpf und Kind Gottes gibt.

Was die Heilige Schrift, die Väter, Kirchenlehrer, Gottesgelehrte und Heilige allgemein von der fundamentalen Bedeutung des Glaubens für das christliche Leben zu sagen wissen, gilt natürlich auch von seiner konkretesten Spielart, vom Vorsehungsglauben. Unser ganzes theologisches Glaubensgebäude, der ganze Organismus unserer Glaubenswelt tritt in unser Leben ein durch den praktischen Vorsehungsglauben. Wer diesen nicht wieder und wieder lehrt, der sorgt dafür, daß die Wurzel des Baumes krank und immer kränker wird. Darum muß unsere brennendste Frage sein: Wie tritt mir persönlich der lebendige Gott entgegen? Den unsichtbaren Gott da und dort im hl. Sakrament empfangen und im Herzen tragen, das mag alles recht und gut sein, aber das Kardinalstück des heutigen Lebens, die Kernprobe unserer Religion, unseres hl. Glaubens, muß der praktische Vorsehungsglaube sein.

Das Leben aus dem Vorsehungsglauben ist schlechthin der Ausdruck, die Probe, ja die Hochblüte und Sicherung des gesamten Glaubenslebens. Daraus muß man wiederum schließen: Wer unseren Vorsehungsglauben schwächt, bringt unser ganzes Glaubensgebäude in Erschütterung. Wer ihn hingegen stärkt, der belebt und beseelt das gesamte Glaubensleben.
Der hl. Augustinus erklärt: „Religion ist überhaupt undenkbar, wenn man nicht wenigstens das Eine glaubt, daß eine göttliche Vorsehung sorgend über unserer Seele wacht.“ Und Laktanz sagt: „Gott und die Vorsehung gehören so innig zusammen, daß sie ohne einander nicht existieren, nicht gedacht werden können. Wer die Vorsehung leugnet, leugnet damit Gott, und wer glaubt, daß es einen Gott gibt, muß auch an die Vorsehung glauben.“

Sobald man das etwas eingehender erwägt, wundert es einen nicht, daß alle großen christlichen Führer der Völker Helden des Vorsehungsglaubens waren und die härtesten Glaubensproben gerade auf diesem Gebiet bestehen mußten. Denken wir etwa an Abraham! Als Träger der großen Verheißungen des auserwählten Volkes hält er in allem, auch den verzweifeltsten Lagen ohne Wanken und Schwanken gläubig fest, daß seine Nachkommenschaft zahlreich sein wird wie der Sand am Meer. Er glaubt unerschütterlich, seine Nachkommen werden das gelobte Land, das von Milch und Honig fließt, als Eigentum besitzen, und daß aus ihnen der Erlöser hervorgehen wird. Dieser Glaube wird auch dann nicht erschüttert, als Gott ihn die Heimat verlassen und in die Fremde wandern heißt und selbst dann immer noch nicht, als er auf den hl. Berg steigt und bereit ist, seinen einzigen Sohn auf Gottes Geheiß hin zu opfern, auch wenn dadurch – menschlich gesprochen – jede Aussicht auf Erfüllung der göttlichen Verheißung ausgeschlossen wird. Es ist für ihn selbstverständlich, daß Gottes Wege nicht unsere Wege sind und daß menschliches Klügeln die göttliche Unbegreiflichkeit nicht zu durchdringen vermag. Kardinal Newman schreibt deshalb über ihn: „Abraham scheint etwas überaus Edles und Hochherziges an sich gehabt, scheint die Gabe besessen zu haben, das Unsichtbare wie gegenwärtig, das Gedachte wie verkörpert vor sich zu sehen. Er folgte dem Winke Gottes in das Dunkel der Zukunft ebenso rasch, ebenso entschlossen, ebenso freudigen Herzens und sicheren Schrittes, als wandelte er im hellsten Tageslichte. Darin liegt etwas unleugbar Großes, und deshalb nennt der heilige Apostel Paulus Abraham unseren Vater, den Vater der Christen ebenso wie den der Juden. Denn wir sind ja in besonderer Weise gehalten, im Glauben zu wandeln und nicht im Schauen, werden gesegnet im Glauben, gerechtfertigt durch den Glauben wie der gläubige Abraham.“

Seither scheinen alle, die ähnlich wie Abraham berufen sind, Vater oder Mutter vieler Völker zu werden, in diese harte Schule des Vorsehungsglaubens genommen zu werden. Das darf für uns durchaus eine Beruhigung und ein Trost sein!

Kommen wir nun zurück zu P. de Caussades Schrift „Hingabe an Gottes Vorsehung“. Nach P. de Caussade besteht die ganze Vollkommenheit eines Menschen zunächst darin, sich selber in jedem Augenblick rückhaltlos Gottes Willen und Gnadenführung hinzugeben und stets in vollkommener Übereinstimmung mit Gottes Willen zu handeln.

Dabei verwendet P. de Caussade bei der Ausfaltung dieser Lehre einen Gedanken, den er in immer neuen Wendungen betont, nämlich: In den vergangenen Augenblicken meines Lebens kann ich Gottes Willen nicht mehr erfüllen, weil sie alle bereits unwiederbringlich vorüber sind. Ebenso ist auch die Zukunft noch nicht so in meine Gewalt gegeben, daß ich jetzt schon, zum voraus Verdienste erwerben könnte. Einzig der stets flüchtige, gegenwärtige Augenblick gibt mir die Möglichkeit, an meiner Vervollkommnung und Heiligung zu arbeiten, d. h. mich völlig Gottes Willen hinzugeben, mich in rückhaltlos liebender Übergabe in Gottes heiligen Willen einzubetten. Daher besteht meine ganze Vollkommenheit darin, daß ich im gegenwärtigen Augenblick in uneingeschränkter Übereinstimmung mit dem Willen Gottes bin und entsprechend handle. P. de Caussade formuliert diese Gedanken einmal in seiner schönen Sprache so: „Bei der Hingabe bildet der gegenwärtige Augenblick die einzige Richtschnur. Die Seele verhält sich dabei leicht wie eine Feder, flüssig wie Wasser, schlicht wie ein Kind. Sie bleibt beweglich wie ein Ball, um jeden Antrieb der Gnade zu empfangen und auszuführen. Flüssigem Metall gleich, weisen solche Seelen keinen Widerstand und keine Härten mehr auf. Wie dieses alle Formen des Modells annimmt, in den man es gießt, so nehmen sie widerstandslos alle Formen an, die Gott ihnen geben will. Ihre Haltung gleicht der Luft, die jedem Windhauch offen steht; sie gleicht dem Wasser, das sich an jedes Gefäß anschmiegt.“

Aus dieser Einsicht ergibt sich unsere Pflicht des Gottvertrauens trotz aller persönlichen Enttäuschungen und Niederlagen der Vergangenheit und trotz aller Angst und Verzagtheit vor den Aufgaben und Prüfungen der Zukunft. Jeder gegenwärtige Augenblick mit all seinen vielfachen freudigen und unangenehmen Umständen ist für mich nämlich nichts weniger als die Entschleierung des göttlichen Willens. P. de Caussade zögert daher nicht, die konkreten Gegebenheiten jeder Minute geradezu „das Sakrament des gegenwärtigen Augenblicks“ zu nennen. Denn, gleichwie Gott uns seine sakramentalen Gnaden unter den äußeren, sinnenfälligen Zeichen seiner sieben heiligen Sakramente mitteilt, genauso enthüllt er uns in einem allgemeineren Sinne seinen heiligen Willen unter den äußeren Umständen und Geschehnissen in jedem Augenblick unseres Lebens. Für P. de Caussade kommt es daher gar nicht darauf an, daß ich einen strahlenden Grad der Heiligkeit erlange, daß ich einen Erfolg meiner natürlichen und übernatürlichen Anstrengungen sehe, oder daß ich den besten und frohesten Weg des Fortschritts gehe, sondern es kommt einzig darauf an, in jedem Augenblick Gottes Willen zu erfüllen. Warum sollte ich nicht auch bereit sein, in Dunkel, Zweifel und Angst zu wandeln, solange ich aus meinem Glauben heraus die friedvolle Gewißheit habe, daß es Gottes Wille ist, mich gerade jetzt in Dunkelheit, Zweifel und Angst zu bewähren?

„Es ist kennzeichnend für die Hingabe, daß sie immerfort ein geheimnisvolles Leben führt. Indem sie die gewöhnlichen, natürlichen und rein zufälligen Gegebenheiten des Alltagsgeschehens benützt, empfängt sie von Gott ungewöhnliche und wunderbare Gaben. Die schlichteste Predigt, die gewöhnlichste Unterhaltung, das einfältigste Buch kann für solche Seelen kraft Gottes Anordnung zu einem Quell tiefster Einsicht und Weisheit werden. Darum heben solche Seelen sorgfältig die Brosamen auf, über die starke Geister hinwegschreiten. Alles ist für sie kostbar; alles bereichert sie. Sie haben eine unaussprechliche Bereitschaft für alles und jedes und vernachlässigen nichts, sondern achten alles und ziehen ihren Nutzen daraus.“

Wie selten denken wir daran, daß wahrlich jeder Augenblick eine Ewigkeit birgt? Das gelingt uns höchstens einmal bei außerordentlichen Geschehnissen, die einen direkten Eingriff Gottes in unser Leben offenbaren. Da werden wir dann plötzlich wach und bewundern Gottes Vorsorge und Güte und danken IHM für Seine wunderbaren Gnaden.

Meistens jedoch gehen wir blind durch unser Leben. Augenblick für Augenblick lassen wir verstreichen, ohne die darin verborgene Ewigkeit wahrnehmen zu können. Wie viele Gnaden lassen wir auf unserem Lebensweg liegen? Sicherlich unzählige! P. de Caussade möchte uns durch seine Gedanken wachrütteln, er möchte unsere Augen öffnen, damit sie den unter jedem Augenblick verborgenen Gnadenschatz sehen lernen, um ihn zu heben. Ein solches Leben ist unvorstellbar schön und reich – weil es voller Ewigkeiten ist. Aber lassen wir nun den großen Seelenführer selbst zu Wort kommen. (Alle Texte sind genommen aus: Licht vom Licht, Eine Sammlung geistlicher Texte, Bd. II, P. J. – P. De Caussade S.J., Hingabe an Gottes Vorsehung, Benzinger Verlag, Einsiedeln / Köln 1945, S. 53ff).

2. Kapitel
DAS GÖTTLICHE WIRKEN ARBEITET UNABLÄSSIG DARAN,
DIE SEELEN ZU HEILIGEN

1. Das göttliche Wirken ist allerorten und immer gegenwärtig, obwohl es bloß vom Auge des Glaubens wahrgenommen wird.

Alle Geschöpfe leben in Gottes Hand. Zwar nehmen die Sinne bloß das Wirken der Geschöpfe wahr; doch der Glaube sieht in allem Gott wirken. Er glaubt, daß Jesus Christus in allem weiterlebt und über die Jahrhunderte hinweg tätig ist; daß der flüchtigste Augenblick und das kleinste Stäubchen einen Teil dieses verborgenen Lebens und dieser geheimnisvollen Tätigkeit enthalten. Die Tätigkeit der Geschöpfe gleicht einem Schleier. Er bedeckt die tiefen Geheimnisse des göttlichen Wirkens. Nach seiner Auferstehung überraschte Jesus seine Jünger mit Erscheinungen. Er zeigte sich ihnen in fremder Gestalt. Doch sobald er sich enthüllt hatte, verschwand er. Dieser gleiche fortlebende und fortwirkende Jesus überrascht noch heute Seelen, deren Glaube nicht rein und hellsichtig genug ist.
Kein Augenblick verrinnt, wo sich Gott nicht in Gestalt irgendeiner Unannehmlichkeit, einer Tröstung oder einer Pflicht kundgäbe. Alles, was in uns, um uns und durch uns geschieht, enthält und verhüllt sein göttliches Wirken. Wahrhaft und wirklich ist es darin vorhanden, wenn auch mit unsichtbarer Gegenwart. Daher kommt es, daß wir immer überrascht sind und erst, wenn es vorüber ist, erkennen, daß Gott in uns wirkte. Könnten wir durch den Schleier hindurchsehen und hätten wir genügsam acht, offenbarte sich uns Gott unablässig. In allem, was uns zustößt, nähmen wir dann sein Wirken wahr. Allem gegenüber sagten wir: Dominus est — Es ist der Herr. Und in jeder Lebenslage fänden wir, daß wir eine Gabe Gottes empfangen. Die Geschöpfe kämen uns dann als gebrechliche Werkzeuge in der Hand eines allmächtigen Werkmeisters vor. Gerne gäben wir zu, daß uns nichts abgeht, und daß Gottes unaufhörliche Sorge um uns ihn veranlaßt, uns jeden Augenblick das Richtige zuzustellen. Hätten wir Glauben, wir wären froh über alle Geschöpfe. Wir liebkosten sie und erwiesen uns ihnen innerlich dankbar, weil sie, von Gott gehandhabt, unserer Vervollkommnung dienen und sie trefflich fördern.
Führten wir stets ein Glaubensleben, so würde unser Umgang mit Gott nie abreißen. Wir unterhielten uns mit ihm von Mund zu Mund. Was die Luft für die Übertragung unserer Gedanken und Worte bedeutet, das bedeutete dann unser Tun und Leiden für Gottes Gedanken uns gegenüber. Alles wäre ein Sprecher Gottes. In allem erschienen uns seine Gedanken. Alles käme uns heilig, alles vorzüglich vor. Die Glorie bringt diese Vereinigung im Himmel zustande; der Glaube stellte sie schon auf Erden her. Nur die Art und Weise wäre verschieden.
Der Glaube waltet als Wortführer Gottes. Wer von ihm unerleuchtet ist, versteht nichts von der Sprache der Geschöpfe. Er sieht nur rätselhafte, scheinbar verworrene Zeichen, eine Dornhecke, aus der man Gottes Stimme nicht vermutet. Doch der Glaube zeigt uns, wie einst dem Moses, daß das Feuer der göttlichen Liebe mitten aus den Dornen schlägt. Er gibt uns den Schlüssel zur Entzifferung der Rätsel Gottes in die Hand und läßt uns im Wirrwarr dieser Welt die Wunder seiner überirdischen Weisheit erblicken. Der Glaube verleiht der ganzen Welt ein himmlisches Gesicht. Er hebt das Herz empor; er entrückt es zum Wandel im Himmel.
Der Glaube ist das Licht der Zeitlichkeit. Er allein erfaßt die Wahrheit, ohne sie zu schauen; er berührt sie, ohne sie zu fühlen; er betrachtet diese ganze Welt, als bestünde sie nicht, indem er etwas ganz anderes sieht, als was obenauf liegt. Er ist der Schlüssel zur Schatzkammer, der Schlüssel zum Abgrund, der Schlüssel zur Wissenschaft Gottes. Der Glaube überführt alle Geschöpfe der Lüge. Durch ihn offenbart und enthüllt sich Gott in allen Dingen. Der Glaube vergöttlicht sie, er lüftet den Schleier, er legt die ewige Wahrheit bloß.
Alles, was wir sehen, ist eitel Lüge; die Wahrheit der Dinge ruht in Gott. Welche Kluft gähnt zwischen Gottes Gedanken und unsern Wahnbildern! Ständig macht man uns aufmerksam, daß alles, was in der Welt vor sich geht, lauter Schatten, Vorbild, Glaubensgeheimnis sei. Und dennoch benehmen wir uns immer noch rein menschlich und unterliegen ganz dem Einfluß der natürlichen Seite der Dinge, die doch nur ein Rätsel ist. Wir laufen wie Narren in die Falle, anstatt unsere Augen zu erheben und zum Ursprung, zur Quelle, zum Anfang der Dinge zurückzukehren: wo alles einen andern Namen trägt, andere Eigenschaften besitzt, wo alles übernatürlich, göttlich, heiligend ist, wo alles Teil der Fülle Jesu Christi ausmacht, Baustein des himmlischen Jerusalem ist, zu diesem Wunderbau gehörig und in ihn einführend. Wir leben dermaßen im Bann von Sehen und Fühlen, als gäbe es kein Glaubenslicht. Und doch würde es uns im Irrgarten so mannigfacher Finsternis und Rätsel sicher führen. Nun aber gehen wir in diesem Garten irre wie Toren, weil wir uns nicht vom Glauben lenken lassen, der nur Gott will und das, was Gott will; der immer von ihm lebt; der das Bild liegen läßt und darüber hinausdringt.

7. Die göttliche Liebe schenkt sich uns durch alle Geschöpfe. Sie wird uns jedoch von ihnen verhüllt mitgeteilt, ähnlich wie von den sakramentalen Gestalten.

Es gibt erhabene Wahrheiten, die sogar vor dem Auge der Christen, die sich am meisten erleuchtet glauben, verborgen sind. Wie wenige unter ihnen sehen ein, daß jedes Kreuz, jede Auswirkung und jede Lockung von Gottes Anordnungen diesen auf eine Weise mitteilt, die sich am besten durch einen Vergleich mit dem erhabenen Geheimnis des Altarsakramentes veranschaulichen läßt. Was aber überträfe dieses an Sicherheit? Offenbaren uns jedoch Vernunft und Glaube die wirkliche Gegenwart der göttlichen Liebe in allen Geschöpfen und in allen Geschehnissen dieses Lebens nicht ebenso sicher, wie uns das Wort Christi und der Kirche die Gegenwart des heiligen Leibes unter den eucharistischen Gestalten verbürgt? Wissen wir nicht, daß sich die göttliche Liebe durch alle Geschöpfe und Ereignisse mit uns vereinigen will? Daß sie nur deswegen alles, was uns umgibt und uns zustößt, hervorruft, anordnet oder erlaubt, damit wir zu dieser Vereinigung gelangen, die allein sie bezweckt? Daß ihr dazu die schlimmsten wie die besten Geschöpfe dienen, die ärgerlichsten Vorkommnisse wie die angenehmsten? Daß unsere Vereinigung mit Gott in dem Maße an Verdienstlichkeit gewinnt, als die Mittel dazu uns mehr anwidern? Wissen wir das nicht? Wenn es sich aber so verhält, was steht dann noch im Wege, daß jeder Augenblick unseres Lebens eine Art Kommunion mit der göttlichen Liebe sei, und daß diese Kommunion jeden Augenblick in unserer Seele ebensoviel hervorbringe wie die uns den Leib und das Blut des Gottessohnes anvertraut? Zwar kommt dieser eine sakramentale Wirkung zu, die jener abgeht. Doch wieviel häufiger läßt sich jene erneuern und wie verdienstlich kann sie werden, wenn sie mit einer vollkommenen Seelenverfassung empfangen wird! Es stimmt also, daß das heiligste Leben in seiner Schlichtheit und scheinbaren Niedrigkeit von Geheimnissen umwittert ist. Ein fortwährendes Fest- und Gastmahl; ein Gott, unablässig gegeben und unablässig empfangen in allem, was auf Erden Schwäche, Torheit und Nichts heißt! Gott wählt das aus, was vom natürlichen Empfinden zurückgewiesen und von der menschlichen Klugheit umgangen wird. Gott läßt daraus Geheimnisse, Sakramente der Liebe erstehen. Durch das, was scheinbar den Seelen am meisten abträglich ist, schenkt er sich ihnen in dem Maß, als sie ihn darin zu finden glauben.

8. Die Offenbarung, die im gegenwärtigen Augenblick liegt, ist uns so ersprießlich, weil sie sich unmittelbar an uns wendet

Nur Worte, die Gott eigens für uns spricht, erleuchten uns wirklich. Nicht das Lesen von Büchern, noch das neugierige Blättern in den Seiten der Geschichte vermittelt uns die Wissenschaft Gottes. Solche Hilfsmittel führen an sich bloß zu einem eitlen, verschwommenen Wissen, das aufbläht. Was uns von Augenblick zu Augenblick begegnet, das belehrt uns. Es schenkt uns die Erfahrungserkenntnis, die sogar Jesus Christus sich aneignen wollte, bevor er sein Lehramt antrat. Nur in dieser Hinsicht konnte er noch zunehmen, gemäß der Versicherung des heiligen Evangeliums. Als Gott besaß er das rein erkenntnismäßige Wissen unbeschränkt. Vermochte nun die genannte Erfahrungserkenntnis sogar dem menschgewordenen Gottessohn etwas zu bringen, so ist sie uns völlig unentbehrlich, wollen wir Leuten, die Gott uns zusendet, zu Herzen reden.
Nur das kennt man gründlich, was man leidend oder handelnd aus der Erfahrung schöpfte. Darin hält der Heilige Geist Schule, wenn er Worte des Lebens an unser Herz richtet. Alles, was man andern sagt, muß aus dieser Quelle kommen. Was man liest und sieht, wird erst zur göttlichen Wissenschaft durch die Fruchtbarkeit, die Kraft und das Licht, die vom Erworbenen herrühren. Der Teig braucht die Hefe und das Salz der Erfahrung. Wer nur verschwommene Vorstellungen ohne dieses Salz besitzt, der gleicht einem Traumwandler, der zwar den Weg durch die verschiedensten Städte findet, sich aber auf dem Heimweg zur eigenen Wohnung verirrt.
Es gilt also, Gott von Augenblick zu Augenblick anzuhören, will man in der Tugendtheologie, die ganz im Leben und in der Erfahrung wurzelt, bewandert werden. Laß liegen, was andern gesagt wird; höre an, was dir gesagt wird und für dich gesagt wird. Es liegt genug darin, um deinen Glauben zu erproben. Denn dieses innere Sprechen Gottes prüft ihn, reinigt ihn, steigert ihn, gerade weil es dunkel ist.

9. Aus der Offenbarung des gegenwärtigen Augenblicks sprudelt unaufhörlich die Heiligkeit hervor.

O ihr alle, die ihr dürstet, wisset, daß ihr die Quelle der lebendigen Wasser nicht weit zu suchen braucht. Sie sprudelt neben euch, im gegenwärtigen Augenblick. Beeilt euch, ihr nahezutreten. Da die Quelle neben euch fließt, warum wollt ihr euch auf der Suche nach Rinnsalen ermüden? Diese peitschen den Durst nur auf. Sie spenden das Wasser bloß kärglich. Die Quelle allein fließt immerfort. Wollt ihr den Propheten, den Aposteln und Heiligen gleich denken, schreiben und reden, so überlaßt euch, wie sie, der göttlichen Einwirkung.
O unbekannte Liebe, man hält deine Wunder für versiegt! Anscheinend können wir nur noch deine früheren Leistungen nachahmen, deine einstigen Reden wiederholen. Man sieht gar nicht, daß dein unerschöpfliches Wirken zur unversiegbaren Quelle neuer Gedanken, neuer Leiden, neuer Taten, neuer Patriarchen, neuer Propheten, neuer Apostel, neuer Heiliger wird, die einander weder das Leben noch die Schriften kopieren müssen. Wohl aber müssen sie in ständiger Hingabe an dein geheimes Wirken leben. — Immerfort wird uns wiederholt: Die ersten Jahrhunderte, die Zeiten der Heiligen! — Welche Redeweise! Zieht sich Gottes Wirken nicht durch alle Zeiten hin; strömt es nicht jedem Augenblick zu, um ihn zu erfüllen, zu heiligen, übernatürlich zu gestalten? Gab es je eine frühere Weise, sich seiner Einwirkung zu überlassen, die nicht auch neuzeitlich wäre? Besaßen die Heiligen der ersten Zeiten ein anderes Geheimnis als das, jeden Augenblick zu werden, was dieses göttliche Wirken aus ihnen machen wollte? Und wird dieses göttliche Wirken bis zum Weltenende je aufhören, seinen Glanz über Seelen auszugießen, die sich ihm rückhaltlos überlassen?
Teure Liebe, anbetungswürdig, ewig und ewig fruchtbar und immer wunderbar! O Wirken meines Gottes, du bist mir Buch, Lehre und Wissen; in dir ruhen meine Gedanken, meine Worte, meine Handlungen, meine Kreuze! Nicht durch Befragen deiner andern Werke werde ich, was du aus mir machen willst. Nein, dadurch geschieht es, daß ich dich in allen Dingen empfange: auf diesem einzigen, königlichen Weg. Uralt ist er und wurde schon von meinen Vätern beschritten. Wie sie werde ich denken, wie sie erleuchtet sein und reden. In diesem Sinn ahme ich sie alle nach, wiederhole ich sie und werde ich ihnen ähnlich.

10. Im gegenwärtigen Augenblick tut sich der Name Gottes kund und kommt sein Reich.

Der gegenwärtige Augenblick gleicht einem Gesandten, der den Auftrag Gottes übermitteln soll. Das Herz spricht dabei fortwährend sein Fiat — Mir geschehe. So zieht sich die Seele durch alle Geschehnisse in ihr Inneres zurück und nähert sich damit ihrem Ziel. Nie hält sie dabei inne. Bei jedem Wetter und Wind schreitet sie weiter. Alle Wege und Weisen führen sie gleichermaßen in die Weite und in die unendliche Tiefe. Alles dient ihr als Mittel. Alles handhabt sie unterschiedslos als Werkzeug der Heiligkeit. Das einzig Notwendige sieht sie stets im Gegenwärtigen. Es handelt sich für sie nicht mehr um Gebet oder Schweigen, um Zurückgezogenheit oder Umgang mit andern, um Lesen oder Schreiben, Nachdenken oder Ablassen davon, Aufsuchen oder Flucht gleich-gesinnter Frommer, Überfluß oder Mangel, Gesundheit oder Krankheit, Leben oder Tod: ihr geht es einzig noch um das, was jeder Augenblick auf Gottes Anordnung hin mitbringt. Das bedeutet freilich Entäußerung, Selbstverleugnung, Verzicht auf das Geschaffene — tatsächlichen Verzicht oder wenigstens der Gesinnung nach. Nichts mehr erstrebt die Seele aus eigenem Antrieb und um ihrer selbst willen. In allem sucht sie nur der Anordnung Gottes zu folgen, und zwar Gott zulieb. Ihr einziges Genügen besteht darin, den gegenwärtigen Augenblick zu übernehmen, als hätte sie sonst nichts zu suchen auf dieser Welt.
Wenn alles, was einer gotthingegebenen Seele zustößt, das einzig Notwendige ist, so kann ihr begreiflicherweise nichts fehlen und sie hat sich nie zu beklagen. Täte sie es doch, verriete das einen Mangel an Glauben, und sie ließe sich von der bloßen Vernunft und den Sinnen leiten. Nie werden ja diese verstehen können, daß die Gnade allein genügen kann. Deshalb sind sie unzufrieden. Den Namen Gottes heiligen, heißt im Sinne der Schrift, Gottes Heiligkeit anerkennen, sie in allen Dingen heben und anbeten. Tatsächlich gehen die Dinge aus dem Munde Gottes wie Worte hervor. Was Gott im Augenblick tut, stellt einen göttlichen Gedanken dar, der von einem geschaffenen Ding ausgedrückt wird. So sind alle Dinge, durch die er uns seinen Willen kundgibt, ebenso viele Laute und ebenso viele Wörter, in denen er uns zu verstehen gibt, was er will. Dieser Wille ist in sich eins. Er besitzt einen einzigen, unbekannten und unaussprechlichen Namen. Aber in seinen Wirkungen verzweigt er sich unbegrenzt. Sie alle bilden ebenso viele Namen, die er trägt. Den Willen Gottes heiligen besagt, das unaussprechliche Wesen, das Gott heißt, anerkennen, anbeten und lieben. Es bedeutet ferner, seinen anbetungswürdigen Willen jeden Augenblick und in jeglicher Wirkung anerkennen, anbeten und lieben. Als bloße Schleier, Schatten, Benennungen dieses ewig heiligen Willens erscheint dabei all dies. Heilig ist dieser Wille in all seinen Werken, heilig in allen Worten, heilig in allen Erscheinungsweisen, heilig in allen Namen, die er trägt.
So hat einst Job den Namen Gottes gespriesen. Sein ungeheures Elend, worin er den Willen Gottes sah, wurde von diesem gottseligen Manne gepriesen. Nicht eine Katastrophe, sondern einen Namen Gottes nannte er es. Bei seinem Lobpreis beteuerte er, dieser göttliche Wille, der sich in schrecklichster Gestalt kundgab, sei heilig, möge er heißen und sich kundtun, wie er wolle. Auch David lobte diesen Willen allerorten und jederzeit. Indem wir also beständig den Willen Gottes in den Dingen wahrnehmen, indem er darin erscheint und sich offenbart, herrscht Gott in uns, vollbringt er auf Erden, was er im Himmel vollbringt, nährt er uns unablässig. In der Hingabe an Gottes Willen liegt das Mark des unvergleichlichen Gebetes, das uns Jesus Christus gelehrt hat. Auf Gottes und der Heiligen Kirche Anordnung hin wiederholt man es mündlich mehrmals im Tag. Wer aber gern erduldet und vollbringt, was dieser anbetungswürdige Wille anordnet, der verrichtet es unaufhörlich in seinem Herzen. Was der Mund nur Silbe für Silbe und Wort für Wort hervorbringt, das betet das Herz in Wahrheit jeden Augenblick. Die schlichten Seelen sind so berufen, Gott auf diese Weise tiefinnerlich zu preisen. Dabei empfinden sie schmerzlich, wie sie außerstande sind, es genugsam zu tun. Denn Gott verleiht diesen glaubensvollen Seelen Gnaden und Gunsterweise gerade in dem, was durchaus nicht darnach aussieht. Das Geheimnis der göttlichen Weisheit hegt ja darin, das Herz zu bereichern durch die Verarmung der Sinne; und das um so mehr, als diese sich schmerzlicher leer fühlen.
Was der Augenblick bringt, trägt den Stempel des Willens Gottes und seines anbetungswürdigen Namens an sich. Heilig ist dieser Name. Billig ist es deshalb, seinen Träger zu preisen und ihn als eine Art Sakrament zu betrachten, das aus innerer Kraft die Seelen heiligt, die ihm kein Hindernis in den Weg legen. Kann man dem Träger dieses hochheiligen Willens anders als mit grenzenloser Hochschätzung begegnen? Er bildet ein göttliches Manna vom Himmel, das ständig in der Gnade zunehmen läßt. Ein Reich der Heiligkeit kommt mit ihm in die Seele. Er ist das Brot der Engel, das auf Erden wie im Himmel genossen wird. Nichts Kleines bergen unsere Augenblicke, da alle ein Reich der Heiligkeit, eine Speise der Engel enthalten.
Ja, Herr, möge dieses Reich in mein Herz kommen, um es zu heiligen, zu reinigen, mich über meine Feinde obsiegen zu lassen! Kostbarer Augenblick! Klein bist du in den Augen der Welt; doch groß im Auge, das der Glaube erleuchtet. Wie dürfte ich als geringfügig ansehen, was in den Augen meines Vaters, der im Himmel herrscht, groß ist! Alles, was von dort herrührt ist sehr gut.

11. Das göttliche Wirken verschafft allen Seelen die erhabenste Heiligkeit. Es genügt zur Heiligung, sich ihm überlassen.

Nur weil sie vom göttlichen Wirken keinen Gebrauch zu machen wissen, laufen unzählige Christen ihr Lebtag ängstlich einer Unmenge von Hilfsmitteln nach, die ja nützlich sein können, falls das göttliche Wirken darauf verweist, die aber schädlich werden, sobald sie der einfachen Vereinigung mit ihm zuwiderlaufen. Alle insgesamt vermögen nämlich nicht zu geben, was der Ursprung allen Lebens finden läßt, der uns immer gegenwärtig ist, der jedem Werkzeug eine Eigenbewegung mitteilt und es unvergleichlich handhabt.
Jesus hat uns einen Lehrmeister gesandt, den wir nicht genug anhören. Er spricht jedem zu Herzen. An jeden wendet er sich mit dem Wort des Lebens, einem einzigen Wort. Doch man hört ihn nicht an. Wir möchten wissen, was er andern gesagt hat, und überhören dabei, was er uns mitteilt. Wir betrachten die Dinge zu wenig ihrem übernatürlichen Sein nach, das ihnen vom göttlichen Wirken kommt. Dieses Wirken gilt es stets mit offenen Armen aufzunehmen und vertrauensvoll und großmütig zu beantworten, wie es billig ist. Denen, die es so empfangen, kann es unmöglich schaden.
Das gewaltige göttliche Wirken, das sich vom Anfang der Zeit bis zu deren Ende stets gleichbleibt, ergießt sich über alle Augenblicke. Mit seinem ganzen Umfang und seiner vollen Kraft teilt es sich der schlichten Seele mit, die es anbetet, liebt und in ihm allein sich erfreut. — Ihr wäret überglücklich, so behauptet ihr, wäre euch Gelegenheit geboten, für Gott sterben zu dürfen. Eine derartige Leistung, ein solches Lebensende entzückte euch. Alles verlieren, verlassen sterben, euch für andere dahingehen, das erfüllte euch mit Begeisterung, sagt ihr.
Und ich, Herr, ich preise dein Wirken, und es allein. In ihm finde ich das volle Glück des Martyriums, der Strengheiten und der Aufopferung für den Nächsten. Dieses Wirken genügt mir. Ordnet es für mich gleich welches Leben und gleich welchen Tod an, ich bin's zufrieden. Es gefällt mir, rein in sich, ganz abgesehen von allen Eigenschaften seiner Werkzeuge und seinen Folgen. Denn es erstreckt sich auf alles, vergöttlicht alles, verwandelt alles in sich. Alles wird mir zum Himmel. Alle Augenblicke werden mir zum reinen göttlichen Wirken. Im Leben und Sterben genüge es mir.
Ja, teure Liebe, fortan will ich dir Zeit und Verhalten nicht mehr vorschreiben. Stets wirst du mir willkommen sein. Ich glaube, göttliches Wirken, du hast mir deine Unermeßlichkeit enthüllt. Nur noch in deinem grenzenlosen Bannkreis werde ich Schritte tun. Alles, was dir heute entströmt, entströmte dir auch gestern. Deine Tiefe bildet das Flußbett eines Gnadenstromes, der sich unaufhörlich ausbreitet. Du erhältst ihn; du bewegst seine Fluten. Ich habe dich also nicht mehr in den engen Grenzen eines Buches, eines Heiligenlebens, eines hochfliegenden Gedankens zu suchen. Das alles sind bloß Tropfen aus dem Meere, das ich dich über alle Geschöpfe ausgießen sehe. Alle werden sie vom göttlichen Wirken überflutet. Gleich Stäubchen verschwinden sie in diesem Abgrund. Auch in den Äußerungen frommer Seelen suche ich dich fürder nicht. Ich gehe nicht mehr von Tür zu Tür mein Brot betteln, mache den Geschöpfen nicht mehr meine Aufwartung.
Ja, Herr, ich will auf eine Weise leben, die dir Ehre macht; als Kind eines wahren Vaters, der unendlich gut, allweise und allmächtig ist. Ich will leben, wie ich glaube. Und da dieses göttliche Wirken durch alle Dinge auf mich eindringt, jeden Augenblick meine Vervollkommnung bezweckt, will ich von diesem gewaltigen Einkommen zehren; einem Einkommen, das mir nie fehlen kann, immer gegenwärtig ist und überaus ersprießlich. Gibt es ein Geschöpf, dessen Wirken dem Wirken Gottes gleichkäme? Da die unerschaffene Hand alles handhabt, was mir zustößt, sollte ich bei den Geschöpfen Hilfe suchen; bei ohnmächtigen, unwissenden, lieblosen Geschöpfen? Ich könnte verdursten, könnte von Quelle zu Quelle eilen, von Bach zu Bach hinken. Und daneben breitete sich ein überbordendes Meer aus, dessen Wasser mich ringsum einschließen. Alles wird mir zu Brot, mich zu nähren; zu Seife, mich zu waschen; zu Feuer, mich zu reinigen; wird Meißel, um mir ein himmlisches Aussehen zu verleihen. Alles dient als Werkzeug der Gnade für meine Nöten. Was ich ganz anderswo suchte, das ging mir unablässig nach und schenkte sich mir in allen Geschöpfen.
O Liebe, muß es unbekannt bleiben, daß du dich gleichsam mit all deinen Gunsterweisen vor jeden einzelnen hinstellst, während man dich in Winkeln sucht, wo du nicht zu finden bist? Welche Torheit, im Freien nicht atmen zu wollen, auf offenem Felde nicht zu wissen, wo den Fuß hinsetzen, bei überströmenden Fluten kein Wasser zu finden, Gott nicht zu fassen, ihn nicht zu verkosten, sein Wirken, das alle Dinge durchweht, nicht zu verspüren!
Teure Seele, du suchst nach dem Geheimnis, um Gott anzugehören? Es gibt kein anderes, als sich all dessen zu bedienen, was Gott dir zuteilt. Alles führt zur Vereinigung mit Gott; alles vervollkommnet; ausgenommen, was sündhaft und ungehörig ist. Wir brauchen nur alles anzunehmen und Gott machen zu lassen. Alles lenkt dich, alles richtet dich auf und trägt dich. Alles weht dir als Banner voran; alles trägt dich als Sänfte und behagliche Kutsche. Alles bildet Hand Gottes. Alles ist göttliche Erde, göttliche Luft, göttliches Wasser. Gottes Wirken dehnt sich weiter aus und ist gegenwärtiger als die Elemente. Es tritt durch all deine Sinne in dich ein, vorausgesetzt, daß du dich nur nach Gottes Anordnung richtest. Denn was nicht sein Wille ist, dem gegenüber mußt du die Sinne verschließen und ihm widerstehen. Kein Stäubchen durchdringt dich, ohne daß es dieses göttliche Wirken bis zum Mark deiner Gebeine trüge. Alles ist von ihm und durch es. Die Lebenssäfte, die deine Adern durchströmen, fließen nur dank dem Antrieb, den Gottes Wirken ihnen verleiht. Deine verschiedenen Bewegungen, Kraft und Schwäche, die du spürst, Schwerfälligkeit und Lebhaftigkeit, Leben und Tod: lauter göttliche Werkzeuge, von diesem Wirken gehandhabt, um deine Heiligung zu bewerkstelligen. Alle körperlichen Zustände werden unter seinem Einfluß zu Gnadenerweisen. In all deinen Gefühlen und Gedanken, wo immer sie herkommen, erscheint diese unsichtbare Hand. Kein Mensch oder Engel vermag dir zu sagen, was dieses göttliche Wirken in dir zustande bringen will. Die Erfahrung wird es dir nach und nach enthüllen. Unablässig fließt dein Leben in diesem unbekannten Abgrund dahin. Darin gilt es lediglich, das Gegenwärtige stets zu lieben und für das Beste zu halten, voller Vertrauen auf dieses Wirken, das nur Gutes hervorrufen kann.
Ja, teure Liebe, jede Seele könnte zu übernatürlichen, erhabenen, wunderbaren, unfaßbaren Zuständen gelangen, wenn sie sich mit dem Wirken Gottes begnügte. Ließe man doch diese göttliche Hand schalten und walten, man erreichte die erhabenste Vollkommenheit. Keinem bliebe sie verwehrt; ist sie doch allen angeboten. Wir haben nur den Mund zu öffnen, und wie von selber strömt sie ein. Denn jede Seele besitzt in dir, o Gott, ihr unendlich vollkommenes Vorbild. Unaufhörlich ist dein Wirken daran, sie diesem Vorbild ähnlich zu machen. Wären die Seelen deinem Wirken treu, könnte jede auf göttliche Weise leben, handeln, reden. Keine brauchte die andere nachzuahmen. Jede würde vom göttlichen Wirken durch die gewöhnlichsten Dinge zu der ihr eigenen Vollkommenheit getragen.
O mein Gott, wie kann ich deine Geschöpfe verkosten lassen, was ich ihnen hier vorlege? Muß ich wirklich dazu verurteilt sein, einen gewaltigen Reichtum in Händen zu tragen, der für jedermann genügte, und dabei die Seelen elend umkommen sehen? Muß ich sie einschrumpfen sehen wie Wüstenpflanzen, während ich ihnen die Quelle lebendiger Wasser zeige? Kommt, schlichte Seelen, denen jeder fromme Anstrich fehlt, jedes Talent abgeht, denen selbst die Anfangsgründe der Bildung mangeln; kommt, ihr alle, die nichts von geistlichen Fachausdrücken verstehen, die ihr die Beredsamkeit der Gelehrten nur stumm anstaunen könnt, kommt, ich teile euch ein Geheimnis mit, das euch all diese hohen Geister überflügeln läßt. Ich mache euch die Vollkommenheit so leicht zugänglich, daß ihr sie immer zu euern Häupten und Füßen findet und rings um euch. Ich vereinige euch mit Gott, lass' ihn euch mit Händen greifen, und das vom ersten Augenblick an, wo ihr befolgt, was ich euch lehre. Kommt, nicht um die Landkarte des geistlichen Lebens zu studieren, sondern um dieses Land zu besitzen, euch gemächlich darin zu ergehen, ohne Furcht vor Irrungen. Kommt zu mir, nicht um in die Theorie der göttlichen Gnade eingeführt zu werden, nicht um zu lernen, was diese im Laufe der Jahrhunderte in andern vollbracht hat und noch vollbringt, sondern um einfach ihr Wirken über euch ergehen zu lassen. Ihr braucht dazu keine Kenntnis der Worte, die sie an andere gerichtet hat, um sie gelehrt wiederholen zu können. Die Gnade wird eigene Worte für euch haben.

Gebet des hochwürdigen Paters de Caussade um die heilige Hingabe

O mein Gott, wann wirst du mir die Gnade erweisen, meinen Willen in unablässiger Vereinigung mit deinem anbetungswürdigen Willen zu halten, wo ich, ohne etwas zu sagen, alles sage, und alles dadurch tue, daß ich dich machen lasse, wo ich gewaltige Aufgaben bewältige, indem ich mich mehr und mehr deinem Wohlgefallen füge und dennoch jede Mühe dahinfällt, da ich dir die Sorge über alles anheimstelle und nur daran denke, in dir allein zu ruhen? Wann wird mir dieser köstliche Zustand zuteil werden, der, sogar wenn es der Seele an jedem fühlbaren Glauben gebricht, einen inneren und vergeistigten Wohlgeschmack enthält? Ich will also durch meine innere Einstellung fortwährend sagen: „Fiat – es geschehe!“ Ja, mein Gott, ja, alles, was dir gefällt! Möge sich dein heiliger Wille in allem restlos erfüllen. Ich entsage meinem äußerst blinden, verkehrten und verdorbenen Eigenwillen, woran die leidige Ichsucht schuld ist, dieser Todfeind deiner Gnade und reinen Liebe, deiner Verherrlichung und meiner Heiligung.

Gebet zur Zeit der Versuchung

O mein Gott, bewahre mich durch deine Gnade vor jeder Sünde! Doch wegen der Pein, die meine Eigenliebe foltert, und wegen der heilsamen Erniedrigung, die dabei meinen Stolz quält, nehme ich die Versuchungen von Herzen an. Nicht so sehr als Wirkungen deiner Gerechtigkeit, denn vielmehr als Wohltaten deiner großen Barmherzigkeit. Hab also Mitleid mit mir, mein Herr, und steh mir bei.