Der heilige Alfons Maria von Liguori II

Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war ein seltsames Gemisch von neu aufkommender, moderner Skepsis und altem Glauben. Wobei der Glaube, im Gegensatz zu heute, immer noch im Volk tief verwurzelt, wenn auch teilweise etwas verwahrlost war. Verantwortlich dafür war großteils die Geistlichkeit. Im Neapel des hl. Alfons lebten etwa 4500 Mönche, Kleriker und Laienbrüder in 104 Klöstern. Ein Teil davon versinkt in ihren Reichtümern und gerät deswegen in einen Strudel zunehmenden Verfalls, weshalb sie sich einer wachsenden Verachtung ausgesetzt sehen. Andererseits erweist sich ein rundes Dutzend junger oder reformierter, armer und von heiligem Eifer beseelter Orden oder Kongregationen als die beste Hilfe der Bischöfe und Jesu Christi in der Verkündigung des hl. Evangeliums, der Leitung von Laiengruppen, der Seelenführung, sowie der Kinder- und Jugenderziehung. Der hl. Alfons wirkt bei den Frommen Arbeitern, den Lazaristen und den Oratorianern mit, und all diese Werke bringen herrliche Früchte der Heiligung der Seelen hervor.

Zwischen diesen beiden Extremen gibt es noch einen „dritten Stand“, der unschlüssig zwischen Gott und dem Mammon, zwischen dem Dienst an den Armen und dem Verlangen, sich die führenden Klassen dienstbar zu machen, steht. Vielleicht war es der Ehrgeiz der Theatiner im Wettstreit um gesellschaftlichen Einfluß mit den Jesuiten, der Alfons von seinem ersten Entschluß abgebracht hat, sich im benachbarten Kloster von S. Paolo Maggiore seinen Vettern Domenico und Emmanuele von Liguori anzuschließen. Dem hl. Alfons lag besonders daran, sich um die Armen und Ärmsten anzunehmen, denen er den Weg zu einem ernsthaften, konsequenten Leben aus dem hl. Glauben lehren und zeigen wollte.

In Neapel erreichte vor allem Kardinal Caracciolo bei seinem Diözesanklerus einen geistlichen und kulturellen Aufschwung, der ihn in den Jahren 1700—1740 gewissermaßen in ein goldenes Zeitalter der Kirche führte. „Der Geist des neapolitanischen Klerus war damals beispielgebend für das ganze Königreich, um nicht zu sagen, für die ganze Welt.“ So schrieb P. von Liguori dreißig Jahre später über die Blütezeit seines Seminars. Der hl. Alfons wird durch die Gründung seiner Redemptoristen wesentlich dazu beitragen, daß die Erneuerung des Glaubenslebens auch die armen Gegenden auf dem Land erreicht, um die sich kaum jemand kümmerte. Durch unzählige Missionen bemühen er und seine Missionare sich, der Unwissenheit abzuhelfen und den Eifer im Glauben neu zu entfachen. Die Redemptoristen sind so richtige Menschenfischer nach dem Herzen Jesu, des göttlichen Erlösers, dessen Name sie tragen dürften.

Folgen wir dem Lebensweg dieses großen hl. Missionars ein wenig weiter.

Aus dem Leben des hl. Alfons Maria von Liguori – Teil 2

Nachdem der hl. Alfons seine Karriere als Rechtsanwalt so überraschend und schnell abgebrochen hatte, stellte sich für ihn die Frage, in welcher Weise er fortan Gott dienen sollte? Zunächst ging es darum, sich auf das Priestertum vorzubereiten. Im Seminar wurde der bekannte Ex-Anwalt mit allem ihm gebührenden Respekt behandelt. Er widmete sich hier nur den Fächern, die ihm in seiner Ausbildung zum Priestertum noch fehlten: Dogmatik, Moral und Studium der Heiligen Schrift, und er konnte sie, unter Anleitung eines Lehrers, dessen Wahl man ihm freigestellt hatte, für sich allein studieren. In Theologie — Dogma und Moral — „nahm er“ den besten: Giulio Torni. Dieser hervorragende Gelehrte, dem nach seinen eigenen Worten „der Thomismus auf den Nägeln brannte“, führte ihn in jene einzigartige Kathedrale ein, wie sie das Werk des Thomas von Aquin darstellt. Über diesen entscheidenden Punkt berichtet uns sein Biograph Tannoia: „Alfons wählte in Dogmatik und Moral als Professor Kanonikus Don Giulio Torni, den späteren (Titular-) Bischof von Arcadiopolis. Wie seine beachtenswerten Veröffentlichungen zeigen, war er in diesen Fächern der bedeutendste Mann seiner Fakultät. Alfons bewahrte ihm eine besondere Verehrung. Wenn er ihn in seinen theologischen Werken zitiert, so spricht er von ihm nur als von 'seinem Lehrer'.“

Weit über allen noch so gelehrten Büchern steht das Buch der Bücher, die Heilige Schrift, das Wortes Gottes. Diesem wendet sich Alfons mit allem Fleiß zu und in diesen Worten begegnet er immer mehr dem einen Wort, das ewig im Schoß des Vaters ruht, das aber auch Fleisch geworden und unter uns gewohnt hat. Ein anderer Biograph des Heiligen schreibt: „Die Hl. Schrift war für Alfons das Buch schlechthin: sein Schatz, seine Freude. Es verging kein Tag, an dem er nicht ein Kapitel daraus las, meditierte und betrachtend durchdrang.“ Das Studium der Heiligen Schrift führte ihn im menschgewordenen Wort Gottes zurück in den Schoß des Vaters, in dem alle Geheimnisse Gottes geborgen sind. Er warf sich gleichsam in den unermeßlichen Ozean der Hl. Schrift, in dieses Meer der Gotteserkenntnis. „Er suchte Klarheit“, fährt der Biograph fort, „durch den Vergleich der gelehrtesten Kommentatoren, um so die genauesten und erhabensten Bedeutungen des göttlichen Wortes zu erfassen, d. h. um zu erkennen, wo Gottes Absichten sich am deutlichsten offenbaren.“

In diesen Worten wird eine Eigenart des hl. Alfons angesprochen, für ihn ist das Wissen keine trockene Theorie, sondern all sein Wissen zeugt bei ihm immer auch die entsprechende Tat. Denn wer könnte den Gott, der die Liebe ist, erkennen, ohne diesen wiederzulieben? Wenn man das Leben dieses Heiligen erwägt, ist man voller Staunen über die vielfältigen Möglichkeiten, diesen Gott zu lieben. Alfons ist ein großer Beter, er ist ein hervorragender Gelehrter, begnadeter Erzieher, er ist Ordensgründer und Ordensleiter, Schriftsteller und Missionar und Bischof und er ist immer alles ganz, sodaß man den Eindruck gewinnt, eine einzige dieser Tätigkeiten würde allein ausreichen, ein normales Menschenleben mehr als auszufüllen. Eines der dauernden Wunder dieses Heiligenleben ist die unglaubliche Schaffenskraft. Nicht umsonst hat der hl. Alfons den Vorsatz gefaßt, niemals Zeit zu vergeuden, auch keine Minute!

Der Dominikaner Francisco Marin-Sola schreibt über den hl. Alfons: „Wir übergehen andere Namen (von Theologen des 18. Jahrhunderts) und schließen mit dem Größten, der zum Kirchenlehrer wurde. Alfons wird zwar vor allem als Moraltheologe zitiert, ist aber auch in allen anderen Fragen eine Autorität nicht nur aufgrund seines Titels als Kirchenlehrer, sondern wegen der außergewöhnlichen Unparteilichkeit seines theologischen Urteils, das in solchem Maß frei ist von jeglicher schulischer oder gruppenspezifischer Bindung, daß es schwerfällt, in diesem Punkt seinesgleichen zu finden, es sei denn Thomas und Bonaventura.“ Alfons blieb auch als Gelehrter der unparteiische Rechtsanwalt, er gehörte keiner Partei an, keiner bestimmten Schule, ihm ging es einzig um die Wahrheit.

In diesem mit Arbeit überfüllten Leben fällt eines besonders auf: Arbeit und Gebet schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Der hl. Alfons erlernte diese hohe Kunst besonders durch seine Heiligenverehrung. Besonders zwei Heilige begleiten treu sein ganzes Leben und prägen seine eigene Art von Heiligkeit durch ihr Vorbild ganz tief. Dies sind die hl. Teresa von Avila und der hl. Franz von Sales.

Der hl. Teresa von Avila „begegnet“ Alfons schon bei seinem Eintritt ins Seminar, und er bleibt sein ganzes Leben hindurch von ihr hingerissen. Nicht, daß sie dem Kind oder dem Rechtsanwalt von gestern eine Unbekannte gewesen wäre. Er atmete sozusagen die hl. Teresa mit seinem ersten Schrei ein: Seine Mutter Donna Anna ist durch die Markgrafen von Avenia spanischer Herkunft; mindestens vier Teresas gibt es in der Familie: eine Tante, eine Schwester, eine Nichte und seine Cousine und „Verlobte“, die im Karmel vom Allerheiligsten Sakrament freudig dem Himmel entgegeneilt (30. Oktober 1724). Noch aber handelt es sich nur um eine oberflächliche Nachbarschaft.

Zu einem glühenden Anhänger Teresas von Avila wurde er erst, als er in den geistlichen Stand eintrat, und zwar durch den Superior des Seminars, seinen Onkel Gizzio. Nun bindet er sich an sie, bittet sie wie eine große Schwester, wie eine Mutter und ist sehr bemüht, ihr treu nachzufolgen, daß er wie sie ein Gelübde ablegt, nur noch für Gott und seine größere Ehre zu leben. Teresa wird zu seiner „Lehrerin des betrachtenden Gebets“. Nach der Muttergottes wählt er sie zu seiner „zweiten Mutter“. Alfons endet all seine Briefe mit dem Gruß: „Gelobt seien Jesus, Maria, Joseph und Teresa“. Diese Glut wird schnell zum großen Feuer: in seinem Geistlichen Tagebuch, das er stets bei sich trägt, hält der junge Priester folgenden erstaunlichen Vertrag eines Sohnes mit „seiner Mutter“ fest: „Seraphische Jungfrau, geliebte Braut des göttlichen Wortes, vor der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, meinem Schutzengel und dem gesamten Himmel erwähle ich, Dein unwürdiger, aber von Deiner großen Güte und dem Verlangen, etwas für Dich zu tun, angezogener Diener, Dich heute, nach Maria, zu meiner Mutter, meiner Lehrerin und meiner besonderen Fürsprecherin. Ich nehme mir ernstlich vor, Dir immerdar zu dienen und alles daran zu setzen, daß auch die anderen Dich ehren. Meine seraphische Heilige, ich flehe Dich daher beim Blut, das Dein Bräutigam für mich vergossen hat, an, mich für immer in die Schar Deiner glühenden Diener aufzunehmen. Hilf mir in meinem Beginnen und bitte für mich, daß ich auf dem rechten Pfad der christlichen Vollkommenheit wandeln und damit Deine Tugenden erlangen möge. Steh mir vor allem im Gebet bei; erbitte für mich bei Gott einen Teil jener Gabe, die Du in so reichem Maß besessen hast, damit meine Gedanken, Worte und Werke in der Betrachtung und Liebe des Höchsten Gutes niemals Deinen Blick und den unseres Gottes auch nur im geringsten verletzen. Nimm eine kleine Gabe zum Zeichen meiner Verehrung; steh mir im Leben und besonders in der Stunde meines Todes bei.“ Es folgen sieben Verpflichtungen zu Gebet, Anbetung und Buße. Darunter folgender Zweizeiler:

„Gelobt sei Jesus, Joseph, Maria
und Sancta Teresa in ihrem Bund!“

Alfons ist nicht der Mensch, der seine Versprechen vergißt. Eine seiner Veröffentlichungen, die Aufmachung und Umfang eines Buches hat, ist der hl. Teresa von Avila gewidmet: Die Verehrung der heiligen Theresia: ein Andachtsbüchlein für fromme Christen (1743). Solange er noch genug Sehkraft besaß, um arbeiten zu können, war sie es, die er — nach der hl. Schrift — am häufigsten las und zitierte.

Der zweite war Franz von Sales (1567—1622), der Teresa von Avila so nahe stand. War es wiederum Onkel Pietro Marco, der die glückliche Idee hatte, seinen Novizen zu Franz von Sales zu führen, wie er ihn bereits bei Teresa von Avila eingeführt hatte? Ihn und die ganze Kongregation? Denn lebte sie nicht ausdrücklich von seinem Werk, seinem Geist, seinem Vorbild und seinem Gebet? Seine von Giuseppe Fozzi S. J. und Daniello de Nobili übersetzten Schriften erschienen seit 1667 in Venedig in immer neuen Auflagen.
Eines ist sicher: hier entsteht eine weitere Freundschaft fürs Leben und eine weitere unerschöpfliche Quelle. Ihn, der wie er selbst Adeliger, Rechtsanwalt, Missionar und Bischof war, wählte Alfons als Vorbild und Führer. Es ist sicher kein Zufall, daß er später „Italiens Franz von Sales“ genannt wird. Von ihm wird man dasselbe sagen wie vom hl. Franz von Sales: „Diese Liebenswürdigkeit, diese souveräne Sanftheit, die von allen bewundert wurden, hatte er einem cholerischen Temperament abgerungen.“ An der Hand seines großen, heiligen Vorbildes wurde er ihm ganz ähnlich, sodaß seine Freunde bekannten: „Er war immer Herr seiner selbst und hatte seine Seele fest in der Hand. Nie konnte jemand bei ihm das unkontrollierte Aufwallen einer Leidenschaft feststellen.“

Teresa von Avila und Franz von Sales sind also von den Anfängen seiner Seminarzeit an die Paten seiner Heiligkeit und seiner Lehre, und nur sie spricht er in inniger Vertrautheit als „Meine Heilige!“... „Mein Heiliger!“... oder ganz einfach „Teresa“ und „Franz“ an. Was sucht er im Umgang mit ihnen? Die Kunst, Gott zu lieben, Jesus Christus voll und ganz zu lieben, die „Wissenschaft des Gebets“, das Feuer jenes Eifers, der sie einst verzehrte. Was erfleht er von ihrer machtvollen Freundschaft? Daß sie ihn zu beiden Seiten an der Hand nehmen und zum Gipfel der Heiligkeit führen mögen. Nichts Geringeres.

In diesem Aufstieg erlebt er, der „Neuling“, die Gnade und Freude, mit einer Schar von Gefährten voranzuschreiten, die er bewundern kann. Sie haben ihn an Teresa und Franz „angeseilt“, und sie selbst gehen ebenfalls mit entschlossenem Schritt voran. 1748 schreibt er von diesen Säkularkongregationen: „Diese Brüder sind die Blüte des neapolitanischen Klerus; die ganze katholische Welt ist begeistert von ihrer Gelehrsamkeit und ihrer Tugend.“

In diesen Worten klingt ein weiterer wichtiger Gedanke des hl. Alfons an. „Gelehrsamkeit und Tugend“, schreibt Liguori, und er trennt diese beiden niemals, weder in seinem Leben, noch in seiner Sicht des Priesters. Es gibt nichts Gefährlicheres als einen frommen und dummen Seminaristen, denn die Frömmigkeit geht oft vorüber, was dann nur noch übrigbleibt, ist die Dummheit. Die Hl. Schrift setzt Gelehrsamkeit gern mit Weisheit gleich.

Für Alfons wird die Vertiefung der kirchlichen Wissenschaften nun zu einem Teil der Heiligkeit. Wir kennen schon seine entschlossene Arbeitslust. Seminar und Apostolische Missionen sind ihm immer noch nicht genug. Da ihm der Salon Caravita nichts mehr bieten kann — Adieu Prozesse! Adieu verräterische Justiz! —, besucht er nun mehrere der theologischen Akademien, die von aufgeklärten Priestern in der Stadt gehalten werden. Er schließt sich den besten an, um möglichst viel von ihnen zu lernen. Und wie leicht, wie schnell und wie viel lernt er!

Am 21. Dezember 1726 wird Alfons von Mgr. Invitti am Hauptaltar der Bischofskirche zum Priester geweiht. Schon seit seinem Diakonat „sprach die ganze Hauptstadt nur noch von Alfons‘ Tugenden und dem apostolischen Geist, der ihn offensichtlich beseelte.“ Während er unter dem Bischofsamt sehr leiden wird, ist er überaus glücklich, endlich Priester zu sein. Jetzt darf er das hl. Meßopfer feiern – und er weiß: „Ein Mensch kann keinen erhabeneren und heiligeren Akt vollbringen als die Feier der hl. Messe.“ Es drängt ihn sein ganzes Leben lang, die im hl. Meßopfer lebendig erlebte Liebe des gekreuzigten Erlösers auch den Gläubigen weiterzugeben.

„Beseelt vom Geist Gottes“, so berichtet sein Biograph, „predigte Alfons ausschließlich Jesus den Gekreuzigten. Es gab in seiner Rede weder kunstvolle Schnörkel noch eitle Zurschaustellung von Gelehrsamkeit. In einfachen und direkten Worten brachte er das Wesentliche, die Substanz. Darüber hinaus gab seine ganze Erscheinung seinem Apostolat eine einzigartige Profilierung: seine adelige Herkunft schmeichelte den Hochmütigen, seine seltene Begabung und seine natürlichen Fähigkeiten lagen weit über dem Niveau der anderen Prediger. Seine größte Beredsamkeit aber war seine Bescheidenheit, seine innere Sammlung, seine tiefe Demut und seine völlige Verachtung aller gesellschaftlichen Werte. Noch tiefer beeindruckte sein Büßerleben, das Bewunderung erweckte und die Lauheit der Empfindsamen verurteilte.Obwohl Alfons' Predigten sich nicht in schönen Gedanken und pompösen und blumigen Redeweisen ergingen, bewegten sie nicht nur das einfache Volk. Gleich dem Manna entsprachen sie jedem Geschmack (Weish 16,20): Intellektuelle wie Ungebildete konnten darin gleichermaßen geistige Nahrung und Freude finden; sie alle gingen innerlich bewegt von dannen; die Gebildeten drängten sich sogar am meisten, um ihn zu hören und sich an seiner Rede zu erbauen. Es war wunderbar anzusehen, wie sich unter seinen Zuhörern Angehörige des Welt- und Ordensklerus, Rechtsanwälte, Prokuratoren, Staatsräte, Damen der Gesellschaft und Cavalieri drängten. Sie alle verließen die Kirche in innerer Bewegung und Sammlung.“

Einer der eifrigsten Zuhörer unter Alfons Kanzel war Nicola Capasso (sein ehemaliger Professor für kanonisches Recht), ein Mann von unglaublicher geistlicher und weltlicher Bildung und gefürchtet wegen seiner satirischen Epigramme. Eines Tages begegnet Alfons diesem alten Freund, um ihn spontan zu fragen: „Don Nicola, ich sehe Euch immer bei meinen Predigten. Brütet Ihr irgendeine Satire gegen mich aus?“ Worauf dieser antwortet: „Aber nein, zu Füßen Eurer Kanzel bin ich nicht auf der Suche nach Blumen und Phrasen. Ich höre Euch gern zu, weil Ihr Euch selbst vergeßt und nur Christus den Gekreuzigten verkündet.“ Welch ein größeres Lob könnte man einem Prediger spenden, würdig eines hl. Paulus.

Die Predigten des hl. Alfons blieben nicht wirkungslos. In vielen erweckte er eine tiefe Zerknirschung ob ihrer Sünden, weshalb sein Beichtstuhl immer mehr begehrt war: „So warteten also tausende von Zuhörern unseres jungen Predigers ungeduldig darauf, ihm ihr Gewissen anvertrauen zu dürfen.“ Heute ist das in jeder Hinsicht anders, es wird weder Christus der Gekreuzigte gepredigt, noch werden die Sünden noch bereut und gebeichtet. Man möchte im Gegenteil die Sünden durch Mehrheitsbeschluß abschaffen – ob sich wohl der gerechte Gott diesem Mehrheitsbeschluß anschließen und sein ewiges Gesetz ändern wird?!

Die ganze neapolitanische Aristokratie kannte und bewunderte Alfons, und man beneidete seine neuen Freunde um diese Freundschaft. Der Kreis um Alfons erweitert sich mehr und mehr. Andere Seminaristen und junge Priester schließen sich ihnen an. Auch Laien kommen hinzu. Große geistliche Familien entstehen. Wenn der Name Liguori gleich einer Sonne seinen Weg um die Welt gemacht hat, so gerade deshalb, weil der Sohn des Kommandanten der Admiralsgaleere Ruhm und Reichtum hinter sich gelassen hat, um ganz Jesus Christus zu dienen.

Armer Don Giuseppe, armer Vater! Wie viel hätte er darum gegeben, wenn sein Sohn so gewesen wäre wie all die verweltlichten Kleriker, die in seidenen Gewändern „mit kurzem Rock, gepudertem Haar, den Brustlatz mit goldenen Knöpfen besetzt, an den Handgelenken Manschetten und an den Füßen Silberschnallen“, wie Alfons sie einmal selbst beschreibt, unter Balkonen, in den Salons und auf der Straße herumstolzierten und sich mit mehr oder weniger fragwürdigen Vergnügen die Zeit vertrieben. Der Vater hatte womöglich gehofft, der Weg vom Seminar zum Priestertum wäre lang genug, um dem Sohn eines Besseren zu belehren. Wer weiß, ob er nicht doch zur Vernunft kommt?

Jedenfalls hatte er gehofft, ihn nie in Soutane zu sehen. Er hatte nämlich beschlossen, daß Alfons keine tragen würde. Er verlangt von ihm zwar, auch weiterhin im Kreis der Familie zu bleiben, doch weniger aus väterlicher Liebe, als um ihn damit auch weiterhin unter seiner Aufsicht zu haben. Die Abhängigkeit, in der er seinen Sohn, der immerhin bereits Rechtsanwalt war, hielt, wird aus Folgendem ersichtlich: Don Giuseppe hatte sich geweigert, Alfons eine Soutane zu beschaffen, so als wäre im Haus Liguori nicht das nötige Geld vorhanden gewesen, um diese einem Kleriker angemessene Kleidung zu kaufen! Alfons war im Zweifel: sollte er abwarten oder sich über den Willen des Vaters hinwegsetzen? Auf Anraten P. Paganos hatte sich Alfons schließlich doch eine Soutane besorgt. Mit dieser hatte sich Alfons am 23. Oktober 1723 im Palazzo dem Vater als einfacher „Priester“ vorgestellt. Es folgte eine Explosion! Don Giuseppe war mit einem markerschütternden Schrei im wahrsten Sinn des Wortes „in die Luft gegangen“ und hatte sich auf sein Bett geworfen, außer sich vor Schmerz und Zorn. Das vorhergesehene Drama trat unmittelbar ein, aber wer hätte gedacht, daß es sich so lange hinziehen und immer schlimmer werden würde? „Ein ganzes Jahr lang“, so berichtet der Biograph Tannoia, „vermied der Vater jede Begegnung mit ihm. Er konnte es nicht ertragen, das Objekt vor Augen zu haben, das für ihn die Ursache solch unendlicher Bitterkeit war! ... Schließlich — es mußte wohl einmal so kommen — bemerkte er ihn eines Tages von fern in einem der Räume des Palazzo. Er heult auf wie ein verwundetes Tier, schlägt die Hände vor das Gesicht, wendet sich ab und läuft davon. So bleibt es noch lange zwischen Alfons und seinem Vater. Die Mutter — eine Heilige — war überzeugt, daß Gott ihren Alfons wollte, und bemühte sich, den Schmerz des Gatten zu lindern, während sie zugleich dem Sohn nach besten Kräften beistand.“ Man stelle sich einmal dieses unerträgliche Versteckspiel, den inneren Schmerz und die psychische Belastung dieser Jahre vor!

Sein Sohn aber ging ganz in Gebet und Studium auf. Wenn der Vater „vorbeikam“, war Alfons im Palazzo Liguori gleichsam abwesend; auch bei den Mahlzeiten. Er mag sich oft gewünscht haben, eine andere Bleibe zu suchen. Aber wo? Sein Vater hatte ihm die Oratorianer verboten, die Missionare der Kathedrale aber waren keine Kommunität. Außerdem war ja auch noch die Mutter da. „Die Freunde von gestern“, so fährt Tannoia fort, „hatten sich voller Abscheu abgewandt. Selbst in Kreisen, in denen ihm einst sein Charme alle Herzen gewonnen hatte, war er nun zum allgemeinen Gespött geworden. Rechtsanwälte und Räte, die ihn einst geliebt und bewundert hatten, behandelten ihn nun als Wetterfahne und Wirrkopf. Don Muzio di Maio, der Vorsitzende der Rota in der Vicaria — einst ein väterlicher Freund — konnte seine Enttäuschung nicht überwinden. Als Alfons ihn eines Tages besuchen wollte, weigerte er sich nicht nur, ihn zu empfangen, sondern ließ ihn wie gemeines Gesindel auf die Straße werfen. Als aber die Zeit gekommen war, da er sterben und vor Gott erscheinen mußte, änderte er seine Meinung. Alfons hatte erfahren, daß es ihm sehr schlecht ging, und eilte an sein Krankenbett. Don Muzio, der ihn sogleich beim Betreten des Zimmers bemerkt hatte, breitete seine Arme aus, erhob sie zum Himmel und rief: — Ach! Don Alfons, du hast es richtig gesehen! Du bist glücklich!“

Seine Werke

„Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten, um fromm zu leben und selig zu sterben“

Der hl. Alfons hat ein Buch über die letzten Wahrheiten geschrieben, mit dem er die Menschen an diese entscheidenden Tatsachen erinnern wollte: Tod, Gericht, Himmel und Hölle. Da uns der Monat November ebenfalls mit diesen ernsten Wahrheiten konfrontiert, wollen wir hier eine der Betrachtungen aus diesem Buch wiedergeben.

10. Betrachtung
Mittel, sich zum Tode vorzubereiten
„Bedenke deine letzten Dinge,
so wirst du in Ewigkeit nicht sündigen.“ (Eccl 7,40)

1. Punkt
Jedermann bekennt, daß man sterben müsse und nur einmal sterbe, und daß nichts von so wichtigen Folgen sei, als dies; denn vom Augenblicke des Todes hängt es ab, ob man in Ewigkeit glücklich oder in Verzweiflung sein werde. Jeder weiß, daß von einem guten Leben ein guter, von einem schlechten Leben aber ein böser Tod abhänge. Und wie kommt es denn, daß der größte Teil der Christen dennoch so lebt, als hätte man nie zu sterben oder als wäre an einem guten oder üblen Tode wenig gelegen? Man lebt schlecht, weil man nicht an den Tod denkt: Bedenke deine letzten Dinge, und du wirst in Ewigkeit nicht sündigen. Wir müssen uns überzeugen, daß die Sterbezeit zur Berichtigung unserer Rechenschaft nicht geeignet sei, um das große Geschäft des ewigen Heils zu sichern. Die klugen Kinder der Welt ergreifen zur gehörigen Zeit in den irdischen Geschäften alle Maßregeln, um zu jenem Gewinne, zu jenem Amte, zu jener Verehelichung zu gelangen, und in Betreff der Gesundheit des Körpers verschieben sie die Anwendung der nötigen Mittel nicht im mindesten. Was würdest du von einem solchen sagen, der zu einem Zweikampfe oder zur Prüfung für einen Lehrstuhl gehen soll und erst dann lernen wollte, wenn die Zeit schon da ist? Wäre jener Hauptmann nicht töricht, welcher die Herbeischaffung von Lebensmitteln und Waffen bis zur Belagerung verschöbe? Wäre jener Steuermann nicht töricht, der es unterließe, auf die Zeit des Sturmes mit Ankern, Ankertauen sich zu versehen? Ebenso töricht ist der Christ, der es bis zur Ankunft des Todes verschiebt, das Gewissen in Ordnung zu bringen: Wann sie plötzlich ein Elend überfällt und der Untergang wie Ungewitter hereinbricht, dann werden sie mich anrufen, ich werde sie aber nicht erhören... sie werden also die Frucht ihres Wandels essen (Spr 1,27) usf. Die Sterbezeit ist die Zeit des Sturmes, der Verwirrung. Alsdann werden die Sünder Gott zu Hilfe rufen, aber bloß aus Furcht vor der Hölle, der sie aber sich nahe sehen ohne wahre Bekehrung, und deswegen erhört sie Gott nicht. Und deshalb werden sie alsdann nur die Früchte ihres schlechten Lebens verkosten: Was der Mensch gesäet haben wird, eben das wird er auch ernten. Es genügt nicht, die heiligen Sakramente zu empfangen: man muß sterben mit einem Hasse gegen die Sünde, und mit einer Liebe zu Gott, die über alles geht. Wie wird aber jener die verbotenen Gelüste hassen, der bis zum Tode sie geliebt? Wie wird der Gott über alles lieben, der bis auf jenen Augenblick die Geschöpfe mehr liebt als Gott?

Der Herr nannte jene Jungfrauen töricht; und sie waren es, weil sie die Lampen erst richten wollten, da der Bräutigam schon vor der Türe war. Alle fürchten den jähen Tod, weil es dann nicht Zeit ist, die Rechnungen zu berichtigen. Jeder bekennt, daß die Heiligen wahrhaft weise waren, indem sie zum Tode sich bereiteten, ehe der Tod kam. Und was tun wir? Wollen wir es wagen, uns zu einem guten Tode vorzubereiten, wenn der Tod schon vor der Türe ist? Wir müssen also jetzt schon dasjenige tun, was wir im Tode wünschen werden, getan zu haben. O wie bitter wird dann die Erinnerung sein an die verlorene Zeit und besonders an die schlecht zugebrachte! Die Zeit ist von Gott gegeben, um Verdienste zu sammeln; allein die Zeit, welche vergangen ist, kommt nicht wieder. Welche Angst wird man dann haben, wenn es heißt: Jetzt wirst du nicht mehr haushalten können. Es ist nicht mehr Zeit Buße zu tun, die heil. Sakramente zu empfangen, Predigten zu hören, Jesus Christus in den Kirchen zu besuchen, zu beten: was geschehen ist, das ist geschehen. Es wäre dann vonnöten ein gesunderer Verstand, eine ruhigere Zeit, um eine Beichte abzulegen wie sie sein soll, um über verschiedene wichtige zweifelhafte Punkte nachzudenken und so das Gewissen zu beruhigen; allein es wird nicht mehr Zeit sein.

Anmutungen und Bitten
Ach mein Gott! Wäre ich in den dir bewußten Nächten gestorben, wo wäre ich gegenwärtig? Ich danke dir, daß du mir zuwartetest und danke dir für alle jene Augenblicke, wo ich hätte in der Hölle sein müssen, seit jenem Augenblicke, wo ich dich zuerst beleidigte. Ach, gib mir Licht und lasse mich das große Unrecht erkennen, das ich dir antat, indem ich freiwillig deine Gnade verlor, die du mir erlangtest, indem du für mich am Kreuze dein Leben opfertest! Ach, mein Jesus! vergib mir, es reuet mich von ganzem Herzen über alles, dich unendliche Güte, verachtet zu haben! Ich hoffe, du hast mir schon verziehen. Ach, hilf mir, o mein Heiland! daß ich dich nicht mehr verliere! Ach, mein Herr! wenn ich dich nach so vieler Erkenntnis und so vielen erhaltenen Gnaden wieder beleidigte, würde ich nicht absichtlich die Hölle mir zuziehen? Ach, laß es um der Verdienste deines aus Liebe für mich vergossenen Blutes willen nicht zu. Gib mir die heilige Beharrlichkeit, schenke mir deine Liebe. Ich liebe dich, o höchstes Gut, und ich will nicht mehr ablassen, dich bis zum Tode zu lieben. Mein Gott, erbarme dich meiner um der Liebe Jesu Christi willen! - Habe auch du Erbarmen mit mir, o Maria! meine Hoffnung! empfiehl mich Gott an; deine Anempfehlungen werden von jenem Herrn, der dich liebt, nicht abgewiesen.

2. Punkt
Auf also, mein Bruder, denn es ist gewiß, daß du sterben mußt! Wirf dich dem Gekreuzigten zu Füßen, danke ihm für die Zeit, die er dir aus seiner Barmherzigkeit gibt, um dein Gewissen ordnen zu können, und dann überschaue alle Verirrungen deines bisherigen Wandels, besonders jene deiner Jugendjahre. Blicke auf die göttlichen Gebote, untersuche die dir obliegenden Pflichten, die Gesellschaften, die du besuchest, und schreibe deine Fehler auf und leg eine allgemeine Beichte von deinem ganzen Leben ab, wenn du es noch nicht getan hast. O wie nützlich ist die allgemeine Beichte, um das Leben eines Christen gut zu ordnen! Denke, es ist eine Rechenschaft für die Ewigkeit, und verrichte sie daher, als wärest du jetzt im Begriffe, sie vor Jesus Christus, deinem Richter, abzulegen. Vertreibe aus deinem Herzen jede böse Neigung, jeden Groll; benimm dir jetzt jeden Zweifel hinsichtlich eines fremden Gutes, einer Ehrabschneidung, gegebener Ärgernisse; und nimm dir vor, die Gelegenheiten, wo du Gott verlieren kannst, zu vermeiden. Bedenke, daß das, was dir jetzt schon schwer scheint, dann im Tode dir unmöglich vorkommen werde. Entschließe dich endlich - was das Allerwichtigste ist - die Mittel anzuwenden, um in der Gnade Gottes dich zu erhalten. Diese Mittel sind: tägliches Meßhören, Betrachtung der ewigen Wahrheiten, oftmaliges Beichten und Kommunizieren, wenigstens alle acht Tage, der tägliche Besuch des heiligsten Sakraments und der göttlichen Mutter, geistliche Lesung nebst Fasten am Sonnabende. Vor allem nimm dir vor, dich öfters Gott und der seligsten Jungfrau anzuempfehlen und die heiligen Namen Jesu und Maria oft und besonders zur Zeit der Versuchung anzurufen. Das sind die Mittel, die dir einen guten Tod und die ewige Seligkeit erlangen können.

Wenn du dies tust, wird es für dich ein großes Zeichen der Gnadenwahl sein. Und in Betreff der Vergangenheit vertraue auf das Blut Jesu Christi, der dir diese Erkenntnis gibt, indem er will, daß du selig werdest, und habe Vertrauen auf die Fürbitte Mariä, welche dir diesen Unterricht erlangt. O wie wird dir bei einer solchen Prüfung deines Lebenswandels und bei deinem Vertrauen auf Jesus und Maria von Gott geholfen werden: welche Stärke wird deine Seele erlangen! Wohlan also, mein Leser, ergib dich ganz und gar Gott, der dich ruft und fange an, jenen Frieden zu genießen, dessen du bisher aus deiner eigenen Schuld beraubt warst. Und welch größeren Frieden kann eine Seele wohl fühlen, als wenn sie sich abends beim Schlafengehen sagen kann: Sollte diese Nacht der Tod kommen, so hoffe ich in der Gnade Gottes zu sterben! Welcher Trost ist es, das Gekrache des Donners zu hören, die Erde beben zu sehen und dabei mit Ergebenheit dem Tode entgegenzuharren, wenn ihn Gott über mich verhängt!

Anmutungen und Bitten
Ach, mein Herr, wie undankbar bin ich dir für das Licht, das du mir gibst. Ich verließ dich so oft und kehrte dir den Rücken; doch du verließest mich nicht. Hättest du mich verlassen, so wäre ich blind geblieben, wie ich‘s vorher sein wollte; ich wäre in meiner Sünde hartnäckig verharrt und hätte weder den Willen, sie zu verlassen, noch den Willen, dich zu lieben. Jetzt fühle ich großen Schmerz, dich beleidigt zu haben und großes Verlangen, in deiner Gnade zu sein; ich habe Abscheu vor jenen verfluchten Freuden, wegen welcher ich deine Gnade verlor. Alles dies sind Gnaden, die von dir kommen und mich hoffen lassen, daß du mir verzeihen und mich selig machen wollest. Da du mich also ungeachtet so vieler Sünden nicht verlassen hast und mich selig haben willst, nun, so ergebe ich mich dir ganz. Es reuet mich über alles Übel, dich beleidiget zu haben, und ich nehme mir vor, lieber tausendmal das Leben als deine Gnade zu verlieren. Ich liebe dich, mein höchstes Gut, ich liebe dich, mein Jesus, der du für mich gestorben bist und hoffe, um deines Blutes willen, daß du dich nicht mehr werdest von mir trennen lassen. Nein, mein Jesus! ich will dich nicht mehr verlieren. Ich will dich immer lieben, solange ich lebe; ich will dich lieben, wenn ich sterbe; ich will dich lieben in alle Ewigkeit. Erhalte also und vermehre in mir immer die Liebe zu dir; ich bitte dich darum um deiner Verdienste willen. - Maria, meine Hoffnung, bitte Jesus für mich.

3. Punkt
Ferner müssen wir dafür sorgen, zu jeder Stunde so beschaffen zu sein, wie wir es im Tode zu sein wünschen: Selig die Toten, die im Herrn sterben. (Offb 14) Der heilige Ambrosius sagt: Jene sterben gut, welche zur Zeit des Todes der Welt schon abgestorben, das heißt, von solchen Gütern losgerissen sind, von welchen sie loszureißen der Tod Gewalt hat. Daher müssen wir es geduldig tragen, wenn wir um unsere Habe kommen, wenn wir von Verwandten und allen Dingen dieser Welt getrennt werden. Wenn wir dies im Leben nicht freiwillig tun, werden wir es im Tode tun müssen, und zwar alsdann mit höchstem Schmerz und mit Gefahr des ewigen Heiles. Hier bemerkt nebstdem der heilige Augustinus, daß es, um ruhig zu sterben, sehr nützlich sei, bei Lebzeiten die zeitlichen Angelegenheiten zu berichtigen, indem man zu dieser Zeit schon über die Güter, welche man zu verlassen hat, verfüge, um sich im Tode nur damit beschäftigen zu können, wodurch man sich näher an Gott anschließt. Alsdann ist es gut, nur von Gott und vom Himmel zu reden. Diese letzten Augenblicke sind allzu kostbar, als daß man sie mit Gedanken an das Irdische zubringen sollte. Im Tode wird die Krone der Auserwählten vervollkommnet; denn zu dieser Zeit sammelt man vielleicht am meisten Verdienste, wenn man diese Schmerzen und diese Todesart mit Ergebung und Liebe annimmt.

Wer aber diese guten Gesinnungen bei Lebzeiten nicht hegte, wird im Tode sie nicht haben können. Deswegen haben einige andächtige Personen zu ihrem großen Nutzen die Gewohnheit, monatlich die letzte Willenserklärung nebst den christlichen Tugendakten zu erneuern, nachdem sie gebeichtet und kommuniziert haben, indem sie sich vorstellen, als wären sie schon im Sterbebette und nahe daran, aus diesem Leben zu scheiden.

Was man im Leben nicht tut, ist im Tode schwer zu tun. Die Schwester Katharina vom heiligen Albertus, diese große Dienerin Gottes aus dem Orden der heiligen Theresia, seufzte, als sie starb und sagte: „Meine Schwestern! ich seufze nicht aus Furcht vor dem Tode, denn ich erwarte ihn schon seit 25 Jahren; ich seufze, indem ich so viele betrogen sehe, die das Leben in Sünden zubringen und den Friedensschluß mit Gott auf den Tod verschieben, während ich kaum 'mein Jesus!' sagen kann“.

Prüfe dich also, mein Bruder, ob dein Herz an irgendetwas Irdischem - an einer Person, an einer Ehre, an jenen Geldern, an jener Gesellschaft, an jenen Belustigungen hänge und bedenke, daß du nicht ewig da sein wirst. Du wirst sie einst und vielleicht schon bald verlassen müssen. Und warum willst du dein Herz daran hängen und dich der Gefahr, unruhig zu sterben, aussetzen? Opfere von nun an alles Gott auf, bereit, dessen beraubt zu werden, wenn es ihm gefällig ist. Willst du ergeben sterben, so mußt du dich schon jetzt in alle vorkommenden Widerwärtigkeiten ergeben, die dir begegnen können und mache dich von den Neigungen zu den irdischen Dingen los. Halte den Augenblick des Todes dir vor Augen, und du wirst alles verachten: „Wer immer bedenkt, daß er sterben werde, verachtet alles mit Leichtigkeit“, sagte der heilige Hieronymus.

Hast du deinen Lebensstand noch nicht erwählt, so wähle dir jenen, den du im Tode gewählt zu haben wünschest, und der dir im Tode mehr Zufriedenheit verschaffen wird. Hast du ihn aber schon gewählt, so tue, was du dann in deinem Stande getan zu haben wünschen würdest. Handle so, als wäre jeder Tag der letzte deines Lebens und verrichte jedes Werk, das du vorhast, jedes Gebet, jede Beichte, jede Kommunion so, als wäre es deine letzte Handlung. Stelle dir von Stunde zu Stunde vor, als wärest du sterbend, im Bette liegend und als hörtest du dir zurufen: „Reise ab von dieser Welt“. O wie nützlich wird dir dieser Gedanke sein, um gut zu wandeln und dich von der Welt zu trennen! Selig ist der Knecht, den sein Herr bei seiner Ankunft also finden wird. (Mt 24,46) Wer des Todes zu jeder Stunde gewärtig ist, wird gut sterben, wenn dieser auch unversehens käme.

Anmutungen und Bitten
Jeder Christ soll in jenem Augenblicke, wo man ihm die Nachricht von seinem Tode bringen wird, so zu sprechen bereit sein: Wenige Stunden bleiben mir also noch übrig, o mein Gott! in diesen will ich dich so viel, als ich es in diesem Leben vermag, lieben, um dich im anderen desto mehr zu lieben. Gar wenig habe ich dir anzubieten: Ich opfere dir diese Schmerzen und das Opfer meines Lebens in Vereinigung jenes Opfers, das Jesus Christus am Kreuze dir für mich dargebracht. Herr, die Schmerzen, die ich leide, sind wenig und gering gegen jene, die ich verdiente; ich nehme sie an, wie sie sind, zum Zeichen der Liebe, die ich zu dir habe. Ich unterwerfe mich allen Strafen, die du in diesem und im anderen Leben über mich verhängen willst, wenn ich dich nur in Ewigkeit lieben kann; strafe mich, so viel dir gefällig ist, doch beraube mich nicht deiner Liebe. Ich erkenne, daß ich es nicht mehr verdiente, dich zu lieben, weil ich deine Liebe so oft verachtet habe; allein du kannst ja eine reuevolle Seele nicht verstoßen. Es reuet mich, dich, o höchstes Gut, beleidigt zu haben. Ich liebe dich von ganzem Herzen und vertraue ganz auf dich. Dein Tod, o mein Erlöser, ist meine Hoffnung! In deine verwundeten Hände empfehle ich meine Seele! In Deine Hände empfehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, o Herr! Gott der Wahrheit. O mein Jesu! du gabst dein Blut hin, um mich zu retten; lasse nicht zu, daß ich jemals von dir getrennt werde. Ich liebe dich, o ewiger Gott; und hoffe dich in Ewigkeit zu lieben. - Maria, meine Mutter, hilf mir in diesem wichtigen Augenblicke. Schon jetzt übergebe ich dir meinen Geist; sage zu deinem Sohne, er möchte meiner sich erbarmen. Dir empfehle ich mich, o bewahre mich vor der Hölle!