Gegenwärtige Krise

1. Professor Roberto de Mattei, Historiker und „Traditionalisten“-Freund, hielt auf dem „Roman Life Forum“ am 6. Mai 2016 einen Vortrag über die „gegenwärtige Krise im Kontext der Kirchengeschichte“. Er meint, die gegenwärtige „Kirchenkrise“ ließe sich am ehesten mit jenem Seesturm vergleichen, in welchen die Apostel einmal geraten sind, wie uns das Evangelium berichtet. Und so läßt er mehrere Stürme, welche die Kirche im Laufe ihrer Geschichte durchmachen mußte, Revue passieren. In den ersten drei Jahrhunderten seien dies die Kirchenverfolgungen durch das römische Imperium gewesen, nach 313 mit der Befreiung durch Kaiser Konstantin das Eindringen des Arianismus, im fünften Jahrhundert nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches die Bedrängnis durch Barbaren und den Islam.

2. „In den Jahrhunderten von Konstantin bis zu Karl dem Großen gab es 62 Päpste“, referiert der Herr Professor. Unter ihnen seien so große Gestalten gewesen wie der heilige Leo der Große oder der heilige Gregor der Große. „Jedoch neben diesen großen Verteidigern der Kirche finden wir auch Päpste wie Liberius, Vigilius und Honorius, die im Glauben schwankten. Honorius im besonderen wurde von seinem Nachfolger, dem heiligen Leo II., als Häretiker verurteilt.“ Womit wir wieder beim Thema wären.

Obwohl all die Vorwürfe gegen diese armen Päpste bereits im Vorfeld des Vatikanischen Konzils und seiner Erklärung der päpstlichen Unfehlbarkeit in aller Ausführlichkeit und bis ins Detail untersucht und zurückgewiesen wurden, tauchen sie bis heute unfehlbar immer und immer wieder auf, und zwar gerade bei den „Traditionalisten“, und nicht, wie man es eigentlich erwarten sollte, bei den Kirchengegnern. Dabei sollte gerade unser Professor als Historiker es eigentlich besser wissen.

Nun also wieder einmal Honorius. In Wetzer und Welte's Kirchenlexikon findet sich eine überaus umfangreiche Abhandlung des Jesuiten Grisar zu diesem Thema, welche vor allem zeigt, daß sich die Honoriusfrage nicht in wenigen Sätzen und schon gar nicht einem Halbsatz erledigen läßt, der noch dazu schlicht falsch ist. In einem ersten großen Punkt behandelt Grisar die Briefe des Papstes Honorius an Sergius und damit den Häresie-Vorwurf. Er stellt fest: „In den beiden Schreiben des Papstes Honorius findet sich keinerlei dogmatischer Irrtum vor“ (Bd. 6, Sp. 240). „Die Lehre des Papstes ist so wenig monotheletisch, daß sich in ihr alle Elemente zur Widerlegung des Monotheletismus finden“ (Sp. 241). „In der von Honorius gegebenen Entscheidung lag aber vor allem ein folgenschwerer Mißgriff in dem Verbote beider Termini, des häretischen und des katholischen. Während die dyotheletische Formel gerade damals in dem angewachsenen Streite notwendig betont und zum Siege gebracht werden mußte, wird sie mit der monotheletischen zugleich unterdrückt. Es lag hierin eine von Honorius freilich nicht gewollte Vorschubleistung gegen die Häresie“ (Sp. 243). „Bei der schließlichen Bestimmung der Schuld, welche sich Honorius dadurch auflud, daß er nicht dem Irrtume widerstand, sondern ihm gewissermaßen Vorschub leistete, kann es sich natürlich nicht um das Innere handeln, das vor Gott allein offen liegt. Aber die Versäumnis an sich war der Art, daß man, den gewöhnlichen Gang der Dinge zum Maßstab genommen, auf einen sehr großen Mangel an Sorgfalt und Vorsicht zurückschließen muß“ (Sp. 245).

Ein zweiter großer Punkt des Lexikonartikels geht über „Das Anathem gegen Honorius“. Hier bemerkt Grisar: „Die gegen Honorius gerichteten Erklärungen des sechsten Konzils [3. Konzil von Konstantinopel, 680] scheinen in ihrer Gesamtheit wirklich den Sinn zu haben, daß Honorius als eigentlicher Ketzer verurteilt wird“ (ebd.). Jedoch: „Die Erklärung des Konzils, daß Honorius Häretiker sei, und sein in diesem Sinn gefälltes Anathem sind keine gültigen Handlungen eines ökumenischen Konzils, weil die Väter hierbei sich nicht im Einklange, sondern in offenkundiger Dissonanz mit den Päpsten zur Zeit des Konzils, Agatho und Leo II., befanden“ (Sp. 255). „Daß nun die sechste Synode mit ihren … Urteilen über Honorius in Widerspruch zu dem nachdrücklichen Schreiben des Papstes Agatho getreten ist, braucht nicht erst erwiesen zu werden. Aber sie wurde mit ihrem strengen Spruche auch im Stiche gelassen von Leo II. Dieser nimmt zwar im übrigen die Synode an und bezeichnet sie als ökumenische, aber die Beschlüsse gegen Honorius bestätigt er durchaus nicht im Sinne der Konzilsbischöfe“ (ebd.). Zwar übernahm Leo II. das Anathem gegen Honorius, sprach es aber ausdrücklich nicht wegen Häresie aus, sondern wegen jener oben festgestellten Nachlässigkeit, welche der Häresie Vorschub leistete. „Um das Verhalten Leo's II. recht zu erklären, muß man die für die römische Kirche überaus schwierige Lage berücksichtigen. Eine vollständige Zurückweisung des zu Konstantinopel gesprochenen Anathems über Honorius würde den eben erst gewonnenen Kirchenfrieden und vielleicht alle Resultate des Konzils wieder in Frage gestellt haben. Leo II. wählte einen weisen Mittelweg. Da Honorius wegen seiner sträflichen Fahrlässigkeit allerdings einen starken Ausdruck der Mißbilligung erfahren konnte, ohne daß ihm Unrecht geschah, so entschied sich Leo zu diesem Schritte; sein Anathem war nichts anderes“ (Sp. 256 f).

So also sieht die Wirklichkeit aus. Papst Honorius war weder ein Häretiker noch wurde er als solcher von Papst Leo II. verurteilt. Wie wir schon sagten, bei einem Historiker hätten wir in dieser Angelegenheit ein wenig mehr Sorgfalt erwarten dürfen. Aber wir ahnen schon, worauf der Herr Professor hinauswill, denn das ist immer das gleiche, wenn diese Namen Liberius, Honorius etc. auftauchen. Es geht wieder einmal um die anti-sedisvakantistische Lehre, daß es sehr wohl häretische Päpste geben könne und auch gegeben habe, ohne daß diese doch aufhören würden oder aufgehört hätten, Päpste zu sein.

3. Der Referent fährt nun mit dem frühen Mittelalter fort und erwähnt, daß es vom Tod Karls des Großen bis zum Jahr 1046 45 Päpste und Gegenpäpste gegeben habe, von welchen fünfzehn abgesetzt und vierzehn gefangengesetzt, ins Exil geschickt und ermordet wurden. „Die Päpste des Mittelalters erfuhren Kämpfe und Verfolgungen, vom heiligen Paschalis I. über den heiligen Leo IX. bis zum heiligen Gregor VII., dem letzten mittelalterlichen Papst, welcher heiliggesprochen wurde und in der Verfolgung im Exil starb.“ Seinen Höhepunkt habe das Mittelalter erreicht unter dem Pontifikat von Innozenz III., welchen die heilige Luitgard in einer Vision über und über von Flammen bedeckt geschaut habe, wobei er ihr mitteilte, daß er bis zum Jüngsten Gericht im Fegefeuer ausharren müsse.

Im 14. Jahrhundert erfolgte das 70jährige Exil von Avignon, und danach das Abendländische Schisma mit zwei und schließlich sogar drei Päpsten, das erst 1417 überwunden wurde. In der folgenden Zeit scheinbarer Ruhe habe sich die protestantische Revolution des 16. Jahrhunderts vorbereitet, und dann sei die erste Häresie eingedrungen, die sich mitten in der Kirche festgesetzt habe, nämlich der Jansenismus. Die Französische Revolution und Napoleon hätten erfolglos versucht, das Papsttum zu zerstören. Von Bonifaz VIII., dem letzten mittelalterlichen Papst, bis zu Pius XII., „dem letztern der vorkonziliaren Ära“, zählt der Herr Professor 68 Päpste, von welchen lediglich zwei bisher von der Kirche heiliggesprochen worden seien, nämlich Pius V. und Pius X., und zwei seliggesprochen, nämlich Innozenz XI. und Pius IX. (Wir dürfen anmerken, daß die „Seligsprechung“ von Pius IX. leider durch Wojtyla erfolgte und daher nicht zählt, so sehr wir diesem großen Papst der Unbefleckten auch eine Kanonisation wünschen würden.) Alle diese hätten sich inmitten schrecklicher Stürme befunden: Pius V. kämpfte gegen den Protestantismus und gegen den vordringenden Islam, mit dem Sieg in der Seeschlacht zu Lepanto, Innozenz XI. hatte gegen den Gallikanismus zu kämpfen und steckte hinter der Befreiung Wiens von den Türken im Jahr 1683, Pius IX. leistete der italienischen Revolution heldenhaften Widerstand, welche ihm 1870 die heilige Stadt raubte, und Pius X. focht gegen die neue Häresie des Modernismus, jenes Sammelbecken aller Häresien, welche die Kirche zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert tief durchdrungen hatte.

Das von Johannes XXIII. eröffnete und von Paul VI. beendete „II. Vatikanum“ habe eine neue Ära des Friedens und Fortschritts für die Kirche eingeleitet, doch habe sich die Nachkonzilszeit als eine der dramatischsten Perioden im Leben der Kirche herausgestellt. Dies sei die Zeit, in welcher wir leben, und der Blitz, der die Abdankung Benedikts XVI. durch Einschlag in die Kuppel des Petersdoms begleitete (und den Professor sehr beeindruckt zu haben scheint), sei ein Zeichen für die Stürme, welche das Schiff Petri durchlebe.

Neben den Angriffen von außen seien es vor allem die Schismen und Häresien von innen, welche die Kirche von Anfang an erschüttert hätten. Die schlimmsten dieser Angriffe seien die arianische Häresie im vierten und das große abendländische Schisma im 14. Jahrhundert gewesen. Im ersteren Fall habe das katholische Volk nicht mehr gewußt, wo der wahre Glaube zu finden sei, da sogar die Bischöfe gespalten waren und der Papst sich nicht eindeutig äußerte. Im zweiten Fall hätten die Gläubigen nicht mehr gewußt, welcher der wahre Papst war, da Kardinäle, Bischöfe, Theologen und sogar Heilige uneins waren und verschiedenen Päpsten folgten. Noch schlimmer sei die modernistische Gefahr gewesen, die Pius X. noch für einige Jahrzehnte habe bannen können, bevor sie mit dem „II. Vatikanischen Konzil“ massiv wieder auftauchte. „Dieses Konzil, das letzte in der Kirche, das von 1962 bis 1965 stattfand, wollte ein pastorales Konzil sein, doch brachte es wegen der unklaren und mehrdeutigen Natur seiner Texte katastrophale pastorale Ergebnisse mit sich.“ Die gegenwärtige „Krise“ stamme direkt vom „II. Vatikanum“ und habe ihren Ursprung im Vorrang der Praxis vor dem Dogma. Dieses Konzil habe die „Pastoral“ als alternatives Prinzip zum Dogma eingeführt. Von hier zieht der Herr Professor eine direkte Spur zu Bergoglios „Amoris laetitia“, welche laut „Kardinal“ Kasper „nichts an der Lehre der Kirche oder dem Kirchenrecht ändert, und trotzdem alles ändert“.

4. Um ein negatives Urteil über „Amoris laetitia“ zu fällen, sei es nicht nötig, Theologie studiert zu haben, meint der Herr Professor, es genüge der „sensus fidei“ aufgrund der Taufe und der Firmung. Dieser „sensus fidei“ veranlasse uns durch „übernatürlichen Instinkt“, dieses Dokument zurückzuweisen, während er die Anwendung der entsprechenden theologischen Noten den Theologen überlasse. Und hier sind wir nun endlich wieder beim Thema. Es gebe nämlich, belehrt uns Professor de Mattei, zwischen Häresie und Rechtgläubigkeit „viele mögliche Abstufungen“. Er bezieht sich hierbei auf die theologischen Zensuren, durch welche „ein die katholische Glaubens- oder Sittenlehre berührender Satz als glaubenswidrig oder wenigstens als bedenklich gekennzeichnet wird“ (Ott, Dogmatik). Aus dieser differenzierten Verurteilung einzelner irriger Sätze durch die Kirche herleiten zu wollen, es gebe „viele mögliche Abstufungen“ zwischen Häresie und Rechtgläubigkeit, ist freilich reichlich abenteuerlich. Auch wissen wir nicht recht, was der Herr Professor damit überhaupt sagen will, denn eine Anwendung macht er nicht, sondern springt sogleich wieder zur „Amoris laetitia“ zurück. Vielleicht will er ja andeuten, daß dieses Dokument irgendwo „zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie“ angesiedelt sei.

Tatsächlich nennt er „Amoris laetitia“ ein „skandalöses Dokument mit katastrophalen Folgen für die Seelen“. Bekanntlich hat nichts die „Konservativen“ so sehr aufgeregt und erschreckt wie Bergoglios jüngste „Exhortation“. Denn da wird ihre „heilige Kuh“ geschlachtet, die Ehe- und Familienmoral. Ein Wojtyla, der in seinem wahnsinnigen Ökumenismus die Dämonen nach Assisi einlud („Denn alle Götzen der Heiden sind Dämonen“, Ps. 95,5), ist ihnen hingegen ein Hort der Rechtgläubigkeit. Es fehle ihm, so der Professor weiter, keineswegs an Respekt für den Papst und auch ziehe er den päpstlichen Primat durchaus nicht in Zweifel. Er danke Pius IX. für die auf dem Ersten Vatikanischen Konzil erfolgte Definition des Primates Petri und seiner Unfehlbarkeit. Es folgen noch weitere Lobeshymnen auf das Papsttum, wenngleich uns der Herr Referent gleich darauf hinweist, daß der Papst der Nachfolger Petri ist und nicht der Nachfolger Christi.

Und so kommen wir endlich zum Punkt: Der Papst, so sagt uns der Professor, sei nicht unfehlbar in der Leitung der Kirche, aber er „kann unfehlbar sein in seinen päpstlichen Lehren“. Wohlgemerkt: Nicht er „ist unfehlbar“, sondern er „kann unfehlbar sein“! Wenn er will! So erklärt es uns der Herr Geschichtsprofessor: „Der Papst ist nicht immer unfehlbar. Er muß es sein wollen, und wenn er es sein will, muß er bestimmte Regeln beobachten.“ Diese Regeln oder Bedingungen für die Unfehlbarkeit habe die Konstitution „Pastor aeternus“ klargestellt. Es ist nur bedauerlich, daß demnach die Päpste bis 1870 gar nicht recht wußten, wie sie es anstellen müssen, wenn sie einmal unfehlbar sein wollen. Zwar bedeute es nicht zwangsläufig, daß der Papst falsch liege, wenn die Bedingungen nicht erfüllt sind, fährt der Professor fort, im Gegenteil müßten wir stets von einem Vorurteil zu seinen Gunsten ausgehen, jedoch „wenn der Papst nicht unfehlbar ist, kann er Irrtümer in seiner Regierung und seinem Lehramt begehen“.

5. „Das sogenannte außerordentliche Lehramt des Papstes 'ex cathedra' ist immer unfehlbar.“ Als Beispiele werden – wie könnte es anders sein – die Dogmen der Unbefleckten Empfängnis und der Aufnahme Mariens in den Himmel genannt, für die „Traditionalisten“ ja so ziemlich die einzigen Gelegenheiten in den letzten 200 Jahren, wo Päpste ausnahmsweise ihre Unfehlbarkeit in Anspruch genommen haben. „Aber auch das ordentliche Lehramt des Papstes kann unfehlbar sein, wenn es eine Wahrheit in Glauben oder Moral wiederholt, die während Jahrhunderten von der Kirche gelehrt wurden.“ Dies sei etwa der Fall gewesen bei der Enzyklika „Humane Vitae“. Denn „wenn eine Lehre der Kirche universal ist, nicht so sehr im Raum als vielmehr in der Zeit – wenn sie durch die Tradition bestätigt ist – bedeutet dies, daß sie vom Heiligen Geist getragen wird“.

Wir dürfen an dieser Stelle zitieren, was der Dogmatiker J.B. Heinrich (1816 - 1891) zu diesem Thema sagt: „Die förmlichen Lehrentscheidungen sind nur außerordentliche Äußerungen des kirchlichen Lehramtes, welche in der Regel nur im Falle dringender Notwendigkeit, gefährlichen und bedeutenden Häresien gegenüber, bei größeren Glaubensstreitigkeiten oder aus anderen ungewöhnlichen Anlässen eintreten. Es können Jahrhunderte verlaufen, ohne daß solche Entscheidungen erlassen oder gar allgemeine Konzilien gehalten werden. Die Kirche ist aber nicht nur in jenen seltenen Momenten, sie ist allezeit und in jedem Moment die unfehlbare Hüterin und Lehrerin des apostolischen Glaubensdepositums, die Säule und Grundfeste der Wahrheit. Sie ist keineswegs nur in der Übung ihres Richteramtes bei Glaubensstreitigkeiten unfehlbar, sie ist es auch im Frieden und in der regelmäßigen Übung ihres ordentlichen Lehramtes“ (Bd. 2, S. 61).

Heinrich erklärt weiter: „Jede definitive Lehrentscheidung, mag sie vom Papst und Konzil oder von ersterem allein ausgehen, erfolgt, wie es die Natur eines Richterspruches mit sich bringt, in einem einzigen und feierlichen Akte. In diesem Akte ist die Kirche vermöge des göttlichen Beistandes immer unfehlbar. Dagegen ist nicht dieselbe Bürgschaft der Unfehlbarkeit, wie den definitiven Lehrentscheidungen, auch jedem einzelnen Akte des gewöhnlichen kirchlichen Lehramtes gegeben, z.B. der Predigt oder dem Hirtenbriefe eines Bischofs, oder der Entscheidung einer untergeordneten Instanz, z.B. eines Partikularkonzils, oder auch einem privaten oder auch einem amtlichen Akte eines Papstes, welcher aber nicht eine Entscheidung ex cathedra ist. Daher genügt auch ein solcher einzelner Akt für sich allein nicht zum Beweise einer traditio divina et catholica; sondern es muß da, wo für eine Lehre keine definitive und höchste Lehrentscheidung vorliegt, nachgewiesen werden, daß dieselbe die einmütige Lehre der gesamten Kirche oder die konstante Lehre des apostolischen Stuhles ist“ (S. 63).

Na, das klingt doch ganz im Sinne der „Traditionalisten“. Bei allem, was nicht „ex cathedra“ gesprochen ist, prüfen wir nach, ob es mit der Tradition übereinstimmt oder nicht und dementsprechend nehmen wir es an oder nicht. Oder nicht? Hören wir, was Heinrich uns weiter sagt. Eine Regel, um festzustellen, ob es sich um das unfehlbare ordentliche Lehramt handelt, ist diese: „Was gegenwärtig von der lehrenden Kirche, d.h. von dem apostolischen Stuhle und dem ihm verbundenen Episkopate, als eine geoffenbarte Wahrheit gelehrt und demgemäß von der ganzen Kirche geglaubt wird, ist göttlich-apostolischer Überlieferung, wenn dieselbe auch nicht durch eine förmliche Lehrentscheidung ausgesprochen ist. … Der Grund davon liegt darin, daß die Kirche in ihrer Lehre unfehlbar, in ihrem Glauben indefektibel ist. Es ist also unmöglich, daß die Kirche in irgend einem Momente ihres Daseins etwas als von Gott geoffenbart lehre, zu glauben vorstelle, oder als göttliche Einsetzung festhalte, was sie nicht von Gott durch die Apostel empfangen hat“ (S. 66). Demnach bliebe uns nur, die seit dem „II. Vatikanum“ vom „apostolischen Stuhle und dem ihm verbundenen Episkopate“ als eine „geoffenbarte Wahrheit“ gelehrte „Religionsfreiheit“ als zweifelsfreie Glaubenslehre anzunehmen. Es sei denn, wir leugnen die Unfehlbarkeit des ordentlichen Lehramtes, wie es die „Traditionalisten“ gerne tun, oder wir kommen zu dem Schluß, daß es sich beim „konziliaren Lehramt“ nicht um das der katholischen Kirche handelt. Aber letzteres wäre ja… um Himmels willen!

Eine zweite Regel ist diese: „Was vor Entstehung einer abweichenden Meinung offenbar allgemeine Lehre und allgemeiner Glaube der Kirche war, das ist unzweifelhafte apostolische Überlieferung. Es ist also zur Konstatierung einer apostolischen Tradition nicht notwendig, dieselbe bis zurück in die Zeiten der Apostel nachzuweisen; es genügt, den Beweis zu führen, daß sie vor dem Entstehen der entgegengesetzten Behauptungen katholische Lehre war: denn dann hat sie nicht nur gegenüber der späteren Neuerung die Vermutung für sich, sondern es ist ihr apostolischer Ursprung schlechthin aus dem sub 1 angegebenen Grunde gewiß: denn die Unfehlbarkeit der Kirche ist Bürge, daß kein Irrtum jemals als apostolische Wahrheit von der Kirche allgemein gelehrt und geglaubt werden konnte“ (S. 69). Wir kommen also wieder auf dasselbe zurück: „die Unfehlbarkeit der Kirche ist Bürge, daß kein Irrtum jemals als apostolische Wahrheit von der Kirche allgemein gelehrt und geglaubt werden konnte“. Es ist mit der Unfehlbarkeit der Kirche unvereinbar, daß in ihr über 50 Jahre lang die „Religionsfreiheit“ „allgemein gelehrt und geglaubt“ wird.

Die dritte Regel: „Da der apostolische Stuhl das Fundament der Kirche, vor allem bezüglich des Glaubens ist, und mit ihm notwendig alle rechtgläubigen Bischöfe und Christen übereinstimmen, so bildet die Lehre und der Glaube der römischen Kirche schon für sich allein einen vollgenügenden Beweis der apostolischen Überlieferung“ (S. 70). Was ist denn heute „Lehre und Glaube der römischen Kirche“, wenn nicht „Ökumenismus“ und „Religionsfreiheit“? Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, wir kommen nicht darum herum: Entweder wir anerkennen das „konziliare Rom“ als unser Lehramt und müssen dann seine Lehren auch annehmen (wie es erst jüngst „Kardinal“ Müller wieder von den „Traditionalisten“ gefordert hat), oder…

6. Heinrich faßt also zusammen, daß wir zu unterscheiden haben in „gewöhnliche und ordentliche Akte des allgemeinen Magisteriums“ oder „außerordentliche und förmliche Lehrentscheidungen oder Lehrdeklarationen“ ( S. 215). „Mag nun das kirchliche Lehramt in jener oder in dieser Weise eine Wahrheit als eine von Gott geoffenbarte und im kirchlichen Depositum enthaltene uns zu glauben vorstellen, in beiden Fällen ist es unfehlbar und sind wir zum Glauben verpflichtet. Nur der Unterschied besteht, daß eine jede einzelne förmliche Lehrentscheidung die Gewähr ihrer Unfehlbarkeit in sich trägt und daher für sich allein genügt, um zum Glauben zu verpflichten und einen vollen dogmatischen Beweis zu begründen; während bei dem gewöhnlichen ordentlichen Magisterium einzelne Akte nicht genügen, um die Unfehlbarkeit und den katholischen Charakter der durch dieselben bezeugten Lehre außer Zweifel zu stellen; es muß vielmehr nach den § 79 entwickelten Grundsätzen [die wir oben gesehen haben] der Nachweis einer dogmatischen Tradition geliefert, d.h. gezeigt werden, daß die fragliche Lehre konstante Lehre des apostolischen Stuhles oder allgemeine und vom apostolischen Stuhle anerkannte Lehre der Kirche ist“ (ebd.).

Heinrich fügt noch hinzu: „Hierbei wollen wir nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Unfehlbarkeit der dogmatischen Tradition, die wesentlich in der konstanten und allgemeinen Lehre des kirchlichen Lehramtes und im allgemeinen Glauben der Kirche besteht, durch die Unfehlbarkeit des Lehramtes in seinen Lehrentscheidungen bedingt ist: denn nur dadurch besitzt die katholische Kirche eine gegen jede Abirrung gesicherte Tradition, daß sie in ihrem Lehramte zugleich ein unfehlbares Richteramt besitzt, welches über die Reinheit der Lehre und des Glaubens wacht und etwaige Streitfragen als judex controversiarum unfehlbar entscheidet“ (S. 215 f).

Zwei Dinge scheinen uns notwendig festzuhalten, weil sie in den Diskussionen zu diesem Gegenstand gerne übersehen oder durcheinandergebracht werden. Da ist zunächst der Unterschied, der zwischen den außerordentlichen und den ordentlichen Akten des Lehramtes besteht: jeder einzelne der außerordentlichen Akte ist in sich unfehlbar, bei den ordentlichen Akten gilt das nicht für jeden einzelnen, sondern für die Universalität, die Gesamtheit. Also nicht jede Aussage, die ein Papst macht, ist automatisch unfehlbar (wie es die „Traditionalisten“ gerne in bewußter Karikatur den „Sedisvakantisten“ als Position unterstellen), wohl aber die „konstante Lehre des apostolischen Stuhles“ und die „allgemeine und vom apostolischen Stuhle anerkannte Lehre der Kirche“. Das heißt es kann ein Papst, wenn er nicht ex cathedra spricht, durchaus eine Aussage machen, die zumindest etwas unglücklich ist oder sogar falsch, zumal dann, wenn er sich nicht amtlich äußert. So hat beispielsweise Pius XII. bei einer Ansprache vor Wissenschaftlern den „Urknall“ nicht nur bestätigt, sondern sogar zum „Gottesbeweis“ erhoben. Dies war jedoch niemals „konstante Lehre des apostolischen Stuhles“ oder „allgemeine und vom apostolischen Stuhle anerkannte Lehre der Kirche“. Die „Religionsfreiheit“ hingegen wird seit bald 60 Jahren konstant von den „konziliaren Päpsten“ gelehrt und ist die allgemeine und von ihnen anerkannte Lehre der „Konziliaren Kirche“. So etwas aber ist für die Kirche Christi durch die Unfehlbarkeit des ordentlichen Lehramts ausgeschlossen. Es geht hier nicht um einzelne „Akte des gewöhnlichen kirchlichen Lehramtes“ wie z.B. bei „der Predigt oder dem Hirtenbriefe eines Bischofs, oder der Entscheidung einer untergeordneten Instanz, z.B. eines Partikularkonzils, oder auch einem privaten oder auch einem amtlichen Akte eines Papstes, welcher aber nicht eine Entscheidung ex cathedra ist“. Es geht nicht um diese oder jene Aussage eines Wojtyla, Ratzinger oder Bergoglio. Es geht um eine konstante, mit dem „II. Vatikanum“ verbindlich eingeführte Irrlehre, und eine solche ist mit der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes nicht vereinbar.

Der zweite Punkt ist die unauflösbare Verbindung zwischen Lehramt und Tradition. Dogmatische Tradition ist, was „konstante Lehre des apostolischen Stuhles oder allgemeine und vom apostolischen Stuhle anerkannte Lehre der Kirche ist“. Und das Lehramt entscheidet darüber, was Tradition ist, „denn nur dadurch besitzt die katholische Kirche eine gegen jede Abirrung gesicherte Tradition, daß sie in ihrem Lehramte zugleich ein unfehlbares Richteramt besitzt, welches über die Reinheit der Lehre und des Glaubens wacht und etwaige Streitfragen als judex controversiarum unfehlbar entscheidet“. Man kann also nicht Lehramt und Tradition gegeneinander ausspielen wie es die „Traditionalisten“ tun, welche sich im Namen der „Tradition“ gegen ihr „Lehramt“ stellen. Man löst damit beides auf: Tradition und Lehramt.

7. Der Heilige Geist stehe den Kardinälen im Konklave bei, wenn sie den Papst wählen, und Er stehe nach der Wahl dem Papste bei in seiner Regierung und dem Lehramt, so unser Herr Professor weiter. Dennoch lehre die Geschichte, daß es ungeachtet dieses Beistands zur Wahl unwürdiger Päpste kommen könne, welche in ihrem privaten Leben sündigten, sogar schwer, ebenso wie Päpste, die in ihrer Regierung oder sogar in ihrem Lehramt geirrt hätten; doch das brauche uns nicht skandalisieren. Denn auch wenn die Vorsehung schlechte Päpste zulasse, so geschehe dies aus höheren und geheimnisvollen Gründen, welche am Ende der Zeiten offenbar würden, und der Heilige Geist vermöge aus dem Übel Gutes zu ziehen.

Wir müssen hier ein klein wenig differenzieren, was der Herr Professor leider versäumt. Die Assistenz des Heiligen Geistes, von welcher er spricht, kommt im strikten Sinne nur dem kirchlichen Lehramt zu und garantiert dessen Unfehlbarkeit. Natürlich steht der Heilige Geist auch den Kardinälen im Konklave bei, wenn sie ihn darum bitten und ihn wirken lassen, und ebenso dem Papst bei seiner Regierung. Doch in beiden Fällen gibt es keine Garantie der Unfehlbarkeit. Man kann also diese Dinge nicht über einen Kamm scheren.

Doch der Herr Professor will auf folgendes hinaus. Er sagt, die Erlösung sei das geheimnisvolle Zusammenspiel von göttlicher Gnade und menschlichem Willen. Diejenigen, die glaubten, das Wirken des Heiligen Geistes sei ausreichend für ihre Rettung ohne Mitwirkung des Willens, verträten eine lutherische oder calvinistische Position. „Diejenigen, welche behaupten, daß der Papst nicht falsch liegen kann, weil er unfehlbar vom Heiligen Geist assistiert wird, wiederholen den Irrtum über die Gnade der Calvinisten.“ Schauen wir uns an, was der Dogmatiker Heinrich dazu sagt.

„Die Ursache (causa efficiens) der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes, sowohl in seiner ordentlichen und allgemeinen Lehrtätigkeit als insbesondere in jeder definitiven Lehrentscheidung, ist der göttliche Beistand (assistentia divina)“ (S. 220). „Daß Christus und sein heiliger Geist die Ursache der Indefectibilität der Kirche und der Infallibilität ihres Lehramtes ist, das ist die einmütige Lehre aller Väter“ (S. 222). „Dementsprechend führen alle Theologen ohne Ausnahme die Unfehlbarkeit der Kirche auf die Regierung der Kirche durch den Heiligen Geist und auf die göttliche Providenz zurück, während die Menschen, welche die Kirche bilden und das Lehramt verwalten, an sich fehlbar sind“ (S. 224). „Die Indefectibilität und Infallibilität der Kirche ist demnach, und das ist vor allem zu betonen, eine übernatürliche Gabe. Ihr letzter und tiefster Grund liegt in der übernatürlichen und unauflöslichen Verbindung Christi und des Heiligen Geistes mit der Kirche“ (ebd.). „Es ist daher Christus selbst und beziehungsweise der Heilige Geist, der durch diese menschlichen Organe [seine menschlichen Stellvertreter] die Kirche regiert und insbesondere die göttliche und heilbringende Wahrheit alle Tage bis an das Ende der Zeiten den Menschen verkündigt, ihren wahren Sinn erklärt und sie gegen alle Schädigung und Fälschung verteidigt. Christus und der Heilige Geist sind wesentlich und notwendig unfehlbar, können nicht irren und nicht täuschen; die menschlichen Stellvertreter und Werkzeuge derselben sind aber nicht von Natur, sondern durch den übernatürlichen Einfluß Christi und des Heiligen Geistes insofern und nur insofern infallibel, als sich Christus und der Heilige Geist ihrer als Diener und Werkzeuge zur Verkündigung und Verteidigung der Offenbarung bedient und hierin vor Irrtum bewahrt“ (S. 226).

Der menschliche Stellvertreter ist also in diesem Fall tatsächlich nur das Werkzeug, während die eigentliche Wirkursache der Heilige Geist ist. Natürlich müssen „die Träger des Lehramtes in ihrer Lehr- und Richtertätigkeit selbsttätig sein und zwar nach der ihnen, wie allen, vorgeschriebenen Glaubensregel“, sie müssen „jene menschlichen Tätigkeiten setzen und jene Mittel anwenden, wodurch auch jeder Gläubige die christliche Wahrheit und ihren wahren Sinn zu erkennen vermag: Gebet, Erforschung der Schrift und Überlieferung, Nachdenken“ (S. 229). Jedoch greift hier im Gegensatz zum einfachen Gläubigen die göttliche Assistenz, die in einem „Komplex jener Tätigkeiten der Providenz“ besteht, „wodurch Gott bewirkt, daß das kirchliche Lehramt weder durch seine ordentliche und allgemeine Amtstätigkeit, noch durch eine definitive Lehrentscheidung jemals der gesamten Kirche, sei es aus Irrtum, sei es aus böser Absicht, etwas Falsches in Sachen der Glaubens- oder Sittenlehre zu glauben oder zu halten vorschreibt“ (S. 234). Damit ist nicht gesagt, daß die Träger des Lehramts nicht subjektiv irren können, „sondern nur, daß eine von ihnen für die ganze Kirche erlassene Glaubensentscheidung nicht falsch sein könne“ (ebd.).

„Wenn wir aber nun weiter forschen, wodurch Gott die Kirche vor einer falschen Lehrentscheidung schütze, so müssen wir offenbar zunächst sagen, daß Gott eine solche nicht zuläßt. In dieser Nichtzulassung oder, wenn man es so nennen will, in diesem negativen Momente der Providenz ist demnach vor allem die Unfehlbarkeit der definitiven Lehrentscheidungen begründet“ (S. 235). Die Begründung, die Heinrich gibt, ist sehr interessant. Er weist darauf hin, daß nach katholischer Lehre alles von der göttlichen Vorsehung gelenkt wird und mithin ein Fehler oder Defekt nur durch Zulassung Gottes eintreten kann. Nun läßt Gott bisweilen Fehler zu, wenn es zum Wohle des Ganzen dient. „So wie daher Gott in der Naturordnung partielle Defekte zum Besten des Ganzen zuläßt, nimmermehr aber, so lange die von ihm gesetzte Weltzeit dauert, die Zerstörung der Naturordnung selbst, ohne welche das natürliche Universum nicht bestehen kann; so läßt er auch in der Kirche, dieser übernatürlichen Welt, um der menschlichen Freiheit willen und zum Besten der Kirche zu, daß der einzelne in Irrtum falle; aber eine falsche definitive Lehrentscheidung läßt er nicht zu, und kann er nicht zulassen bis zum jüngsten Tage, weil dadurch die Ordnung der Kirche selbst vernichtet und gerade durch dasjenige der wahre Glaube in der ganzen Kirche und dadurch die Kirche selbst zerstört würde, was er in seiner göttlichen Macht und Weisheit als das notwendige und wesentliche Mittel zur Erhaltung des wahren Glaubens und der Einheit der Kirche eingesetzt und geordnet hat“ (ebd.). Das hier gesagte gilt natürlich mutatis mutandis ebenso für das ordentliche Lehramt. Wir haben es also nicht mit Calvinismus zu tun, sondern mit gut katholischer Lehre, und wenn der Liebe Gott auch manche Defekte in Seiner Kirche zulassen kann, darunter auch „schlechte Päpste“, so doch niemals ein Lehramt, welches die gesamte Kirche in Irrtum führt.

„Wenigstens in der Regel, wenn nicht immer“, so weiß Heinrich noch zu ergänzen, werde sich „die göttliche Assistenz keineswegs auf die bloße Nichtzulassung oder Verhinderung einer falschen Entscheidung beschränken“, sie werde vielmehr „in der positiven göttlichen Verursachung einer richtigen Entscheidung, und zwar zu der von Gott gewollten Zeit und in der von Gott gewollten Weise, bestehen“ (S. 236). „Wenn Christus den Seinigen schon die Verheißung gab, daß ihnen vor den Richterstühlen der Welt das rechte Wort nicht fehlen werde, und wenn er in allem mit ihnen sein und sie regieren will; wie viel mehr wird er in demjenigen, was sich auf das Erste und Wichtigste, die Reinheit und Einheit des Glaubens, bezieht, mit den Nachfolgern Petri und der Apostel sein?“ (ebd.). Eben wegen dieser besonderen Verbindung mit Christus im Heiligen Geist nennen wir den Papst den „Heiligen Vater“.

Professor de Mattei jedoch warnt uns vor „Papolatrie“. Diese sei eine Sünde, denn sie verwandle Petrus in Christus. „Indem man dem Papst die Vollkommenheit und Unfehlbarkeit in jedem Akt und Wort zuschreibt, vergöttlicht man ihn, und diese Vergöttlichung des Papstes hat nichts zu tun mit der Verehrung, die wir seiner Person schulden.“ Der Papst sei nicht Gottmensch, sondern reiner Mensch, trage daher die Folgen der Erbsünde in sich und sei nicht durch seine Wahl automatisch in der Gnade gefestigt. Er könne sündigen und irren wie alle Menschen, nur seien seine Sünden und Irrtümer gravierender als bei anderen Menschen, nicht nur wegen ihrer größeren Auswirkungen, sondern auch weil er nicht der göttlichen Gnade entsprochen habe, da bei ihm der Beistand durch den Heiligen Geist größer sei. Wir wollen auf die Binsenweisheit, daß ein Papst auch nur ein Mensch ist und daher sündigen und irren kann, gar nicht weiter eingehen. Wir haben oben schon abgesteckt, wann und inwiefern der Papst in Ausübung seines Lehramtes in ordentlicher oder außerordentlicher Weise tätig und daher unfehlbar ist. Und in diesen Fällen ist die Assistenz des Heiligen Geistes unweigerlich gegeben, andernfalls jede Unfehlbarkeit hinfällig wäre.

8. Der Herr Professor kommt nun „jenseits des römischen Primats und der Unfehlbarkeit“ auf eine „dritte Glaubenswahrheit“ zu sprechen, die „als Dogma betrachtet werden kann“, wenngleich nie durch außerordentliches Dekret definiert, nämlich das Dogma der Indefektibilität der Kirche. Diese sei von Jesus Christus selber bestätigt in Seinen Worten: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Hier kommt wieder der Irrtum der „Traditionalisten“ zum Tragen, Dogma sei nur, was feierlich von der Kirche definiert ist. In Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon lesen wir es etwas anders. Dort steht: „Was also Gegenstand des Glaubens (fides divina) ist, ist Dogma.“ Das Lexikon weiter: „Die katholische Lehre bezüglich des Glaubensgegenstandes aber hat das Vaticanum (Const. de fide 3) auf’s Neue mit den Worten ausgesprochen: Porro fide divina et catholica ea omnia credenda sunt, quae in verbo Dei scripto et tradito continentur, et ab Ecclesia sive solemni judicio sive ordinario et universali magisterio tanquam divinitus revelata proponuntur“ (Bd. 3, Sp. 1881) Letzteres heißt verdolmetscht: „Mit göttlichem und katholischem Glauben ist alles zu glauben, was im geschriebenen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche, sei es durch feierliches Urteil oder das ordentliche und allgemeine Lehramt als göttlich offenbart vorgestellt wird.“ Und selbstverständlich ist die Indefektibilität der Kirche ein Dogma, und „kann“ nicht nur als ein solches „betrachtet werden“.

Indefektibilität, so der Professor, bedeute nicht, daß die Kirche keine Fehler machen könne. Es bedeute, daß die Kirche bis ans Ende der Zeit identisch mit sich selbst bestehen werde, ohne Wandel im Wesen, welches Jesus Christus selber ihr gegeben habe. „Die Kirche ist indefektibel, und doch kann sie in ihrem menschlichen Teil einige Irrtümer begehen, und diese Irrtümer, diese Leiden, können von ihren Kindern und sogar von ihren Dienern verursacht werden.“ Die Heiligkeit sei ein unverlierbares Kennzeichen der Kirche, doch bedeute dies nicht, daß ihre Hirten, sogar ihre obersten Hirten, unsündbar seien, was ihr persönliches Leben anbelange und sogar in Ausübung ihrer Sendung. „Das Dogma der Indefektibilität verweist uns auf zwei Wahrheiten: Die erste ist, daß die Kirche fortwährend inmitten von Konflikten lebt und Gegenstand des Angriffs von seiten ihrer Feinde ist; die zweite ist, daß die Kirche ihre Feinde besiegen und die Geschichte erobern wird.“ So sei der Satz „Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen“ gleichbedeutend mit den Worten Unserer Lieben Frau von Fatima: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren.“

Wenn wir den Herrn Professor recht verstehen, dann meint er, daß die Unvergänglichkeit der Kirche darin bestehe, daß sie am Schluß wieder zu sich zurückfinden und in der Wahrheit sein wird, mag sie auch vorübergehend „Fehler machen“ und sogar „einige Irrtümer begehen“. Trotz der „Irrtümer“ und „Leiden“, die „sogar von ihren Dienern verursacht werden“, gibt es schließlich ein „Happy End“. So hat man freilich die Unvergänglichkeit der Kirche früher nicht aufgefaßt. In Wetzer und Welte's Kirchenlexikon lesen wir etwa: „Der Anspruch der Kirche, die einzige Vermittlerin zwischen Christus und den Menschen zu sein, setzt voraus, daß sie in der Verwaltung der Wahrheit und Gnade unfehlbar ist und bis an das Ende der Zeiten fortdauert, also unvergänglich ist. Diese beiden Eigenschaften der Kirche bezeichnet man als infallibilitas und indefectibilitas. Daß Christus den Aposteln den Geist der Wahrheit verheißen und gesandt hat, ist klar in der Heiligen Schrift ausgesprochen. Daß aber Christus durch Seinen Geist bei ihnen bleiben werde bis an das Ende der Welt, hat der Herr in der feierlichen Abschiedsstunde verheißen“ (Bd. 7, Sp. 493). Weiter: „Es muß eine unfehlbare Autorität geben, und dieselbe muß unvergänglich sein“ (ebd.).

Unfehlbarkeit und Unvergänglichkeit sind zwar nicht dasselbe, sind aber auf das engste miteinander verknüpft. Gerade darin erweist sich die Kirche in hervorragender Weise als unvergänglich, daß sie allezeit unfehlbar die göttliche Wahrheit lehrt. Im Volkskatechismus von Spirago lesen wir: „Die katholische Kirche ist unzerstörbar, d.h. bis ans Ende der Welt wird es Papst, Bischöfe, Priester und katholische Christen geben und wird die Lehre Christi verkündet werden; denn Christus sagt: 'Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht überwältigen'; ferner: 'Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen' (Lk 21,33).“ (Vorsichtshalber sei hier angemerkt, daß dies nicht bedeutet, daß es zu jeder Zeit aktuell einen Papst geben muß, ist doch der Zustand der Sedisvakanz ein aufgrund der menschlichen Sterblichkeit zwangsläufig eintretendes und sich immer wiederholendes Ereignis, auch wenn er gewöhnlich nicht so lange dauert; grundsätzlich ist jedoch der vorübergehende Ausfall des aktuellen Nachfolgers Petri mit der Unzerstörbarkeit der Kirche durchaus vereinbar, und daher wissen wir, daß er auch diesmal nur vorübergehend sein kann. In diesem Sinn kann man tatsächlich die Worte der allerseligsten Jungfrau vom Triumph ihres Unbefleckten Herzens mit der Indefektiblität der Kirche verknüpfen.) Würde die Kirche zu irgendeinem Zeitpunkt aufhören, die unverfälschte Lehre Christi zu verkünden und stattdessen Irrtümer ausstreuen, dann allerdings hätten „die Pforten der Hölle“ sie überwältigt.

Professor de Mattei will aber auf etwas anderes hinaus. „Die Kirche umfaßt nicht nur den Papst und die Bischöfe“, sagt er, „sondern auch die Gläubigen: Priester, Nonnen, Ordensbrüder, Weltleute und Laien. Der göttliche Beistand ist ihr zugesagt bis zum Ende der Welt und wird sie bewahren, zerstört oder geschwächt zu werden. Das heißt, daß die Kirche in der Geschichte Augenblicke der Verwirrung und des Abfalls (disorientation and defection) haben kann, aber als Ganzes gesehen, wird sie niemals die Gläubigen zur Verdammnis führen.“ Hier müssen wir Einspruch erheben, denn gerade die Unfehlbarkeit ist der Kirche nicht „als Ganzes“ zugesagt, sondern ausdrücklich ihrem Lehramt, also Papst und Bischöfen. Der Herr Professor hingegen meint, es würde der Kirche „als Ganzes“ nicht wirklich schaden, wenn ihr Lehramt auch einmal in Häresie fiele. „Wir wissen genau, daß nur eine höchste und feierliche Stimme dem Prozess der Selbstzerstörung, der im Gange ist, ein Ende machen kann: die Stimme des römischen Pontifex, der einzige, welchem die Möglichkeit gegeben ist, das Wort Christi zu definieren, indem er sich zum unfehlbaren Sprachrohr des Glaubens macht. Wir wissen aber auch, daß ein Papst zur Selbstzerstörung der Kirche beitragen kann, indem er sogar in Häresie fällt, und in diesem Fall zwingt uns unser Gewissen, im zu widerstehen.“ Das entspricht der oben schon abgehandelten Meinung, der Papst könne seine Unfehlbarkeit beliebig an- oder abschalten bzw. sie sei ohnehin nur gegeben, wenn er zu außerordentlichen Akten greift.

Der Herr Professor eröffnet nun einen gar eschatologischen Ausblick: „Am Tage des Gerichtes werden wir allein vor Gott stehen, mit unserem Gewissen, ohne Päpste, ohne Bischöfe, ohne Verwandte und Freunde oder irgendeine Möglichkeit, uns selbst und andere zu belügen, und Gott wird unser Gewissen durchdringen und erleuchten wie ein Lichtblitz. Jene, die ihrem Gewissen mit Reinheit der Absicht folgen und die objektiven Sachverhalte in Glauben und Vernunft als ihr Entscheidungskriterium nehmen, können nicht irren, da Gott den Weg bereits erleuchtet hat. Er erleuchtet ihn mit der Gabe des Glaubens und der Gabe der Vernunft, durch welche der Glaube getragen wird. Wir können nichts tun, was gegen Glauben und Vernunft geht; nichts, was irgendwie widersprüchlich, unklar, mehrdeutig ist, da Gott nicht widersprüchlich ist.“ Hier scheint nun endgültig die Unfehlbarkeit in Glaubensdingen dem Gewissen des einzelnen übertragen und nicht mehr dem Lehramt der Kirche. Gewiß wäre es schön und wünschenswert, wenn alle Menschen „ihrem Gewissen mit Reinheit der Absicht folgen und die objektiven Sachverhalte in Glauben und Vernunft als ihr Entscheidungskriterium nehmen“ würden, doch wäre es falsch zu glauben, sie könnten dann „nicht irren“. Es kann auch irrige Gewissen geben, sogar schuldlos irrige. Nicht „mit der Gabe des Glaubens und der Gabe der Vernunft“ allein hat uns Gott den Weg „erleuchtet“. Beide verweisen uns vielmehr auf die entsprechende Autorität, nämlich das kirchliche Lehramt, von welchem sie im Namen Gottes ihr Licht empfangen. Was nützt unser Glaube, wenn uns niemand lehrt, was zu glauben ist? Wohin führt unsere Vernunft, wenn ihr niemand Halt und Sicherheit gibt?

9. Wir müssen gestehen, daß uns die Ausführungen des Herrn Professors doch sehr an jene Irrtümer gemahnen, welche Heinrich in seiner Dogmatik benennt: „Bossuet und die ihm folgenden Gallikaner stellten die Behauptung auf, daß der apostolische Stuhl, das Papsttum oder, wie man dieses näher erklärte, die Reihenfolge der Päpste unfehlbar sei, nicht aber irgend ein einzelner Papst. Dieser könne eine irrige Lehrentscheidung erlassen, aber der apostolische Stuhl könne bei einem solchen Irrtum nicht verharren, vielmehr werde dieser Irrtum durch einen Nachfolger des irrenden Papstes verbessert werden. Diese zunächst bezüglich des Papstes aufgestellte Theorie wurde von den neuesten Häretikern auch auf den Episkopat mit Einschluß des Papstes ausgedehnt. Nachdem man nämlich die Vatikanische Lehrentscheidung über das unfehlbare Magisterium des Papstes, selbst nachdem der gesamte Episkopat zugestimmt, verworfen hatte, schritt man mit innerer Notwendigkeit zur Behauptung fort, daß mit dem jeweiligen Papst der gesamte jeweilige Episkopat in glaubenswidrigen Irrtum fallen könne; allein, meinte man in Anwendung der Bossuet’schen Theorie auf die Gesamtkirche, dieser Irrtum könne kein bleibender sein und eben darin bestehe die Unfehlbarkeit der Kirche, daß dieselbe über kurz oder lang sich wieder zurecht finde und durch ein künftiges Konzil oder einen künftigen Papst und Episkopat den Fehltritt verbessere“ (Bd. 2, S. 213 f). Erinnert das nicht sehr an das, was Professor de Mattei oben über die Kirche „als Ganzes“ sagt und daß sie sich „am Ende“ als unvergänglich erweisen wird?

Heinrich fährt fort: „Diesen Kirche und Glauben radikal zerstörenden Irrtümern gegenüber ist also festzuhalten, daß, wie die Lehrautorität, so auch das damit verknüpfte Charisma der Unfehlbarkeit den jeweiligen Trägern des kirchlichen Lehramtes, also in jeder Zeit dem zeitweiligen Papste und Episkopate eigen ist. Nur der lebende Papst, der lebende Episkopat ist eine lebendige Autorität – und darum handelt es sich, darauf kommt alles an. Wenn es dagegen gestattet wäre, jede Lehrentscheidung eines bestimmten gegenwärtigen Papstes oder eines bestimmten gegenwärtigen Konzils, unter dem Vorwande einer Abweichung von der Überlieferung der früheren Päpste und des früheren Episkopates und unter Berufung auf einen zukünftigen Papst oder ein zukünftiges Konzil oder auf die Geschichte, zu verwerfen, so wäre jede lebendige kirchliche Autorität, jede Sicherheit des Glaubens vernichtet und jenes Kirche und Christentum zersetzende System eingeführt, das wir oben § 83 charakterisiert haben“ (ebd.). Und sagte nicht der Herr Professor, wir hätten die Pflicht in unserem Gewissen, einem häretischen Papste zu widerstehen?

Über das „Kirche und Christentum zersetzende System“ handelt Heinrich in § 83 wie folgt: „Die tiefste und folgenschwerste Irrlehre liegt in dieser Beziehung darin, wenn man, wie schon die Jansenisten und in noch weit größerem Umfange die neuesten Häretiker, zwar die Tradition und sie ganz vorzugsweise als Quelle des Glaubens anerkennt, aber das kirchliche Lehramt als den unfehlbaren Träger und Interpreten dieser Tradition praktisch und auch theoretisch leugnet, indem man sich selbst oder ‚der Wissenschaft‘ das Recht zuschreibt, dasjenige, was man durch eigene Forschung in der Tradition gefunden zu haben meint, unbekümmert um die Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes festzuhalten. Es ist dieses, wie sofort einleuchtet, die Übertragung des protestantischen Prinzips der freien Forschung von der heiligen Schrift auf die Tradition. Man erkennt dann zwar an, daß die heilige Schrift einer Beglaubigung, Erklärung und Ergänzung durch die Tradition bedürfe; aber was echte Tradition und was ihr Sinn sei, das zu entscheiden, behält man sich selbst in letzter Instanz vor. Es liegt auf der Hand, daß dadurch die kirchliche Autorität, die Objektivität der Glaubensregel, die Glaubenseinheit und das Wesen des Glaubens selbst gänzlich zerstört und das eigene Ermessen an die Stelle der göttlichen Autorität gesetzt wird“ (S. 148 f). Klingt das nicht nach der Rede des Herrn Professors vom „nicht irrenden“ Gewissen, welchem wir zu folgen haben statt der kirchlichen Autorität?

Wiederum Heinrich: „Das hängt dann wieder mit einer falschen Auffassung von dem Träger der kirchlichen Überlieferung zusammen. Man betrachtet nämlich als solchen nicht sowohl die Inhaber des kirchlichen Lehramtes als Stellvertreter Christi, als vielmehr die Gesamtheit der Gläubigen, von deren Glauben die Bischöfe und der Papst lediglich Zeugnis zu geben haben“ (S. 156). Ist es nicht ein wenig das, was der Herr Professor meint, wenn er uns darauf hinweist, daß die Kirche nicht nur Papst und Bischöfe, sondern auch alle Gläubigen umfaßt und ihr „als Ganzes“ die Unfehlbarkeit verheißen ist?

10. Professor de Mattei ist Historiker, und vielleicht sollte er sich auf dieses Gebiet beschränken, denn von Theologie versteht er offensichtlich nicht viel. Aber auch als Historiker müßte er ein wenig nachbessern, wie wir oben bei der Honoriusfrage gesehen haben. Wir sehen jedenfalls, wohin selbst ein gestandener Professor gelangt, wenn er aus ideologischen Vorurteilen heraus der Wahrheit um jeden Preis aus dem Weg gehen will. Der Anti-Sedisvakantismus führt notwendig in Irrtum, weil er sich prinzipiell und systematisch der Wahrheit verweigert. Darin scheint uns einer der Gründe zu liegen, warum die „gegenwärtige Krise“ so hartnäckig ist und menschlich gesehen nicht mehr überwunden werden kann. Einzig auf Gott setzen wir unsere Hoffnung, denn Er hat versprochen, daß Seine Kirche nicht untergehen wird.