Der Engel der Schule

Heute feiert die Kirche das Fest des großen heiligen Kirchenlehrers Thomas von Aquin. Aus diesem Anlaß bringen wir hier einen Ausschnitt aus dem Beitrag „Engel der Schule – Der heilige Thomas von Aquin“, entnommen der Zeitschrift „Antimodernist“ Nr. 1 vom April 2014. Wer sich für die Zeitschrift interessiert, sei auf die Seite thomasvonaquin.org verwiesen.

Bedeutung des Thomas von Aquin für unsere Zeit

Der hl. Thomas von Aquin ist nicht irgendein Lehrer, irgendein Theologe, irgendein Philosoph der katholischen Kirche, sondern er ist der Fürst der Scholastik, der Engel der Schule, der Doctor communis oder wie er sonst noch um der Erhabenheit seines Genies genannt werden mag. Papst Leo XIII. schreibt in seiner Enzyklika „Aeterni Patris“ über ihn: „Unter den scholastischen Lehrern ragt als Fürst und Meister aller Thomas von Aquin weit heraus, der, wie Cajetan bemerkt, weil er die ‘alten‚heiligen Lehrer aufs höchste verehrte, darum gewissermaßen die Einsicht aller erlangt hat‘ [Cajetan de Vio, Kommentar zu Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q. 148, a. 4 (Edition Leonin 10,174b)]. Thomas sammelte ihre Lehren und fügte sie wie zerstreute Glieder eines Leibes zu einem einzigen zusammen,teilte sie in wunderbarer Ordnung ein und mehrte sie so mit großem Zuwachs, daß er mit Fug und Recht als einzigartiger Schutz und Zierde der katholischen Kirche gilt. ...“ (Leo XIII: Enzyklika „Aeterni Patris“, 4. Aug. 1879, DH 3139).

Thomas von Aquin war einer der größten und tiefsten Philosophen aller Zeiten. Man kann ihn ohne Übertreibung den Schöpfer einer wahren Ewigkeitsphilosophie nennen. Er ist in der abendländischen christlichen Geistesgeschichte der einzigartige Höhepunkt. Sein besonderes Verdienst war es, die katholische Glaubenslehre in ein einheitliches kristallklares System zu gießen. Er hat es wie wenige andere verstanden, die Wahrheiten des hl. Glaubens und der Vernunft, die vermeintlichen Gegensätze oder scheinbaren Widersprüche in eine widerspruchslose Einheit zusammenzufassen. Dabei ist er in all seinem Nachforschen und Nachdenken vom Geist der kirchlichen Glaubensüberlieferung so tief erfüllt, daß er auch bei seinen kühnsten Spekulationen niemals in Widerspruch zur kirchlichen Lehre gerät. Thomas hat sowohl dem natürlichen Wissen der Philosophie als auch dem übernatürlichen Wissen der Theologie den richtigen Ort zugewiesen. Wobei für ihn selbstverständlich die Philosophie mit der Theologie, das Wissen mit dem Glauben, die Natur mit der Übernatur, eine Ordnungseinheit eingeht, wodurch die Grundtatsache aller christlichen Kultur letztlich begründet und bewahrt wird: Die kirchlich geleitete Rangordnung der übernatürlichen und natürlichen Werte und Lebensmächte. Thomas erklärt die vielfältigen Beziehungen von Natur und Übernatur genau. Ein Hauptsatz der thomistischen Philosophie besagt: „Gratia non tollit et destruit, sed implet et perficit naturam: Die Gnade hebt die Natur nicht auf, sondern erhöht und vervollkommnet sie.“ Ein Gegensatz zwischen Wissen und Glauben ist nicht möglich, sondern nur eine Erhöhung des menschlichen Wissens durch die Offenbarung, sodaß eine beglückende Einheit und Harmonie entsteht. Die göttliche Offenbarung ergänzt und ordnet das rein menschliche Wissen in wunderbarer Weise. Keine Wissenschaft kann daher auf die Dauer ohne den festen Unterbau einer objektiven Seinsmetaphysik gedeihen.

Die thomistische Philosophie gibt der sichtbaren Welt ihr Recht neben der unsichtbaren. Die sichtbare Welt ist nicht, wie etwa Luther lehrte, durch die Erbsünde von Grund auf verdorben, sondern die richtige Ordnung in der Natur ist geradezu die Voraussetzung für das Wirksamwerden der Gnade. Die richtige Einstellung zur Welt der Gnade läßt diese nicht als lebensfeindlich erscheinen, vielmehr wird erst durch die Gnade die natürliche Ordnung vollendet, da Gott dem Menschen kein natürliches, sondern ein übernatürliches Ziel vorgegeben hat. Für den Thomismus fließen auch natürliche und übernatürliche Erkenntnis aus einer Quelle. Daher kann echte Wissenschaft niemals mit dieser Urquelle im Widerspruch stehen. Diese grundlegenden Lehren bewahren den Katholiken vor den Irrtümern des Materialismus, des Monismus, des Pantheismus, des zum Subjektivismus abirrenden Idealismus, der reinen Vernunft und dem all diese Irrtümer zusammenfassenden Modernismus. Darum haben die Modernisten von Anfang an ganz besonders den Thomismus angegriffen. Pius X betont in seiner Enzyklika „Pascendi“: „Drei Dinge sind es vor allem, von welchen sie (=die Modernisten) wissen, daß sie ihren Bestrebungen entgegengesetzt sind: die scholastische Methode in der Philosophie; die Autorität und die Tradition der (Kirchen-)Väter, und das Kirchliche Lehramt. Gegen diese (drei) richtet sich ihr heftigstes Streiten.“

Alles, was die unveränderliche Wahrheit als göttliches Geschenk zum Ausdruck bringt, wollen die Modernisten beseitigen. Ihr Glaube ist ja in dem Sinne lebendig, daß er sich ständig dem Leben anpassen und deswegen auch ändern muß. Der katholische Glaube dagegen steht unverrückbar auf der Scholastik, den Kirchenvätern und dem kirchlichen Lehramt als nächster, im wahren Sinne lebendiger Norm des Glaubens. Für die Modernisten sind das die Hindernisse, die ihren Neuerungen im Wege stehen, weswegen sie von Anfang an versuchten, diese mit allen Mitteln zu beseitigen. Pius X. führt aus, wie sie dies ins Werk setzten: „Die scholastische Philosophie und Theologie wird von ihnen darum durchwegs verhöhnt und verachtet. Ob sie dies nun aus Unwissenheit oder aus Furcht tun mögen, oder wohl eher aus beiden Gründen — es steht fest: die Begierde nach Neuerungen ist immer mit einem Widerwillen gegen die Scholastik verbunden; und es gibt kein sichereres Zeichen für eine beginnende Hinneigung von irgendjemandem zu den modernistischen Lehren, als wenn er anfängt, vor der scholastischen Methode zurückzuschrecken. Die Modernisten und die Anhänger der Modernisten sollten sich an die Verurteilung erinnern, mit der Pius IX. die These als verworfen erklärt hat (SYLLABUS, Prop. 13): 'Die Methode und die Grundsätze, nach denen die alten Lehrer der Scholastik die Theologie vervollkommnet haben, stimmen mit den Bedürfnissen unserer Zeit und mit dem Fortschritt der Wissenschaften keineswegs überein.'“

„Sie sind eifrig bemüht, die Bedeutung und das Wesen der Tradition höchst verschlagen verdrehend umzustürzen, um deren Bedeutung und deren Autorität zunichtezumachen. — Aber für die Katholiken wird die Entscheidung des Zweiten Konzils von Nicäa auf immer bestehen, wonach diejenigen verurteilt sind, die es wagen, ... nach dem Beispiel verruchter Häretiker die kirchlichen Überlieferungen zu verachten und irgendwelche Neuerung auszusinnen ... oder mit Unrecht und Verschlagenheit etwas auszusinnen, um irgendein Stück der rechtmäßigen Überlieferungen der katholischen Kirche umzustürzen. Es bleibt (auf immer) bestehen das Bekenntnis des Vierten Konzils von Konstantinopel: Wir bekennen also, daß wir die maßgebenden Grundsätze halten und bewahren wollen, welche sei es von den ruhmvollen heiligen Aposteln, sei es von den Allgemeinen sowie den Provinzialkonzilien der Rechtgläubigen, oder auch von irgendeinem gottbegnadeten Vater oder Lehrer, der Heiligen Katholischen und Apostolischen Kirche überliefert worden sind. Darum wollten auch die Päpste Pius IV. und Pius IX., daß im Glaubensbekenntnis beigefügt werde: Die apostolischen und kirchlichen Überlieferungen und die übrigen Gewohnheiten und Verordnungen eben dieser Kirche nehme ich mit größter Festigkeit an und heiße sie mit Freuden gut.“ (Hl. Pius X., Pascendi Dominici Gregis, 8. September 1907).

Die Päpste versuchten noch bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinein, die scholastische Theologie zu verteidigen und auch immer wieder zu fördern. Je mehr der moderne Geist die Gesellschaft prägte, desto wichtiger schien es den Päpsten, das rechte Denken zu schützen und zu wahren. Zur 600-Jahrfeier der Heiligsprechung des heiligen Thomas von Aquin schrieb Pius XI. über den „Engelgleichen Lehrer“: „Will man sich ferner sichern gegen die groben Irrtümer, welche Quelle und Nährboden allen Elendes unserer Zeit sind, so drängt sich heute mehr denn je das gründliche Studium der Werke des heiligen Thomas auf. Meisterhaft widerlegt er auf allen Gebieten die falschen Theorien der Modernisten: in der Philosophie tritt er, wie bereits erwähnt, für den Wert und die Kraft des menschlichen Verstandes ein und stellt gültige Beweise für das Dasein Gottes auf; in der Dogmatik zieht er klare Grenzen zwischen der natürlichen und der übernatürlichen Ordnung des Seins, und er erläutert die Beweggründe zum Glauben und die Glaubenssätze selber; in der Theologie weist er nach, daß sämtliche Gegenstände unseres Glaubens nicht auf bloßer Annahme, sondern auf der Wahrheit beruhen und daß sie unveränderlich sind; in der Bibelwissenschaft vermittelt er den richtigen Begriff von der göttlichen Inspiration; in der Sittenlehre gibt er eine klare Formulierung der Grundsätze der legalen und der sozialen, der ausgleichenden und der austeilenden Gerechtigkeit, und er legt die Beziehungen zwischen Gerechtigkeit und Liebe dar; in der Aszetik gibt er die Richtlinien für das Leben der christlichen Vollkommenheit und widerlegt jene seiner Zeitgenossen, die das Ordensleben anfeindeten. Gegen die Überbetonung der von Gott losgelösten, autonomen menschlichen Vernunft betont Thomas schließlich die Rechte der höchsten Wahrheit und der Autorität unseres höchsten Herrn und Meisters. Daraus geht klar hervor, daß die Modernisten mit guten Gründen keinen anderen Kirchenlehrer so fürchten wie den heiligen Thomas von Aquin. Wie einst in Ägypten zur Zeit der Hungersnot das Wort als Losung ausgegeben wurde: Gehet zu Joseph!, er kann euch Brot geben, so rufen Wir heute allen Wahrheitshungrigen zu: Gehet zu Thomas, suchet bei ihm die Kraftnahrung der gesunden Lehre, die er in reicher Fülle besitzt und die eure Seelen zu stärken vermag für das Leben! Er verfügt über einen reichen Vorrat an leicht zugänglicher Seelenspeise, wie es die eidlichen Aussagen des Heiligsprechungsprozesses bezeugen: An der klaren und leichtfaßlichen Lehre dieses Meisters haben sich eine ganze Reihe von glänzenden Magistern aus dem Welt- und Ordensklerus gebildet; dank seiner übersichtlichen, lichtvollen und geschickten Methode wünschen auch Laien und mittelmäßig Gebildete seine Schriften zu besitzen“ (Papst Pius XI. Studiorum Ducem, 29. Juni 1923).

Nun, der letzte Satz ist sicher in der Menschenmachwerkskirche nur noch Geschichte, so wie der hl. Thomas für einen Modernisten nur noch geschichtlich interessant ist. Wobei es seit etwa 20 Jahren, also in der Zeit des Postmodernismus, auch schon „Theologen“ gibt, die meinen, den hl. Thomas mit dem Modernismus versöhnen zu können. Es gibt ja bekanntlich nichts, was es nicht gibt. Dabei sind die Schriften des hl. Thomas von Aquin im Gegenteil hervorragend geeignet, gerade auch heute in dieser postmodernen Zeit, die Wahrheit zu „sichern gegen die groben Irrtümer, welche Quelle und Nährboden allen Elendes unserer Zeit sind“. Weshalb sich jedem, der sich noch eine Liebe zur göttlichen Wahrheit im Herzen bewahrt hat, einsehen muß, es „drängt sich heute mehr denn je das gründliche Studium der Werke des heiligen Thomas auf“.

Für jeden echten Antimodernisten ist es deswegen eine heilige Verpflichtung, den hl. Thomas zu studieren, denn nur auf diesem Fundament kann er dem Modernismus vernünftig und sicher entgegentreten. Wir wollen auf Pius XI. hören, wenn er uns zuruft: „Gehet zu Thomas, suchet bei ihm die Kraftnahrung der gesunden Lehre, die er in reicher Fülle besitzt und die eure Seelen zu stärken vermag für das Leben!“ Werfen wir also einen kurzen Blick auf das Leben und Werk des hl. Thomas, damit uns dieser überragende Geist vertraut wird und wir zudem sehen, in der Kirche sind die ganz großen Gelehrten immer auch Heilige, weil wahre Wissenschaft immer mit Frömmigkeit vereint sein muß.