Engel sind Antimodernisten

Der Katholik befindet sich heutzutage in einer äußerst mißlichen Lage. Durch das fast totale Versagen der kirchlichen Hierarchie im Kampf gegen die größtmögliche Irrlehre – den Modernismus – steht er alleingelassen inmitten einer neuheidnischen Welt. Es ist kein kleines Wunder notwendig, will er seinen Glauben inmitten dieses Sammelbeckens aller Häresien bewahren – ohne Hilfe des kirchlichen Lehramtes, das von den Modernisten besetzt ist – „Dort, wo der Sitz des heiligen Petrus und das Lehramt der Wahrheit zur Erleuchtung der Völker errichtet ist, dort stellen sie den Thron ihrer abscheulichen Gottlosigkeit auf, damit, nachdem der Hirt geschlagen ist, sie auch die Herde zerstreuen können“, schreibt Papst Leo XIII. in seinem Gebet zum heiligen Erzengel Michael vom 18. Mai 1890 – und zum Leeramt umfunktioniert wurde, was leider nur die wenigsten, genügend wachsamen Katholiken erkannt haben.

Wie kann man diesen Verlust einigermaßen ausgleichen? Wie kann man von Gott jene außerordentlichen Gnaden erlangen, die zum Erhalt des Glaubens unbedingt notwendig sind? Neben der Verehrung der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria ist besonders die Verehrung der heiligen Engel notwendig. Diese sind nämlich sicherlich wahre Lehrmeister der göttlichen Wahrheit und des übernatürlichen Lebens, da sie immerdar Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Zudem sind sie von Gott als unsere Beschützer und Begleiter bestimmt worden, die niemals von unserer Seite weichen.

Aber ihre Hilfe in dieser Notzeit geht noch weiter. Sie helfen uns allein schon durch ihr Wesen, das katholische Denken nicht zu verlieren. Denn zweifelsohne sind auch sie als Glieder der triumphierenden Kirche katholisch und somit natürlich auch Antimodernisten. Das moderne Denken ist ihnen völlig fremd, ist es doch grundfalsch und in keiner Weise mehr der Wirklichkeit entsprechend.

Wie die Sekte der Sadduzäer zur Zeit Jesu nicht an Engel glaubte (vgl. Apg 23,8), so auch der Modernist. Der heutige Modernismus, das Sadduzäertum des zwanzigsten Jahrhunderts, leugnet ebenfalls das Dasein dieser rein geistigen Wesen. Die zersetzende Kritik, die den Modernismus hervorgebracht hat, erklärt, der Glaube an Engel bei den Juden sei darauf zurückzuführen, daß diese während ihrer babylonischen Gefangenschaft mit babylonischen und persischen Sagen in Berührung gekommen sind. So wird, wie von vielen anderen kostbaren Dingen der Heiligen Schrift, auch vom Glauben an die heiligen Engel behauptet, er sei babylonischen Ursprungs. Um zu so einer Behauptung kommen zu können, muß man schon jegliches katholische Verständnis der Heiligen Schrift verloren haben und im höchsten Maße verblendet sein.

Der Modernist glaubt also normalerweise nicht an die heiligen Engel. Wenn ein einzelner Modernist dennoch an Engel glaubt, so nur, weil er das eigene System des Unglaubens nicht durchweg ernst nimmt und seinem persönlichen Geschmack entsprechend meint, es könne oder solle oder müsse doch Engel geben. Er erkennt jedoch die Existenz der heiligen Engel nicht mehr durch einen Akt des übernatürlichen Glaubens, der die göttliche Offenbarung absolut ernst nimmt und als unumstößliche Grundlage anerkennt.

Der Modernist glaubt normalerweise nicht an heiligen Engel, weil er die Existenz von rein geistigen Wesen nicht für möglich hält, bzw. die Möglichkeit einer sicheren Erkenntnis eines solchen Wesens zurückweist. Diese Ansicht stammt aus der sog. Aufklärung. In der Zeit der Aufklärung eroberte der Agnostizismus zunächst die protestantische „Theologie“ und führte zum Phänomen des Deismus.

Gerd-Klaus Kaltenbrunner beschreibt diese Geisteshaltung in seinem Buch „Dionysius vom Areopag“ in meisterlicher Weise so:

„Wunder und Zeichen seien, so versichert sie, selbstverständlich in früheren, gottnäheren Zeitaltern geschehen und durch die Autorität der Heiligen Schriften wohlverbürgt; aber gegenüber vor unseren eigenen Augen sich ereignenden und zu eräugenden Hierophanien und Thaumaturgien sei allerhöchstes Mißtrauen und zweifelnde Zurückhaltung geboten, da es sich dabei auch um Betrug, Schwindel, Täuschung und womöglich sogar teuflisches Blendwerk, dämonischen Spuk oder beelzebübische Machenschaften handeln könne. Die dogmatisch auf lauter Wunder und Mysterien fußende Kirche ist in der Praxis ausgesprochen sakral-skeptisch und verhält sich gegenüber Visionen, Erscheinungen und 'Privatoffenbarungen' mindestens so zweiflerisch, ja fast feindselig wie beispielsweise Voltaire gegenüber der Jungfrau von Orleans oder Karl Marx gegenüber einer Anna Katharina Emmerich. Faktisch, wenn auch, aus naheliegenden und bereits angedeuteten Gründen, nicht lehrlich oder lehrsinnig, huldigen die meisten Verwalter des christlichen Glaubens einem gemäßigten Deismus, also einer als Irrlehre gebrandmarkten Weltanschauung… Der Deismus, wie er sich insbesondere in der frühen 'Neuzeit' - schon der bloße Ausdruck ist verräterisch und enthält eine Absage! - hervorgewagt hat, nimmt zwar noch einen Schöpfergott oder 'Weltenbaumeister' an, der einst, ähnlich einem Uhrmacher, den Riesenmechanismus des Alls geschaffen habe…
… also, wie gesagt, dieses typische Erzeugnis eines aufklärerischen Denkens, das Deismus heißt, weil es noch nicht so unverschämte Schneid aufbringt, sich offen zum Atheismus zu bekennen, billigt Gott gerade noch das Existenzminimum zu und bürdet ihm die Erschaffung der Welt auf, somit die Arbeit am Anfang, vor langer Zeit, dann aber mutet sie dem Herrn des Universums Dauerarbeitslosigkeit zu, ein tatenloses und müßiges Pfründnerleben wie in einem Altersheim, Bürgerspital oder Seniorenwohnstift, mitnichten jedoch räumt sie Gott das ein, was Gott überhaupt erst zu Gott macht, nämlich Phantasie und das uneingeschränkte souveräne Recht, Wunder zu wirken, Engel erscheinen zu lassen, in den Erdenkrempel einzugreifen, auf hierarchischem, theomimetischem (= Gott nachahmendem) und hagiologischem (= die Erforschung von Heiligenleben betreffendem) Wege gnadenüberströmend zu sein und auf diese Weise immer wieder, offenbar und insgeheim, für himmlische Überraschungen zu sorgen. Wunder, Angelophanie (Engelerscheinung), Vision, Privatoffenbarung sind dem Deisten ein Greuel, stören seine Bilanzen, sind gleichsam nichts als religiöse Umschreibungen für Unordnung, Tohuwabohu und Anarchie. Wo käme man hin, wenn es sogar heute außer bösen und guten, netten und widerwärtigen, bequemen und unbequemen Menschen zusätzlich noch Heilige, Seher, Wundertäter, mit Engeln und vielleicht sogar legendären Heiligen wie St. Anna, St. Katharina, St. Dionysius, St. Philomena verschwörerischen, geheimbündlerischen, um nicht zu sagen 'freimaurerischen' Umgang pflegende Männer, Frauen und Kinder gäbe! Welcher Kompetenzwirrwarr, wenn wieder einmal ein Elias oder Daniel, eine Katharina von Siena oder eine Franziska von Rom, ein Jakob Böhme oder ein Jakob Lorber, eine Bernadette Soubirous oder eine Resl von Konnersreuth unter uns sich erhöbe! Wie der klassische Staatsbeamte die gesetzmäßige Ordnung nicht nur für den höchsten Wert hält, sondern sie in eigener Person verkörpert, darstellt und vorlebt, so schätzt auch der religiöse Bürokrat, der deistische Pedant in allen Belangen am meisten tunlichste Stetigkeit, Präzision und Überraschungslosigkeit. Wenn er Gott schon die Erlaubnis gibt, überhaupt dazusein, und die Möglichkeit einräumt, in grauer Vorzeit einmal sechs Tage lang gewerkt zu haben, so verlangt er nun mit drakonischer Gnadenlosigkeit, daß er ewig stillzusitzen, ein müßiger Gott, ein Deus otiosus, ein Pensionärsgott zu sein habe, der sich gehörig an die von einstens ihm selbst gestifteten Naturgesetze hält und nicht durch allerlei überflüssige Mirakel und andere Skurrilitäten von sich reden macht. Gott, so dekretiert der Deist, wie er auch im modernen Kirchenfunktionär, Konzilstheologen und Katecheten vor uns steht, mit der gebieterischen Anmaßung eines Paulskirchen-Parlamentariers, Gott habe sich wie ein demokratisch-konstitutioneller Monarch zu benehmen, nicht wie ein Kalif aus Tausendundeiner Nacht, nicht wie ein Träumer, Ekstatiker, Überraschungskünstler, Zauberer oder Liebender. Wunder, Visionen, Engel und dergleichen sind ihm günstigstenfalls kindischer Klimbim und Tinnef, schlimmstenfalls verfassungsfeindliche Machenschaften, Attentate auf die bestehende und vielbewährte Ordnung der Welt. Eine Nonne, die sich unterfinge, dank eines Engels unerhörte Dinge zu erleben, wie beispielsweise Gian Lorenzo Berninis verzückt hingegebene Mystikerin in der Seitenkapelle von Santa Maria della Vittoria in Rom, der sich ein lächelnder Seraph mit dem Pfeil göttlicher Liebe nähert, würde ihn zutiefst genieren, ihm als eine hierarchisch gar nicht vorgesehene Unholdin, beinahe als Hexe oder in die Kirche eingeschlichene Schamanin dünken. Ähnlich wie ein konfuzianischer Mandarin auf einen taoistischen Magier herabsieht, würden etwa gewisse Kurienkardinäle, deren Namen ich vorsorglich nicht nenne, eine wiedergeborene Theresia von Avila, Columba von Rieti (eigentlich Angelella Guadagnoli), Francisca Hernandez (der schon im Alter von drei Mädchenjahren die allerheiligste Dreifaltigkeit selbst das Mysterium trinitatis enthüllt hat) oder Angela von Foligno nur mit einer Mischung von Bedauern, Verachtung und Abscheu vor so viel Taktlosigkeit, Unkalkulierbarkeit und skandalösem Aberwitz anblicken und zu unablässigem Bußschweigen auffordern.“
(Gerd-Klaus Kaltenbrunner „Dionysius vom Areopag, Das Unergründliche, die Engel und das Eine“, Die Graue Edition 1996, S 644ff)

Nun wissen wir ausreichend, was ein Deist ist und können uns leicht vorstellen, daß diese Geisteshaltung die geeignete Grundlage für den aufkommenden Modernismus war. Der Modernismus baut auf einer vernünftelnden Vorentscheidung auf, die besagt: So etwas wie Gott oder Engel, also ein Reich des reinen Geistes könne es nicht geben – oder, wenn es dies dennoch geben sollte, dann können wir darüber nichts sagen, weil wir es nicht erkennen können. Und wohlbemerkt, die Modernisten erdreisten sich, so etwas zu behaupten, obwohl eine ununterbrochene Reihe von Augenzeugen die ganze Menschheitsgeschichte durchzieht, die alle felsenfest davon überzeugt waren, daß sie echte, wirkliche Engel gesehen haben und keine Hirngespinste. Aber schon die Heilige Schrift ist so voll von Engel, daß es geradezu absurd erscheint, als christgläubiger Mensch ihre Existenz zu leugnen.

All das ficht die Modernisten jedoch in keiner Weise an. Für sie ist es eine ausgemachte Sache, die als unumstößlich gilt:
1. Es ist unmöglich, das Dasein Gottes zu beweisen. Dieser Beweis würde voraussetzen, daß unsere Erkenntnis nicht auf die Erscheinungswelt beschränkt sei.
2. Es ist, und zwar aus dem gleichen Grunde, unmöglich, die Nichtexistenz Gottes zu beweisen.
3. Aus demselben Grundsatz ist jede Erkenntnis der inneren Natur Gottes unmöglich.
4. Gott hat keinen Platz in der Wissenschaft und folglich auch nicht in der Geschichte; denn die Wissenschaften haben sich bloß mit den Tatsachen und ihren Gesetzen zu beschäftigen.

Die Grundlage des Agnostizismus ist somit die Überzeugung, daß unsere Erkenntnis nicht über die Erscheinungswelt hinausreicht. Dabei ist es völlig gleichgültig, auf welchem Weg jemand zu dieser Überzeugung gelangt ist, ob durch Leugnung der übersinnlichen Erkenntnis überhaupt, oder durch die Einschränkung der Verstandesfähigkeit auf die rein subjektive Verknüpfung der Sinneserfahrungen oder durch die Aufstellung rein materialistischer oder rein idealistischer Anschauungen.

Jeder, der der menschlichen Vernunft die natürliche Befähigung abspricht, Gott mit Sicherheit aus den Geschöpfen zu erkennen, ist in Wirklichkeit und im wahren Sinne des Wortes Agnostiker, mag er auch den vergeblichen Versuch unternehmen, auf andere Weise die Möglichkeit einer sicheren Gotteserkenntnis zu bewahren. Er hat sich den Ausweg aus dem Abgrund des Nichtwissenkönnens versperrt und wird somit zum ewigen Skeptiker, Nörgler und Zweifler.

Also nochmals zusammengefaßt: Wir können nicht wissen, ob es Gott oder einen Engel gibt, so behaupten die Agnostiker steif und fest, obwohl der ewige Sohn des Vaters aus der Jungfrau Maria Mensch geworden ist und unzählige Engel den Patriarchen, Propheten und Heiligen sichtbar, hörbar oder auch betastbar erschienen sind. Damit wird für uns greifbar, daß die Welt der Modernisten irgendwie auf dem Kopf steht, und wir wollen nun versuchen, dieses verkehrte Denken wieder auf die Füße zu stellen – mit Hilfe der Engel.

Versuchen wir also, uns in die geheimnisvolle Wesenheit eines Engels hineinzudenken. Die Grundeinsicht in das Wesen der heiligen Engel ist: Der Engel ist reiner Geist. Wenn die Engel reine Geister sind, dann haben sie keinen Leib und keine Sinne wie wir Menschen. Sie haben keine Augen, Ohren, Nase, Geschmack- und Tastsinn. Ein Engel erkennt die Dinge nicht mit Hilfe von Sinneswahrnehmungen, sondern auf eine andere, rein geistige Weise. Daraus geht einerseits hervor, daß auch die materiellen Dinge „Geist“ in sich bergen müssen und nicht nur Materie sein können – sonst wären sie für die Engel unerkennbar – anderseits aber auch, daß der Geist das Wesentliche an den Dinge ist. Die Geschöpfe dieser Welt sind materialisierter Geist, sind Leib gewordene Gedanken Gottes.

Jegliches Seiende, jedes konkrete Ding ist nur insoweit erkennbar, als es ein Bestimmtes ist. Ein völlig unbestimmtes „Ding“ wäre schlechthin unerkennbar – damit aber auch keine Wirklichkeit, es könnte gar nicht existieren. Der Mensch erschließt aus den sinnlich wahrgenommenen Phänomenen durch seinen Intellekt die jeweiligen Bestimmtheiten eines Dinges, welche geistig sind. Beim Engel, der wie gesagt keine sinnliche Wahrnehmung kennt, ist das somit unmöglich. Ein Engel „sieht“ als reiner Geist die Welt notwendigerweise ganz anders als wir Menschen. Diese gottseligen Geister „sehen“ und verstehen die Dinge von ihrem Ursprung her, nämlich Gott.

Der heilige Thomas von Aquin formuliert diesen Sachverhalt in gewohnt souveräner Weise in seinem Kompendium der Theologie so: „Die Engel besitzen außer der morgendlichen Erkenntnis, kraft deren sie die Dinge im Worte erkennen, die abendliche Erkenntnis, kraft deren sie die Dinge in ihrer eigentümlichen Natur erkennen. Diese Art Erkenntnis aber kommt den Menschen gemäß ihrer Natur auf andere Weise zu als den Engeln. Denn die Menschen nehmen, gemäß der Ordnung ihrer Natur, die geistig erkennbare Wahrheit der Dinge von den Sinnen her auf. Die Engel aber erwerben ihr Wissen von den Dingen kraft des Einströmens göttlichen Lichtes; wie nämlich die Dinge von Gott her in das Sein hervorgehen, so werden die Begriffe oder Bilder der Dinge von Gott dem Geiste der Engel eingeprägt. In beiden aber, Menschen wie Engeln, findet sich — hinausliegend über das Erkennen der Dinge, wie es ihrer Natur gemäß ist — ein übernatürliches Erkennen der Geheimnisse Gottes, über welche die Engel von Engeln Erleuchtung erfahren und auch die Menschen durch prophetische Offenbarung belehrt werden.“

Während also die Deisten wähnen, die Welt würde und könnte ganz gut ohne Gott bestehen, Gott wäre gleichsam nach der Erschaffung der Welt nur noch ein Rentner, der in seiner eigenen Welt nichts mehr zu tun habe und nichts mehr tun dürfe, „sehen“ die Engel, daß jedes Geschöpf in jedem Augenblick seines Seins vollkommen von Gott abhängt und nur aufgrund dieser Abhängigkeit existieren und sein kann, was es ist. „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Offb 22,13), so heißt es in der Geheimen Offenbarung des heilige Johannes. Gott ist nicht das Letzte in dieser Welt, sondern Er ist das grundlegend Erste. Er ist nicht eine freiwillige und darum verzichtbare Zugabe, eine vernachlässigbare Hypothese, sondern Er ist der alles tragende Grund. Sobald man sich mit einem Engel unterhält, wird einem diese Grundtatsache allen Seins unwiderleglich vor Augen geführt – aber wer redet heut noch mit Engeln?!

In der Neuzeit ist dieses grundlegende Wissen verloren gegangen. Die Welt wurde mehr und mehr entzaubert, in der irrigen Meinung, diese Entmythologisierung wäre ein Erkenntnisfortschritt. Der moderne Mensch beherrscht womöglich durch seine Technik die materielle Welt mehr als frühere Generationen, aber dafür versteht er sie immer weniger und weiß nicht einmal mehr, warum er auf dieser Welt ist. Darum wollen wir von den heiligen Engeln lernen. Lassen wir uns die besondere Art des Erkennens der heiligen Engel von einem wahren Engelspezialisten erklären, vom heiligen Dionysius von Areopag. Dieser geniale Denker hat wie kaum ein anderer diese Welt durchforscht und uns einen Weg ins Geheimnis dieser Welt der reinen Geister gebahnt. Lesen wir uns also in seine Gedanken hinein. (Alle Textstellen sind ebenfalls genommen aus Gerd-Klaus Kaltenbrunner „Dionysius vom Areopag, Das Unergründliche, die Engel und das Eine“, Die Graue Edition 1996.)

„Wie ich schon andernorts gesagt habe: Wir täuschen uns selbst, wenn wir das über uns Waltende auf eine uns entsprechende Weise auffassen und, den vertrauten Sinnes-Wahrnehmungen uns hingebend, das Göttliche mit uns vergleichen und so dem unaussprechbaren göttlichen Gesetz mittels des sichtbaren Anscheins nahezukommen trachten. Man muß einsehen, daß zwar unser Verstand jene Erkenntniskraft hat, mit der er das ihm Verständliche erfaßt, aber ebenso muß man einsehen, daß die Natur des Verstandes durch jene Einung (henosis) überragt wird, durch die er mit dem verbunden wird, was jenseits seiner Sphäre liegt.“

Gott, der reinstes, geistiges, ewiges, unendliches Sein ist, der Heilige der Heiligen, den die Chöre der Engel ewig preisen, kann nicht mit dem verglichen werden, was wir in unserer Welt sehen. Wenn wir das Göttliche mit uns vergleichen, dann besteht die Gefahr, daß wir seine unendliche Wirklichkeit in ein endliches Maß zwängen. Wir können zwar mit unserer Vernunft Gott erkennen, daß Er der Schöpfer aller Dinge ist, daß Er einer ist und gut und wahr, aber Er ist dies alles in unendlich vollkommener Weise. Deshalb sind all unsere Vorstellungen und Begriffe von Gott Gott eher unähnlich als ähnlich, wie die Theologen sagen. Der Sprung vom Endlichen, Zeitlichen zum Unendlichen, Ewigen ist einfach zu gewaltig.

Gott schenkt uns aber die Gnade des heiligen Glaubens. Der Glaube ist ein übernatürliches Licht der Seele, mit dem wir die göttlichen Dinge fassen können, auch wenn wir sie niemals ganz, erschöpfend verstehen. Der gottgeschenkte, übernatürliche Glaube überragt die Natur des Verstandes und schenkt uns eine Einung mit dem göttlichen Leben. Dionysius erklärt nun: „Dieser Einung gemäß ist also das Göttliche zu erkennen, nicht aber uns gemäß. Vielmehr gilt es, daß wir selbst ganz und gar aus uns selbst (ekstatisch) heraustreten und völlig in Gott hineingehen, denn es ist besser, Gottes zu sein, als sich selbst zu gehören. Das Göttliche wird nur jenen gewährt, welche sich als Geeinte in Gott befinden.“

Leider nehmen wir diese Einung, welche uns durch die heiligmachende Gnade geschenkt wird, nicht wahr. Aber Gott schenkt uns vielfältige Mittel – die heiligen Sakramente, die göttliche Liturgie, usw. – diese Einung zu leben und damit ständig zu vertiefen. Wer aber beginnt, diese Einung nicht mehr gemäß dem Göttlichen zu erkennen, sondern gemäß der eigenen Natur, der wird Gott verlieren, weil er seinen übernatürlichen Glauben verlieren wird. Anstatt sich durch die Gnade zu Gott emporziehen zu lassen, möchte er in seiner Selbstsucht Gott zu sich herabziehen und auf sein eigenes, irdisches, endliches Maß reduzieren – was natürlich unmöglich ist, ohne den wahren Gott zu verlieren. Nein, wir müssen „ganz und gar aus uns selbst (ekstatisch) heraustreten und völlig in Gott hineingehen, denn es ist besser, Gottes zu sein, als sich selbst zu gehören“. Wenn man diese Worte erwägt und auf die heiligen Engel anwendet, dann wird vor einem der Kampf der Engel und der Sündenfall Luzifers lebendig. Luzifer wollte Gott zu sich herabziehen und schließlich selbst sein wie Gott. Er wollte nicht „aus uns selbst (ekstatisch) heraustreten und völlig in Gott hineingehen“, sondern selbst und aus sich etwas Großes sein. Für einen Engel ist dieser, aus der ungeordneten Selbstliebe entspringende Zwiespalt viel wirklichkeitsmächtiger als für uns Menschen, weshalb auch die Sünde viel größer war.

Wenn wir die Engel betrachten und uns bemühen, ihr himmlisches Wesen zu begreifen, wird uns deutlich, daß der Mensch seit dem Sündenfall viel von seiner geistigen Schaukraft eingebüßt hat, wie der heilige Paulus betont: „Der irdisch gesinnte Mensch erfaßt nicht, was vom Geist Gottes kommt. Ihm erscheint es töricht. Er kann es nicht begreifen, weil es geistig beurteilt sein will“ (1Kor 2, 14).

Weshalb auch der heilige Dionysius weiterfährt: „Darum laßt uns diese widersinnige, unvernünftige und törichte Weisheit überschwänglich berühmen und sie feiern als Ursprung jeglichen Verstehens, Vernehmens, Erkennens und Weistums und sie hochpreisen als Quell allen Rates, Wissens und Begreifens, in der alle Schätze der Weisheit (sophia) und Erkenntnis (gnosis) verborgen sind. Denn gemäß dem, was ich schon früher gesagt habe, ist der überweisheitliche und allweisheitliche Ursprung Schöpferin der Weisheit an sich sowie aller Weisheit und letztlich der jedem einzelnen entsprechenden Weisheit.“

Nur der an Gott glaubende und auf Seine Offenbarung achtende Mensch wird wahrhaft weise genannt. Während dem Weltmenschen diese von Gott stammende Weisheit als Torheit erscheint, ist sie für den Glaubenden ein unerschöpflicher „Quell allen Rates, Wissens und Begreifens, in der alle Schätze der Weisheit (sophia) und Erkenntnis (gnosis) verborgen sind“. Lassen wir uns also von dem Heiligen Dionysius noch tiefer einführen in diese Wunderwelt Gottes. Wahre Einsicht in die Geheimnisse kann nur von Gott kommen, „der überweisheitliche und allweisheitliche Ursprung Schöpferin der Weisheit“. Darum wird eine menschliche Wissenschaft, welche Gott verneint, letztlich immer nur Torheit sein können. Wir sehen somit ganz deutlich, wie die heutige wissenschaftliche Welt, deren eigentliche Pointe letztlich immer die Leugnung Gottes ist – ist Ihnen das schon einmal aufgefallen – völlig auf dem Kopf steht.

In der Wissenschaft der heiligen Engel ist das ganz anders: „Aus ihm schöpfen die nur denkend zu gewahrenden und denkenden Mächte (noetai kai noerai dynameis) der Engel ihre einsheitlichsten und seligsten Gedanken und Erkenntnisse. Nicht etwa aus Zerteiltem oder durch Sinneswahrnehmungen oder durch umständliche Erwägungen gewinnen sie ihre göttlich-wahre Erkenntnis; sie werden auch nicht von irgendwelchen Allgemeinheiten mit Rücksicht darauf festgehalten, sondern vielmehr sind sie ledig von allem Körperlichen und Schweren und erkennen, also einzigartig reiniglich, auf geistige, unstoffliche und einsheitliche Weise das nur denkend zu berührende Göttliche.“

Wünscht man sich beim Nachdenken über diese Worte nicht, man könnte denken und erkennen wie ein Engel? Dieser Geistesriese kennt nicht den flüchtigen, oberflächigen, nichtigen, unnützen, sich in Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten verlierenden Gedanken – Nein! – sie sind „ledig von allem Körperlichen und Schweren und erkennen, also einzigartig reiniglich, auf geistige, unstoffliche und einsheitliche Weise das nur denkend zu berührende Göttliche“. Man muß jedes Wort auskosten, das der heilige Dionysius verwendet, um diese englische Weise des Erkennens auszuworten, um zu erspüren, wie sie „einzigartig reiniglich, auf geistige, unstoffliche und einsheitliche Weise das nur denkend zu berührende Göttliche“ erkennen. Und nach einer Weile des Staunens über so viel Licht fragt man sich: Wie sollte der moderne Mensch noch fähig sein, so etwas zu begreifen, wenn uns schon ganz schwindelig wird bei diesen Gedanken?

Aber lassen wir uns noch weiter führen auf diesem Weg zu den Hochgebirgsgipfeln der unnennbaren Gottheit, welche die heiligen Engel so scheinbar mühelos erklimmen: „Ihre erkennende Mächtigkeit und Vorgehensweise ist durch unvermischte und makellose Reinheit geziert; außerdem ist ihre Zusammenschau der göttlichen Geisteswahrnehmungen dem göttlichüberweisheitlichen Vernunft- und Verstandeswirken weitestmöglich nachgebildet aufgrund ihrer unteilbaren, unstofflichen und gottähnlichen Innewerdung des Einen.“

Das ist echte Theologie, Auswortung der Geheimnisse Gottes. Die Engel sind nicht nur reine Geister in dem Sinne, daß sie keinen Leib haben, sie sind auch reine Geister aufgrund der Reinheit ihrer Gesinnung, ihrer Gedanken und ihres heiligen Wollens. Beides gehört letztlich immer zusammen, Erkenntnis und reine Liebe. Die Gottesgelehrten weisen darauf hin, daß nicht zufällig die sechste Seligpreisung heißt (Mt 5,8): „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ Damit sei darauf hingewiesen, daß ein unreines Herz, das besonders in die Sünde der Unkeuschheit sich verfangen hat, den klaren Blick auf Gott und Seine Welt verliert. Die Keuschheit ist nach den Worten des heiligen Thomas v. A. in seiner „Summa Theologiae“ jene Tugend, die den Menschen vom Niedrigen und Gemeinen, vom Sinnlichen und Materiellen weg zum Geistigen und Geistlichen hinzieht und ihn so in besonderer Weise zu geistiger Schau der göttlichen Dinge befähigt.

Umgekehrt formuliert es der heilige Thomas v. Aquin in seinem kleinen Werk „Über die Vollkommenheit des spirituellen Lebens“ im 8. Kapitel so: „Damit der Mensch für Gott umso freier sei und Ihm umso vollkommener anhange, ist der zweite Weg hin zur Vollkommenheit die beständige Beobachtung der Keuschheit ... Der Geist des Menschen wird nämlich im Freisein für Gott nicht nur durch die Liebe zu den äußeren Dingen sehr stark behindert, sondern vor allem und noch viel mehr durch den Ansturm der inneren Leidenschaften. Von allen inneren Leidenschaften aber absorbiert den Geist des Menschen am meisten die Begierde des Fleisches und die geschlechtliche, sexuelle Betätigung.“

Aufgrund dieser Überlegungen wird leicht begreiflich, warum der moderne, sexbesessene Mensch meist auch gottlos ist. Wie will sich ein vollkommen im Sinnlichen Gefangener noch zu den schwindelerregenden Höhen der Gottheit erheben, von der ihn jede Sünde immer weiter trennt? Wie will er zu jener Zusammenschau der göttlichen Geisteswahrnehmungen, das dem göttlichüberweisheitlichen Vernunft- und Verstandeswirken weitestmöglich nachgebildet ist aufgrund ihrer unteilbaren, unstofflichen und gottähnlichen Innewerdung des Einen, gelangen, wenn ihm schon jeder Gedanke an Gott fremd geworden ist und wohl auch unbewußt schreckt?

Nur wenn der Mensch rein wird wie die Engel des Himmels, dann erschließt sich ihm auch jene himmlische Welt, wie uns Dionysius belehrt: „Wie ich schon oft gesprochen habe, müssen wir das Göttliche auf gottgemäße Weise erkennen. Denn wenn wir verneinen, daß Gott Vernunft und Wahrnehmung habe, dann ist diese Aussage als solche des Überschwingens und des Übermaßes zu verstehen, nicht als eine des Absprechens, so wenn wir Nichterkenntnis dem Übererkennenden, Unvollkommenheit dem Übervollkommenen und unvordenklich Vollkommenen, unberührliche und undurchblickbare Finsternis gemäß dem Übermaß sichtbaren Lichts dem unzugänglichen Licht zuschreiben.“

Der Weg zur wahren Gotteserkenntnis ist steil und steinig. Wir müssen lernen, „das Göttliche auf gottgemäße Weise zu erkennen“. Dionysius spricht hier von der „Negativen Theologie“, die alles verneint, was Irdisches bezüglich Gott ausgesagt wird. Aber man darf dies nicht mißverstehen. Dieses Verneinen geschieht deswegen, weil bei Gott alles ganz anders ist, als wir es in unserer Welt vorfinden. Gott ist nichts von dem, was wir in unserer Welt sehen, weil Er himmelweit über allem Irdischen steht. Darum muß solches Verneinen in der Art „des Überschwingens und des Übermaßes“ verstanden werden. Natürlich gibt es in Gott etwa auch Vernunft und Wahrnehmung, aber beides ist unendlich vollkommen und darum für uns unbegreiflich. So unbegreiflich, daß uns das Sein Gottes wie „unberührliche und undurchblickbare Finsternis“ erscheint, obwohl es in Wirklichkeit ein Übermaß unzugänglichen Lichts ist.

Der die Geheimnisse Gottes Betrachtende muß diese Spannung zwischen Erkennen und Nichterkennenkönnen ertragen und sie für sich fruchtbar machen. Er muß ins göttliche Licht schauen, auch wenn er durch das überhelle Licht eine Weile erblindet. Es ist leicht zu erahnen, wie viel Glaube man dazu braucht und wie viel umwandelnde Gnade, damit einem das auf Dauer gelingt. Anderseits wird man nur ins Licht schauen, wenn man von der Wirklichkeit Gottes zutiefst ergriffen ist, jenes Gottes – „Der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat: wird er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32). Und weiter: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzigerzeugte, Gott, der im Schoß des Vaters ist, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18).

Werfen wir nochmals einen Blick auf dieses Geheimnis Gottes: „Folglich umfaßt das göttliche Erkenntnisvermögen alles durch seine allem enthobene Wahrheitserkenntnis, indem es das Wissen über alles wie die Ursache von allem in sich selbst schon zuvor besitzt.“

Gott erkennt jedes Ding durch sich selbst und in sich selbst, denn alles stammt aus IHM und ist wirklicher, d.h. urbildlicher in Ihm als in der geschaffenen Wirklichkeit. Darum gilt etwa für die Engel: „Ehe die Engel wurden, kannte Er bereits die Engel und rief sie ins Dasein, wie Er schlichthin alles von innen her und aus dem Urgrund selbst kennt und letztlich zum Dasein lenkt. Ich glaube, daß die heiligen Worte eben dies meinen, wenn sie künden (Susanna bei Daniel 13, 42): ,Ach, ewiger Gott, der du Verborgenes kennst und der du alles weißt, noch bevor es geschieht.‘ (...) Da der Ursprung von allem sich selbst kennt, wird er doch wohl kaum das, was von ihm kommt und dessen Ursache er ist, nicht kennen. Demnach erkennt Gott auf diese Weise das Seiende nicht durch Einsicht in das Seiende, sondern durch seine Selbsterkenntnis. Schließlich sagt auch die Schrift von den Engeln, daß sie das Irdische nicht dadurch erkennen, daß sie auf dem Wege von Sinneseindrücken dieses als etwas Sinnliches erfassen, sondern auf dem Wege der eigentümlichen Kraft und Wesenheit ihres gottähnlichen geistigen Erkenntnisvermögens.“

Das Erkenntnisvermögen der heiligen Engel ist dem Erkenntnisvermögen Gottes ähnlich. Auch sie durchdringen die Dinge auf ihren geistigen Urgrund hin und erfassen so deren Wesenheit. Darum täuschen sich die Engel nicht, werden sie doch nicht durch die Vielfalt der Sinneseindrücke verleitet, Falsches zu denken. Ihr Urteil ist sicher und letztlich in Gott begründet, der über allem waltet. Für die heiligen Engel ist das Sein der Dinge in Gott eine „sichtbare“ Wirklichkeit. Die Welt ist nur dann richtig zu verstehen, wenn man auf Gott schaut. Je tiefer die Gotteserkenntnis ist, desto tiefer ist auch die Erkenntnis der Dinge dieser Welt.

Diese Art des Erkennens – welche wir Beschauung nennen – ist dem modernen Menschen vollkommen fremd geworden. Sie meinen, weil sie wissen, wie die Dinge funktionieren, würde sie auch wissen, was sie sind. Das ist aber ein tragischer Trugschluß.

Wir wollen nun nochmals auf den großen Zusammenhang schauen, der alle Dinge mit Gott und untereinander in Einheit setzt. Der heilige Dionysius beschreibt uns das Walten und Wirken Gottes in seinen Geschöpfen folgendermaßen: „Zuvörderst ist nun vor allem die Wahrheit auszusprechen, daß die überwesentliche Urgottheit aus Gutheit das Sein all dessen, was ist, begründet und zum Dasein gebracht hat. Dies nämlich ist dem All-Ursprung und der über alles erhabenen Gutheit eigentümlich, daß sie alles, was ist, zur Gemeinschaft mit sich selbst ruft, wie dies einem jeden Seienden entsprechend seiner jeweiligen Seinsweise eben angemessen ist. Alles, was ist, hat Anteil an der schöpferischen Vorsehung (pronoia), die der überwesentlichen, allverursachenden und über Sein und Denken erhabenen Gottheit entspringt. Es gäbe nämlich überhaupt kein Ding, wenn es nicht Anteil am Urgrund von allem erlangt hätte.“

Alles Sein stammt von Gott. Jegliches Geschöpf ist durch die Allmacht Gottes aus nichts geschaffen worden. Nur wenn man diese Tatsache einsieht versteht man die Welt des Seins. Dr. Kamenicky hat einmal gesagt: „Wenn etwas ist und nicht nichts, dann ist Gott!“ Wenn überhaupt etwas existiert und nicht nichts, dann muß zuerst Gott existieren, denn allein Gott kann ohne weiteren Grund Sein eigenes Sein begründen, ist er doch selbst der ewige Urgrund Seines unendlichen Sein. Sobald man in den Wesensgrund dessen, was wir mit dem Wort Sein bezeichnen, hineingeschaut hat und dessen innerer Struktur ansichtig geworden ist, weiß man: Nur Gott allein ist notwendig, alle anderen Dinge sind kontingent, d.h. sie können sein oder nicht sein. Darum ist es ganz und gar wahr: „Wenn etwas ist und nicht nichts, dann ist Gott!“ Man könnte diesen Satz eine engelhafte Erkenntnis nennen, denn jeder Engel würde ihn sofort bejahen.

Wie begründet nun Gott die Geschöpfe? „Die unbelebten Wesen haben durch ihr schieres Vorhandensein an ihm Anteil, denn die überseiende Gottheit ist der Seinsgrund aller Wesen. Die belebten Wesen haben an ihrer überlebendigen lebenspendenden Kraft Anteil. Die vernünftigen und sinnbegabten Wesen haben Anteil an ihrer über alle Vernunft und Sinnigkeit erhabenen, in sich vollkommenen und übervollkommenen Weisheit. Es ist jedoch klar, daß jene Wesen der Gottheit zunächst sind, welche in vielfacher Weise an ihr unmittelbar Anteil erlangt haben. Also haben die heiligen Chöre der himmlischen Wesen in höherem Grade als die bloß daseienden, in höherem Grade als die vernunftlosen Lebewesen, in höherem Grade als die mit unserer Art von Verstand ausgestatteten Wesen Anteil an den Gaben des Gottesurgrunds. Sie bilden sich in der Art von Gedankenwesen zu nachahmenden Bildern Gottes um und schauen in einer dem weltlichen Verstand übertreffenden Weise auf ihr urgöttliches Vorbild und trachten, ihm entsprechend die eigene Denkungsgestalt zu formen. Infolgedessen genießen sie, wie sich von selbst versteht, reichlichere Gemeinschaft mit der Gottheit, da sie ihr beharrlich zugewandt sind, immerdar nach Hohem strebend, soweit es ihnen zubestimmt ist, in der Spannkraft ihres göttlich-unablenkbaren, aufwärtsstrebenden Liebesdranges die vom Lichturquell entströmenden Erleuchtungen rein und ungetrübt von stofflicher Beimischung aufnehmend und sich nach diesen ausbildend. Ihr ganzes Leben ist Denken.“

Man kann es nicht anders sagen, diese Worte sind einfach schön, weil sie unauslotbar tief sind, und sie ermuntern uns, ebenfalls in der Spannkraft des göttlich-unablenkbaren, aufwärtsstrebenden Liebesdranges die vom Lichturquell entströmenden Erleuchtungen rein und ungetrübt von stofflicher Beimischung aufzunehmen, soweit es unserer schwachen Menschennatur möglich ist. Aber wie weit ist unser tägliches Beten von diesem Ideal entfernt!

Wäre es nicht eine große Hilfe, wenn wir mehr an die heiligen Engel an unserer Seite denken würden und dem Beispiel ihres vollkommen gottversunkenen Gottesdienstes nacheiferten, wie es der heilige Benedikt in seiner Regel schreibt: „Wir wollen bedenken, wie wir vor dem Angesicht Gottes und seiner Engel sein müssen und darum so beim Psalmensingen stehen, daß unser Herz im Einklang ist mit unserem Wort.“ Ganz dementsprechend bemerkt E. Peterson in seinem „Buch von den Engeln“: „Zur Wesensbestimmung des Mönchs im alten Sinn des Wortes gehört, daß er die Existenz der Engel und damit auch die an die Existenz der Engel gebundene Liturgie in seiner Ordnung nachahmt, das heißt zuerst, daß er freiwillig im mönchischen Offizium in den hymnischen Preis der Engel einstimmt... und sich fortdauernd an dem hymnischen Preis der Engelordnungen beteiligt, die ja unaufhörlich das Lob Gottes singen.“

Wenn wir auch keine Ordensleute sind, so sind wir dennoch berufen, an der himmlischen Liturgie teilzunehmen und besonders durch diese dem wirklichen Gott jene Ehre zu erweisen, die IHM allein gebührt, um dadurch in der Einheit mit Gott und Seinen Leben gefestigt zu werden. Lassen wir den heiligen Dionysius diesen Gedanken beschließen: „Wenn die wahre Erkenntnis Erkennende und Erkanntes eint, Nichterkenntnis hingegen für die Nichterkennenden Ursache ständigen Wechsels und schließlich ihrer inneren Zerstörung wird, dann wird nichts den in der Wahrheit Lebenden von der Ausübung des wahren Glaubens abbringen können, in welcher er die Stetigkeit heiligverbürgter und unerschütterbarer Selbstheit des Herzens zu erlangen vermag. Wer mit der Wahrheit fest vereint ist, weiß sehr genau, daß er sich heil befindet, mag ihn auch die Menge einen Narren schelten, der außer sich und von Sinnen sei. Ihr entgeht freilich, daß jener durch den wahrhaftigen Glauben aus dem Irrtum heraus zur Wahrheit gewandert ist. Er selbst aber erkennt sich durchaus nicht als einen Verblendeten (wie jene sagen), sondern als einen, der aus der Unbeständigkeit und Wankelmütigkeit des Sichherumtreibens in der mannigfaltigen Verworrenheit des Irrtums durch die eingestaltige Wahrheit, die sich immer und überall gleichbleibt, befreit worden ist.“