Papst und Antichrist

1. Der englische Kardinal Henry Edward Manning (1808 bis 1892) war zunächst anglikanischer Pastor, ehe er 1851 zum katholischen Glauben konvertierte und zum Priester geweiht wurde. 1865 erfolgte seine Ernennung zum Erzbischof von Westminster, und 1875 erhielt er den Kardinalshut. Bereits 1863 hatte der als „Ultramontanist“ und glühender Verfechter der päpstlichen Unfehlbarkeit bekannte Manning ein Büchlein geschrieben: „The Present Crisis of the Holy See – Die gegenwärtige Krise des Heiligen Stuhls“, in welcher er die damaligen Geschehnisse im Lichte der Offenbarung deutete. Die hier genannte Krise um den Heiligen Stuhl bestand in den sich verstärkenden und häufenden Angriffen des Liberalismus gegen die Kirche und namentlich den Papst. Die Revolution von 1848 hatte auch auf Italien übergegriffen und Papst Pius IX. zur Flucht gezwungen. Nachdem die erste liberale und revolutionäre „Römische Republik“ von französischen und spanischen Truppen niedergeschlagen worden war, konnte er 1850 nach Rom zurückkehren, mußte jedoch, als er die französischen Schutztruppen wegen des deutsch-französischen Krieges 1870 verloren hatte, zusehen, wie revolutionäre italienische Truppen Rom besetzten und den Kirchenstaat auflösten. Er zog sich als „Gefangener im Vatikan“ dorthin zurück und verbot allen italienischen Katholiken die Teilnahme an den Wahlen zur liberalen Republik.

Besonderen Angriffen war der Papst ausgesetzt wegen seiner Dogmatisierung der Unbefleckten Empfängnis 1854, seiner Verurteilung der liberalen Irrtümer mit „Quanta Cura“ und dem „Syllabus errorum“ im Jahr 1864, sowie insbesondere der Erklärung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes auf dem (I. und einzigen) Vatikanischen Konzil 1870. Es war dies wahrhaft der Kampf zwischen der „Frau“ und dem sie verfolgenden „Drachen“, wie er uns in der Offenbarung des heiligen Johannes beschrieben wird. Darüber also handelt das Büchlein von Manning und zeigt sich daher erstaunlich aktuell, denn wir stehen heute nach wie vor in diesem Kampf, auch wenn er bereits weit fortgeschritten ist und die Krise um den Heiligen Stuhl heute ein ganz anderes, noch viel apokalyptischeres Gesicht bekommen hat.

2. Die Absicht Mannings, so schreibt er in seinem ersten Kapitel, ist es, die gegenwärtige Beziehung der Kirche zu den zivilen Mächten der Welt im Licht der Prophetie des hl. Paulus zu beschreiben und einige praktische Konsequenzen zu ziehen für diejenigen, deren Augen nicht blind sind für das Walten der Vorsehung unter den zeitgeschichtlichen Umständen. Was er nicht vorhat, ist eine Auslegung der Apokalypse oder die Vorhersage des Weltendes; dies überläßt er lieber berufeneren Personen. Jedoch will er uns einen klareren Blick vermitteln, welche Prinzipien christlich und welche antichristlich sind, und eine bessere Wahrnehmung der Ereignisse, denen die Kirche und der Heilige Stuhl in diesen Zeiten ausgesetzt sind.

Er zitiert zunächst den heiligen Paulus in dessen Brief an die Thessalonicher: „Niemand führe euch irre auf irgendeine Weise. Denn zuvor muß der Abfall kommen und offenbar werden der Mensch der Gesetzlosigkeit, der Sohn des Verderbens, der Widersacher, der sich über alles erhebt, was Gott heißt oder Gottesverehrung, so daß er sich in das Haus Gottes setzt und von sich erklärt, daß er Gott sei. Erinnert ihr euch nicht, daß ich dies euch sagte, da ich noch bei euch war? Und nun? Ihr wißt, was im Wege steht, daß er offenbar werde zu seiner Zeit. Denn das Geheimnis der Gesetzlosigkeit ist schon am Werk; nur muß der im Wege Stehende noch weggeräumt werden, und dann wird sich der Gesetzlose offenbaren, den der Herr Jesus hinwegnehmen wird mit dem Hauch seines Mundes und vernichten wird mit dem Aufleuchten Seines Kommens. Sein Auftreten zeigt sich entsprechend der Kraftentfaltung des Satans in jeder Art von Macht, trügerischen Zeichen und Wundern, in jeder Art böser Verführung für jene, die verlorengehen, weil sie der Liebe zur Wahrheit nicht Einlaß gaben, um gerettet zu werden. Daher schickt ihnen Gott die Kraftentfaltung der Verführung, damit sie der Lüge glauben, damit alle das Gericht erfahren, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern Gefallen hatten am Frevel“ (2 Thess 2,3-12).

3. Manning sieht hier vier große Gegebenheiten: erstens den Abfall (engl. revolt), welcher der Zweiten Ankunft Christi vorausgeht, zweitens das Offenbarwerden dessen, der der „Gesetzlose“ genannt wird (engl. the wicked one), drittens ein Hindernis, welches diesem Offenbarwerden entgegensteht, und viertens eine Periode von Gewalt und Verfolgung, deren Urheber der „Gesetzlose“ sein wird. Diese vier Punkte will Manning nun anhand der Schriften der Kirchenväter sowie der Theologen wie Bellarmin, Lessius, Malvenda, Viegas, Suarez, Ribera etc. beleuchten.

Was ist zunächst mit dem Abfall, englisch „revolt – Aufstand“, im Griechischen „apostasia – Apostasie“, im Lateinischen „discessio – Abschied“ genannt? Eine Revolte impliziert eine aufständische Trennung von einer Autorität und eine Opposition gegen diese. Doch um welche Autorität geht es? Es gibt in dieser Welt zwei letzte Autoritäten, die bürgerliche und die geistliche, und die genannte Revolte ist entweder ein Aufstand oder ein Schisma, und sie muß eine weltweite Dimension haben. In unserem Fall muß es sich um eine geistige Revolte handeln, weshalb auch der heilige Paulus immer vor Apostasie und Glaubensabfall warnt. Somit ist die Autorität, gegen welche sich der Aufstand richtet, das Reich Gottes auf Erden, letztlich die Kirche.

Der Aufstand gegen die Kirche aber trägt drei Kennzeichen: Erstens das Schisma, nach dem heiligen Johannes, welcher schreibt: „Kindlein, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen erstanden; daran erkennen wir, daß es die letzte Stunde ist. Von uns gingen sie aus, doch sie waren nicht von uns. Wären sie nämlich von uns gewesen, wären sie bei uns geblieben, doch sollte offenbar werden, daß nicht alle von uns sind“ (1 Joh 2,18f). Das zweite Kennzeichen ist das Zurückweisen des Amtes und der Gegenwart des Heiligen Geistes, weshalb der heilige Judas Thaddäus in seinem Brief von sinnlichen Menschen spricht, welche den Geist nicht haben. Dies umfaßt notwendigerweise das häretische Prinzip, wonach die menschliche Meinung dem göttlichen Glauben entgegengesetzt wird, der private Geist der unfehlbaren Stimme des Heiligen Geistes, welcher durch die Kirche Gottes spricht. Als drittes Kennzeichen kommt hinzu die Leugnung der Menschwerdung, der Inkarnation, nach dem heiligen Johannes: „Jeder Geist, welcher bekennt, daß Jesus Christus im Fleische gekommen ist, ist aus Gott, und jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, ist nicht aus Gott. Und das ist der Geist des Antichristen, von dem ihr gehört habt, daß er kommt; und nun ist er schon in der Welt“ (1 Joh 4,2f).

An diesen drei Kennzeichen also kann die antichristliche Revolte, der „Abfall“, erkannt werden. Diese aber ist, wie der heilige Paulus, der heilige Petrus und der heilige Johannes bezeugen, bereits zu ihrer Zeit am Werk (vgl. 2 Thess 2,7; 1 Joh 2,18 u.a.). Der Geist des Antichristen ist als Geist der Häresie also schon zur Zeit der Apostel tätig, namentlich in der Gnosis und der Häresie der Nikolaiten. Bereits in ihnen zeigten sich die drei Kennzeichen Schisma, Häresie und Leugnung der Inkarnation. Ebenso lassen sich diese zeigen im Sabellianismus, Arianismus, Semiarianismus, Monophysitismus, Monotheletismus, Eutychianismus und der Macedonischen Häresie. Ihre Prinzipien sind die gleichen, wenn auch die Entwicklung verschieden ist, jedoch unwesentlich verschieden. Und so ging es weiter durch alle Jahrhunderte. Stets führte Häresie ins Schisma und Schisma in die Häresie. Stets wurde die durch die Kirche sprechende göttliche Stimme des Heiligen Geistes zurückgewiesen, man ersetzte den göttlichen Glauben durch menschliche Meinung und gelangte zur Leugnung der Menschwerdung des Ewigen Sohnes. Jede Zeit hat ihre eigene Häresie, wie denn auch jeder Glaubensartikel zu ihrer Zurückweisung seine Definition erhielt. Der Lauf der Häresie ist periodisch, materiell verschieden, aber formell ein und derselbe in Prinzip und Aktion, sodaß alle Häresien von Anfang an nicht mehr sind als eine kontinuierliche Entwicklung und Entfaltung des „Geheimnisses der Bosheit“, welches schon am Werk ist.

Ein anderes Phänomen in der Geschichte der Häresie ist ihre Fähigkeit, sich zu organisieren und dauerhaft zu etablieren, zumindest bis sie sich in eine subtilere und aggressivere Form auflöst, so etwa der Arianismus, welcher der katholischen Kirche in Konstantinopel, der Lombardei und Spanien zusetzte, der Donatismus, der die Kirche in Afrika bedrängte, der Nestorianismus, der die Kirche in Asien dezimierte, der Mohammedanismus, der die meisten seiner Vorläufer bestrafte und absorbierte und im Osten und Süden die furchtbarste antichristliche Militärmacht ins Leben rief, die die Welt je gesehen hat, sowie der Protestantismus, der sich zu einem weitverbreiteten politischen Antagonisten des Heiligen Stuhls gemausert hat, nicht nur im Norden, sondern mit Hilfe seiner Höflichkeit und Diplomatie auch in katholischen Ländern.

Zu dieser Kraft der Ausdehnung kommt noch eine morbide und höchst verderbliche Kraft der Reproduktion. Jede Häresie hat eine Unzahl untergeordneter und angegliederter Häresien hervorgebracht. Insbesondere der Protestantismus ist hier zu nennen, der von Luther über Calvin und Cranmer bis hin zum Rationalismus und Pantheismus englischer und deutscher Prägung der allgegenwärtige und gefährlichste Gegner der Christenheit wurde und, so Manning, noch nicht am Ende ist, sondern noch weitere und schlimmere Dinge hervorbringen wird. Wir können dem heute nur recht geben, denn auch der Modernismus ist schließlich dieser Brutstätte entwachsen.

Die Häresie bediente sich bei ihrem Kampf gegen die Kirche zweier Hebel, deren einer die Hervorhebung und Verherrlichung des Nationalprinzips ist, das stets in Verbindung mit der Häresie gefunden wurde. Die Kirche sammelte alle Nationen in ihre übernatürliche Einheit. Eine einzige Quelle geistlicher Jurisdiktion und eine einzige göttliche Stimme hielt die ganze Familie der Nationen zusammen. Jede Häresie hingegen identifizierte sich früher oder später mit der Nation, in der sie entstand, wurde von den bürgerlichen Machthabern gefördert und zielte auf nationale Unabhängigkeit. Unnötig zu erwähnen, daß dieser Nationalismus wesentlich schismatisch ist, wie sich nicht nur im Anglikanismus zeigt, sondern auch etwa im Gallikanismus etc. Im Individuum löst die Häresie die Einheit der Inkarnation auf, in der Nation löst sie die Einheit der Kirche auf, die auf der Inkarnation gründet. Der andere Hebel ist die Vergottung der Menschheit. Diese sieht Manning gegeben im Pantheismus eines Schelling oder Hegel und in der „Religion des Positivismus“ eines Auguste Comte.

4. Wir fassen zusammen: Vor dem Auftreten des Antichristen kommt es zu einer Revolte oder einem Abfall, der sich gegen die Kirche Gottes richtet und die drei Noten des Schisma, der Häresie und der Leugnung der Inkarnation trägt. Diese antichristliche Bewegung ist bereits seit den Tagen der Apostel am Werk, hat sich seither in vielfältigen, bisweilen fast widersprüchlichen, Formen und zu verschiedenen Zeiten gezeigt, war jedoch stets ein und dieselbe in ihren Prinzipien und ihrem Gegensatz zur Menschwerdung und zur Kirche. Diese Bewegung nahm von Jahrhundert zu Jahrhundert zu an Kraft und Stärke und hat gegenwärtig eine größere Macht und formellen Antagonismus zur Kirche als je zuvor. Sie heftete sich an den Stolz der Regierungen durch den Nationalismus, an die Individuen durch die Philosophie und eroberte unter den Formen des Protestantismus, der Zivilisation und des Säkularismus weite Teile Europas und der übrigen Welt. So stehen sich Katholiken und Anti-Katholiken, Christen und Anti-Christen gegenüber, und dies erklärt auch die Vorgänge, welche sich zur Zeit Mannings ereigneten, den Aufstand Europas gegen den Heiligen Stuhl, die Revolutionen.

(Doch müssen wir heute nicht auch die „Bewegung der Tradition“ in gewisser Weise zur antichristlichen Bewegung rechnen? Scheint sie nicht schismatisch mit ihren eigenen „außerordentlichen ersetzenden Autoritäten der Rechtsprechung“, die nicht die Autoritäten der Kirche sind, ist sie nicht eigentlich häretisch, indem sie das kirchliche Lehramt durch die eigene Bewertung dessen ersetzt, was sie für „Tradition“ hält, und löst sie nicht die Inkarnation auf, indem sie die heilige Braut Christi, die Kirche, ihrer Heiligkeit und Unfehlbarkeit und somit ihrer Göttlichkeit beraubt?)

5. Im zweiten Kapitel geht es nun um den „Gesetzlosen“. Die ganze antichristliche Bewegung all der Jahrhunderte zielt auf denjenigen hin, der als ihr Führer und Haupt am Ende auftreten wird. Dieser ist der Antichrist, welcher, wie Manning unter Hinweis auf viele Kirchenväter dartut, eine individuelle Person sein wird. Ebenfalls aufgrund der Aussagen der Kirchenväter und vieler anderer geistlicher Lehrer wird dieser jüdischer Abstammung sein. Er wird außerdem nicht einfach nur der Gegenspieler Christi sein, sondern Ihn als Messias verdrängen oder ersetzen. Er wird darum einen außernatürlichen Charakter haben und viele falsche Wunder wirken in der Kraft der Dämonen. Schließlich wird er der „Mensch der Sünde“ sein und sich in den Tempel Gottes setzen, um dort göttliche Verehrung, ja Anbetung zu empfangen. Die Menschen, welche die Idee des wahren Messias verloren haben, werden ihn, geblendet von seinen großen politischen und militärischen Erfolgen, aufgeblasen von ihren Sozinianischen und pantheistischen Auffassungen von der „Menschenwürde“, als ihren Messias verehren. Die Kirchenväter sagen, daß am Ende der Zeiten das Heidentum wieder auferstehen wird. Dies nimmt nicht Wunder, denn wenn die Gebildeten Pantheisten werden, werden die einfachen Leute Polytheisten.

Das antichristliche Wirken und Streben in der Welt zeigte sich mal stärker, mal schien es zu ruhen, doch es schritt stets voran und ist heute mächtiger denn je. Es steuert auf das Auftreten ihres Hauptes und Führers, des Antichristen in Person, zu, das uns in der Prophetie der Heiligen Schrift als sicher eintretend vorausgesagt ist. Doch da ist noch etwas, was es aufhält, und damit beschäftigt sich nun das dritte Kapitel.

6. Wie das Geheimnis der Bosheit all die Jahrhunderte hindurch fortwährend tätig war, so gibt es auch ein dauerndes Hindernis, das sein Offenbarwerden verhinderte und weiter verhindern wird bis zu dem Zeitpunkt, da es entfernt werden wird. Der heilige Paulus spricht von diesem Hindernis einmal sachlich, „welches verhindert“, einmal persönlich, „welcher verhindert“. Wir finden hier wieder die Identifizierung eines Systems mit der Person, die es in hervorragender Weise vertritt. So wird das Geheimnis der Bosheit verkörpert in der Person des Antichristen, das Geheimnis der Gnade aber im menschgewordenen Gottessohn Jesus Christus.

Der Antichrist wird bezeichnet als „der Gesetzlose“, also einer, der sich über alle Gesetze hinwegsetzt, dessen einziges Gesetz sein eigener Wille ist. Da es sich also um eine gesetzlose Person handelt, welche Unordnung, Aufstand, Tumult und Revolution sät, sowohl in der zeitlichen als in der geistlichen Ordnung der Welt, muß dasjenige, was ihn hindert, das Prinzip der Ordnung, des Gesetzes der Unterordnung, die Autorität der Wahrheit und des Rechtes sein. Die Kirchenväter sehen dies zunächst im römischen Reich gegeben. Andere meinen, es sei die Gnade des Heiligen Geistes, wieder andere sehen die Gegenwart der Apostel als Hinderungsgrund für den Gesetzlosen. Alle diese Erklärungen zusammen kommen der Wahrheit am nächsten.

Zunächst war es gewiß das römische Reich, das den Ausbruch gesetzloser Unordnung, der Revolution, verhinderte, solange es Bestand hatte. Doch dann war es nicht Rom allein, sondern das Königreich Gottes, das sich über die Erde ausbreitete, die Apostolische Kirche, die sich über alle Nationen ausdehnte und schließlich das Heilige Römische Reich begründete, durchdrungen mit einem neuen Ordnungsprinzip und einem neuen Geist der Einheit. Die Kirche war es, die alles zusammenhielt, ihm einen Sinn, einen Geist, ein Gesetz, einen Willen, ein Herz gab durch den einen Glauben, der die Geister erhellte, durch die göttliche Liebe, die sie zu einer Familie einte, durch die Quelle des göttlichen Rechts, die Unserem Herrn Jesus Christus entsprang und sich durch die Apostel und ihre Nachfolger überallhin ausbreitete, wo neben den eisernen Tribunalen die Tribunale der Barmherzigkeit errichtet wurden. So wurde das alte römische Reich mit neuem himmlischem Leben erfüllt. Darum kann man auch sagen, daß der Heilige Geist, welcher dieses Reich beseelte, das Hindernis war, denn „die Kirche Gottes ist die Gegenwart des Heiligen Geistes, verkörpert und der Welt geoffenbart im sichtbaren Leib derer, die in die Einheit der Kirche Jesu Christi getauft sind“.

Beide großen Gewalten, die geistliche wie die weltliche, fielen in der Stadt Rom zusammen. Die ersten drei Jahrhunderte hindurch versuchte die weltliche Macht der Kaiser die geistliche der Kirche zu ersticken. Doch je mehr die Kirche verfolgt wurde, desto mehr erstarkte sie durch das Blut der Märtyrer. Dieser Kampf endete in der Bekehrung des römischen Reiches zum Christentum und mit der Erhebung der Kirche Gottes über alle menschliche Macht, sodaß fortan Recht über Macht stand und göttliche Autorität vor menschliche Autorität ging. Schließlich fügten sich beide Gewalten zusammen, sodaß der Kaiser von seinem Thron in Ausübung der irdischen Jurisdiktion, der Papst von seinem Thron höherer Gewalt mit göttlicher Jurisdiktion gemeinsam die Welt regierten, bis der Kaiser nach Ostrom ging und dem Papst auch die weltliche Gewalt über Rom zufiel. So war die einst weltliche Macht geheiligt, und es entstand in Europa die christliche Ordnung, die christliche Zivilisation mit christlichen Königen, die miteinander Frieden und Ordnung aufrechtzuerhalten bemüht waren. Das, was wir die Christenheit nennen, die christlichen Völker, welche miteinander auf vielfache Weise verbunden sind, stellte das Hindernis gegen Unordnung und Gesetzlosigkeit dar.

Das Hindernis also für den Gesetzlosen ist die Christenheit und ihr Haupt, System und Person, und zwar die Person des Stellvertreters Christi, welcher mit seiner Autorität der direkte Gegenpart des Prinzips der Unordnung ist. Es gibt keinen direkteren Gegenspieler des Antichristen als den Papst, welcher mit Königtum und Priestertum die beiden Prinzipien der zeitlichen und geistlichen Ordnung repräsentiert. So finden sich die drei Antworten der Kirchenväter in der Gestalt des Obersten Pontifex zusammen.

Es geht somit das Bestreben der antichristlichen Kräfte dahin, die Völker aus der christlichen Ordnung zu lösen. Daher die Revolutionen von 1789, 1830, 1848, welche nichts anderes waren als die Erhebung der Gesetzlosigkeit gegen Gott, gemäß den Prinzipien des Schismas, der Häresie und des Unglaubens. So sieht Manning das Hindernis immer mehr dahinschwinden. Die Menschen suchen nur noch im materiellen Wohlstand ihr Glück, die Staaten haben sich nur um das irdische Wohlergehen der Menschen zu kümmern. Das ist die moderne, entchristlichte Zivilisation, in welcher der Glaube schwindet. Die modernen Demokratien unterwerfen die Gesetze Gottes dem Mehrheitswillen. Schon der heilige Hippolyt schrieb im 3. Jahrhundert, das römische Reich werde sich gegen Ende der Welt in Demokratien auflösen.

In der Heiligen Schrift heißt es, daß dieses Hindernis den Antichristen aufhalten wird, bis es „hinweggenommen“ wird. Wer aber könnte dieses Hindernis, welches in der christlichen Ordnung besteht, die durch die Kirche Gottes und den Stellvertreter Christi auf Erden garantiert wird, hinwegnehmen als der Sohn Gottes, Unser Herr Jesus Christus, selbst? Wir sehen im Leben Christi, daß Er dreiunddreißig Jahre lang in der Welt war und keiner die Hand an Ihn legen konnte, denn Seine „Stunde war noch nicht gekommen“. Es war jedoch die Stunde bereits vorgesehen, in welcher Er in die Hände der Sünder überliefert werden sollte. Er wußte das und sagte es vorher. Keiner konnte den Kreis der göttlichen Allmacht durchbrechen, der Ihn umgab, bis Er selbst es wollte und die Tür öffnete. So lieferte Er sich selbst ihren Händen aus. „Du hättest keine Macht über Mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“, sagt Jesus zu Pilatus (Joh 18,5).

So konnten auch die Pforten der Hölle nichts gegen die Kirche ausrichten, bis die Stunde kommt, in welcher das Hindernis nach dem Willen Gottes fällt. Und daß dies geschieht, ist bereits vorhergesagt. Dann wird sich der Mensch der Sünde offenbaren, und es wird jene Verfolgung von dreieinhalb Jahren beginnen, die kurz, aber schrecklich sein wird, und in welcher die Kirche Gottes wieder in jenen Leidenszustand eintreten wird, den sie zu Anfang hatte. Die Kirche in ihrer Unvergänglichkeit und ihrem unauslöschlichen Leben wird allerdings auch diese Zeit überdauern.

Diese Dinge erfüllen sich schnell, und es ist gut, sie uns stets vor Augen zu halten, zumal sie schon zu Zeiten von Kardinal Manning sich zu erfüllen beginnen, was er ganz klar in den Machenschaften gegen Pius IX. erkennt. Was würde er erst heute sagen? Wir dürfen also nicht Ärgernis nehmen, wenn wir die Kirche in dieser Schwäche, diesem Leiden, diesem armseligen Zustand erblicken (und hier ist nicht die „Konziliare Kirche“ gemeint!). Ebenso ist es Unserem Herrn ergangen, und die Kirche muß die Passion ihres Meisters nun ebenfalls erneut durchleiden, um so zu ihrem Triumph zu gelangen. „Mußte nicht Christus dies alles leiden?“ - und ebenso ist es mit der Kirche. „Jetzt schon habe ich es euch gesagt, ehe es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es geschieht“ (Joh 14,29).

7. Wir haben es auf Erden mit zwei großen Gegenspielern zu tun, auf der einen Seite der Geist und das Prinzip des Bösen, auf der anderen Seite der menschgewordene Gott, greifbar in Seiner Kirche, aber in hervorragender Weise in Seinem Stellvertreter, dem Papst, Seinem besonderen und persönlichen Zeugen, der in Seinem Namen spricht und befiehlt. Die folgende Stelle verdient es, wörtlich wiedergegeben zu werden, da man selbst bei sog. „Traditionalisten“ eine solch katholische Sichtweise so gut wie nicht mehr findet: „Das Amt des Stellvertreters Christi umfaßt in seiner Fülle die göttlichen Vorrechte der Kirche, insofern er, als besonderer Repräsentant des göttlichen Hauptes, all Seine mitteilbaren Gewalten in der Leitung der Kirche auf Erden ausschließlich und alleine trägt. Die anderen Bischöfe und Hirten, die mit ihm vereinigt sind und in Unterordnung unter ihn handeln, können nicht ohne ihn tätig sein, er aber kann alleine handeln, da er die Fülle der Gewalt in sich trägt. Außerdem sind die Gaben für den Leib das Vorrecht des Hauptes, und deshalb sind die Gaben, die vom göttlichen Haupt der Kirche in dessen ganzen Mystischen Leib herabsteigen, zusammengefaßt im Haupt dieses Leibes auf Erden, insofern er an der Stelle des Menschgewordenen Wortes steht als Diener und Zeuge des Königreiches Gottes unter den Menschen. Darum ist es diese Person, gegen welche, wie ich schon sagte, der Geist des Bösen und der Falschheit in allererster Linie seine Angriffe richtet, denn wenn das Haupt des Leibes gefallen ist, muß der Leib selbst sterben.“ „Schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen.“

So haben sich die Angriffe des Bösen allezeit gegen die Kirche und namentlich gegen deren Haupt gerichtet. Es ist der päpstliche Primat, der allezeit die christliche Ordnung aufrechterhielt, welcher der Mittelpunkt der christlichen Gesellschaft war und die Nationen in Frieden zusammenfaßte und so das Kommen des Antichristen aufhielt. Damit wagt Kardinal Manning nun im 4. Kapitel einen Blick in die Zukunft, der sich allerdings ebenfalls nur auf die Heilige Schrift und die Theologie stützt. Er beginnt mit dem 24. Kapitel bei Matthäus, wo der Heiland über das Ende Jerusalems und der Welt spricht. Beides fließt bei Ihm in einer Schau zusammen. Für Manning ist dieses Kapitel der Schlüssel zur Apokalypse des heiligen Johannes.

Dieses Buch, sagt er, könne man in vier Teile teilen. Der erste Teil beschreibt die Kirche auf Erden unter dem Bild der sieben Gemeinden, an welche sich die sieben Briefe richten. Der zweite Teil bezieht sich auf die Verwerfung des Judentums, der dritte beschreibt die Verfolgung der Kirche durch das heidnische Rom und dessen Überwindung. Der vierte und letzte Teil handelt vom Frieden der Kirche unter der Gestalt des himmlischen Jerusalem, welches vom Himmel herabsteigt und unter den Menschen weilt. Viele Ausleger früherer Tage haben die Prophetien der Apokalypse bis auf das, was in den letzten Kapiteln geschieht, für bereits erfüllt gehalten. Doch es ist der Prophetie eigen, sich allmählich zu entfalten. So wie Berge, die aus der Ferne betrachtet zusammengeklebt erscheinen, während sich aus der Nähe gesehen zwischen ihnen Weiten und Täler auftun, so ist es auch mit den Ereignissen aus der Prophetie. Für die Apostel mochte es scheinen, daß das Ende Jerusalems und der Welt zusammenfallen würden, doch inzwischen sehen wir, daß dazwischen eine Menge Zeit lag und vieles geschehen ist.

In den vier Teilen der Apokalypse, so Manning, sehen wir drei Hauptakteure auftreten: die Kirche, die Juden und das heidnische Rom. Diese drei existieren nach wie vor auf Erden, es existiert die Kirche, es gibt nach wie vor das Volk des Alten Bundes, die Juden, und es gibt die Gesellschaft ohne Gott, die den Platz des früheren Heidentums einnimmt. Die Kirche hat bereits zwei Verfolgungen durchgemacht, eine durch die Juden und eine durch die Heiden. Nach den Kirchenvätern steht ihr noch eine dritte Verfolgung bevor, die noch bitterer und blutiger sein wird als alles, was sie bisher erlebt hat. Somit sieht Manning in der Apokalypse, ebenso wie in der Vorhersage des Heilands, zwei Ereignisse dargestellt, von welchen eines in der Vergangenheit liegt und der Typus oder Schatten dessen ist, was kommen wird, und ein zweites Ereignis in der Zukunft, am Ende der Welt. Alle Verfolgungen der Kirche bisher waren nur Vorläufer und Schatten jener letzten Verfolgung, die noch kommen wird.

8. Wir haben schon die beiden Mysterien gesehen, die am Werke sind, das Geheimnis der Bosheit und das Geheimnis der Gnade. Ebenso haben wir die beiden Staaten gesehen, die einander gegenüber stehen, der Staat Gottes und der Staat dieser Welt. Nun sehen wir im Buch der Apokalypse zwei weitere entgegengesetzte Gestalten, zwei Frauengestalten: jene Frau, die mit der Sonne umkleidet, den Mond unter ihren Füßen und mit Sternen bekränzt am Himmel erscheint, und jene, die auf dem Tier sitzt, das voll gotteslästerlicher Namen ist. Diese stellen ebenso wie die beiden Mysterien und die beiden Staaten die beiden großen entgegengesetzten Prinzipien dar. Erstere Frau symbolisiert die Kirche, denn die Frau mit dem Kind bedeutet die Inkarnation und steht für die Gottesmutter. Die andere Frau symbolisiert die „große Stadt“ Babylon, welche die Welt beherrscht.

Es wird der Kirche so gehen wie ihrem Herrn. So wie Er, als Seine Stunde gekommen war, in die Hände Seiner Feinde überliefert wurde, welche Ihn fesselten, marterten und töteten, Ihn aber nicht überwinden konnten, da Er glorreich aus dem Grab wieder auferstand, so wird auch die Kirche den Händen ihrer Feinde überliefert und besiegt werden, danach aber glorreich auferstehen. So dürfen wir also nicht Anstoß nehmen, wenn uns ein großes Leiden der Kirche vorhergesagt ist.

Schon beim Propheten Daniel ist prophezeit: „Er wird Reden führen wider den Höchsten und die Heiligen des Höchsten aufreiben“ (Dan 7,25). „Seine Größe erstreckte sich bis zum Heer des Himmels. Von dem Himmelsheere und von den Sternen warf es gar manche zur Erde nieder und zertrat sie. Ja, bis zum Fürsten des Himmelsheeres wagte es sich empor und entzog ihm das tägliche Opfer: die Stätte seines prachtvollen Heiligtums wurde gestürzt“ (Dan 8,10f). „Eine halbe Woche unterdrückt er Schlacht- und Speiseopfer, und im Tempel steht der Greuel der Verwüstung“ (Dan 9,27). Darauf bezieht sich auch der heilige Johannes in seiner Apokalypse, wenn er schreibt: „Und es ward ihm gegeben, Krieg zu führen mit den Heiligen und sie zu besiegen“ (Off 12,7). Es wird also zu einer Verfolgung kommen, und Kardinal Manning erkennt in seiner Epoche vier Kennzeichen, die auf eine solche hinsteuern.

Als erstes Zeichen für eine kommende Verfolgung sieht er die Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit. Sie ist gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm. Die Indifferenz gegenüber Wahr und Falsch ist eines der sichersten Indizien für eine baldige Verfolgung. Das alte Rom mit all seiner Macht nahm jede falsche Religion von all den eroberten Völkern an und errichtete ihnen einen Tempel innerhalb seiner Mauern. Es übte eine souveräne und verächtliche Gleichgültigkeit gegen all die Aberglauben der Welt. Es unterstützte diese sogar, denn durch ihren jeweiligen Aberglauben hielten sie die Völker ruhig und konnten sie besser regieren. Ebenso sieht Kardinal Manning bereits in seinen Tagen, wie die christlichen Völker anfangen, „religiöse Toleranz“ zu üben, d.h. alle Kulte zulassen, ganz gleich, ob wahr oder falsch. Dagegen, so Manning, sei an sich nichts zu sagen, wenn es die einzige Art ist, um Gewissensfreiheit zu garantieren. Aber ein Staat, in welchem die eine Wahrheit von einer Unzahl von Giften umgeben ist, ein Land, in welchem die Wahrheit nur „toleriert“ wird, ist übel dran. Dieser Zustand birgt große geistliche und geistige Gefahr.

Zunächst wird dadurch die Stimme der Kirche Gottes ignoriert. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen der Glaubenslehre und einer menschlichen Meinung. Alle genießen die gleichen Rechte. Glaubensdogmen werden mit allen Arten von Häresien gemischt, jede Meinung ist erlaubt. Als nächstes, nachdem man die göttliche Stimme der Kirche leugnet und ignoriert, muß die zivile Regierung auch die göttliche Einheit der Kirche ignorieren und alle Arten von Abspaltungen und Sekten zulassen. In der Folge davon wird jede positive Wahrheit überhaupt verneint, denn wer soll sagen, was richtig ist und was falsch, wenn es keinen göttlichen Lehrmeister gibt? Ohne göttlichen Richter gibt es niemanden, der in religiösen Konflikten zwischen wahr und falsch unterscheidet. Ein Staat, der sich von der Einheit der Kirche getrennt hat, kann in religiösen Dingen nichts mehr entscheiden. So kommt es zur Ablehnung alles „Dogmatischen“, d.h. jeder positiven Wahrheit, alles Endgültigen, Definitiven, von allem, was irgendwelche Grenzen setzt.

Der zweite Schritt ist dann die Verfolgung der Wahrheit. Während im alten Rom jeder Götzendienst zugelassen war, so gab es eine „religio illicita“, eine unerlaubte Religion, nämlich die der Christen, und eine „societas illicita“, eine ungesetzliche Gesellschaft, nämlich die Kirche. Man durfte jeden Götzen anbeten, aber nicht den menschgewordenen Sohn Gottes. Inmitten aller Toleranz gab es eine einzige Ausnahme, die genau die Wahrheit betraf und diese sowie die Kirche des lebendigen Gottes ausschloß. So wird es wieder gehen, denn die Kirche Gottes kann sich nicht ändern. Sie kann nicht ihre Lehren aufgeben oder ändern, sie kann auch nicht aufhören, ihre Lehren laut zu verkünden, sie kann nicht schweigen. Darum wird die Kirche in allen Ländern, in welchen der Geist der religiösen Indifferenz sich festgesetzt hat, über kurz oder lang von der zivilen Gewalt verfolgt werden, denn sie kann nicht von der Wahrheit lassen und sich dazu auch nicht durch Gesetze zwingen lassen, selbst um den Preis der Martyriums.

Kommt hinzu, daß die Kirche nicht wie andere Religionsgemeinschaften ein mehr oder weniger freiwilliger Zusammenschluß von Menschen aufgrund ihrer gleichen Überzeugung ist. Die Kirche spricht mit göttlicher Stimme und Autorität, die verpflichtenden Charakter hat. Sie kann im Namen Gottes und unter Todsünde dazu verpflichten, den Glauben an die Dreifaltigkeit und die Sieben Sakramente zu bekennen. Sie kann im Gewissen verpflichten, was sonst keine Autorität kann. Das haben weltliche Machthaber zu allen Zeiten instinktiv gespürt. Bei der Kirche haben sie es nicht einfach nur mit einer menschlichen Gemeinschaft zu tun, sondern mit der Autorität Gottes, des obersten Souveräns. Daher machen selbst die großzügigsten und überzeugtesten Liberalen, die alles gelten lassen wollen, die eine große Ausnahme bei der Kirche Gottes, auch wenn dies im völligen Widerspruch zu ihren Prinzipien steht. Und das ist der Grund, warum es zur Kollision kommen muß.

9. Damit sind wir bei den Zeichen, welche uns der Prophet für die Verfolgung der Letzten Zeiten gibt. Es sind dies drei. Das erste ist das Aufhören des immerwährenden Opfers, das zweite ist die Besetzung des Heiligtums durch den Greuel der Verwüstung, das dritte das Herabstürzen des „Himmelsheeres“ und der „Sterne“. Was ist zunächst gemeint mit der Wegnahme des täglichen Opfers? Das Opfer im Tempel des Alten Bundes, das dort jeden Morgen und Abend dargebracht worden war, wurde hinweggenommen durch die Zerstörung Jerusalems. Doch der Prophet Malachias spricht von einem anderen Opfer: „Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang ist mein Name groß unter den Völkern, und an jedem Orte wird meinem Namen Rauchopfer dargebracht und reine Opfergabe“ (Mal 1,11). Dies wird von den Kirchenvätern auf das heilige Meßopfer bezogen. So ist es beinahe einmütige Ansicht der Kirchenväter, daß zur Zeit des Antichristen das heilige Meßopfer aufhören wird.

Der heilige Hippolyt schreibt: „Die Kirchen werden klagen mit großer Klage, denn es wird kein Opfer mehr dargebracht noch ein Brandopfer noch ein Gott genehmer Dienst. Die heiligen Kirchengebäude werden zu elenden Hütten, und der Kostbare Leib und Blut Christi werden in jenen Tagen nicht zugegen sein. Die Liturgie wird ausgelöscht sein, der Psalmengesang verklingen, die Lesung der Heiligen Schrift nicht mehr vernommen werden. Doch es wird Finsternis auf den Menschen lasten und Klage über Klage und Weh über Weh.“

Die Kirche wird dann zerstreut werden, in die Wüste getrieben, und sie wird eine Zeit lang, wie in ihren Anfängen, unsichtbar sein, verborgen in Katakomben, in Höhlen, in Bergen, an versteckten Orten. Sie wird wie vom Angesicht der Erde verschwunden sein. So die einhellige Aussage der Kirchenväter. Und haben wir nicht historische Beispiele, beispielsweise im Osten, Konstantinopel, Kleinasien oder Nordafrika, wo einst blühende christliche Gebiete inzwischen islamisch sind und Kirchen zu Moscheen wurden? Und wie ist es im Westen, hat nicht auch hier der Protestantismus aus so vielen Kirchen und Gegenden das Meßopfer vertrieben? Ist nicht die Unterdrückung des Meßopfers gerade das Charakteristikum der protestantischen „Reform“? So sieht Manning, wie sich schon zu seiner Zeit die Prophetie des Daniel erfüllt. Was würde er erst heute sagen?

Manning selbst beschreibt bereits, wie die geheimen Sekten ihre Finger nach Rom ausstrecken, wie sie die Kirche infiltrieren, um dort, im Herzen der Christenheit, das Opfer zum Erlöschen zu bringen. Und das ist der Greuel der Verwüstung, wenn in der Kirche das Opfer erloschen ist. Sie wird dastehen, wie protestantische Gotteshäuser es tun, leer, öde, ohne Altar, ohne Tabernakel, ohne Gegenwart des Heilands. Und ist es nicht heute schon in den meisten auch „katholischen“ Gotteshäusern so?

Wir kommen zum dritten Kennzeichen, dem Herabholen des „Himmelsheeres“, welches nach Manning nichts anderes ist, als das Stürzen der kirchlichen Autorität, namentlich des Stellvertreters Christi auf Erden, des Papstes. Rom ist Erbe der Inkarnation. Doch die Welt ist entschlossen, die Inkarnation von der Erde zu tilgen. Das steckt bereits hinter den antikirchlichen Bewegungen der Zeit Mannings, als man dem Papst den Kirchenstaat raubte. „Die Entthronung des Stellvertreters Christi ist die Entthronung der Hierarchie der gesamten Kirche und die öffentliche Zurückweisung der Gegenwart und Herrschaft Jesu Christi“, schreibt Manning. Was hätte er gesagt, hätte er gesehen, wie dieser Plan heute in einer geradezu teuflisch perfiden Weise umgesetzt wurde?

Schon zu seiner Zeit sieht er die Feinde am Werk. Die Staaten entledigen sich mehr und mehr des Christentums und sind bestrebt, eine rein natürliche Gesellschaft herzustellen. Einst durch die Kirche Gottes zum christlichen Glauben und dem Gehorsam gegen Gottes Gebote geführt, haben sie sich nun erhoben und entheiligt, um in einen natürlichen oder besser heidnischen Status zurückzufallen. Bereits der Prophet Daniel verkündet zum Ende der Welt einen großen Abfall vom Glauben an Gott. Dieser geschieht teils aus Furcht, teils aus Täuschung, teils aus Feigheit. Man wagt nicht, für eine unpopuläre Wahrheit einzutreten angesichts einer populären Lüge. Man läßt sich von der „öffentlichen Meinung“ treiben (heute würden wir auch sagen: „political correctness“). Man bewundert Fortschritt und Technik, liebt den Wohlstand, und so geben die Menschen den Glauben auf und werden Materialisten, die nur noch nach irdischem Wohlergehen trachten.

10. So wird es also schließlich und im letzten zu einer Verfolgung kommen, die Manning uns nun beschreiben will. Der Heiland hat uns vorhergesagt, daß der Bruder den eigenen Bruder zum Tode überliefern wird. Es wird demnach eine Verfolgung sein, in welcher keiner seinen Nachbarn schont, in welcher die Mächte der Welt mit einer solchen Wut gegen die Kirche toben werden, wie die Welt sie nie gekannt hat. Die Kirche wird von niemandem mehr Schutz oder Hilfe erhalten. Schwach und elend wird sie blutend zu den Füßen der Mächtigen liegen. Ein Bild dafür ist uns Papst Pius IX., der von allen verlassen, seines Kirchenstaates beraubt, zur Flucht gezwungen wurde. Doch dann wird der Heiland selbst sich erheben und wider Seine Feinde streiten. Die „Große Stadt“ wird fallen und zerstört. Manning sieht in dieser Stadt mit vielen Kirchenvätern die Stadt Rom.

Die kirchlichen Schriftsteller, sagt er, berichten uns, daß in den Letzten Tagen die Stadt Rom von der Kirche und dem Stellvertreter Christi abfallen wird, und daß Rom dafür bestraft wird. Das Gericht Gottes wird über den Ort kommen, von welchem aus Er einst die Völker regierte. Rom wird es ergehen wie ehedem Jerusalem, der von Gott erwählten Heiligen Stadt, welche völlig zerstört und verbrannt wurde. Das wird die Strafe für die Apostasie sein. Kardinal Manning belegt diese Aussagen durch Zitate der Theologen Malvenda, Lessius, Bellarmin, Viegas und Cornelius a Lapide. Rom, das heidnisch war unter den Kaisern, christlich unter den Aposteln, gläubig unter den Päpsten, apostatisch unter der Revolution, wird wieder heidnisch unter dem Antichristen. Nur Jerusalem, das so hoch erhoben war, konnte so tief fallen, und nun auch Rom.

11. Damit endet Manning seinen prophetischen Ausblick und kehrt noch einmal zurück zum Beginn seiner Ausführungen. Er hatte damit begonnen, daß er uns die drei Kennzeichen der antichristlichen Bewegung gab: erstens Schisma von der Kirche Gottes, zweitens Leugnung ihrer göttlichen und unfehlbaren Stimme, drittens Leugnung der Menschwerdung. Daher ist diese der direkte und tödliche Feind der einen, heiligen und katholischen Kirche, jener Einheit, von welcher jedes Schisma trennt, jenes einzigen Organs der göttlichen Stimme des Heiligen Geistes, Heiligtum der Inkarnation und des dauernden Opfers.

12. Wir stehen somit vor der Entscheidung, für oder gegen Christus. Wir müssen wählen zwischen der unfehlbaren Stimme der Kirche, welche uns zu ihrer Einheit ruft, oder dem Geist der Spaltung und Unordnung. Es ist die Zeit der Entscheidung, der Siebung. Unser Herr Jesus Christus steht mit der Wurfschaufel und siebt die Spreu vom Weizen. Die großen Gegenspieler, Christus und der Antichrist, sammeln ihre Truppen für den letzten großen Entscheidungskampf. Wir erleiden schon jetzt jene großen Prüfungen, die für jene Zeit vorhergesagt ist. Und der Sieg Unseres Herrn und Heilands ist sicher, und sicher ist, daß ein jeder das Gericht erfahren wird, der Seinen Glauben, Seine Kirche, Seinen Stellvertreter auf Erden bekämpft hat, zusammen mit dem Antichristen, dessen Diener er gewesen ist.