Zur Oktav von Christi Himmelfahrt

Unser Herr Jesus Christus ist in den Himmel aufgefahren, und Er hat Seine junge Kirche als kleine Herde zurückgelassen. Diese kleine Herde schart sich nun um Maria, die Mutter des Herrn, zusammen, und sie betet sich in die neuen gottgesetzten Aufgaben hinein. Man kann es wirklich nicht genug bedenken: die Kirche ist aus dem Gebet entstanden, und sie lebt auch durch alle Zeiten fort aus dem Gebet.

Der Herr hatte den Aposteln dieses Beispiel vorgegeben, da Er vor allen wichtigen Entscheidungen sich zurückgezogen hatte, um allein zu sein im Gebet. In inniger Zwiesprache mit dem Vater hatte Er alle wichtigen Entscheidungen getroffen und Seine Kirche gegründet. So tun es die Apostel nur ihrem Meister gleich, wenn sie sich nun neun Tage in die Stille des Abendmahlsaales zurückziehen, um zu beten. Neun Tage lang wollen sie flehen um den Heiligen Geist, der ihnen vom Herrn als Tröster verheißen wurde. Neun Tage lang wollen sie nichts anderes tun, als nochmals all das zu erwägen, was sie mit ihrem göttlichen Meister erlebt und von Ihm gelernt haben. Sie wollen sich ganz hineinversenken in den Geist Jesu Christi. Das fällt ihnen umso leichter, als sie Maria mitten unter sich haben. Maria ist ganz und gar erfüllt von ihrem göttlichen Sohn, und sie bringt ihnen allein durch ihr Dasein Seine Gegenwart wunderbar nahe. Im Gebet bleiben sie alle in der Gegenwart Christi, auch wenn Er schon im Himmel ist und zur Rechten Gottes des Vaters sitzt.

Die Apostel nehmen sich also Zeit für das Gebet. Sie wollen allen folgenden Generationen dieses besondere Beispiel geben und damit alle Menschen mahnen: Man muß sich Zeit nehmen für das Gebet, weil das Gebet das Wertvollste ist, was wir in dieser Welt tun können. Das Gebet ist die wichtigste Zeit in Leben. Leider wurde das seit Jahrhunderten immer mehr vergessen, ja schließlich ganz verkannt.

Spätestens seit der Reformation haben die Menschen das Verständnis für den alles überragenden Wert des Gebetes allmählich verloren. Die sog. Reformatoren hatten kein Verständnis mehr für das gottgeweihte Leben, d.h. für das Leben, das allein dem Gebet dienen soll, weil sie selber keine Männer des Gebetes mehr waren. Darum haben sie gegen die Klöster gewettert und die Menschen dazu aufgerufen, diese zu verlassen, ja sie zu zerstören.

Zur Zeit der Aufklärung hat sich dieser Ungeist noch weiter verbreitet und auch mehr und mehr die katholischen Gemüter ergriffen. Im Namen der Aufklärung wurden zunächst die kontemplativen Klöster, also diejenigen Klöster, die sich ausschließlich dem Gebet widmeten, entweder aufgelöst oder gezwungen, wenigstens eine karitative Aufgabe zu übernehmen. Hinter all diesen Maßnahmen verbirgt sich der große Irrtum, der besagt: Das Gebet ist nichts wert! Wenn jemand nur betet, dann hat er keinen Nutzen für die Gesellschaft. Beten produziert nämlich nichts, beten hilft niemandem in seiner Not weiter, beten schafft keine Güter, beten bringt kein Geld ein. Also ist Beten wertlos, und ein Orden, der nur betet, muß aufgehoben werden.

Und so ist es seit der Aufklärung immer weitergegangen. Das Gebet wurde immer noch mehr zurückgedrängt, bis es wirklich nur noch eine Randerscheinung des Lebens war. Keiner mehr nahm sich und nimmt sich noch wirklich Zeit zum Beten. Keiner hat mehr Zeit für seinen Gott. Für alles Mögliche und Unmögliche haben die Menschen Zeit, für Gott und das Gebet aber haben sie keine Zeit. Wenn man bedenkt, was sie Leute für den Sport, für das Vergnügen, für das Fernsehen, für ihre vielen Hobbys an Zeit aufwenden, dann ist es schließlich schon sehr verwunderlich, wenn sie anderseits behaupten, für Gott hätten sei keine Zeit.

Ich frage mich etwa zuweilen an unseren Herz-Jesu-Freitagen: Haben wirklich so wenig der Gläubigen Zeit für das Gebet? Ist es wirklich nur so wenigen ein Anliegen, dem Heiligsten Herzen Jesu für all die unzähligen Beleidigungen Sühne zu leisten? Es ist schließlich nicht viel mehr als eine Handvoll, die bis 21.00 Uhr vor dem Allerheiligsten ausharrt und das Göttliche Herz Jesu anbetet. Ich möchte bei den einzelnen nicht näher nachfragen, was ihnen denn so wichtig gewesen ist, daß sie nicht zur Anbetung kommen konnten! Wie viele unter uns ziehen dem Herzen Jesu ebenfalls irgendein Vergnügen vor oder den Fernseher oder irgendein Hobby usw. Einmal im Monat sich etwas Zeit nehmen für den Herrn, einmal im Monat 2 ½ Stunden aufzuwenden, um dem göttlichen Herzen Jesu in unserem Tabernakel Gesellschaft zu leisten, ist das wirklich zu viel verlangt?

Ich befürchte sehr, die Welt wird zugrunde gehen, weil die Beter fehlen. Ja, ich fürchte, die Welt muß zugrunde gehen, weil sie ohne Gebet nicht weiterbestehen kann, da die Gnade fehlt. Die Geschichte der letzten Jahrhunderte zeigt es uns ganz klar: Seit die kontemplativen Klöster mehr und mehr ausgerottet wurden, zerfiel das christliche Abendland mehr und mehr. Und seit auf dem sog. II. Vatikanischen Konzil die Kirche sich zur Welt gewandelt hat, ist nicht nur das Ordensleben zusammengebrochen, weil das Verständnis für das Gebet zerbrochen ist, sondern das ganze religiöse Leben. Schließlich hat die Neue Liturgie aus dem größten Gebet, das die Kirche als Erbe Christi besitzt, nämlich der heiligen Messe, eine Unterhaltungsfeier der Gemeinde gemacht. Damit ist die wichtigste Schule des Gebetes für das Volk zerstört worden. Die Neue Messe bringt keine Beter mehr hervor, sondern höchstens noch Charismatiker, also Menschen, die sich beim Gebet und mit dem Gebet unterhalten wollen. Da ist es nicht mehr so verwunderlich, daß heute die Mehrheit der Menschen das Radio oder den Fernseher dem Gebet vorziehen. Die elektronischen Medien haben lückenlos alle Atempausen des Lebens in Besitz genommen und dadurch dem Menschen jede Möglichkeit zu beten geraubt. Früher hatten wenigstens noch die älteren Menschen Zeit zum Gebet. Auch das gehört inzwischen der Vergangenheit an, heute läuft den ganzen Tag das Radio oder der Fernseher, anstatt daß der Rosenkranz gebetet wird. Wenn aber nicht mehr gebetet wird, dann zerbricht die Brücke zwischen Himmel und Erde, und der Mensch steht alleine da, allein ohne Gott und ohne Gnade, allein mit seiner Ohnmacht.

Wir bedenken wohl kaum, wenn wir keine Zeit mehr für Gott haben, dann wird eines Tages auch Gott keine Zeit mehr für uns haben. Und es ist ein furchtbarer Gedanke, daß dem Gott der Geduld die Geduld ausgehen könnte, daß Seine Geduld eines Tages am Ende sein könnte. Wir Menschen können uns nicht vorstellen, was wir mit dem Gebet alles verlieren. Mit dem Gebet verlieren wir nicht nur unseren Seelenfrieden, sondern auch jegliche übernatürliche Kraft, für das Reich Gottes zu wirken oder etwas für die Ewigkeit zu tun. Ein Mensch ohne Gebet ist das bedauernswerteste aller Geschöpfe.

Die hl. Magdalena Sophie Barat hat einmal einer Oberin folgende Anweisung mit auf den Weg zu ihrer neuen Stelle gegeben: „Je schwieriger Ihre Aufgabe ist, um so mehr benötigen Sie die Vereinigung mit Gott im Gebet. Ich erlaube ihnen also, alle verfügbare Zeit dem Gebet zu widmen. Allerdings werden Sie viel Arbeit haben, aber wenn man sich die Zeit gut einteilt, kann man derer mehr erübrigen, als man denkt. Trotz allem, was mir obliegt, kann ich dem Gebet doch sechs bis sieben Stunden weihen.“

Diese Worte schreibt eine Generaloberin von mehr als 3000 Ordensfrauen in über 80 Klöstern! Stellen sie sich einmal die Arbeitslast vor, und dennoch hat die Heilige täglich sechs bis sieben Stunden Zeit zu beten! Wir erliegen meist einer großen Täuschung. Es ist doch so, wir machen zunächst alle nötigen und auch unnötigen Arbeiten und geben dann Gott das, was vielleicht noch an Zeit übrigbleibt. Und natürlich bleibt immer recht wenig übrig, weil uns im Grunde gar nicht so viel daran liegt, daß wir mehr Zeit für Gott haben. Würden wir unsere Zeit besser einteilen, dann wäre sicher alles ganz anders und wir würden täglich erfahren, daß die Zeit, die wir Gott schenken, uns anderweitig vielfach zurückgeschenkt wird, weil uns die Dinge mit der Gnade Gottes viel leichter von der Hand gehen als ohne die Gnade. So aber kommen wir in den Teufelskreis der Geschäftigkeit, die man heute Streß nennt, und aus diesem kommen wir ohne Hilfe Gottes sicher nicht mehr heraus.

Hören wir dazu nochmals den Rat der hl. Magdalena Sophie Barat: „Liebe Addolorata, ich glaube, Ihnen einen Rat geben zu müssen. Sie beklagen, daß die Arbeit Ihnen eine Klippe sei. Sie ist es allerdings für viele Seelen, denen die Sorge für andere obliegt. Als Mittel gegen dieses Zerstören des inneren Lebens gibt es nur das Gebet, dann die Ruhe bei der Arbeit und die Gewohnheit, auf morgen zu verlegen, was man heute nicht fertig brächte, ohne sich aufzuregen und bisweilen seine geistlichen Übungen zu verkürzen. Bitten wir Jesus durch Maria, wie die Heiligen dahin zu gelangen, daß wir nicht auf eigenen Antrieb, sondern auf den Antrieb Jesu hin handeln: Er möge unsere Feder führen, unsere Worte einflößen, all unser Vorgehen leiten!“