Zur Oktav der Unbefleckten

„Die Schönste von allen, von fürstlichem Stand, kann Schönres nicht malen ein englische Hand“, so heißt es im Kirchenlied. Und jeder Katholik weiß, da er diese Wahrheit in der Festmesse der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria feiert, diese Aussage ist im umfassendsten Sinne wahr, im umfassendsten Sinne, der sich nur irgendwie denken läßt. Maria ist die Schönste von allen Geschöpfen, sodaß ihre Schönheit nicht nur die aller Heiligen, sondern selbst die der höchsten Engel übertrifft. Damit wird auch sofort klar, diese Schönheit Mariens ist nicht im natürlichen Sinne gemeint, sondern im übernatürlichen Sinne. Alle irdische Schönheit ist ja immer nur kurzlebig, ist vergänglich und heutzutage sogar mehr als zweifelhaft – die Schönheit der Gnade dagegen währt in Ewigkeit!

Die eigentliche Schönheit Mariens ist unsichtbar, sie ist unserer sinnlichen Erkenntnis verborgen. Die Liturgie bringt für uns diese wahre Schönheit zum Leuchten: „Voll des Frohlockens bin ich im Herrn und meine Seele jauchzt auf in meinem Gott; denn Er hat mich gekleidet in Gewänder des Heiles, hat mich umhüllt mit dem Mantel der Gerechtigkeit, wie eine Braut im Schmucke ihres Geschmeides.“

Was für ein beeindruckender, zutiefst wahrer Text im Eingangslied der Festmesse der Immaculata. Maria ist die Auserwählte schlechthin – auserwählt von Gott aus allen Menschen und allen Engeln und deswegen gekleidet mit Gewändern des Heiles und dem Mantel der Gerechtigkeit. Ja, sie tritt vor uns, „wie eine Braut im Schmucke ihres Geschmeides“. Was für ein tiefgründiges Bild malt die hl. Liturgie also schon im Introitus der Festmesse vor unseren Geist. In Maria findet sich wieder Gnade und Heiligkeit, welche seit dem Sündenfall unserer Stammeltern verloren waren. Mit Maria beginnt ganz und gar unerwartet der Gnadenfrühling in unserer verlorenen Menschenwelt.

P. Ferdinand Kastner schreibt in seinen Marienherrlichkeiten (Lahn Verlag, Limburg/Lahn, 1946): „Wer Sinn für eine göttliche Dramatik hat — und Gottes Werke sind allerhöchste Kunst — der mag dieses Schauspiel schauen: Wie der alte Drache gewissermaßen das Eingangstor zur Welt bewacht, und wie er sie alle faßt, seitdem er die Stammeltern zu Falle gebracht, allesamt: Kain, dem er schon im Mutterschoße das Mal der Sünde eingebrannt, und seinen Bruder Abel; Seth und Henoch, Noe und die Patriarchen ohne Ausnahme. Gewiß: viele entwinden sich ihm wieder in der Kraft des Glaubens an den verheißenen Erlöser — aber zunächst sind sie seine Sklaven. Und so geht es fort: er packt Moses und Elias und die Propheten allesamt, bis auf Johannes den Täufer, der ihm freilich schon im Mutterschoße durch Christi Ankunft strittig gemacht wird, und das Licht der Patriarchen, den hl. Josef; es gibt keine Ausnahme bis jetzt. Und das Drama steigert sich zu seinem Höhepunkte: wie der Feind von Anbeginn nun lauert auf jene, von der ihm die alten Weissagungen und jene furchtbare Geisterkatastrophe vor der Erschaffung der Erde schon gesagt, daß sie die einzigartige Königsbraut sein wird und die Herrin aller Welten — denn auch sie muß ihm gehören, weil sie ihm als Adamstochter nicht entrinnen kann, sondern dasselbe Tor durchschreiten muß wie wir alle. Doch siehe! In jenem Augenblicke, da die Gebenedeite die Schwelle in dieses Jammertal betritt, in primo instanti, wo sie ihre Seele aus Gottes Hand empfängt und Satan sie in seine Gewalt bringen könnte und müßte — da greift Gott zuvor und legt seine Hand auf sie, denn ‚dieses Gesetz gilt für alle, aber nicht für sie‘, die Esther des Neuen Bundes, um des Blutes Christi willen, um des Ewigen Wortes willen, dessen auserwähltes Eigentum und dessen Braut sie ist durch ewigen Beschluß.“

„Wahrhaftig, eine göttliche Dramatik, und ein göttlicher Triumph! Die Immaculata ist der Triumph Christi und der Vollsieg der Erlösung! Muß man es nicht, von allem anderen abgesehen, für recht wahrscheinlich halten, daß Gott sich die Gelegenheit eines solchen Triumphes über die Hölle nicht hat entgehen lassen! Und ist es nicht von hier aus verständlich, warum seitdem Satan immer wieder in neuer Wut entbrennt und alles Höllengift ausspeit, wo Maria ihm begegnet oder Menschen, die sich ihrem Dienst verschrieben?“ Inmitten einer Welt der Sünde ist Maria die Sündenlose, die Makellose, die reinste Jungfrau, die Immaculata! Ja, wie P. Kastner so treffend schreibt: „Die Immaculata ist der Triumph Christi und der Vollsieg der Erlösung!“

Wir können es immer nur erahnen, was für eine Freude es für Gott gewesen sein muß, inmitten unserer Sündenwelt auf die makellose Jungfrau zu schauen – und was für eine Freude ist es für uns, in ihr die Macht der Gnade zu erkennen und so zu lernen, auf diese zu vertrauen. Eine ist also ganz unberührt geblieben von dem Makel der Erbsünde – jene Sünde, die den Verlust der heiligmachenden Gnade bedeutete, den Verlust der Gottesfreundschaft, den Verlust der Unversehrtheit der Natur, den Verlust all dessen, was ein Widerschein der unendlichen Güte Gottes in der Welt des Paradieses gewesen ist. Maria wird von Gott von Beginn ihrer Existenz an wieder ins verlorene Erbe eingesetzt – oder wie es Pius IX. im Dogma von der unbefleckten Empfängnis Marias ausdrückt: „Die allerseligste Jungfrau ist im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch ein einzigartiges Gnadenprivileg Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von der Makel der Erbsünde rein bewahrt geblieben.“

Die Größe dieses Gnadenwunders können wir niemals ermessen. Bedenken wir nur einmal, alle Einfälle der unendlichen göttlichen Liebe, Seiner allmächtigen, unbegreiflichen, zärtlichen Liebe werden in Maria Wirklichkeit! Sie ist die neue Eva und das neue Paradies. Und dieses neue Paradies ist noch viel schöner, viel reiner, viel heiliger als das alte. Maria ist das Entzücken Gottes über Seine Schöpfung, denn die Immaculata ist in ihrer Gnadenfülle Gott unendlich wohlgefällig.

Der Grund für diese Überfülle an Gnade aber ist Jesus! Alle Schönheit Mariens ist für Jesus, den ewigen Sohn des Vaters, der in ihr Mensch werden wird. Maria wurde auserwählt um Jesu willen. Seit Ewigkeit hat Gott in Seiner unendlich weisen Vorsehung auf sie mit unendlichem Wohlgefallen geschaut, denn der ganze Sinn der Welt faßt sich zusammen in Jesus und Maria. Dazu erklärt P. Ferdinand Kastner: „Derjenige, dem Maria ihren mütterlichen Lebensdienst geschenkt hat, ist der eingeborene Sohn Gottes. Deswegen grüßen wir sie mit Recht als die ‚Gottesgebärerin‘. Zwar hat sie dem Sohne Gottes bloß die fleischliche Hülle der menschlichen Natur geschenkt, nicht seine geistige Seele, erst recht nicht seine göttliche Natur oder seine göttliche Person. Aber diese menschliche Natur hat keinen Augenblick für sich bestanden, sie besteht und existiert nur in der Existenz und Subsistenz des Sohnes Gottes. Diesen selber hat Maria in der heiligen Stunde von Nazareth in ihrem reinsten Schöße empfangen; ihn hat sie beherbergt und genährt in jungfräulicher Mutterschaft; ihn, den menschgewordenen Sohn Gottes, hat sie in der heiligen Weihnacht uns allen zum Heile geboren. Mutterschaft ist eben nicht bloß ein Verhältnis von Körper zu Körper, sondern darüber hinaus von Person zu Person, und deswegen ist nicht die isolierte Leibesmaterie, sondern der konkrete Gottmensch Jesus Christus der ‚terminus completus‘ der göttlichen Mutterschaft: er, der im Schoße des Vaters wohnt (Joh. 1,18), ist gleichzeitig, wenn auch auf ganz verschiedene Weise, Gottes und Mariens Sohn.“

Er fährt fort: „Dadurch ist Maria in eine Gottesnähe getreten, die jedem anderen Geschöpfe unerreichbar ist. Deswegen übertrifft sie alle anderen Geschöpfe an Heiligkeit und Würde. Die Gottesgelehrten scheuen sich nicht, diese Würde ‚in gewissem Sinne‘ (secundum quid) unendlich zu nennen. Sie folgen dabei dem hl. Thomas, der erklärt: ‚Die selige Jungfrau besitzt dadurch, daß sie Mutter Gottes ist, eine gewisse unendliche Würde von dem unendlichen Gute her, nämlich von Gott; und insofern kann es nichts Vollkommeneres geben als sie, so wie es auch nichts Vollkommeneres geben kann als Gott‘ (S. th. I q 25 a 6 ad 4). Dadurch ist Maria die sonnengewandete Frau (Geh. Off. 12,1), der alle Schöpfung zu Füßen liegt, geschmückt von den Sternen aller Vollkommenheit und Tugendschönheit. Deswegen ist sie, nicht irgendwie und zufällig, sondern wesentlich hineingestellt in die Ordnung unseres Heiles. Deswegen ist ihre Person ein Gegenstand des Dogmas und der katholischen Glaubenslehre, aber auch der Gegenstand einer Verehrung und einer Liebe des Herzens, höher und inniger, als sie je einem Heiligen geschenkt wird.“

Je mehr man die Auserwählung Mariens begreift, desto tiefer dringt man auch in das Geheimnis ihrer makellosen Reinheit ein. Dabei darf man niemals vergessen, die Ermöglichung dieses Wunders der Immaculata hängt letztlich vollkommen von Jesus Christus, unserem alleinigen Erlöser ab, wie es das Dogma erklärt: Sie ist „im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von der Makel der Erbsünde rein bewahrt geblieben“.

Die Immaculata, auch wenn sie vollkommen sündenlos ist und in ihrem Leben nicht die kleinste läßliche Sünde begangen hat, ist dennoch von Jesus Christus erlöst. Sie ist die Vorerlöste, wie die Theologen sagen, denn Jesus Christus mußte alle ihr im Voraus geschenkten Gnaden erst noch verdienen. Darum kann man sagen, die ganze Schönheit Mariens erblüht in höchster Weise unterm Kreuz als Schmerzensmutter. Da zeigt sich ihre Makellosigkeit in ihrem unbegreiflichen Mitleiden mit ihrem göttlichen Sohn und Erlöser. Auch sie kann vollkommen eins mit ihrem Sohn sagen: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ (Joh. 4,34). Im Leiden offenbart sich die inwendige Schönheit einer Seele, die Größe ihrer Tugenden und vor allem die Vollkommenheit ihrer Liebe. Maria erduldet vollkommen freiwillig das größte Leid aus Liebe zu ihrem göttlichen Sohn und aus Liebe zu den Seelen. Darin wird sie ganz eins mit dem Erlöserleiden und Erlöserherzen Jesu Christi. Somit wird die Immaculata zur Miterlöserin, zur Gehilfin ihres göttlichen Sohnes auf Seinem bitteren Kreuzweg und in Seinem bitteren Leiden und Sterben am Kreuz. Treu steht sie an Seiner Seite und weicht auch im größten Leiden nicht zurück. Dadurch offenbart sich uns in ihr die unvorstellbare Macht der Gnade, die sich auch an uns offenbaren soll. Auch wir sollen mit Maria für Jesus makellose Seelen werden. Seelen, die den Namen eines Kindes Gottes und Kind Mariens zurecht tragen.

Ferdinand Kastner schreibt dazu: „So stehen wir denn in Ergriffenheit, Bewunderung und Vertrauen vor der Wunderwelt der Immaculata. Wir begreifen: jene, die der eingeborene Sohn Gottes von Ewigkeit auserwählt und sich zugesellt hat als Teilhaberin seiner Geheimnisse und Gehilfin seiner Werke, mußte Immaculata sein! Denn mit ihr sollte, nach dem allgemeinen Ruin des Menschengeschlechtes, ein neuer Anfang gemacht werden; er wäre verfehlt, wenn die neue Eva doch wieder irgendwie in der alten Verderbnis stünde. Hier sehen wir auch den engen Zusammenhang des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis mit dem Gesamtgefüge des katholischen Glaubens. Der Protestantismus (im Sinne der alten Reformatoren) konnte keine Immaculata gebrauchen, weil nach seiner Auffassung die Erlösung gar keinen wirklichen neuen Anfang bedeutet und gar keine neue Schöpfung bewirkt, sondern bloß eine äußerliche Nichtanrechnung der Sündenschuld und ein Zudecken des Sündenelends. Nach dem katholischen Glauben bedeutet aber die Erlösung einen wirklichen neuen Anfang; wir sind in Christus eine neue Schöpfung — wir freilich erst infolge einer nachträglichen Befreiung von der Erbsünde und von persönlichen Sünden. Aber weil wir in Christus ein neues Geschlecht sind, deshalb sollte an dessen Anfang neben dem neuen Adam die neue Eva stehen, rein, heilig und unversehrt!“

Es ist schon wahr, man muß die Immaculata in ihrem Gnadengeheimnis wieder und wieder betrachten, damit man selbst ein Gespür für die unendlich reiche Gnadenwelt Gottes und die darin herrschenden Gesetze entwickelt: „Hier sehen wir auch den engen Zusammenhang des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis mit dem Gesamtgefüge des katholischen Glaubens.“ Dieses Gespür für das Gesamtgefüge des katholischen Glaubens ist in dieser Zeit des großen Abfalls jedem Katholiken besonders notwendig. Je mehr nämlich die Gnadenwelt um uns herum zerbricht, desto gefährdeter sind wir selbst in unserem übernatürlichen Glauben. Gefährdet nicht nur durch die Sittenlosigkeit, sondern auch durch den sich immer noch vermehrenden und weiter verderbenden Unglauben. Wie schwer ist es da, das Übernatürliche noch als Wirklichkeit zu sehen und es sodann so festzuhalten, daß man es auch recht zu leben weiß.

Die Immaculata und die Heiligkeit der Kirche

Wir wollen aus den über die Immaculata gewonnen Erkenntnisse nun noch einen besonderen Nutzen ziehen, indem wir diese auf die Lehre über die hl. Kirche übertragen. Die makellose Jungfrau und Gottesmutter Maria ist das Urbild der hl. Kirche, schreibt doch der hl. Paulus im Epheserbrief: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie, die er durch das Bad des Wassers im Wort gereinigt hatte, zu heiligen, damit die Kirche herrlich vor ihm stehe, nicht mit Flecken, oder Runzeln oder dergleichen, sondern heilig und makellos“ (Eph. 5, 25-27). Wie Maria makellose Jungfrau und zugleich Mutter ist, ebenso wird die Kirche als makellose Jungfrau und Mutter bezeichnet. Ein Blick auf die Gnadenvorzüge Mariens kann darum unseren Blick auf das Wesen der Kirche Jesu Christi, die heute sich in der Verfinsterung befindet und deswegen unseren übernatürlichen Glauben herausfordert, schärfen. Wir müssen heute im Glauben bewahren, was wir nicht mehr direkt mit den Augen sehen können – das unwandelbare Wesensbild der heiligen Kirche.

Wie viele Katholiken haben sich nach dem vatikanischen Räuberkonzil durch die gewaltsamen Umbrüche in die Irre führen lassen? Der Grund dafür ist wohl vor allem, daß sie das Wesen der Immaculata nicht mehr verstanden haben. Die ganz und gar übernatürliche Wirklichkeit dieses Gnadenprivilegs Mariens war ihnen nicht mehr einsichtig. Darum ließen sie sich verführen, nicht nur sich ihre Liebe zu Maria rauben zu lassen, sie begannen zudem, die neu entstandene Menschenmachwerkskirche für die makellose Braut Jesu Christi zu halten.

In seiner Abhandlung „Die theologische und praktische Bedeutung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes, besonders in seiner Beziehung auf die heutige Zeit“ zieht M. J. Scheeben den Vergleich zwischen der Immaculata und der hl. Kirche. Folgen wir auszugsweise seinen äußerst lehrreichen Gedanken.

„Der richtige Blick des gläubigen Christen sagt demselben instinktmäßig: Die Würde des Gottmenschen erheische notwendig, daß diejenige, aus deren Schoß der Sohn Gottes seine Menschheit annehmen sollte, an Leib und Seele unbefleckt und rein, durchaus heilig und herrlich sei, daß sie vom ersten Augenblicke ihres Daseins an in übernatürlicher Reinheit und Schönheit erstrahle; seine Macht verlange, daß er in ihr, dem Erstling der Erlösung, den vollsten Triumph über die Sünde und die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur feiere; seine göttliche Liebe zu ihr, der von Ewigkeit von ihm für sich auserwählten Braut und Mutter, nötige ihn, ihr die reichste Fülle übernatürlicher Gnade bei ihrer Schöpfung als Mitgift zu geben; kurz, so wahr Christus Gott sei, so wahr müsse der Eckstein, durch welchen Gott das Menschengeschlecht in seinen Sohn und seinen Sohn in das Geschlecht hineingründete, ein durchaus unantastbarer reiner und heiliger Stein sein; so wahr müsse der Schoß, aus welchem mit dem Gottmenschen und durch ihn die übernatürliche Wiedergeburt des Geschlechtes ausgehen sollte, absolut unentweiht und vom Heiligen Geiste durchaus erfüllt sein.“

Weiter: „Dieselbe Konsequenz des Glaubens an die Gottheit Christi sagt uns aber auch: Seine Würde erheische, daß die Kathedra der Wahrheit, auf welche seine Lehre forterhalten werden sollte, niemals durch gottlosen Irrtum entweiht werde; seine Macht fordere, daß er wenigstens in seinem Stellvertreter auf der Erde den Thron seiner Wahrheit und seiner Herrschaft über die Geister unentwegt allen Angriffen der Hölle gegenüber aufrecht erhalte; seine göttliche Liebe zur Kirche lasse es nicht zu, daß der ihr zum Schutz gegebene Lehrstuhl der Wahrheit auch nur einen Augenblick zu einer 'Kathedra der Pestilenz“'werde; kurz, so wahr Christus Gott sei, so wahr müsse auch der Grundstein, den er selbst gelegt, um den äußeren Organismus der Kirche in der Wahrheit aufrecht und zusammenzuhalten; in dieser seiner Funktion ebenso unentweiht und unerschütterlich dastehen, wie der Eckstein, durch den die Kirche in ihn hineingebaut worden und innerlich mit ihm zusammenhängt, in jeder Beziehung heilig und unantastbar sein mußte.“

Ganz richtig schreibt Scheeben, der richtige Blick des gläubigen Christen würde instinktmäßig folgende Wahrheit einsehen: „Die Würde des Gottmenschen erheische notwendig, daß diejenige, aus deren Schoß der Sohn Gottes seine Menschheit annehmen sollte, an Leib und Seele unbefleckt und rein, durchaus heilig und herrlich sei, daß sie vom ersten Augenblicke ihres Daseins an in übernatürlicher Reinheit und Schönheit erstrahle.“ Hier handelt es sich um den übernatürlichen Glaubensinstinkt des Katholiken. Wenn dieser einmal verloren ist, dann bleiben einem die meisten übernatürlichen Wahrheiten verborgen und der übernatürliche Glaube verkehrt sich unbemerkt zu einem rein natürlichen. Wir sehen das etwa bei den Protestanten, die durchaus nicht mehr diesen unlösbaren Zusammenhang zwischen dem Gottmenschen und Seiner heiligsten Mutter einsehen wollen und wohl aufgrund ihrer vielen Irrlehren über den Gottmenschen, Seine Erlösung und die Gnade auch gar nicht mehr können. So gesehen sind die protestantischen Irrlehrer letztlich, innerhalb ihrer Irrlehre betrachtet, nur konsequent, wenn sie nicht nur die Verehrung der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria ablehnen, sondern ebenso die hl. Kirche in ihrer übernatürlichen Stellung als Vermittlerin des Heils. Es fehlt ihnen jeweils am übernatürlichen Glauben und damit an der entsprechenden Einsicht in diese Gnadenwirklichkeiten.

Wer dagegen die Würde des Gottmenschen Jesus Christus recht erkennt, der wird sowohl die Würde Mariens, „aus deren Schoß der Sohn Gottes seine Menschheit annehmen sollte“, unmittelbar einsehen und die entsprechende „übernatürliche Reinheit und Schönheit“ derjenigen bewundern, die wir mit Recht Mutter Gottes nennen, als auch intuitiv anerkennen, daß der hl. Kirche, welche der mystische Leib Jesu Christi ist, auch alle Eigenschaften des Gottmenschen wesentlich zukommen müssen. Die hl. Kirche ist genauso wie Maria ein Gnadengeheimnis, das man ausschließlich im übernatürlichen Glauben fassen kann. Ein wesentlicher Teil dieses Gnadengeheimnisses aber ist die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes. Wenn die Kirche wahrlich der Leib Jesu Christi ist, dann erfordert „Seine Würde…, daß die Kathedra der Wahrheit, auf welche seine Lehre forterhalten werden sollte, niemals durch gottlosen Irrtum entweiht werde; seine Macht fordere, daß er wenigstens in seinem Stellvertreter auf der Erde den Thron seiner Wahrheit und seiner Herrschaft über die Geister unentwegt allen Angriffen der Hölle gegenüber aufrecht erhalte; seine göttliche Liebe zur Kirche lasse es nicht zu, daß der ihr zum Schutz gegebene Lehrstuhl der Wahrheit auch nur einen Augenblick zu einer 'Kathedra der Pestilenz' werde“.

Nur durch diesen übernatürlichen Beistand kann die Kirche Jesu Christi ihren übernatürlichen Glauben und damit ihr übernatürliches Wesen bewahren. Lassen wir hierzu nochmals Scheeben zu Wort kommen, der in seiner Abhandlung diesen Gedanken ausführlich herausarbeitet, weil schon damals nach dem (ersten und einzigen) vatikanischen Konzil dieser übernatürliche Glaube bedenklich im Schwinden begriffen war. In Deutschland zeigte sich das vor allem durch die Angriffe der Altkatholiken auf das Dogma der Unfehlbarkeit.

Scheeben geht in seiner Erklärung auf die Wesenseigenschaften der Kirche ein, wobei wir „die gewöhnliche Reihenfolge der Eigenschaften der Kirche insoweit verändern, daß wir die Heiligkeit an die erste Stelle setzen, weil in ihr zunächst der bisher besprochene übernatürliche Zusammenhang der Kirche mit Christus und dem Heiligen Geiste, oder ihre Einheit mit Gott, sich ausspricht, während die Katholizität und Apostolizität der Kirche, als die Einheit derselben im Raum und in der Zeit sich als besondere Seiten an die Einheit schlechthin, d. h. die organische Einheit anschließen. Auch hier wird uns der Seitenblick auf die heilige Eucharistie, als die innere Quelle der Heiligkeit und das innere Band der Einheit gute Dienste leisten.“

„Zuerst also tritt durch die Unfehlbarkeit des Papstes die Heiligkeit der Kirche in ihr volles Licht. Die Heiligkeit der Kirche als der durch den Heiligen Geist befruchteten und erleuchteten Braut Christi hat eine doppelte Seite. Nach der einen Seite hin besteht sie in der unentweihten übernatürlichen Fruchtbarkeit ihres Schoßes, durch welche die Kirche vermitteltst der Sakramente die sündhaften Menschen zu heiligen Kindern Gottes wiedergebiert und das in ihnen erzeugte göttliche Leben nährt, fördert, heilt und entwickelt; nach der anderen Seite hin liegt sie in der unentweihten Reinheit ihres mit dem Honig himmlischer Weisheit erfüllten Mundes, durch welche sie den Kindern Gottes die heilige Lehre ihres himmlischen Vaters verkündet und sie vermittelst derselben zu einem gottähnlichen heiligen Leben erzieht – die Heiligkeit des Lebens und der Werke der Kinder der Kirche ist nur die Frucht und das Zeugnis dieser doppelten Heiligkeit ihres Schoßes und ihres Mundes. Nach der zweiten Seite hin ist die Heiligkeit der Kirche identisch mit ihrer Unfehlbarkeit, wofern jedoch die letztere in lebensvoller Beziehung gedacht wird zum Lichte des Heiligen Geistes, aus der sie entspringt, und zu dem heiligen Leben in und aus dem Lichte der göttlichen Wahrheit, welches sie leiten und regeln soll.“

Die Heiligkeit der Kirche ist eine übernatürliche Wesenseigenschaft und als solche ein permanentes Wunder. Denn nichts in unserer Welt kann ohne dauernden besonderen Gnadenbeistand heilig sein und sodann beständig in der Heiligkeit bleiben. Die Heiligkeit der Kirche hat nun zwei Seiten: Die eine Seite ist die unentweihte übernatürliche Fruchtbarkeit ihres Schoßes, die sich in ihren Sakramenten zeigt. Diese sind übernatürliche, heilige, gottgeschenkte Gnadenmittel, durch welche die Kirche bis zum Ende der Zeiten „die sündhaften Menschen zu heiligen Kindern Gottes wiedergebiert und das in ihnen erzeugte göttliche Leben nährt, fördert, heilt und entwickelt“. Das göttliche Gnadenleben ist aber unlösbar verbunden mit der göttlichen Wahrheit. Wie sollte man auch ohne die Erleuchtung durch die göttliche Wahrheit die Wunder der Gnade erkennen können? Wie um die göttlichen Gnadenmittel wissen? Wie den Weg der Erlösung gehen können? Deswegen ist für die Heiligkeit der Kirche notwendig, die göttliche Wahrheit vor jeglicher Willkür zu sichern, denn „nach der anderen Seite hin liegt sie in der unentweihten Reinheit ihres mit dem Honig himmlischer Weisheit erfüllten Mundes, durch welche sie den Kindern Gottes die heilige Lehre ihres himmlischen Vaters verkündet und sie vermittelst derselben zu einem gottähnlichen heiligen Leben erzieht“.

„Wie nun die Heiligkeit der Kirche nach der ersten Seite hin am vollkommensten sich darin ausspricht, daß sie in der Eucharistie Christus selbst in geheimnisvoller Weise wiedergebären und den Kindern Gottes als Nahrung und Wurzel ihres übernatürlichen Lebens ins Herz legen kann: so kulminiert sie nach der anderen Seite hin darin, daß das sichtbare Oberhaupt der Kirche, durch dessen Mund Christus selbst seine Kinder leitet und weidet, nur eine durchaus reine, gesunde und heilige Lehre verkünden kann und durch seine unantastbare Autorität in Stand gesetzt ist, alle unreinen, ungesunden und unheiligen Lehren von ihnen zu entfernen und fern zu halten. Ja, die Unfehlbarkeit des Oberhauptes der Kirche ist nicht bloß die Krone ihrer Heiligkeit; ohne dieselbe kann man kaum von der Heiligkeit der lebendigen Kirche sprechen. Wo sollen wir auch in der Kirche ihre unbefleckte und unbefleckbare Heiligkeit suchen, wie noch die Kirche in ihrem lebendigen Organismus als heilig denken, wenn ihr Haupt, der wesentliche Teil dieses Organismus, von dem alle Teile desselben abhängen und in Bewegung gesetzt werden, nicht heilig ist, in dem Sinne nämlich, daß von ihm kein Einfluß ausgehen kann, der das innere Leben des ganzen Körpers durch Verkündung unheiliger Grundsätze im Prinzip vergiften und verpesten würde? Wo hätte ferner die Kirche im ganzen Bereiche ihres Organismus den unentweihten heiligen Mund, aus welchem ihre Kinder die heilige Lehre des Heils und des Lebens mit aller Sicherheit empfangen, und durch welchen alle unheiligen Irrtümer, als ihrem Geiste fremd abgewiesen und ausgeschieden werden könnten, wenn es nicht der Mund ihres sichtbaren Oberhauptes ist?“

Diese Ausführung Scheebens müßte doch eigentlich viele sog. Traditionalisten nachdenklich machen, denn sie steht im offenen Widerspruch zu ihren vielfältigen Äußerungen über eine Kirche mit einer unwürdigen, protestantisierenden, in sich schlechten Liturgie; eine Kirche mit Gesetzen, welche das Heil der Seelen gefährden; ganz abgesehen von der Flut von Verlautbarungen des hl. Stuhles, welche den Glauben gefährden sollen. Wie, so fragt Scheeben hierzu ganz zu Recht, verträgt sich das mit der Heiligkeit der Kirche? „Wo sollen wir auch in der Kirche ihre unbefleckte und unbefleckbare Heiligkeit suchen, wie noch die Kirche in ihrem lebendigen Organismus als heilig denken, wenn ihr Haupt, der wesentliche Teil dieses Organismus, von dem alle Teile desselben abhängen und in Bewegung gesetzt werden, nicht heilig ist, in dem Sinne nämlich, daß von ihm kein Einfluß ausgehen kann, der das innere Leben des ganzen Körpers durch Verkündung unheiliger Grundsätze im Prinzip vergiften und verpesten würde?“

Wenn diese Traditionalisten nicht mehr allein von kranken Gliedern in der Kirche sprechen, sondern von einer kranken Kirche fabulieren, zu der man dann auch noch einen möglichst großen Abstand halten soll, damit man sich nicht an ihren Irrlehren ansteckt, haben diese Traditionalisten dann nicht schon ihren übernatürlichen Glauben an die Heiligkeit der Kirche verloren? Wie kann die heilige Kirche unheilige Sakramente haben? Wie kann sie allgemeine Gesetze erlassen, welche das Heil der Seelen gefährden, weil sie den Geboten Gottes widersprechen, ohne dadurch ihre Heiligkeit zu verlieren? Wäre das nicht dasselbe, um unseren Vergleich mit der Immaculata, dem Urbild der Kirche, wieder aufzunehmen, wie wenn man der Gottesmutter dennoch läßliche oder sogar schwere Sünden zuschreiben würde, wie es die Modernisten z.T. auch tun? Ebenso wie man im Modernismus aus der Gnadenvollen ein ganz einfaches hebräisches Mädchen und Frau macht, sie also vollkommen ins Natürliche herabzieht und ihr nichts zutraut, was über diese Natur hinausweisen könnte, zieht man auch die makellose Kirche ins rein Natürliche herab und macht sie damit zu einer fehlbaren, fehlerbehaften Gemeinschaft – so daß weiter zu fragen ist: „Wo hätte ferner die Kirche im ganzen Bereiche ihres Organismus den unentweihten heiligen Mund, aus welchem ihre Kinder die heilige Lehre des Heils und des Lebens mit aller Sicherheit empfangen, und durch welchen alle unheiligen Irrtümer, als ihrem Geiste fremd abgewiesen und ausgeschieden werden könnten, wenn es nicht der Mund ihres sichtbaren Oberhauptes ist?“

Was ist geschehen, wenn sog. Traditionalisten irgendeinem Weihbischof oder Priester mehr Glauben schenken als ihrem vermeintlichen Papst, also für sie jenem „unentweihten heiligen Mund, aus welchem ihre Kinder die heilige Lehre des Heils und des Lebens mit aller Sicherheit empfangen“? Ihr übernatürlicher Glaube hat sich in einen rein natürlichen verkehrt, denn sie erwarten die zum übernatürlichen Glauben notwendige absolute Sicherheit von Leuten, welche ihnen diese Sicherheit gewiß nicht geben können, weil sie in ihrem Glaubensurteil niemals unfehlbar sein können, gehören sie doch nicht einmal zum Lehramt der Kirche!

Nach dem (einzigen) vatikanischen Konzil gab es, wie schon kurz erwähnt, einen heftigen Widerstand gegen das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Scheeben geht natürlich in seinem Artikel genauer auf diese Angriffe ein, die auch heute durchaus noch aktuell klingen: „Die unversöhnlichen Gegner der päpstlichen Unfehlbarkeit halten freilich mit den Jansenisten die Kirche selbst dann noch für heilig, wenn ihr Haupt ein Jahrtausend lang 'ein entstellender, krankhafter, atembeklemmter Auswuchs am Organismus der Kirche gewesen' (Janus S. IX.) und durch seinen Mund Jahrhunderte lang gottwidrige Irrtümer gepredigt habe, und wenn, wie jetzt, das Haupt mit dem gesamten Lehrkörper einen fundamentalen Irrtum mit äußerster Energie aufrecht halten soll. Kann man eine Kirche, bei der eine so tiefgreifende und allgemeine Entweihung möglich ist, noch heilig nennen? Nein, und abermals nein; es sei denn, daß man mit den Wicleffisten und Reformatoren die Heiligkeit der Kirche in der inneren, persönlichen Heiligkeit einiger auserwählten Individuen suchen wollte. Vielmehr beweist gerade diese furchtbare Verirrung, wie notwendig es zur Aufrechterhaltung der Heiligkeit der Kirche als solcher sei, in ihrer Mitte einen festen, unverletzlichen Punkt anzunehmen, welcher niemals durch unheiligen Irrtum entweiht werden kann. Und dieser Punkt ist kein anderer, als der Fels, auf den die Kirche gebaut ist, und auf welchen der Katholik die prophetischen Worte anwendet, die der Psalmist zunächst von der irdischen Stadt Gottes gesungen: 'Ihre Fundamente sind auf heiligen Bergen.' (Ps. 86,1.) Die Notwendigkeit der unantastbaren Heiligkeit des Fundamentes der Kirche ist auch den Gegnern so evident, daß sie eben deshalb sich alle Mühe geben, dem Papste die Stellung und Bedeutung eines wahren Fundamentes für die Stadt und das Haus Gottes abzusprechen. Aber um so mehr mußte die Kirche ihnen gegenüber zur Wahrung ihrer eigenen Heiligkeit die Heiligkeit ihres Fundamentes betonen und hervorheben.“

Unverkennbar beschreibt Scheeben mit seinen Worten nicht nur die damaligen Altkatholiken, Jansenisten und Gallikaner, sondern gleichfalls eine Vielzahl heutiger Traditionalisten: „Die unversöhnlichen Gegner der päpstlichen Unfehlbarkeit halten freilich mit den Jansenisten die Kirche selbst dann noch für heilig, wenn ihr Haupt ein Jahrtausend lang 'ein entstellender, krankhafter, atembeklemmter Auswuchs am Organismus der Kirche gewesen' (Janus S. IX.) und durch seinen Mund Jahrhunderte lang gottwidrige Irrtümer gepredigt habe, und wenn, wie jetzt, das Haupt mit dem gesamten Lehrkörper einen fundamentalen Irrtum mit äußerster Energie aufrecht halten soll.“ Mit welchem Eifer geht man etwa daran, vermeintliche Irrtümer der Päpste aus der Kirchengeschichte auszugraben und zusammenzusammeln, irgendwelche Skandale aufzuwärmen oder Eigentümlichkeiten auszuschlachten – um zu zeigen, daß die Päpste immer schon Irrtümer verkündet haben, ein schlechtes Leben geführt haben und somit „ein entstellender, krankhafter, atembeklemmter Auswuchs am Organismus der Kirche gewesen“ sind. Ja, so sagt man, Paul VI. hat auf dem sog. 2. Vatikanum zusammen mit allen Bischöfen sogar durch die Verkündigung der Religionsfreiheit öffentlich eine Irrlehre vertreten, sodaß fortan „das Haupt mit dem gesamten Lehrkörper einen fundamentalen Irrtum mit äußerster Energie aufrecht halten soll“. Sind die Parallelen nicht verblüffend?

Doch damit noch nicht genug, hören wir weiter: „Um zu zeigen, daß der Papst nicht das heilige Fundament der Kirche sein könne, weist man hin auf die Fehler und Sünden und auf das zuweilen in der Tat keineswegs heilige Leben einzelner Päpste. Allein das beweist wiederum nur, daß die Päpste nicht durch ihr persönliches Leben und Tun das Fundament der Heiligkeit der Kirche sind; dieses ist aber auch so wenig notwendig, als die Heiligkeit der Kirche als solcher in der persönlichen Heiligkeit aller ihrer Glieder besteht. Vielmehr ist die Heiligkeit der Lehre der Päpste gerade deshalb um so notwendiger für die Heiligkeit der Kirche, weil das Leben der Päpste nicht immer das heiligste ist. Denn so lange das böse Beispiel oder unheilvolle Schritte durch die eigene Lehre der Päpste gerichtet werden, können sie der Kirche nicht wesentlich schaden; so lange ist die lokale Krankheit des Hauptes keine Krankheit zum Tode für den ganzen Körper; so lange gilt das Wort: 'Was sie euch sagen, das tut, aber nach ihren Werken tut nicht': sobald aber auch die authentische Lehre des Heiligen Stuhles gefälscht werden könnte, würde die Heiligkeit der Kirche im Prinzip gefährdet, würde die Krankheit derselben unheilbar, und müßte der andere Spruch des Heilandes Platz greifen: 'Wenn das Auge verdunkelt ist, wird der ganze Körper finster sein.'“

Es heißt also durchaus für einen Katholiken, aufpassen und genau unterscheiden, wenn er sich angesichts des nachkonziliaren Chaos nicht durch die Macht des Faktischen in die Irre führen lassen möchte. Solange die Päpste nur im privaten Bereich ein schlechtes Leben führen oder sich sogar irren, werden sie „durch die eigene Lehre der Päpste gerichtet werden, können sie der Kirche nicht wesentlich schaden; so lange ist die lokale Krankheit des Hauptes keine Krankheit zum Tode für den ganzen Körper; so lange gilt das Wort: 'Was sie euch sagen, das tut, aber nach ihren Werken tut nicht'“. Dies ändert sich aber grundlegend, wenn sie öffentlich als Amtsträger handeln und ihre Irrtümer der ganzen Kirche aufoktroyieren: „sobald aber auch die authentische Lehre des Heiligen Stuhles gefälscht werden könnte, würde die Heiligkeit der Kirche im Prinzip gefährdet, würde die Krankheit derselben unheilbar, und müßte der andere Spruch des Heilandes Platz greifen: 'Wenn das Auge verdunkelt ist, wird der ganze Körper finster sein.'“

Wer aber könnte noch bezweifeln, daß all das, was wir seit Jahrzehnten aus Rom vernehmen, was all die Konzils- und Nachkonzils-„Päpste“ sagten und sagen, taten und tun, vorschrieben und vorschreiben zur zweiten Art gehört. In diesen wenigen Jahrzehnten haben sie ihre Irrtümer der ganzen kirchlichen Organisation übergestülpt und sie zur Norm ihrer „Kirche“ erhoben, so daß man nicht umhin kommt, mit Anna Katharina Emmerich von einer Afterkirche zu sprechen, also einer dämonischen Nachäffung der wahren Kirche Jesu Christi.

Lassen wir Scheeben seine Gedanken noch abschließen, denn seine Ausführung offenbart noch eine weitere Nuance dieses seltsamen Phänomens des heutigen Traditionalismus: „Übrigens vergesse man nicht, daß, wenn schon die Heiligkeit der Lehre bei den Päpsten nicht ihre persönliche Heiligkeit einschließt, so doch die unfehlbare Lehrautorität des Heiligen Stuhles als die fruchtbare Mutter all der Heiligkeit des Lebens erscheint, welche sich wirklich in der Kirche kund gibt, und daß gerade die schönsten und edelsten Blüten der Heiligkeit in ihrem Lichte entspringen, gedeihen und glänzen. Der demütige Gehorsam und die unerschütterliche Festigkeit des Glaubens, diese beiden Wurzeln der wahren Heiligkeit, entspringen und betätigen sich bei den Heiligen vorzugsweise in der Unterwerfung und dem Vertrauen gegen die Lehrautorität des Heiligen Stuhles; seine Lehre vor allem bewahrt sie vor den gefährlichen Extremen und leitet sie auf der goldenen Mittelstraße zur höchsten Höhe der Vollkommenheit; und seine Autorität ist es allein, welche ihren Tugenden den Glanz und die Krone verleiht, durch welche sie der Gegenstand der Verwunderung und Nachahmung für alle Kinder der Kirche werden. Es ist eine merkwürdige, wohl zu beachtende Erscheinung: wie einerseits die Heiligen vor allen Menschen die Heiligkeit des Heiligen Stuhles achten und ehren, und von ihm wiederum, wie sonst nirgendwo, geachtet und geehrt worden, so sind auch andererseits die Verächter der Heiligkeit des Heiligen Stuhles in der Regel zugleich Verächter der Heiligen und umgekehrt. Um die letztere Tatsache zu konstatieren, braucht man nicht aus der Kirche hinaus und auch nicht weit in die Vergangenheit zurückzugehen: Es genügt, an das despektierliche Verfahren zu erinnern, womit Janus und Genossen in der jüngsten Zeit die Heiligen behandelt haben, welche, wie die heiligen Johannes Capistran und Alphons v. Liguori, für die Unfehlbarkeit des Heiligen Stuhles angerufen wurden, oder deren vom Heiligen Stuhl gebilligte und bestätigte Schriften und Taten, wie die des heiligen Ignatius von Loyola, man als Beweis seiner eigenen verderblichen Lehre ausbeuten wollte.“

Wenn der Heilige Stuhl allein unfehlbar ist und wenn er vom Heiligen Geist geleitet die letzte Norm unseres übernatürlichen Glauben ist, dann ist es nur folgerichtig, daß der Katholik sich an ihr allein mit letzter Sicherheit orientieren kann: „Der demütige Gehorsam und die unerschütterliche Festigkeit des Glaubens, diese beiden Wurzeln der wahren Heiligkeit, entspringen und betätigen sich bei den Heiligen vorzugsweise in der Unterwerfung und dem Vertrauen gegen die Lehrautorität des Heiligen Stuhles; seine Lehre vor allem bewahrt sie vor den gefährlichen Extremen und leitet sie auf der goldenen Mittelstraße zur höchsten Höhe der Vollkommenheit.“ Das Beispiel der Heiligen ist hierbei so vielfältig, daß es müßig erscheint, ins Einzelne zu gehen. Weniger müßig erscheint es jedoch das Gegenteil aufzuzeigen, von dem Scheeben ebenfalls spricht: „so sind auch andererseits die Verächter Heiligkeit des Heiligen Stuhles in der Regel zugleich Verächter der Heiligen und umgekehrt“.

Es müßte eigentlich jedem wahren Katholiken sehr unangenehm in Erinnerung sein, mit welcher Verbissenheit manche Traditionalisten daran gingen, die Heiligen regelrecht zu demontieren, um die unheiligen Heiligen der Menschenmachwerkskirche ablehnen zu können und zugleich den „Papst“, der diese heiliggesprochen hat, immer noch als höchste und unfehlbare Autorität der Kirche meinen anerkennen zu können. Was da nicht alles aus dem Schatzkästchen der Vergangenheit hervorgeholt wurde – freilich aus dem Schatzkästchen der Häretiker, wie man nicht allzu schwer feststellen kann, wenn man der Sache auf den Grund geht. Da sind es dann nicht allein die „heiligen Johannes Capistran, Alphons v. Liguori und der heilige Ignatius von Loyola“, sondern es gibt zudem einen jähzornigen hl. Hieronymus, einen schismatischen hl. Cyprian, einen liberalen hl. Thomas Morus oder einen allzu ehrgeizigen, machtbesessenen hl. Cyrill von Alexandrien. Diese demontierten, ihrer Heiligkeit beraubten „Heiligen“ müssen sodann herhalten, den eigenen Irrglauben von der kranken Kirche und dem allzeit irrenden Lehramt zu stützen. Wie abermals jeder leicht einsehen kann, gibt es nichts Neues unter der Sonne. Die meisten Traditionalisten haben offensichtlich im Eifer des Gefechts unbemerkt die falsche Tradition zur Grundlage ihres „Tradiglaubens“ gemacht, nämlich die Tradition der Gallikaner, Jansenisten und Altkatholiken. Wobei man den alten Irrlehrern wenigstens noch zugutehalten muß, daß sie ehrlicher waren als die heutigen. Haben sie doch aufgrund ihrer falschen theologischen Voraussetzungen wenigstens den einzig folgerichtigen Schluß gezogen und die Unfehlbarkeit konsequent geleugnet. Zu einer solchen sachlichen Folgerichtigkeit sind ihre modernen Schüler schon nicht mehr fähig. Weshalb zu befürchten ist, daß der Glaubenssinn sich bei diesen noch weiter verdreht hat. Aber eines paßt dennoch ganz gut zusammen: Diese unheiligen Vorfahren fügen sich gut zur unheiligen „Kirche“ dieser Leute.