Unsere Liebe Frau von La Salette

Gleichsam zum Ausklang des Festes von den Sieben Schmerzen Mariens und zur Einstimmung auf das Fest der Erscheinungen Unserer Lieben Frau von La Salette am kommenden 19. September geben wir hier die Beschreibung der Muttergottes wieder, die Melanie, die Seherin von La Salette, am 21. November 1878 in Castellamare gab, als sie eine Niederschrift über das Geheimnis der großen Botschaft anfertigte:

„Die Allerseligste Jungfrau war groß und wohlgestaltet. Sie wirkte gewichtslos, so daß man glauben konnte, sie durch einen Hauch in Bewegung versetzen zu können. Indessen war sie unbeweglich, in fester Haltung stehend. Ihre Gesichtszüge waren würdevoll und Ehrfurcht einflößend, jedoch nicht in der gleichen Weise, wie man es bei den großen Herren dieser Welt beobachten kann. Sie flößte eine ehrfurchtsvolle Angst ein. Ihre Würde forderte eine mit Liebe vermischte Ehrfurcht und wirkte anziehend. Ihr Blick war sanft und durchdringend zugleich. Ihre Augen schienen mit den meinen im Gespräch zu sein, aber dieses Gespräch entstand aus einem tiefen und lebhaften Glücksgefühl gegenüber dieser entzückenden Schönheit heraus, die mich hinschmelzen ließ. Die Freundlichkeit ihres Blickes, ihr Ausdruck einer unbegreiflichen Güte, ließen verstehen und fühlen, daß sie anziehen und sich verschenken wollte. Es war ein Ausdruck von Liebe, der sich weder mit der Zunge noch mit den Buchstaben des Alphabets ausdrücken läßt.

Das Kleid der Allerseligsten Jungfrau war silbrig-weiß und ganz strahlend. Es hatte nichts Stoffliches an sich. Es war ganz aus Licht und Glanz zusammengesetzt, ganz lebendig und schimmernd. Nirgendwo auf dieser Erde findet man einen passenden Ausdruck oder eine passende Vergleichsmöglichkeit.

Die Heilige Jungfrau war ganz aus Schönheit und Liebe geformt. Wenn ich sie ansah, sehnte ich mich danach, in ihr zu verschmelzen. Alles an und in ihr atmete Würde, die Pracht und Herrlichkeit einer unvergleichlichen Königin. Sie erschien weiß, makellos, kristallen, blendend, himmlisch, frisch, neu, wie eine Jungfrau. Es schien, als ob das Wort Liebe ihren silbrigen und so reinen Lippen entschlüpfen würde. Sie sah aus, wie eine gute Mutter, voll Güte, Liebenswürdigkeit und voll Liebe zu uns, voll Mitleid und Barmherzigkeit.

Die Krone aus Rosen, die sie auf dem Kopf trug, war so schön und leuchtend, daß man sich davon keine Vorstellung machen kann. Diese verschiedenfarbigen Rosen waren nicht irdisch. Es war ein Blumenstrauß, der das Haupt der Allerseligsten Jungfrau in Form einer Krone umgab, doch diese Rosen waren lebendig, kamen und gingen. Aus dem Inneren jeder Rose drang ein solch schönes Licht hervor, das entzückte und die Rosen in unerhörtem Glanz erstrahlen ließ. Aus der Rosenkrone leuchteten Zweige, als ob diese aus Gold gewirkt wären, und eine Reihe anderer Blumen, geschmückt mit Brillanten. Es erinnerte an ein funkelndes Diadem, das ganz von alleine stärker als unsere irdische Sonne erstrahlte.

Die Heilige Jungfrau trug an ihrem Hals ein sehr schönes Kreuz. Dieses Kreuz schien vergoldet zu sein – ich sage vergoldet, also nicht aus massivem Gold, denn ich hatte manchmal vergoldete Gegenstände mit verschiedenen Tönungen gesehen, die auf mich einen viel schöneren Eindruck machten, als etwa ein einfaches Stück Gold. Auf diesem schönen Kreuz, das in hellem Licht erstrahlte, war Christus abgebildet, Unser Herr mit ausgebreiteten Armen am Kreuz. Auf jeder Seite des Kreuzes, beinahe am Ende, befand sich auf der einen Seite ein Hammer und auf der anderen Seite eine Zange. Die Körperfarbe des Gekreuzigten war natürlich, leuchtete aber mit großer Kraft. Das Licht, das aus seinem ganzen Körper erstrahlte, hatte die Form von stark leuchtenden Dolchen, die mir das Herz zerstachen, in dem Wunsch, mich in ihm zu verlieren. Manchmal schien es, daß Christus tot ist. Sein Haupt war geneigt und der Körper wirkte wie zusammengesunken, als ob er abzufallen drohte, wenn er nicht von den Nägeln am Kreuz gehalten worden wäre.

Mich überfiel ein tiefes Mitleid. Gerne hätte ich der ganzen Welt seine unbekannte Liebe mitgeteilt und in die Seelen der Sterblichen die zarteste Zuneigung und die lebhafteste Dankbarkeit für einen Gott eingeflößt, der unserer keineswegs bedurfte, um all das zu sein, was er ist, was er war und immer sein wird. Und trotzdem, oh du dem Menschen unbegreifliche Liebe, er ist Mensch geworden und wollte sterben, um in unsere Seelen und in unser Gedächtnis die ungeheure Liebe einzuprägen, die er uns entgegenbringt! Oh, ich Unglückliche, daß ich so arm an Ausdrucksmöglichkeiten bin, um die Liebe, die unser gütiger Erlöser für uns hegt, zu beschreiben. Was sind wir doch andererseits in der glücklichen Lage, tiefer fühlen zu können, als wir auszudrücken vermögen!

Dann schien der Gekreuzigte wieder lebendig zu sein. Er hielt das Haupt aufgerichtet, mit geöffneten Augen. Er hinterließ den Eindruck, aus eigenem Willen am Kreuz zu haften. Manchmal schien es, als würde er sprechen. Er wollte anscheinend zeigen, daß er für uns am Kreuz hing, aus Liebe zu uns, um uns zu sich zu ziehen, immer neu Liebe für uns empfindend, und daß seine Liebe zu Beginn des Jahres 33 die gleiche war, wie heute, die immer dauern wird.

Die Heilige Jungfrau weinte beinahe ununterbrochen, während sie mit mir sprach. Ihre Tränen fielen, eine nach der anderen, langsam herunter, bis zu ihren Knien, und verschwanden dann wie Lichtfunken. Sie waren leuchtend und von Liebe getränkt. Ich hätte sie gerne getröstet, damit sie nicht mehr weine. Aber es schien mir, daß sie ihre Tränen zeigen mußte, um ihre von den Menschen vergessene Liebe besser zu beweisen. Ich hätte mich in ihre Arme werfen wollen, um ihr zu sagen: ‚Meine gute Mutter, weine nicht! Ich möchte Dich für alle Menschen der Erde lieben.’ Aber es schien mir, als ob sie zu mir sagte: ‚Es gibt so viele, die mich nicht kennen!’

Ich schwebte zwischen Leben und Tod, da ich auf der einen Seite so viel Liebe sah, so viel Sehnsucht, geliebt zu werden, und auf der anderen Seite so viel Kälte und Gleichgültigkeit. Oh, meine Mutter, meine schöne und gute Mutter, meine Liebe, Herz meines Herzens! Die Tränen unserer zärtlichen Mutter, wie weit davon entfernt, ihre Würde einer Königin und Herrin zu vermindern, schienen sie im Gegenteil noch schöner, mächtiger, liebevoller, mütterlicher, noch entzückender zu machen. Am liebsten hätte ich ihre Tränen, die mein Herz vor Mitleid und Liebe springen ließen, abgefangen. Eine Mutter weinen zu sehen, und eine solche Mutter noch dazu, ohne alle vorstellbaren Mittel und Wege zu finden, sie zu trösten, ihre Schmerzen in Freude zu verwandeln, kann man das verstehen? Oh, meine überaus gute Mutter, du bist mit allen Vorzügen ausgestattet, deren Gott fähig ist. Du hast die Allmacht Gottes wie erschöpft. Du bist gut und darüberhinaus strahlst du Gottes Güte aus. Gott hat sich selbst übertroffen, als er dich als sein irdisches und himmlisches Meisterwerk schuf.

Die Allerseligste Jungfrau trug eine gelbe Schürze. Was sage ich – gelb? Sie trug eine Schürze mit der Leuchtkraft mehrerer Sonnen zusammengenommen. Das war kein materieller Stoff, es war eine Vielfalt von Herrlichkeiten, die in großer Schönheit funkelten. Alles an der Heiligen Jungfrau trug stark dazu bei, riß mich geradezu zur Anbetung und Liebe meines Jesus in allen Stadien seines irdischen Lebens hin.

Die Allerseligste Jungfrau trug zwei Ketten, wovon eine etwas breiter war als die andere. An der schmaleren Kette hing das Kreuz, von dem ich bereits gesprochen habe. Diese Ketten, man kann sie mit keinem anderen Namen bezeichnen, wirkten wie Ruhmesstrahlen von großer Leuchtkraft, funkelnd und schimmernd.

Die Schuhe, wenn man sie so bezeichnen kann, waren weiß, aber aus einem silbrigen weiß und leuchtend, umrankt von Rosen. Diese Rosen waren von verwirrender Schönheit. Aus jedem Inneren der Rosen züngelte eine Flamme aus Licht hervor, sehr schön und angenehm anzusehen. Auf den Schuhen war eine Verzierung aus Gold, nicht aus irdischem Gold, sondern aus dem Gold des Paradieses. Der Anblick der Heiligen Jungfrau selbst war ein vollendetes Paradies. Sie besaß in sich alles, was zufriedenstellen konnte, und die Erde in Vergessenheit geraten ließ. Die Heilige Jungfrau war von zwei Lichtern umgeben. Das erste Licht, das ihr näher war, gelangte bis zu uns. Es leuchtete mit einem schönen Glanz und funkelte stark.

Das zweite Licht breitete sich um die schöne Frau aus. Wir befanden uns innerhalb dieses Lichtstrahls. Dieses Licht war unbeweglich – mit anderen Worten, es schimmerte und funkelte nicht, war aber strahlender als das Licht unserer irdischen Sonne. Alle diese Lichter taten in den Augen nicht weh und ermüdeten auch nicht den Blick.

Außer diesen Lichtern und diesem Glanz traten aus der Gestalt der Heiligen Jungfrau, aus ihren Kleidern, von überall her, noch Strahlenbündel, Garben von Licht oder Lichtstrahlen hervor.

Die Stimme der schönen Frau war sanft – sie bezauberte, entzückte und tat dem Herzen wohl, sie beruhigte, befriedigte und besänftigte. Es schien mir, als hätte ich schon immer von ihrer warmen Stimme essen wollen. Mein Herz schien zu tanzen oder ihr entgegengehen zu wollen, um sich in ihr zu verlieren.

Die Augen der Allerseligsten Jungfrau, unserer zärtlichen Mutter, lassen sich von einer menschlichen Zunge nicht beschreiben. Um von ihnen zu sprechen, wäre ein Seraphin notwendig gewesen, noch mehr, es hätte der Ausdrucksweise Gottes selbst bedurft, der die Unbefleckte Jungfrau, das Meisterwerk seiner Allmacht, geschaffen hat. Die Augen Mariens erschienen tausend und tausend Mal schöner, als die gesuchtesten Brillanten, Diamanten und sonstigen Edelsteine. Sie leuchteten wie zwei Sonnen, waren sanft, die Wärme selbst, klar wie ein Spiegel. In diesen Augen sah man das Paradies. Man wurde von ihnen zu ihr gezogen und es entstand der Eindruck, sie wollte sich verschenken und an sich ziehen.

Je länger ich sie ansah, umso mehr wollte ich sie anbeten. Je mehr ich sie anblickte, desto mehr liebte ich sie. Ich liebte sie mit allen meinen Kräften.

Die Augen der schönen Unbefleckten waren wie die Pforte zu Gott, von wo aus man alles sah, was die Seele berauschte. Als meine Augen sich mit den Augen der Muttergottes trafen, die auch meine Mutter ist, spürte ich in meinem Inneren eine glückliche Erhebung der Liebe und eine feierliche Versicherung, sie zu lieben und in Liebe zu ihr zu vergehen. Während wir uns betrachteten, sprachen unsere Augen ihre eigene Sprache. Ich liebte sie so sehr, daß ich sie am liebsten mitten auf ihre Augen geküßt hätte, die meine Seele berührten und sie anzuziehen schienen, um sich mit der ihren zu vereinigen. Ihre Augen erzeugten in meinem ganzen Wesen ein leichtes Erzittern. Ich hütete mich davor, auch nur die kleinste Bewegung zu machen, die ihr hätte unangenehm sein können, und wäre diese Bewegung auch noch so geringfügig gewesen.

Alleine der Anblick dieser Augen der Reinsten der Jungfrauen hätte ausgereicht, der Himmel eines Seligen zu sein. Sie hätten ausgereicht, um eine Seele in die Fülle der Absichten des Allerhöchsten hinsichtlich der Ereignisse, die im Laufe des sterblichen Lebens vorkommen, einzuweihen und zu ständigen Handlungen des Lobes, des Dankes, der Wiedergutmachung und der Sühne zu veranlassen. Dieser Anblick alleine konzentriert die Seele auf Gott und macht aus ihr eine lebende Tote, die alle Dinge der Erde, scheinen diese auch noch so ernsthaft zu sein, nur als das Spiel von Kindern betrachtet. Sie möchte nur mehr von Gott sprechen hören und von dem, was sich auf seine Herrlichkeit bezieht.

Die Sünde ist das einzige Übel, das sie auf Erden sieht. Sie würde aus Schmerz darüber sterben, wenn Gott sie nicht am Leben erhalten würde. Amen.“

(Maria vom Kreuze, Opfer Jesu, geborene Melanie Calvat, Hirtin von La Salette, Castellamare, 21. November 1878).

„Gedenke, o unsere liebe Frau von La Salette, du wahre Mutter der Schmerzen und der Tränen, die du auf Calvaria für mich vergossen hast. Gedenke auch der Mühe, die du stets für mich aufwendest, um mich der Gerechtigkeit Gottes zu entziehen. Schaue, ob du mich jetzt verlassen kannst, nachdem du so viel für dein Kind getan hast! Ermutigt durch diesen tröstlichen Gedanken, komme ich, um mich trotz meiner Undankbarkeit zu deinen Füßen niederzuwerfen. Verwirf nicht mein Gebet, o Jungfrau, du Versöhnerin, sondern bekehre mich. Gib mir die Gnade, deinen Sohn, Unseren Herrn Jesus Christus über alles zu lieben und dich selbst durch ein heiliges Leben zu trösten, auf daß ich dich eines Tages im Himmel sehen möge. Amen!“ (Papst Pius XI.)