Auchkatholiken

Kürzlich stieß ich beim Durchstöbern meiner Bücher wieder einmal auf einige Hefte des Fürsten der deutschen Neuscholastik, Matthias Joseph Scheeben. Diese Hefte, mit dem Titel „Das ökumenische Concil vom Jahre 1869“, hatte er während und nach dem ersten (und einzigen) vatikanischen Konzil herausgegeben. Beim Durchblättern eines der Hefte stolperte ich über einen Artikel: „Katholizismus und Auchkatholizismus“. Der Text fesselte mich sofort beim ersten Hineinlesen, denn er erschien mir so aktuell, als wäre er erst kürzlich geschrieben worden, weshalb ich ihn auch in einem Zug zu Ende las. Man kann es kaum glauben, 1870 hat Scheeben diese Zeilen niedergeschrieben, also vor 144 Jahren. Offensichtlich hat sich in dieser langen Zeit nicht allzu viel verändert. Da wir diesen Text vollständig in der Nummer 2 der Zeitschrift „Antimodernist“ abgedruckt haben, dachte ich mir, hier einen Kommentar zu schreiben. Sobald man nämlich etwas eingehender über diesen Text nachdenkt, erschrickt man, denn die Gedanken Scheebens passen nicht nur ganz genau auf die heutigen modernen liberalen Katholiken, sondern genauso gut auch auf das, was man Bewegung der Tradition zu nennen pflegt.

Katholizismus und Auchkatholizismus

Schon im 19. Jahrhundert gab es immer mehr Katholiken, die sich vom sog. Liberalismus anstecken ließen – heute würde man vom modernen Zeitgeist sprechen. Man nannte diese Leute damals liberale Katholiken oder Auch-Katholiken:

Schon seit Jahren konnte man ganz inkorrekte liberale Äußerungen aus dem Munde solcher vernehmen, die es für notwendig erachten, gleichzeitig zu erklären, daß sie „auch katholisch“ seien, woraus bekanntlich der übliche Terminus „Auchkatholizismus“, der altbayrisch ausgesprochen so ziemlich mit Akatholizismus zusammenfällt, entstanden ist. Eines näheren Nachweises bedarf diese Tatsache nicht, da sie eine offenkundige ist. Es genügt sie konstatiert zu haben.
Es war gewiß eine höchst beklagenswerte Erscheinung, ein kaum zu ertragendes Ärgernis, die fruchtbare Mutter unzähliger Übel in der Kirche. Mittlerweile aber hat sich dieses Übel beinahe ganz ungestört und ungehemmt, da und dort sogar durch allerlei Tolerieren und konnivieren (Nachsicht üben) begünstigt und gepflegt, immer weiter und weiter ausgebreitet, und in diesem Augenblicke hat es bereits Dimensionen erreicht, welche jeden erschrecken, der noch Klarheit und Ruhe genug besitzt, um sie wahrzunehmen, und Glauben und Liebe zur Kirche genug, um darüber sich zu betrüben und zu entrüsten.

Nach den geistigen Umbrüchen im Gefolge der französischen Revolution wurden diejenigen Katholiken, die nicht nur einfach katholisch waren, sondern auch katholisch, immer mehr. Die moderne Zeit stand nämlich nicht mehr im Einklang mit dem katholischen Glauben. Die Versuchung, sich der modernen Welt anzugleichen, nicht immer hinter dem vermeintlichen Fortschritt herzulaufen, wurde immer größer, wurde doch das katholische Denken ganz an den Rand der Gesellschaft gedrängt und der Katholik dadurch zum Außenseiter gestempelt. Diese Entwicklung war jedoch gar nicht so neu, dauerte sie doch schon mehrere Jahrhunderte fort. Schon seit der sog. Reformation drohte die katholische Welt zu zerbrechen. Jenes theokratische, einheitliche und in sich geschlossene Weltbild des Mittelalters löste sich allmählich auf.

Der Grundgedanke des mittelalterlichen Weltbildes war der einer gottgewollten hierarchischen Ordnung, in der alles seinen Ort hat oder wenigstens haben soll. „Denn aus ihm und durch ihn und für ihn ist alles. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ (Röm 11, 36) – so hatte der Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer geschrieben. Es ist die Aufgabe der Christen, das Gottes-Reich zu verwirklichen: „So ermahne ich euch, ich, der Gefangene im Herrn: Wandelt würdig der Berufung, die euch zuteil geworden ist, in aller Demut, Sanftmut und Geduld. Ertragt einander in Liebe. Seid bestrebt, die Einheit im Geist durch das Band des Friedens zu bewahren. Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch durch eure Berufung zu einer Hoffnung berufen seid. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alle und in allem ist“ (Eph 4, 1-6). Durch die Gotteskindschaft sind die Menschen wieder zu einer Einheit verbunden, die auf der gottgeschenkten Gnade gründet. Die von Gott geschaffene Welt soll in Gott ihre Voll-Endung haben. Alles soll dem großen Ziel dienen, wodurch die Idee des Ordo (der alles umfassenden Ordnung) als zentrale Idee des Mittelalters entsteht. Von der Antike werden ihre wertvollsten und eigentümlichen Leistungen aufgenommen, aus ihrer Isolierung befreit und in das eine große Ordnungsbild eingewoben. Darunter sind die philosophische Weisheit der Griechen und der Staatsgedanke des Imperium Romanum. Für das Mittelalter war die Welt wirklich ein Kosmos, eine wohlgeordnete, allumfassende Einheit. Jedes einzelne Seiende hatte Geltung und Wert durch seine Stellung in der ewigen Ordnung, in die es von Gott hineingestellt worden ist und hineingehört. Alle Persönlichkeitskräfte, das Denken, Wollen und Fühlen des Menschen sind zentriert um diese eine wahre Mitte.

Der mittelalterliche Mensch wußte aber auch, diese Ordnung ist nicht einfach vorgegeben, sie ist immer auch Aufgabe, ja nur durch einen ständigen geistigen Kampf aufrecht zu erhalten. Denn es gibt in der Menschenwelt zwei entgegengesetzte Kräfte, die ständig gegeneinander streiten: „Es schufen darum zwei Staaten die zwei Weisen Liebe: den Erd-Staat nämlich die Liebe zu sich bis zur Verachtung Gottes, den Himmels-Staat aber die Liebe zu Gott bis zur Verachtung seiner“ (Hl. Augustinus, de Civ Dei XIV 28). „Zwei Weisen Liebe, - von denen die eine heilig ist, die andere unrein; die eine zu Gemeinschaft hin, die andere zu sich hin; die eine für den Gemein-Nutzen sorgend um der überirdischen Gemeinschaft willen, die andere auch Gemein-Dinge in die eigene Verfügung rückbiegend um der anmaßenden Herrschaft willen; die eine untertan, die andere nebenbuhlerisch zu Gott; die eine ruhig, die andere aufgeregt; die eine friedschaffend, die andere aufständisch; die eine die Wahrheit dem Lob der Irrenden vorziehend, die andere auf jede Weise lobgierig; die eine freundnachbarlich, die andere neidisch; die eine das dem Nächsten wollend, was sich, die andere, den Nächsten sich zu unterwerfen; die eine um des Nutzens des Nächsten den Nächsten lenkend, die andere um ihres Nutzens, - diese (zwei Weisen Liebe) ... bilden den Unterschied zwischen zwei Weisen Staat im Menschengeschlecht ..., in deren ... sozusagen zeitlicher Vermischung untereinander die Weltzeit verbracht wird“ (Hl. Augustinus, de Gen an litt XI 15; 20). „Diese zwei Weisen von Staat werden durch zwei Weisen Liebe: Jerusalem durch die Liebe zu Gott, Babylon durch die Liebe zur Welt. Es frage also sich ein jeder, was er liebt, und er wird finden, wessen Bürger er ist; und fand er den Bürger Babylons, so rotte er aus die Begehrlichkeit, pflanze die Liebe: fand er sich aber als Bürger Jerusalems, so dulde er die Gefangenschaft, hoffe die Freiheit“ (Hl. Augustinus, in Ps 64; 2).

In der mittelalterlichen Welt war eine größtmögliche Einheit der verschiedenen Lebensbereiche, aber auch der Seelenkräfte erreicht worden, wodurch aller Dienst an Gott zusammengebunden war. In dieser Welt paßte alles zusammen: Staat und Kirche, Glaube und Vernunft, Glaubensleben und Alltag, Gebet und Arbeit, usw. Mit der Reformation zerbrach diese einheitliche Welt. Der Irrglaube Luthers isolierte den Christen und lieferte ihn zunächst der Willkür der Prediger, sodann der Fürsten und der sog. Philosophen aus. Der Glaube verlor allmählich seine gesellschaftsformende Kraft, er wurde letztlich zur Privatsache degradiert. Während der Französischen Revolution geschah eine äußerst symbolträchtige Handlung. Am 21. Januar 1793 lassen die Revolutionsführer auf dem Place de la Concorde unter dem bedrückenden Schweigen des Volkes von Paris König Ludwig XVI. guillotinieren. Die Hinrichtung des Königs „symbolisiert die Entheiligung dieser Geschichte und die Entkörperung des christlichen Gottes“. „Bis dahin mischte sich Gott vermittels der Könige in die Geschichte ein. Aber man tötet seinen geschichtlichen Repräsentanten, es gibt keinen König mehr. Nun gibt es nur noch einen Anschein von Gott, der in den Himmel der Prinzipien verwiesen wurde“, so deutet Albert Camus, in seinem Buch „Der Mensch in der Revolte“, dieses verbrecherische Geschehen.

Das kirchliche Leben wird in die Sakristeien verbannt und der persönliche Glaube in die stille Kammer zuhause. Zu dieser revolutionären Wandlung des Staates kommen die geistesgeschichtlichen Veränderungen durch die modernen Philosophien. Der Geist des Zweifels erfüllt die Menschenherzen und entfremdet sie dem kindlichen Glauben, der sich auf die Autorität Gottes und Seiner Kirche stützt. Der Katholik wird also mehr und mehr in die Enge getrieben. Sein Glaube paßt nicht mehr in diese moderne Welt. Es stellt sich für ihn im alltäglichen Leben die Frage: Wie ernst muß ich den Glauben nehmen? Gibt es nicht neben dem Wesentlichen des Glaubens Vieles, das man auch großzügiger, liberaler sehen kann? Unter dieser geistesgeschichtlichen Voraussetzung sehen diese liberalen Katholiken das Vatikanische Konzil und die drohende Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes auf sich zukommen. In diesem Zusammenhang muß man auch die Gedanken Scheebens zu den Auchkatholiken sehen, damit man sie in ihrer ganzen Tragweite verstehen kann.

Nachdem Scheeben kurz auf die aktuelle Entwicklung in Deutschland eingegangen ist, beschreibt er das zu behandelnde Phänomen: „Und in unseren gebildeten Kreisen - wie viel Auchkatholizismus! Darf man nicht fast sicher sein, daß die gebildeten Klassen der überwiegenden Mehrheit nach in allen Fällen, wo es sich um die Wahl zwischen einer angeblichen Forderung des Zeitgeistes und der alten Glaubenslehre, um kirchliches Recht auf der einen und politische Opportunität auf der anderen Seite handelt, regelmäßig zu Ungunsten der Kirche votieren werden? Das hindert aber die Votanten nicht, ernst und heilig zu versichern, daß sie auch katholisch seien. Werden nicht selbst in Kreisen, wo man das am wenigsten vermuten sollte, Behauptungen aufgestellt und verteidigt, die der apostolische Stuhl schon längst verworfen und mit scharfen Zensuren belegt hat, eine Verwerfung und Zensurierung, gegen welche der Episkopat der katholischen Welt keine Einsprache erhoben hat, so daß selbst nach gallikanischer Ansicht ein solcher Ausspruch des kirchlichen Oberhauptes als irreformabel zu betrachten sei? Geschieht das nicht unter der Versicherung, daß man auch katholisch sei?“

Man könnte die allgemeine damalige Situation so beschreiben: Der kirchliche Geist auf dem Rückzug. Die Auchkatholiken sind in diesem geistigen Rückzugsgefecht immer bereit, wenn es um die Entscheidung zwischen dem Zeitgeist und der alten Glaubenslehre geht, dem Zeitgeist zu huldigen, wobei man jedoch natürlich beansprucht, auch noch katholisch zu sein. Dabei geht man durchaus schon so weit, daß man „Behauptungen aufstellt und verteidigt, die der apostolische Stuhl schon längst verworfen und mit scharfen Zensuren belegt hat“. Dasselbe haben wir übrigens erst kürzlich wieder einmal bei den Traditionalisten erlebt, als es um die Frage der Unfehlbarkeit des Papstes bei Heiligsprechungen ging. Obwohl solcherlei Ansichten der apostolische Stuhl schon längst verworfen und mit scharfen Zensuren belegt hat, ist man dennoch der Meinung, man könne dies leugnen – und bliebe auch noch katholisch! Ja – „Ist es nicht bei Vielen stehende Regel geworden, jene für ultramontan, einseitig und extrem, für ungebildet und unwissenschaftlich zu erklären, die in Allem fest und unbedingt an der altkatholischen Lehre festhalten und nicht auf Kosten des Glaubensgutes mit dem modernen Liberalismus eine Versöhnung wollen?“

Klingt das nicht ganz genauso wie das, was gewisse Hochw. Herren über all jene sagen, die gegen eine Vereinigung mit dem modernistischen Rom sind? Werden diese nicht als einseitig und extrem, ungebildet und unwissenschaftlich abgestempelt, während man selber durchaus bereit ist, selbst auf Kosten des Glaubensgutes mit dem modernen Liberalismus eine Versöhnung anzustreben – oder in deren Sprachregelung gesagt: eine rein pragmatische Lösung ohne vorhergehende lehrmäßige Übereinkunft anzustreben? „Und wenn wir an die Frage der lehramtlichen Unfehlbarkeit des Papstes erinnern, was hat man nicht alles zum Schaden des Primates und der kirchlichen Einheit und der Unfehlbarkeit der Konzilien dagegen vorgebracht? Wie ist man zu diesem Zwecke mit den ehrenwertesten Persönlichkeiten umgegangen? Wie hat man an den Aussprüchen der hl. Schrift und der hl. Väter und allgemeiner Konzilien herumgekünstelt? Mit welcher Frivolität hat man die Frage, um die es sich handelt, entstellt und verdreht, eine Frage, worüber von dem häretischen Jansenismus und dem verurteilten Gallikanismus in der Kirche völlige Stimmeneinheiligkeit herrschte?“

Ja wirklich, wie viele vermeintliche Irrtümer und Fehler der Päpste haben diese Traditionalisten zum Schaden des Primates und der kirchlichen Einheit und der Unfehlbarkeit der Konzilien nicht zusammengetragen, nur um ihre Ideologie zu retten? Wie hat man den Aussprüchen der hl. Schrift und der hl. Väter und allgemeiner Konzilien herumgekünstelt? Welch eine Flut von Ausredetheologien hat sich in all den Jahren über die armen Gläubigen ergossen, so daß diese nicht mehr aus noch ein wissen und ihren illegitimen „Oberen“ selbstverständlich und immer mehr gehorchen als ihrem vermeintlichen Heiligen Vater in Rom? Und kommen wir nochmals an die Frage der Unfehlbarkeit der Kirche bei Heiligsprechungen zurück: „Mit welcher Frivolität hat man die Frage, um die es sich handelt, entstellt und verdreht, eine Frage, worüber von dem häretischen Jansenismus und dem verurteilten Gallikanismus in der Kirche völlige Stimmeneinheiligkeit herrschte?“ Es ist wirklich kaum zu glauben: Mit welcher Frivolität hat man versucht, den Gläubigen einzureden, die heilige katholische Kirche könne durchaus unheiligen Heilige, ja Verdammte verehren, was so viel bedeuten würde, als wenn sie dem Teufel Altäre errichtete.

Scheeben stellt hierauf die entscheidende Frage: „Hat es jemals in der Kirche einen solchen Zustand gegeben, ohne daß das Kirchliche Lehramt sich erhoben hätte?“ Nein, die Kirche hat in diesen Situationen immer klärend eingegriffen und die Glaubenswahrheit gegen die liberalen Irrtümer verteidigt. Damals war es jedenfalls so, auf dem Vatikanischen Konzil wurden die vielfältigen Irrtümer der Zeit aufgearbeitet und die Wahrheit diesen klar entgegengestellt. Dieses Glück haben wir heutzutage leider nicht mehr. Denn auf dem sog. 2. Vatikanum ist genau das Gegenteil geschehen, man hat die liberalen Irrtümer angenommen, den Glauben verraten und einen neuen Glauben verkündet und die Konzils“kirche“ geschaffen. Aber kann das eine kirchliche Autorität, ohne ihre Legitimität zu verlieren?

„Nein und abermals nein! Ein solcher Zustand ist unvereinbar mit der Heiligkeit der Kirche. Ist ja doch die Kirche die Freundin Christi, ganz schön und ohne Makel (cant. 4, 7), die Braut Christi, für welche der menschgewordene Sohn Gottes sein unendlich kostbares Blut vergossen, damit sie sei ohne Makel und ohne Runzel oder etwas dergleichen, heilig und untadelig (Eph 5, 27), für deren Reinheit in der Lehre so viele Martyrer ihr Blut vergossen? Hat doch Christus in seinem hohenpriesterlichen Gebete für die Kirche gebetet: „Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, sowie auch wir… Heilige sie in der Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit… Ich heilige mich selber für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit (Joh17,11 u. 17, 19). Ist doch die Kirche das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, ein Volk der Erwerbung (1 Pet 2, 9). Haucht doch Christus der Kirche als ihr Haupt fort und fort Unversehrtheit ein (Ignatius Martyrer) und beseelt und regiert sie sein Geist, der heilige Geist, der Geist der Wahrheit, der sie in alle Wahrheit einführt und bei ihr bleibt in Ewigkeit. Ist sie doch die Eine Mutter und Jungfrau zugleich, unbefleckt wie eine Jungfrau und liebend wie eine Mutter (Clemens alex. pæd. 1, 6), die unversehrte und reine Braut, die keine Befleckung zuläßt (Cyprian de unit. eccl. c. 6), das Haus, der Tempel, die Stadt Gottes, darin die apostolische Lehre stets rein und unbefleckt bewahrt worden ist (Irenäus adv. haeres. III, 3) und bewahrt wird, das Haus Gottes auf dem Felsen, unerschütterlich, nicht zu überwältigen von der Macht der Hölle.“

Diese Zeilen sollen wir nicht nur aufmerksam lesen, wir sollen sie meditieren, durchbeten. Die Kirche Jesus Christi ist eine heilige Kirche, weil sie Seine Braut ist und als solche makellos und rein. Die Katholiken wissen zwar noch theoretisch um diese Lehre, aber bewahren sie diese auch in den Wirrnissen dieser Zeit rein? Wie viel wird heute von der Reinheit des Glaubens dem liberalen, modernistischen Geist geopfert? Schon 1870 konnte Scheeben schreiben: „Und diese Kirche, der mystisch fortlebende Christus und sein ehrwürdiger Leib, sollte den Irrtümern der modernen Zivilisation nicht die katholische Wahrheit entgegen halten, aus Rücksicht für den Zeitgeist, der keine dogmatische Definitionen will, weil er nicht dogmenfreundlich, sondern dogmenfeindlich ist? Die Kirche, die stets reine und unversehrte, die in der Wahrheit geheiligte, sollte Irrtümer, die man laut und offen als Lehren hinstellt, welche auch Katholiken sich aneignen und bekennen dürfen, nicht als das, was sie sind, als Irrtümer aufdecken und von ihren Gliedern zurückweisen? Sie sollte dem Lug- und Trugwesen von Seite solcher nicht begegnen, welche sich zwar auch Katholiken nennen, aber trotz dieses ehrwürdigen Namens und sogar unter Berufung auf diesen Namen, also unter dem Schilde der Katholizität, sich zu Anschauungen bekennen, die dem katholischen Glauben fremd sind, mit ihm nicht harmonieren, ihm widersprechen?“

Wer die Konzilskirche für die wahre Kirche Jesu Christi hält, der kommt gar nicht darum herum zu behaupten, was Scheeben entrüstet zurückweist, daß nämlich Irrtümer, die man laut und offen als Lehren hinstellt, "…auch Katholiken sich aneignen und bekennen dürfen, denn offensichtlich bleibt man dann trotz der unzähligen modernistischen Irrtümern auch katholisch". Und es sind nicht nur ein paar Gläubige, sondern die Bischöfe, Kardinäle und die Päpste, die trotz dieses ehrwürdigen Namens und sogar unter Berufung auf diesen Namen, also unter dem Schilde der Katholizität, sich zu Anschauungen bekennen, die dem katholischen Glauben fremd sind, mit ihm nicht harmonieren, ihm widersprechen. Ja im Gegenteil, anstatt daß man vor dem Irrtum beschützt wird, wird man um der Wahrheit willen verfolgt. Scheeben führt den Gedanken noch weiter: „Die Kirche sollte aus welch immer für Rücksichten jenen gegenüber schweigen, die unter katholischem Namen, und diesen Namen in den Vordergrund stellend, gegen das Oberhaupt der Kirche sich empören, seinen vollen und höchsten Jurisdiktionsprimat, seine höchste und volle Lehrgewalt verwerfen, den Primat oder den Stuhl zu ehren vorgeben, aber den lebendigen Träger des Primates, den lebendigen Inhaber des Stuhles Petri, den Statthalter Christi entehren?“

Ist mit diesen Worten nicht ein Großteil der sog. Traditionalisten haargenau beschrieben! Ist es nicht für viele von ihnen eine feste, über Jahrzehnte eingeübte Gewohnheit geworden, daß sie den Primat oder den Stuhl zu ehren vorgeben, aber den lebendigen Träger des Primates, den lebendigen Inhaber des Stuhles Petri, den Statthalter Christi entehren? Denn diese Traditionalisten bilden sich doch allen Ernstes ein, sie müßten dem Stellvertreter Jesu Christi nur dann gehorchen, wenn er einen feierlichen unfehlbaren Akt des Lehramtes setzt – wobei sie ihm selbst dann die Unfehlbarkeit absprechen, sobald sie ihnen nicht in den Kram, d.h. in ihre Ideologie paßt, wie wir jüngst erst wieder bei den Heiligsprechungen von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. gesehen haben. De facto, also in der Tat, in der Wirklichkeit gibt es für sie den lebendigen Träger des Primates, den lebendigen Inhaber des Stuhles Petri, den Statthalter Christi gar nicht mehr. Aber das ist der Preis dafür, wenn man einen Irrlehrer, einen Apostaten meint als Papst der wahren Kirche Jesu Christi anerkennen zu können. Das wahre Papsttum verflüchtet sich, es rinnt einem sozusagen durch die Finger und löst sich in nichts auf. Übrig bleibt eine Marionette, ein bloßer Alibipapst, der immer das sagen darf, was man ihm sagen läßt, weil man selber sowieso besser weiß als er, was katholisch ist und sein soll.

Die Folgen davon sind freilich im wahrsten Sinn des Wortes verheerend: „Die Kirche sollte eine Uneinigkeit in der Lehre dulden, die, Dank der modernen Wissenschaft, ihren Presseerzeugnissen und ihren öffentlichen Erklärungen, einen sehr bedrohlichen Charakter angenommen hat, bereits tief in‘s praktische Leben eingedrungen ist, die Geister entzweit, selbst Kleriker von Klerikern trennt und zum Werkzeuge gemacht worden ist, die Ehrfurcht und den Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl in den Herzen der Gläubigen zu untergraben, die Autorität des päpstlichen Lehrwortes auf das Tiefste herabzudrücken und der Tendenz des Zeitgeistes entsprechend das separatistische Nationalkirchentum zu pflegen und zu fördern?“

Nachdem Scheeben diese katholischen Unmöglichkeiten aufgezählt hat, kommt er nochmals auf das Thema der Heiligkeit der Kirche zurück. Er schreibt: „Die Kirche, die katholische, sollte den Namen katholisch, diesen Ehrennamen, ihren Namen, den ihr allein zukommenden Namen noch länger von sogenannten Auchkatholiken mißbrauchen, entehren, beschimpfen lassen? Nein, nein, die Kirche Jesu Christi, unseres Gottes, diese heilige Kirche, wird das nicht tun. ‚Sie duldet zwar unter dem Weizen auch Unkraut und duldet Vieles, aber nie heißt sie das gut und nie schweigt sie zu dem und nie übt sie das, was wider den Glauben und die Moral streitet.‘ (‚Ecclesia Dei, inter multam paleam multaque zizania constituta, multa tolerat, et tamen, quae sunt contra fidem vel bonam vitam, non approbat, nec tacet, nec facit.‘ (S. August. ep. 119 ad Januar. cap. 19)).“ Unter diesen hier beschriebenen Auchkatholiken sind nicht nur die heutigen Modernisten und Postmodernisten, sondern auch viele Traditionalisten. Diese haben sich noch mehr und noch expliziter, also ausdrücklicher und wohlüberlegt, damit abgefunden, daß ihre Kirche, also das, was sie auch noch katholische Kirche nennen, voller Fehler, ja krank ist.

Hören wir ein paar Sätze eines solchen Traditionalisten. Zunächst werden wir darüber belehrt, daß „dieses Konzil der feste Entschluß ist, etwas Neues zu machen“. „Und es handelt sich nicht um eine oberflächliche Neuheit, sondern um eine tiefgehende Neuheit, die im Gegensatz, im Widerspruch zu der Predigt, ja sogar zu den Verurteilungen der Kirche steht“. Das Konzil bringt also eine tiefgehende Neuheit mit sich – der Lehre, der Sakramente, des Kirchenrechts, die im Gegensatz, im Widerspruch zur bisherigen Lehre der Kirche steht, ja von der Kirche schon verurteilt worden ist. Obwohl es diese tiefgehende Neuheit in der Lehre, den Sakramenten, des Kirchenrechts gibt, gibt es „dennoch … auch einen ganzen Organismus, und diesem Organismus müssen wir einerseits die Heiligkeit zuschreiben, und andererseits entrüstet er uns und skandalisiert uns so sehr, daß wir nur eines sagen möchten: Mit diesen Leuten haben wir nichts zu tun! Dies paßt nicht zusammen, es geht nicht! Kirchenmänner, die die Christen, die Kinder der Kirche zum Glaubensabfall hinführen ... Es paßt nicht zusammen!“ Eine sicherlich evidente, spontane Einsicht für jeden Katholiken, die Kirche paßt nicht mit der Irrlehre des Modernismus zusammen, der ein Sammelbecken aller Häresien ist. Genauso wenig paßt zusammen: Kirchenmänner, die die Christen, die Kinder der Kirche, zum Glaubensabfall hinführen. Wer das meint, der fällt seinerseits vom Glauben ab, weil er zwei Lehren, die im kontradiktorischen Gegensatz stehen, gleichzeitig für wahr halten möchte – oder geht das doch? Erstaunt hört man nämlich auf einmal Folgendes: „Wenn man das ablehnt, was nicht paßt, darf man nicht alles ablehnen. Sie bleibt die eine, heilige, katholische apostolische Kirche. [...] Wenn man das Übel ablehnt, das sich in der Kirche befindet, darf man nicht schließen, daß dies nicht mehr die Kirche ist. Es gibt zwar große Teile, die nicht mehr Kirche sind, ja, aber nicht alles!“

Wie der verehrte Leser wohl auch bemerkt hat, verwirren sich nun allmählich die Gedanken. Wenn man die Konzilskirche mit ihren vielen Irrtümern ablehnt, dann darf man doch nicht alles ablehnen, denn es bleibt die eine, heilige, katholische apostolische Kirche. Also die Konzilskirche bleibt trotz der modernistischen Irrtümer, welche die Kinder der Kirche zum Glaubensabfall hinführen, die heilige Kirche! Trotzdem sie eine in sich schlechte Liturgie hat, wie die Sprachregelung der Gemeinschaft unseres Traditionalisten lautet, trotz zweifelhafter Sakramente, trotz unheiliger Heiliger bleibt es die heilige Kirche?! – das ist schlicht und einfach absurd! Wie nicht anders zu erwarten, kommt unser Traditionalist aus dieser Absurdität auch nicht mehr heraus, er behauptet doch schlichtweg: „Der liebe Gott läßt zu, daß sie krank ist. Daher versuchen wir, uns diese Krankheit selber nicht zuzuziehen. Aber ohne zu sagen, daß wir dadurch eine neue Kirche bilden. [...] Die Krankheit ist die Krankheit, sie ist aber nicht die Kirche. Sie ist in der Kirche; diese bleibt aber was sie ist. [...] Selbstverständlich muß man gegen die Krankheit kämpfen. Diese kranke Kirche ist aber doch diese, die durch unseren Herrn gegründet wurde. Diese hat die Versprechen des ewigen Lebens.“ Daß manche der Hochw. Herren Traditionalisten mit Bildern und Gleichnissen nicht umgehen können, erlebt man wieder und wieder. Diese Bild ist aber schon eine außerordentliche Fehlleistung. In der katholischen Theologie spricht man niemals von einer kranken Kirche, sondern immer nur von kranken Gliedern in der Kirche. Nicht die Kirche ist krank, und sie kann im eigentlichen Sinne niemals krank sein, sondern nur manche ihrer Glieder. Es kann sogar sein, daß diese Glieder nur noch tote Glieder sind, wenn sie in der Todsünde leben, oder gar keine Glieder mehr, wenn sie sich durch die Sünde der Häresie, also des Unglaubens von der Kirche trennen. Wenn man dagegen das Kranksein auf die Kirche überträgt, fällt man selber in den Irrtum, weil man damit die Heiligkeit und makellose Reinheit der Kirche implizit leugnet. Dies führt dann zu einer Aussage wie dieser: „Diese kranke Kirche ist aber doch diese, die durch unseren Herrn gegründet wurde.“ So wie der Satz dasteht, ist er eine Blasphemie!

Damit wir uns nicht noch länger mit solchen absurden Ansichten herumplagen müssen, lassen wir sie beiseite und wenden uns nochmals dem großen Scheeben zu: „Wohl wahr: Die Heiligkeit der Kirche fordert nicht, daß alle ihre Glieder schon gleich subjektiv heilig seinen: aber das fordert sie, daß die Kirche als Anstalt alles tue, um Irrungen im Glauben und im Leben abzuhalten und abzuweisen und ihre Glieder zu immer größerer Heiligkeit zu führen. In dem Augenblicke, in welchem die Kirche als Anstalt religiöse Irrtümer dulden würde, die bereits in alle Schichten der Gesellschaft gedrungen sind, und die ganze Kirche nach Innen zu beschädigen und nach Außen hin in Verruf zu bringen drohen, in dem Augenblicke, wo die Kirche solche religiösen Irrtümer duldet, hörte sie auf, heilig zu sein. Der Flecken der Unreinheit würde sie selber treffen, sie hörte auf, die reine makellose Braut Jesu Christi zu sein, und all die Schönheit und all der Reiz und all der Schmuck, durch welche sie die Völker der Erde anzieht, wäre dahin. Doch das ist unmöglich; denn die Kirche ist wesentlich heilig und als Kirche bleibt sie durch die Jahrhunderte der Jahrhunderte, was sie wesentlich ist, die immerdar heilige, die unvergänglich heilige. Darum wird sie den Schmutz entfernen, mit dem eine hochmütige Wissenschaft ihre Glieder beflecken will; sie wird ihren Namen, den katholischen Namen, durch eine schärfere Fassung der Kriterien der Katholizität den Auchkatholiken gegenüber zu Ehren bringen, und indem sie ihr unbeflecktes Panier angesichts der Völker erhebt, wird sie alle verbesserlichen und edleren Elemente an sich ziehen, und man wird von diesem Tage nicht mehr von Auchkatholiken zu reden haben, sondern nur von Katholiken und Akatholiken.“

Haben Sie es aufmerksam gelesen? „In dem Augenblicke, wo die Kirche solche religiösen Irrtümer duldet, hörte sie auf, heilig zu sein ... Doch das ist unmöglich; denn die Kirche ist wesentlich heilig und als Kirche bleibt sie durch die Jahrhunderte der Jahrhunderte, was sie wesentlich ist, die immerdar heilige, die unvergänglich heilige.“ Aus dem Gesagten kann man eines mit vollkommener Sicherheit folgern: Die Konzilskirche mit ihren Irrtümern, ihren neuen Sakramenten, ihrem häretischen Kirchenrecht, ihren unheiligen Heiligen kann niemals die katholische Kirche sein. Daraus folgt aber auch weiter, der Vorsteher dieser akatholischen Gemeinschaft kann niemals wahrer Papst sein. Jedem Katholiken, der noch kein Auchkatholik geworden ist, ist das sicherlich evident, also unmittelbar und leicht einsehbar und einleuchtend. Etwas anders ausgedrückt: Wer einen Papst verteidigt, der den Glauben zerstört, der zerstört das Papsttum, er zerstört Wesen und Sinn des Papstamtes. Darum kann nur derjenige heute das Papsttum verteidigen, der diese Einsicht annimmt und ernst nimmt. Weigert er sich dagegen, diese Evidenz anzuerkennen, muß er sich einen Papst und eine Kirche zusammenbasteln, die mit der wahren Kirche Jesu Christi rein gar nichts mehr gemein hat. Daß mit der gewonnen Einsicht nicht alle Fragen beantwortet und alle Schwierigkeiten gelöst sind, das ist ebenfalls für jeden vernünftigen Menschen evident. Aber denken wir daran, Gott ist treu. Wenn Er eine solche Prüfung zuläßt, dann schenkt Er auch jedem die Gnade, in der Prüfung zu bestehen.

Vertrauen wir uns also in dieser schweren Zeit ganz besonders dem hl. Josef, dem Schutzpatron der hl. Kirche und seiner heiligsten Braut, der Siegerin in allen Schlachten Gottes, an, von der es am Fest Maria Himmelfahrt im Offertorium heißt: „Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinen Sprossen und ihrem Sohn.“