Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt

Die Sprache ist doch eine wunderbare Gabe. Sie ermöglicht uns nicht nur, uns auszudrücken und zu verständigen, sie birgt auch einen reichen Erfahrungsschatz in sich, den sie etwa in Sprichwörtern eingängig zu formulieren weiß. Jede Sprache hat hierbei ihren eigenen Genius, also eine außergewöhnliche Fähigkeit, Erfahrenes unübertrefflich auszudrücken. Unsere deutsche Sprache braucht sich hierbei gegenüber anderen Sprachen sicherlich nicht zu verstecken, ihre Möglichkeit, erfahrene Wahrheiten in klare Worte, unmittelbar einleuchtende Bilder zu gießen, ist direkt bewundernswert. Eine solche Erfahrung ist etwa in jenem Bild eingefangen, das die Überschrift dieses Artikels beschreibt: „Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt.“

Es geschieht im Leben offensichtlich recht häufig, daß die objektive Werteordnung durcheinanderpurzelt, daß das Obere zuunterst, das erste zuletzt, das wichtigste zuhinterst kommt, wenn unsere Sprache diesen Sachverhalt in einem solch eingängigen Bild zu formulieren genötigt wird. Und heutzutage wird der Eindruck, daß dieses Phänomen in allen Bereichen des Lebens überhandnimmt, immer erdrückender. Wenn es aber schon im alltäglichen Leben mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden ist, sobald der Schwanz mit dem Hund wedelt, wie wird es dann erst im Bereich des Geistes und des kirchlichen Lebens sein? Nachdem sämtliche Bastionen geschliffen wurden und jeglicher katholische Wahrheitsanspruch eingeebnet wurde, ist es mit einer recht großen Mühe verbunden, sich als Katholik noch einigermaßen zurechtzufinden und sich seelisch unbeschadet durch die geistigen Trümmerfelder zu bewegen. Angesichts des überall herrschenden Chaos entwickelt zwar jeder seine eigene Überlebensstrategie, ob diese Überlebensstrategie jedoch etwas taugt, das weiß man leider oft erst im nachhinein, also dann,wenn es meist schon zu spät ist. Da solche Täuschungen nicht ohne Gefahr für das eigene Seelenheil sind, sollte man sie natürlich, soweit möglich, rechtzeitig zu meiden suchen.

Der Fall

Wir wollen aus diesem Grund einmal beispielhaft einen konkreten Fall analysieren und anhand desselben aufzeigen, wie viele Selbstverständlichkeiten sich stillheimlich in ihr Gegenteil verkehren können und müssen, damit der Schwanz mit dem Hund wedelt. Und in unserem Fall handelt es sich nicht um irgendwelche, sondern um katholische Selbstverständlichkeiten. Aber alles der Reihe nach…

Am 23. September dieses Jahres wurde der Generalobere der "Piusbruderschaft" (wir übernehmen hier die Selbstbezeichnung dieser Gemeinschaft, mit der sie sich vor einigen Jahren dem Sprachgebrauch der Medien angepaßt hat), Bernard Fellay, von Kardinal Gerhard Ludwig Müller empfangen, wodurch eine neue Phase der Verhandlungen zwischen dem postmodernen Rom und der Piusbruderschaft eingeläutet werden sollte. Die meisten Leser werden sich wohl noch daran erinnern können, daß die Hoffnungen dieser Gemeinschaft, unter Benedikt XVI. mit dem postmodernen Rom zu einer gütlichen Übereinkunft zu kommen, sich letztlich nicht erfüllten, ja sich urplötzlich in Luft auflösten. Offensichtlich änderte Benedikt XVI. im letzten Augenblick seine Meinung und ließ die Piusbrüder mit all ihren Hoffnungen auf Wiedervereinigung mit seinem postmodernen Rom auf Sand laufen. Die Befürchtung, mit dem Nachfolger Benedikts werde eine Einigung nicht mehr möglich sein, hat sich jedoch inzwischen als falsch erwiesen. Beide Seiten ließen verlautbaren, man habe sich in herzlicher Atmosphäre ausgetauscht und festgelegt, daß man aufgrund eines schrittweisen Vorgehens innerhalb einer vernünftigen Frist hoffe, zu einer vollkommenen Einheit zu kommen, sodaß eine vollständige Versöhnung eintrete.

Dies sei hier nur erinnernd angefügt, denn uns geht es eigentlich nicht um diese unendliche Geschichte der Verhandlungen zwischen Rom und den Piusbrüdern, uns geht es nicht um diplomatische Floskeln, kirchenpolitisches Geschwätz, verantwortungsloses Gemunkel aus der Hintertreppengerüchteküche, sondern um ganz Grundsätzliches, nämlich um den dem Ganzen zugrundeliegenden theologischen Sachverhalt. Was bedeutet es theologisch, wenn der Generalobere der Piusbruderschaft in seinem Interview (Quelle: FSSPX/MG –DICI vom 03/10/14) vom 3. Oktober sagt: „Es gibt nichts Neues, insofern wir und unsere Gesprächspartner festgestellt haben, dass die lehrmäßigen Differenzen, welche im Zug der theologischen Gespräche von 2009 –2011 klar zu Tage traten, bestehen blieben, und dass wir aus dieser Tatsache heraus die doktrinelle Präambel, welche die Glaubenskongregation uns 2011 unterbreitete, nicht unterschreiben können“?

Das bedeutet: Der Generalobere, Mgr. Fellay, sieht im Präfekten der Glaubenskongregation einen gleichberechtigten Gesprächspartner, wobei bei dem Gespräch so schwerwiegende lehrmäßige Differenzen klar zu Tage treten, daß er ein von der Glaubenskongregation vorgelegtes Glaubensbekenntnis (Präambel) meint, nicht unterschreiben zu können, denn: „Das Gespräch zeigte, dass weder sie noch wir einen Abbruch der Beziehungen wünschen: Beide Parteien beharren auf der Tatsache, dass die doktrinellen Fragen vor einer kanonischen Anerkennung gelöst werden müssen. Deshalb verlangen die römischen Behörden ihrerseits die Unterschrift der lehrmäßigen Präambel, während wir unsererseits wegen der Zweideutigkeiten nicht unterschreiben können.“

Es sei hier einmal übergangen, daß auch die vom Generaloberen nach Rom zurückgesandte Erklärung gleichfalls nicht ohne Zweideutigkeiten bzw. schwere doktrinelle Mängel war, weshalb sie vom Präfekten der Glaubenskongregation ganz zurecht korrigiert wurde, um was es uns hier geht, ist folgendes: Der Generalobere der Piusbruderschaft (und mit ihm seine Anhänger) findet offensichtlich gar nichts dabei, wenn er mit dem Lehramt der Kirche lehrmäßige Gespräche führt und sodann feststellt, daß beide Seiten in ihrer Lehre nicht übereinstimmen. Und er findet zudem nichts dabei, wenn er eine ihm vom höchsten Lehramt der Kirche vorgelegte lehrmäßige Präambel einfach zurückweist, weil er damit nicht einverstanden ist. Was soll man dazu sagen? Hier wedelt offensichtlich der Schwanz mit dem Hund!

Und zwar wedelt hier der Schwanz schon so selbstverständlich mit dem Hund, daß derselbe Generalobere, weit davon entfernt darüber, daß er mit dem Lehramt der Kirche lehrmäßig nicht übereinstimmt, in Erstaunen, ja Entsetzen zu fallen, einfach auf dem Weg des Gesprächs (das Fremdwort dafür ist übrigens „Dialog“) fortfahren will, wie man in dem Interview weiter liest. Auf die Frage „Was soll man unter dem Ausdruck der Vatikanischen Pressemitteilung über ein 'schrittweises Vorgehen' verstehen?“ antwortet nämlich dieser: „Den gegenseitigen Wunsch in Rom und in der Priesterbruderschaft St. Pius X., die doktrinellen Gespräche in einem erweiterten und weniger formellen Rahmen als bei den vorherigen Unterredungen aufrechtzuerhalten.“

Versuchen wir den Werdegang dieser inzwischen eingefahrenen Fehlhaltung etwas genauer nachzuzeichnen, um zu verstehen, was da genau geschehen ist.

Der Schwanz

Die FSSPX ist aufgrund der konziliaren und nachkonziliaren Entwicklung im Vatikan in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ins Abseits geraten. Die Ablehnung des Konzils und vor allem der in der Folge des Konzils erfolgten liturgischen Reformen hatten de facto eine Spaltung zur Folge, die man freilich von seiten der FSSPX niemals recht zugeben wollte bzw. meinte, diese ständig schönreden zu sollen. Die FSSPX versuchte zwar, kirchenpolitisch den Kontakt mit Rom nicht ganz zu verlieren, doch kam es im Laufe der Jahre immer wieder zu schweren Konfrontationen – die zunächst zur Suspendierung (wegen unerlaubter Priesterweihen) und schließlich zur Exkommunikation (wegen unerlaubter Bischofsweihen) führten.

Der Grund für das endgültige Zerwürfnis der Piusbrüder mit Rom waren also nicht so sehr theologische Streitereien, sondern, wie in den Klammern angemerkt, jeweils konkrete Überlebensmaßnahmen der Piusbrüder, die spätestens seit den unerlaubten Bischofsweihen im Jahre 1988 trotz gegenteiliger Beteuerungen in der Errichtung einer Parallelhierarchie endeten. Die Piusbrüder bemühten sich eifrig, ihr Werk allseits gegen Rom abzusichern, und wo immer möglich eine gewisse Unabhängigkeit und Selbständigkeit aufzubauen, um diese sodann jeweils in den Phasen des auf Rom-wieder-zugehens als Stärke ausspielen zu können.

In dem Interview vom 3. Oktober gesteht der Generalobere der Piusbruderschaft auch ganz offen ein: „Mit seinem (Mgr. Marcel Lefebvres) übernatürlichen Realismus, der so charakteristisch für ihn war, fügte er hinzu, dass die konkreten Verwirklichungen der Tradition: die Seminare, die Schulen, die Anzahl der Priester und Ordensleute, der Seminaristen und Gläubigen… auch einen großen demonstrativen Wert in sich tragen. Gegen diese greifbaren Tatsachen gibt es keine Scheinargumente, die sich halten können: contra factum non fit argumentum [gegen eine Tatsache gibt es keine Argumente]. Im gegenwärtigen Fall könnte man diese lateinische Lebensweisheit durch das Wort Jesu Christi übersetzen: 'Man erkennt den Baum an seinen Fürchten.'“

Also: Die Macht des Faktischen ist für den Generaloberen besser als alle Scheinargumente, er sieht darin einen übernatürlichen Realismus – wofür wieder einmal ein Wort aus der Heiligen Schrift herhalten muß: „Man erkennt den Baum an seinen Fürchten.“ Aber stimmt das wirklich? Ist die Macht des Faktischen einfachhin gleichzusetzen mit den guten Früchten des hl. Evangeliums? Ganz sicher nicht! Erfolg ist ganz sicher kein Garant für Wahrheit! Die entscheidende Frage, ob und warum die Früchte seiner Gemeinschaft wirklich gut sind oder nicht, scheint dem Generaloberen so nebensächlich, daß er gar nicht darauf eingeht. Aber woher und aufgrund welcher Erwägungen weiß der Generalobere der Piusbrüder so genau und sicher, daß „die Seminare, die Schulen, die Anzahl der Priester und Ordensleute, der Seminaristen und Gläubigen“ seiner Gemeinschaft gute Früchte sind – und die etwa der mindestens genauso erfolgreichen „Legionäre Christi“, die niemals den Schoß der „Kirche“ verlassen haben, nicht? Woher er das so genau weiß? Weil nämlich bei ihm der Schwanz mit dem Hund wedelt! Nur dann ist nämlich die demonstrative Macht des Faktischen wirklich besser als Argumente – denn um Scheinargumente handelt es sich nur in den Köpfen der Piusbrüder, in Wirklichkeit gibt es eine ganze Menge an echten Argumenten gegen sie vorzubringen. Für die Piusbrüder aber steht immer schon vorneweg fest, „dass wir unser Zeugnis einbringen wollen: Wenn die Kirche diese tragische Krise, die sie durchmacht, überwinden will: Die Tradition ist die Antwort auf diese Krise! So bezeugen wir unsere kindliche Gesinnung gegenüber dem Ewigen Rom, gegenüber der Kirche, Mutter und Lehrerin der Wahrheit, welcher wir tief verbunden sind.“

In diesen Worten gibt Mgr. Fellay das entscheidende Stichwort: Das ewige Rom! Dieses ewige Rom Fellays ist zwar keine greifbare Realität, sondern ein imaginäres Wunschdenken, der das konkrete Rom entgegensteht, aber wen stört das schon? So hat er es von Mgr. Lefebvre gelernt, der dies seiner Bruderschaft mit auf den Weg gegeben hat. Durch das seltsame Konstrukt seines doppelten Roms hat er sich ungewollt in das dialektische Spiel der Modernisten eingeklinkt und zudem, so nebenbei, möchte man fast sagen, zum letzten Richter über die Tradition erhoben, gegen das aktuelle, greifbare, wirklich existierende Lehramt in Rom. Während man dem ewigen Rom immer gehorsam sein muß – also einer imaginären, selbsterdachten Wirklichkeit! – muß man dem konkreten Rom mit seinen modernistischen Lehren Widerstand leisten. Man muß die Tradition der Kirche gegen die moderne „Kirche“ in Rom verteidigen. Wobei, das darf man nicht vergessen zu erwähnen, der „Papst“ der Piusbrüder beiden „Kirchen“ vorsteht, also zugleich Christus und Antichrist in einer Person ist.

In der Formulierung des Generaloberen der Piusbrüder vom ewigen Rom klingen all diese Gedanken mit, die sich inzwischen so sehr verselbständigt haben, daß sie nicht mehr hinterfragt werden, ja werden dürfen! Jedenfalls bildet sich der Generalobere der Piusbrüder, und mit ihm all seine Anhänger, wirklich ein, dadurch mit „der Kirche, der Mutter und Lehrerin der Wahrheit, tief verbunden“ zu sein, was schon eine enorme Leistung, richtiger gesagt, Fehlleistung ist.

Diese tiefe Verbundenheit mit dem ewigen Rom zeigt sich wohl dann konkret wieder in seiner Dialogbereitschaft gegenüber dem konkreten, modernistischen Rom, also dem für ihn momentan wirklich existenten Lehramt, wobei der Generalobere und seine Bruderschaft bei den Gesprächen von diesem Lehramt gar nichts lernen möchten, sondern vielmehr ihrerseits dieses Lehramt belehren und mit der Tradition der Piusbrüder beschenken wollen, von der sie sich allen Ernstes einbilden, diese sei die Tradition der Kirche. Der geschätzte Leser wird wohl an dem Satz gemerkt haben, es wird alles ganz schön kompliziert, wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt – und zudem absurd!

Der Hund

Die Römer, die in unserem Bild der Hund sind, haben das diplomatische Spiel der Piusbrüder frühzeitig durchschaut und es ihrerseits verstanden, ihre Vorstellung von der Integrierung der Gemeinschaft in die Weltkirche in die Reihen der Piusbrüder hineinzutragen. Deswegen gab es immer wieder Vorstöße von seiten Roms, um die Spaltung zu beenden. Nachdem der Generalobere unüberhörbar in seiner zuweilen recht infantilen Sprache laut verkündet hatte: „Wenn Rom ruft, komme ich gelaufen!“, ließen es sich die Römer natürlich nicht nehmen zu rufen – und siehe, der Generalobere kam tatsächlich gelaufen! Gekonnt stießen die Römer durch ihre Verhandlungen innerhalb der Piusbruderschaft eine rege Diskussion darüber an, ob es auf die Dauer möglich sei, außerhalb der Kirche im Ghetto zu leben und zu überleben. Kardinal Darío Castrillón Hoyos, als Partisanenunterhändler bestens bewährter Diplomat, hat sich posthum, als er schon in den wohlverdienten Ruhestand gegangen war, einem der Priester gegenüber dahingegen geäußert, daß es in der ersten Verhandlungsphase gar nicht darum gegangen sei, zu einem konkreten Ergebnis zu kommen. Das Ziel dieser ersten Verhandlungen, die der Kardinal selbst führte, war vielmehr, die eigenen Gedanken und Sichtweise der Dinge in die Gemeinschaft der Piusbrüder hineinzutragen. Oder mit anderen Worten ausgedrückt: diese in zwei Lager aufzuspalten – was dem Kardinal auch prompt und reibungslos gelang.

In den weiteren Verhandlungsphasen konnte also Rom sodann schon darauf bauen, daß es in der Piusbruderschaft eine wachsende Anzahl von Priestern gab, die unbedingt eine Einigung mit Rom wollten und ihnen daher, wissentlich oder unwissentlich, das ist ganz gleichgültig, in die Hände arbeiten würden. Zudem erreichte Rom mit dieser Spaltung, daß die Gemeinschaft von sich aus begann, diejenigen Priester auszuscheiden, die in keiner Weise bereit waren, mit dem postmodernen Rom zusammenzuarbeiten. Der noch übrig bleibende anschließungsbreite Rest (der die Mehrheit sein würde) wäre dann liberal genug, um problem- und schadlos in die postkonziliare Einheit in der Vielheit eingebunden zu werden. Soweit in aller Kürze die Phänomenologie des Geschehens der letzten Jahre von der Seite Roms aus gesehen.

Anders als die Piusbrüder wissen die Römer, wenn es darauf ankommt, immer noch, wie es eigentlich sein sollte, d.h. wie vom katholischen Standpunkt aus zu urteilen ist. Nachdem die Piusbrüder sich weigerten, die von Rom geforderte lehrmäßige Präambel zu unterschreiben, schrieb der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Levada: „Die doktrinelle Präambel, die ausdrücklich vom Heiligen Vater approbiert worden ist, zurückzuweisen, bedeutet de facto auch, die Treue gegenüber dem römischen Pontifex und dem gegenwärtigen Lehramt der Kirche zurückzuweisen (vgl. Nr. I und II der lehrmäßigen Präambel). Dies zieht den Bruch der Gemeinschaft mit dem römischen Pontifex nach sich und die kirchenrechtlichen Konsequenzen, die daraus fließen, gemäß dem, was die Canones 751 und 1364 des Kirchenrechtes bestimmen.“

Auch in seinen Korrekturen der lehrmäßigen Erklärung, die von Menzingen anstelle der lehrmäßigen Präambel nach Rom zurückgesandt wurde, versteht es der Kardinal gekonnt, die Finger auf die lehrmäßige Wunde zu legen. Dazu zwei Beispiele aus dieser lehrmäßigen Erklärung.

Während die Piusbrüder schrieben: „2. Wir erkennen die Autorität des Lehramtes an, dem allein die Aufgabe anvertraut ist, das Wort Gottes - sei es geschrieben oder mündlich tradiert - in der Treue zur Tradition authentisch zu interpretieren, eingedenk, daß 'der Heilige Geist den Nachfolgern des Petrus nicht verheißen wurde, damit sie durch seine Offenbarung eine neue Lehre ans Licht brächten, sondern damit sie mit seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung bzw. die Hinterlassenschaft des Glaubens heilig bewahrten und getreu ausgelegten'“, korrigierte das moderne Rom folgendermaßen: „2. Wir erkennen die Autorität des Lehramtes an, dem allein die Aufgabe anvertraut ist, das Wort Gottes - sei es geschrieben oder mündlich tradiert - authentisch zu interpretieren. «Den Nachfolgern des Petrus wurde der Heilige Geist nämlich nicht verheißen, damit sie durch seine Offenbarung eine neue Lehre ans Licht brächten, sondern damit sie mit seinem Beistand die durch die Apostel überlieferte Offenbarung bzw. die Hinterlassenschaft des Glaubens heilig bewahrten und getreu ausgelegten. Ihre apostolische Lehre haben ja alle ehrwürdigen Väter angenommen und die heiligen rechtgläubigen Lehrer verehrt und befolgt; denn sie wussten voll und ganz, dass dieser Stuhl des heiligen Petrus von jedem Irrtum immer unberührt bleibt, gemäß dem an den Fürsten seiner Jünger ergangenen göttlichen Versprechen unseres Herrn und Erlösers: ,Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht versage: und du, wenn du einmal bekehrt wirst, stärke deine Brüder' [Lk 22 ,32)».“

Die Römer haben also durchaus erkannt, daß die Formulierung der Piusbrüder zweideutig war, und zwar im Sinne ihrer Lehre vom imaginären ewigen Rom, wodurch die entfernte Norm des Glaubens (=Tradition) über die nächste Norm des Glaubens (=Lehramt) gestellt wird. Sie erreichen dies, indem sie einfach das (I. und einzige) Vatikanum verkürzt zitieren, d.h. den zweiten Teil des zitierten Textes unterschlugen, daß nämlich „alle ehrwürdigen Väter“ die Lehre der Nachfolger des hl. Petrus angenommen haben, „denn sie wussten voll und ganz, dass dieser Stuhl des heiligen Petrus von jedem Irrtum immer unberührt bleibt, gemäß dem an den Fürsten seiner Jünger ergangenen göttlichen Versprechen unseres Herrn und Erlösers: ,Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht versage: und du, wenn du einmal bekehrt wirst, stärke deine Brüder' [Lk 22 ,32)“. Das wissen zwar „alle ehrwürdigen Väter“, die Piusbrüder jedoch wissen es nicht mehr und wollen es auch gar nicht mehr wissen, weil dieses Wissen ihre Ideologie zerstören würde, was aber unter keinen Umständen geschehen darf, denn sonst müßten sie ja – nun ja, Sie wissen schon, was sie dann werden müßten, aber unter keinen Umständen wollen. Lieber wollen sie Modernisten werden als...

In einem weiteren Abschnitt ihrer lehrmäßigen Erklärung schreibt die Piusbruderschaft: „5. Die Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils und des nachfolgenden päpstlichen Lehramtes bezüglich der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und den christlichen nichtkatholischen Konfessionen, wie auch hinsichtlich der sozialen Pflicht zur Religion und des Rechtes auf Religionsfreiheit, deren Formulierung schwierig vereinbar ist mit den früheren lehramtlichen Äußerungen, müssen verstanden werden im Lichte der gesamten und ununterbrochenen Tradition, in Kohärenz mit den früher vom Lehramt der Kirche gelehrten Wahrheiten, ohne irgendeine Interpretation dieser Äußerungen zuzulassen, die dazu führen könnte, die katholische Lehre im Widerspruch oder im Bruch mit der Tradition und diesem Lehramt auszulegen.“

Man ist schon recht erstaunt, wie weit sich die Piusbrüder hier aufgrund ihres alles tragenden Grundsatzes, „alles ist gut, was der Bruderschaft nützt“, aus dem lehrmäßigen Fenster lehnen, heißt es da doch wirklich: „Die Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils… hinsichtlich der sozialen Pflicht zur Religion und des Rechtes auf Religionsfreiheit, deren Formulierung schwierig vereinbar ist mit den früheren lehramtlichen Äußerungen“ – schwierig vereinbar, heißt dann wohl doch vereinbar, vereinbar, wenn sie nämlich „im Lichte der gesamten und ununterbrochenen Tradition, in Kohärenz mit den früher vom Lehramt der Kirche gelehrten Wahrheiten“ interpretiert wird. Also nach dieser „lehrmäßigen Erklärung“ der Piusbruderschaft ist die Häresie der sog. Religionsfreiheit durchaus, wenn auch schwer, „im Licht der gesamten und ununterbrochenen Tradition“ zu interpretieren und steht somit in keinem Widerspruch oder Bruch mit der Tradition!

Auch an diesem doch schon sehr weit entgegenkommenden Text haben die Römer noch etwas zu korrigieren gefunden, aus „deren Formulierung schwierig vereinbar ist“ wird ein „deren Formulierung gewissen schwierig vereinbar scheinen“, und der Schlußsatz lautet in römischer Diktion: „In diesem Kontext ist es legitim, Ausdrücke und Formulierungen des II. Vat. Konzils und des darauf folgenden Lehramtes zu diskutieren, zu studieren und theologisch zu erklären, besonders um zu helfen, ihre Kontinuität mit dem vorangehenden Lehramt der Kirche zu verstehen.“

Da kann man nur sagen, recht haben sie, die Römer! Sie haben recht, wenn das "2. Vatikanum" ein Konzil der katholischen Kirche war, dann muß es in Kontinuität mit dem vorangehenden Lehramt stehen. Doch wollen wir den verehrten Leser mit diesem mühseligen Unterfangen, die Ungereimtheiten in der Lehre der Piusbruderschaft aufzuzeigen, nicht weiter quälen und uns wieder Rom zuwenden, also auf den Hund schauen.

Zweifelsohne hat sich auch Rom verändert, denn in früherer, also noch katholischer Zeit, hätte sich Rom das, was sich die Piusbrüder diese letzten Jahre Rom gegenüber geleistet haben, niemals gefallen lassen – und man muß hinzufügen, niemals gefallen lassen dürfen, wenn nämlich der Hund mit dem Schwanz wedelt und nicht umgekehrt! Mit anderen Worten ausgedrückt: Die Piusbrüder profitieren, welch eine Ironie des Schicksals, allein von der Tatsache, daß Rom nicht mehr Rom ist, d.h. daß Rom nicht mehr katholisch, sondern liberal, modernistisch, ja postmodern und postmodernistisch geworden ist und handelt. Das alte Rom hätte der Feststellung von Kardinal Levada – „Dies zieht den Bruch der Gemeinschaft mit dem römischen Pontifex nach sich“ – die notwendigen Taten folgen lassen und die Piusbrüder aufgrund des klar dokumentierten Schismas samt und sonders abermals exkommuniziert.

Das moderne Rom ist da freilich flexibler, denn ein Modernist bleibt immer anpassungsfähig – genauso wie der Irrtum. Aus diesem Grund kann Rom – hierbei ist jetzt dieses modernistische Rom, das Zentrum der Menschenmachwerkskirche gemeint – natürlich selbst mit den „erzkonservativen Piusbrüdern“ flexibel umgehen. Dies umso mehr, als die Römer inzwischen großteils gar keine Modernisten alten Stils mehr sind, sondern Postmodernisten, worauf wir schon mehrmals hingewiesen haben, was aber nicht oft genug in Erinnerung gerufen werden kann. Als Postmodernisten sind die Römer nicht nur flexibel und anpassungsfähig, sie haben zudem selbst gegenüber den „erzkonservativen Piusbrüdern“ keinerlei Berührungsängste mehr, denn ein wenig Vergangenheit kann in dem modernen Durcheinander auch nicht schaden. Man muß diese Vergangenheit nur richtig ins System einbinden, damit sie nicht zu stark wird und ihren Zweck richtig erfüllt, nämlich den ganz linken Flügel der Revolution ein wenig auszubremsen. So etwa hat Josef Ratzinger alias Benedikt XVI. die Sache gesehen und entsprechend ins Laufen gebracht. Warum er dann plötzlich auf dem Weg der Wiedervereinigung stehen blieb, ist aus den greifbaren Tatschen nicht ganz ersichtlich, womöglich war er mit der Arbeit der Piusbrüder nicht mehr zufrieden.

Wenn man also genau hinsieht, erkennt man, es fand auf beiden Seiten fast unbemerkt eine grundlegende Umformung des katholischen Denkens statt. Dieses Umdenken wurde ermöglicht durch einen semantischen Betrug – also durch einen Mißbrauch der Sprache. Durch diesen Sprachmißbrauch wurden Begriffe wie Kirche, Lehramt, Papst, Konzil, Tradition auf beiden Seiten sinnentleert. Die Folge davon ist, es kann sich jeder darunter das vorstellen, was ihm beliebt. Solange nicht eine Seite in ihrer Sprache wieder erstarrt – also etwas genau Umschriebenes, Erkennbares und darum Einforderbares versteht – kann man endlos Dialog miteinander führen. Die Länge der Zeit hängt ganz davon ab, was die einzelnen wann mit ihrer Politik erreichen wollen.

Kommen wir abschließend nochmals zurück zu unserem Bild. Was geschieht eigentlich, wenn man das Bild zuende denkt? Was geschieht, sobald der Hund es sich nicht mehr gefallen läßt, daß der Schwanz mit ihm wackelt, wie sich das ja für einen Hund eigentlich gehört? Nun, dann kann man sich lebhaft vorstellen, wie der Hund mit dem Schwanz freudig hin und her wedelt. So ist es auch geschehen bzw. war es womöglich schon immer in unserem Fall. Sie erinnern sich: „Ja und nein, je nach Gesichts-oder Standpunkt.“ Und in der Tat haut es den Generaloberen der Piusbrüder zwischen diesem Ja und Nein seit nunmehr 15 Jahren hin und her – und nicht Rom! – denn der Hund wedelt ja mit dem Schwanz und nicht umgekehrt.