Scandalum Crucis

Die hl. Liturgie nähert sich ihrem jährlichen Höhepunkt, der Karwoche mit den drei heiligen Tagen. Diese Woche bildet das Crescendo des liturgischen Dramas, in dem wir in geheimnisvoller, sakramentaler Weise mit dem Erlösungsgeschehen vor beinahe 2000 Jahren verbunden werden. Zunächst ist natürlich jede hl. Messe für sich eine sakramentale Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Jesu und damit auch des ganzen Geschehens unserer Erlösung. Dennoch werden durch die einzelnen liturgischen Feiern die Stationen dieser Erlösung jeweils gesondert gefeiert und es wird somit jedem ermöglicht, sich betend und mitfeiernd immer tiefer in die Geheimnisse des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu zu versenken und die im Erlösungsgeheimnis verborgenen Gnaden sich anzueignen.

Damit das möglichst vollkommen gelingt, müssen wir uns ganz einfach nur der uralten Liturgie der hl. Kirche anvertrauen. Ihre Texte entfalten uns einen Gedankenreichtum, den man ein ganzes Leben lang wieder und wieder erwägen kann und soll. Es gilt doch für die hl. Liturgie dasselbe, was schon Moses, dem Ordner des Alten Bundes und seines Gottesdienstes, gesagt worden war: „Schau her, und tu alles nach dem Bilde, das dir auf dem Berge gezeigt wurde!“ Dieser Berg ist für die hl. Kirche Golgotha. In dem Augenblick nämlich, als auf dem Berg Golgotha die hl. Kirche aus der Seite ihres sterbenden Erlösers, des zweiten und ewigen Adam, als neue Eva, als Mutter aller Lebendigen, ins irdische Dasein trat, wurde sie Zeugin und Mitwirkerin der einzigen und wahren Liturgie, die Christus im Angesicht des Himmels und der Erde selbst als ewiger Hohepriester des Neuen Bundes blutig feierte. Die hl. Kirche wurde Zeugin und Mitopferin des einen und allein Gott wohlgefälligen Opfers, das der eingeborene und menschgewordene Sohn Gottes seinem himmlischen Vater am Kreuz für die Sünden der Welt darbrachte.

Die Form aber, die wunderbare und unbegreifliche Art und Weise, wie sie dieses einmalige und für immer genugtuende Opfer des einen und ewigen Hohepriesters auch in der Zukunft jedem der sich folgenden Geschlechter der Menschen gegenwärtig machen und in ihrer Mitte darbringen sollte, damit alle Nachlaß ihrer Sünden und das Heil der Sohnesannahme fänden – dieses Urmodell der einen großen Liturgie, des gewaltigen Gotteswerkes, in dem der Vater durch das Opfer des Sohnes die Erlösung der Menschheit bewirkte, hatte Christus schon am Vorabend des blutigen Opfervollzuges seinen Aposteln im Abendmahlsaal übergeben. Durch sie, die ersten Liturgen und Priester der Kirche Jesu Christi, wurde diese einzigartige und wunderbare Opferliturgie allen künftigen Priestern als göttliches Mysterium übergeben und nach Form und Inhalt treuestens überliefert. Seither lebt das „Bild“, das der hl. Kirche „auf dem Berge Golgotha gezeigt wurde“, ein Bild von unbezweifelbarer Wirklichkeit und machtvollster gnadenhafter Wirkkraft, als Mysterium, Sakrament, Opfer, oder wie immer man es nennen mag, in ihrer Liturgie fort. Diese Liturgie ist das unaufhörliche Gotteswerk zum Heil der Welt, ist der tägliche ununterbrochene Gottesdienst der erlösten Menschen. Je mehr wir uns von dieser himmlischen Liturgie ergreifen und innerlich formen lassen, desto mehr wird die Wirklichkeit der Gnade unsere Seelen wunderbar verwandeln und durch diese Verwandlung wird das Ziel dieses makellosen Opfers erreicht.

Jahrhundertelang hat diese hl. Liturgie Menschen und Völker geformt. Jahrhundertelang hat sie wunderbare Werke der Kultur entstehen lassen, weil sie die Geister vollkommen erfüllte und himmelwärts bewegte. Erst mit der Neuzeit verliert sich diese weltbezwingende Macht mehr und mehr. Das Siegeszeichen des hl. Kreuzes wird für den modernen Menschen wieder zum Ärgernis. Das Scandalum Crucis, das Ärgernis des Kreuzes offenbart in einer ganz besonderen Weise die tiefsten Gedanken des Menschen, es zeigt unmittelbar, ob sie aus Gott sind oder nicht. Hatte doch schon der hl. Paulus in seinem ersten Brief an die Korinther geschrieben: „Wir aber verkünden Christus als Gekreuzigten: Für die Juden ein Ärgernis, für die Heiden eine Torheit; für die Berufenen aber, ob Juden oder Heiden, Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn Gottes ‚Torheit‘ ist weiser als die Menschen, und stärker als die Menschen ist Gottes ‚Schwachheit‘“ (1 Kor 1, 23-25).

"Scandalum Crucis" - Das Ärgernis des Kreuzes

Für die ersten Christen war die Botschaft vom Kreuzestod und der Auferstehung des göttlichen Erlösers eine Freudenbotschaft und Trostbotschaft, denn durch diesen Tod hat Jesus Christus alle Sünden der Welt gesühnt und durch Seine glorreiche Auferstehung das neue Leben in Gott verkündet. Alle, die an Jesus Christus glauben und nach diesem Glauben leben, werden das ewige Leben erlangen, das Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben (vgl. 1 Kor 2,9). Darum fordert der hl. Paulus die Christen auf: „Wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns als Opfergabe hingegeben hat, Gott zum lieblichen Wohlgeruch“ (Eph 5,2). Und der hl. Apostel Johannes schreibt an die sieben Gemeinden in Asien: „Gnade euch und Friede von dem, der ist und der war und der kommen wird, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind, und von Jesus Christus, dem treuen Zeugen, dem Erstgeborenen von den Toten, dem Herrscher über die Könige der Erde, der uns geliebt und uns durch sein Blut von unseren Sünden erlöst und uns zu einem Königreich, zu Priestern für Gott, seinen Vater, gemacht hat – ihm sei Ehre und Macht in alle Ewigkeit. Amen“ (Off 1,4-6).

Die Liebe Jesu, des göttlichen Erlösers, die sich vollkommen am Kreuz offenbart, hat langsam und unter einer Unzahl von Mühen und Opfern die Welt erobert und verwandelt. Millionen von Märtyrern haben für diese gekreuzigte Liebe ihr Leben hingegeben und damit Zeugnis für die Macht der Gnade und für ihren Glauben abgelegt, daß dieser Jesus, der am Kreuz gestorben und am dritten Tag von den Toten auferstanden ist, der Sohn Gottes ist und der einzige Weg zum ewigen Heil des Himmels. Die Offenbarung der gekreuzigten Liebe hat das christliche Morgen- und Abendland geboren.

Wie schwer fällt es uns jedoch, dieses Geheimnis des Kreuzes zu verstehen und noch schwerer fällt es uns, es recht zu leben. Wie kalt bleibt unser Herz angesichts der furchtbaren Leiden unseres göttlichen Erlösers. Lassen wir uns darum durch die Gedanken einer Mystikerin das Tor zum Geheimnis des Kreuzes einen Spalt weit auftun. Gott schenkt zuweilen besonders begnadeten Menschen tiefere Einsichten in die Geheimnisse unseres hl. Glaubens, die sie zum Wohl der Seelen weitergeben sollen. Die wahre Mystik interpretiert uns den hl. Glauben und das hl. Evangelium und hilft uns, lebendig mit unserem göttlichen Herrn verbunden zu sein. Werfen wir also einen kurzen Blick in die Tagebuchaufzeichnungen von Mechthild Thaller-Schönwerth, die man auch die Vertraute der Engel nannte. Irmgard Hausmann hat die Aufzeichnungen dieser außerordentlichen, aber ganz verborgen lebenden Frau veröffentlicht.

„Als der Herr auf dem Weg zum Ölberg war, wurde er furchtbar traurig, er sah voraus, daß die Jünger ihn verlassen würden. Er war nicht nur seiner selbst wegen, sondern auch um der Apostel willen so betrübt. Die Apostel waren alle gerührt, ihre Seelen waren fleckenlos. Sie fühlten sich eins mit ihrem göttlichen Meister. Als Jesus im Ölgarten angekommen war, war es neun Uhr abends. O Herr, Du Schöpfer der Menschen, wie zitterst Du doch vor Angst und Furcht! Wie fließen Deine bitteren Tränen! O könnte ich Dir doch helfen, könnte ich doch statt Deiner leiden! Als ich einst die schreckliche Todesangst Christi betrachtete, konnte ich mich nicht mehr fassen vor Mitleid und Schmerz. Da sprach mein liebster Jesus zu mir: ,Nicht nur für die gesamten Sünden der ganzen Welt habe ich am Ölberg so große Angst gelitten, o nein! Jede einzelne büßte und litt ich. Denn überfließend wie meine große Liebe sollte auch die Erlösungsgnade sein.‘ Eines der furchtbarsten Leiden Jesu war die tiefe Trauer über den Mißbrauch der Gnaden. Wenn wir nur wollten, könnten wir alle heilig werden, aber es fehlt am festen Willen und an treuer Beharrlichkeit.“

Am Ölberg leidet der göttliche Erlöser für alle Sünder aller Zeiten, aller Völker, aller Menschen. Seiner göttlichen Allwissenheit ist schließlich nichts verborgen. Er „sieht“ während Seiner Ölbergstunden jeden Menschen vor sich, und ER betet und bittet stellvertretend für ihn beim Vater um Erlösung. Wir sollen uns durch Mitleid mit diesem Leiden verbinden und den göttlichen Erlöser besonders darum bitten, die vielen Gnaden, für die ER so furchtbar hat leiden müssen, nicht zu mißbrauchen. Möge Jesus Christus um Seines bitteren Leidens willen in allen Versuchungen unseren Willen stärken und uns die Gnade der Beharrlichkeit schenken. Lassen wir uns aber von Mechthild Thaller noch ein wenig tiefer in dieses Geheimnis einführen: „Jesus erklärte sich bereit, alles anzunehmen, was ihm sein himmlischer Vater an Leiden schickt. O wunderbare Großmut, Allmacht der Liebe! Der Erlöser ist bereit, das Äußerste zu leiden, um den Sünder zu befreien! O Quelle der Liebe, ist es denn möglich, daß es noch etwas gibt, das ich nicht von Dir verlangen dürfte, da Du alles für mich leiden willst! Es gibt keine Leiden, keinen Schmerz, den Du, o Herr, nicht für uns gelitten hast. Er litt für uns alle Todesangst, auf daß wir ruhig sterben können. Den Verehrern seiner Todesangst am Ölberg verspricht die unendliche Liebe einen sanften Tod. Oft schon hat die Erfahrung die Wahrheit dieser Verheißung bestätigt.“

Im Leiden Jesu formt sich das neue Leben der Gnade, denn aus dem Leiden sind wir alle gnadenhaft geboren. Dies muß man natürlich dem neuen Leben auch ansehen. Der göttliche Lehrmeister gibt uns einige goldene Regeln für unser neues Leben aus der Gnade, eine davon heißt: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nicht nachfolgt, ist meiner nicht wert“ (Mt. 10,38). Mit „Kreuz“ sind hier die vielen „Kleinigkeiten“ des Alltags gemeint, die für uns so oft mühevoll, leidvoll, unangenehm, aufregend, niederdrückend, usw. sind. Dieses „Kreuz“ sollen wir gerne tragen – und zwar mit Jesus und für Jesus. Mechthild Thaller war eine hochbegnadete Kreuzträgerin, wie man aus ihren Aufzeichnungen herauslesen kann. Wie viel kann man von ihr lernen: „Als ich heute Morgen aus der Kirche kam, begegnete ich dem kreuztragenden Herrn. Ich hatte unsagbares Mitleid und beneidete Veronika um den Liebesdienst, den sie dem Herrn erweisen durfte. Der Herr tröstete mich liebevoll und sprach: ‚Sooft ein Mensch das Verlangen hat, mir in meinem Leiden ein Helfer und Tröster zu sein, rechne ich diese gute Absicht so hoch an, als ob er Simon von Cyrene oder Veronika gewesen wäre. Denn auch das kleinste Mitleid, das man meinem bitteren Leiden entgegenbringen kann, trägt große, ja tausendfältige Frucht. Wer das Kreuz auf Erden liebt, wird im Himmel die Glorie der Märtyrer besitzen.‘ Das erfreute mich, und ich fragte, ob im Himmel auch der Kreuzweg gebetet werde. ‚Der Kreuzweg wird im Himmel gefeiert und wird eine große Vermehrung der himmlischen Freuden derer sein, die ihn auf Erden oft gebetet und dieses Gebet verbreitet haben, denn das Kreuzwegbeten stammt von meiner Unbefleckten Mutter und die Kreuzwegbeter sind ihre bevorzugten Kinder.‘ Dann gab der Herr mir sein Kreuz, es ist groß und schwer, aber ich liebe es.“

Die Leidensmystik ist etwas vom tiefsten und zugleich zartesten, was unser hl. Glaube hervorgebracht hat. Viele Heilige haben sich so sehr in das Leiden Jesu versenkt, daß ihnen Gott besondere Gnaden des Mitleidens schenkte – Dann gab der Herr mir sein Kreuz, es ist groß und schwer, aber ich liebe es! Wenn wir das auch immer sagen könnten. Die Heiligen haben einen Einblick in das Leiden Jesu, der uns normalerweise nicht vergönnt ist. In ihren Visionen wird das Leben Jesu wieder lebendig, sie scheinen ganz in dieses Geheimnis hineingenommen.

Auch dafür noch ein Beispiel aus dem Tagebuch der Vertrauten der Engel: „Jetzt ist es still auf Kalvaria, das Volk hat sich verlaufen, nur mehr die Freunde Christi sind auf dem Leidensberg. Unsere liebe Frau hat wunde Augen, sie hat so viel geweint, ihr Antlitz ist so bleich wie das des toten Sohnes auf ihrem Schoß. Magdalena liegt auf ihren Knien und ihr Haupt liegt auf den Füßen Jesu. Maria nimmt mit zarter Hand die Dornenkrone vom Haupt des Herrn, ganz behutsam, wie um möglichst wenig Schmerz zu verursachen, zieht sie die Dornen heraus. Dann küßt die Schmerzensmutter die geliebten, nun gebrochenen Augen und den bleichen Mund, der ihr in Bethlehem so liebestrahlend entgegengelächelt hat. Dann reinigt sie mit einem in Wasser getauchten Schwamm die Wunden Jesu von Blut. Beim Anblick der schrecklich durchbohrten Hände schließt Maria einen Augenblick die tränenvollen Augen. Das Gelenk der linken Hand ist vollständig zerrissen, ebenso die Fingergelenke. Die rechte Hand, die stets nur zum Segen erhoben wurde, ist blau und fast ohne Haut. Die linke Seite längs der Rippen hinab ist auch vollständig ohne Haut. Auf der rechten Seite die weit klaffende Wunde. Der Speer drang hier so heftig ein, daß seine Spitze auf der linken Seite durchstach. Die Zeit von halb 6 bis halb 7 Uhr am Karfreitag gebe ich stets unserer schmerzhaften Mutter. Da leiste ich ihr Gesellschaft in ihrer Verlassenheit. Zum Schluß danke ich dem Herrn für die Treue, die ihm die ‚Heiligen unter dem Kreuz‘ erwiesen haben. Wenn dann unsere Liebe Frau vom Begräbnis heimkommt, dann warte ich schon auf sie und lege ihr in die reinsten mütterlichen Hände diejenigen, die meine Seele lieb hat. Statt des toten Sohnes gebe ich ihr das Teuerste, was ich habe. Ich danke Dir, Herr Jesu Christ, daß Du für mich gestorben bist. O laß Dein Blut und Deine Pein an mir doch nicht verloren sein! Amen.“

Das Kreuz des göttlichen Erlösers auf Golgotha ist für jeden Menschen eine große, ganz persönliche, sein ganzes Dasein treffende Herausforderung. Er kann diese göttliche Herausforderung annehmen oder sie zurückweisen. Der hl. Paulus klagt in seinem Philipperbrief: „Denn viele wandeln – ich habe von ihnen oft zu euch gesprochen und sage es jetzt unter Tränen – als Feinde des Kreuzes Christi“ (Phil 3,18). Vielen wird das Kreuz zum Ärgernis, zur Torheit, zum Anstoß und zum Gericht werden, denn: „Dann wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen. Da werden alle Stämme der Erde wehklagen. Sie werden den Menschensohn auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit kommen sehen“ (Mt 24, 30). Und beim hl. Johannes wird erklärt: „Das Gericht besteht aber darin: Das Licht ist in die Welt gekommen. Die Menschen aber hatten die Finsternis lieber als das Licht; denn ihre Werke waren böse“ (Joh 3, 19). Wer böse Werke tut, der scheut das Licht und liebt die Finsternis, damit seine Werke nicht offenbar werden. Darum soll sich jeder Mensch ehrlichen Herzens prüfen, wie es im Lukasevangelium so eindringlich heißt und im folgenden Gleichnisbild uns nahegebracht wird: „Die Leuchte des Leibes ist dein Auge. Ist dein Auge gesund, so ist dein ganzer Leib im Licht. Ist es aber krank, so ist dein Leib in Finsternis. Prüfe also, ob nicht etwa das Licht in dir Finsternis ist!“ (Lk 11, 34f). Ja, jeder muß immer wieder prüfen, ob nicht etwa das Licht in dir Finsternis ist. Am leichtesten gelingt diese Prüfung angesichts des Kreuzes, angesichts der gekreuzigten Liebe unseres göttlichen Erlösers und Herrn Jesus Christus. Wie schwer fiel es aber schon den hl. Aposteln zu begreifen, daß Jesus leiden müsse! „Von da an begann Jesus seinen Jüngern klarzumachen, er müsse nach Jerusalem gehen, vieles von seiten der Ältesten, Hohenpriester und Schriftgelehrten erleiden, getötet, und am dritten Tag auferweckt werden. Da nahm Petrus ihn beiseite, machte ihm Vorhaltungen und sagte: ‚Das möge Gott verhüten, Herr! Das darf dir nicht widerfahren!‘ Jesus aber wandte sich um und sagte zu Petrus: ‚Weg mit dir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis. Du folgst nicht den Gedanken Gottes, sondern denen der Menschen‘“ (Mt 16, 21ff).

Wenn es Petrus auch nur gut meint, so trifft ihn dennoch ein scharfer Verweis des göttlichen Lehrmeisters, denn wehe dem Menschen, der am Kreuz Ärgernis nimmt! Mit dem Ärgernis am Kreuz kommt nämlich die Finsternis ins Herz – wie der hl. Paulus sagt: „Das Wort vom Kreuz gilt freilich denen, die verlorengehen, als Torheit, uns aber, die gerettet werden, als Gottes Kraft“ (1 Kor 1,18). Schon vom ersten Augenblick des Christentums an gab es Menschen der Finsternis, die das Kreuz Christi nicht annehmen wollten. So wollte etwa die sog. Irrlehre der Gnosis keinen Gott dulden, der unter so furchtbaren Schmerzen ohnmächtig am Kreuz stirbt, weil sie an die Menschwerdung Gottes nicht glaubten. Für sie hatte Jesus nur einen Scheinleib angenommen, ist ja die ganze materielle Welt vom Bösen. Als Gott konnte er deshalb natürlich auch nicht leiden oder ohnmächtig den Schergen ausgeliefert werden. Die Gnostiker wollten das Ärgernis des Kreuzes beseitigen und begriffen nicht, daß sie damit auch die Wirklichkeit der Erlösung zerstörten. Ein Beispiel dafür ist Basilides, einer der führenden Gnostiker des zweiten Jahrhunderts: „Wie aber der ungezeugte und unnennbare Vater ihre Verderbtheit sah, sandte er seinen eingeborenen Nous (Verstand), der Christus genannt wird, um die, welche an ihn glauben würden, von der Herrschaft jener zu befreien, die die Welt gemacht haben. Er erschien auch ihren Völkern auf Erden als Mensch und vollendete die Kräfte. Aber er hat nicht gelitten, sondern ein gewisser Simon von Zyrene, den man zwang, für ihn das Kreuz zu tragen. Dieser wurde irrtümlich und unwissentlich gekreuzigt, nachdem er von ihm verwandelt war, so daß er für Jesus gehalten wurde. Jesus aber nahm die Gestalt des Simon an und lachte sie aus, indem er dabeistand, Er war ja die unkörperliche Kraft und der Nous des ungezeugten Vaters, deswegen konnte er sich nach Belieben verwandeln und stieg so wieder zu dem hinauf, der ihn gesandt hatte, indem er derer spottete, die ihn nicht halten konnten, und unsichtbar für alle war. Befreit also sind, die dies wissen, von den Schöpferfürsten der Welt. Nicht den Gekreuzigten darf man bekennen, sondern den, der anscheinend gekreuzigt wurde, Jesus hieß und vom Vater gesandt wurde, um durch diese Veranstaltung die Werke derer zu zerstören, die die Welt gemacht haben. Wer also noch den Gekreuzigten bekennt, der ist ein Sklave und unter der Gewalt jener, welche die Körperwelt gemacht haben; die anderen aber sind ihrer Macht ledig, sie wissen, wie es der ungezeugte Vater geordnet hat“ (Nach Irenäus, Adversus haereses, I, 24, 4; übersetzt v. E. Klebba).

Diese gnostische Sicht Jesu findet sich übrigens auch im Koran wieder. In der Sure 4,156 heißt es: Jesus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern ein anderer „wurde ihm ähnlich gemacht“, während er zum Himmel erhoben wurde. Da der Islam keine Erbsündenlehre kennt, besteht natürlich auch keine Notwendigkeit einer Erlösung durch den Tod Jesu.

Ein anderer Grund, Ärgernis am Kreuz zu nehmen, war zur Zeit des Urchristentums in den ersten Jahrhunderten, die Sittenverderbnis des Heidentums. Für die Heiden war das Christentum eine stillschweigende Anklage, die sie nicht dulden wollten. Darum verfolgt das Heidentum die Christen drei Jahrhunderte lang auf blutigste Weise.

Klemens von Alexandrien hat in seiner „Mahnrede an die Heiden“ („Protreptikos“) mit großer Schärfe herausgestellt, daß der Unterschied zwischen den pantheisierenden Naturkulten der Heiden und dem christlichen Gottesdienst des Schöpfergottes mit seinen sittlichen Geboten seinen eigentlichen Grund in einem ganz verschiedenartigen, ja gegensätzlichen Existenzverhalten des Menschen hat. Für Klemens stehen die Heiden bei weitem nicht auf gleicher Existenzebene mit den Christen, so daß sich ihnen gegenüber rein sachlich argumentieren und diskutieren ließe. Er konnte sich deswegen nur mit einer „Mahnrede“ an die Heiden wenden, mit der er die geistig Schlafenden und Betäubten beschwören möchte, um sie zur nüchternen Wachheit aufzuschrecken. Er ruft ihnen zu: „Ihr Unvernünftigen seid Leuten ähnlich, die Mandragora (Ala run) oder ein anderes Gift zu sich genommen haben. Gott verleihe euch, daß ihr aus diesem Taumelschlaf wieder erwacht und Gott erkennt“ (Clemens von Alexandria, Mahnrede an die Heiden. Übersetzt v. C. Stählin 1934, S. 178.).

Klemens kann sich in seiner Rede nicht mit verschleierten Hinweisen begnügen, sondern er muß mit aller Deutlichkeit die seelischen Wurzeln der phantastischen Göttergeschichten aufdecken. Diesen Göttergeschichten setzt er das Licht der Wahrheit (des göttlichen „Logos“) entgegen, das von oben kommt, Nüchternheit schafft und dem Nüchternen leuchtet, während die Göttergeschichten nur belebt und am Leben erhalten werden durch „die schwärmenden Dichter, die bereits völlig trunkenen, mit Epheu bekränzten, die in bacchischer Raserei völlig von Sinnen gekommen sind“ (S. 72).

Unverblümt erklärt Klemens den Heiden: „Ich werde euch das Verborgene ganz offen nennen, ohne mich zu scheuen, das zu sagen, was anzubeten ihr euch nicht scheut. Die ‚Schaumgeborene‘ also, ,die auf Kypros Geborene‘, die Geliebte des Kinyras — ich meine die Aphrodite, die Philomedes heißt, weil sie aus der Medea entsprang, nämlich aus jenen abgeschnittenen Zeugungsgliedern des Uranos, den wollüstigen, die noch, nachdem sie abgeschnitten waren, die Wogen vergewaltigten —, was für eine würdige Frucht der wollüstigen Glieder habt ihr an ihr! In den feierlichen Gebräuchen zu Ehren dieser Meereslust wird als Zeichen der Zeugung ein Salzkorn und ein Phallos denen übergeben, welche in die unkeusche Kunst eingeweiht werden; die Mysten aber bringen ihr eine Münze dar, wie ein Liebhaber einer Dirne. — Die Mysterien der Deo aber sind die Liebesverbindung des Zeus mit seiner Mutter Demeter und der Zorn seiner Mutter oder Gattin — ich weiß nicht, wie ich sie fortan nennen soll — Deo, die wegen ihres Zornes den Namen Brimo erhalten haben soll, und Anrufen des Zeus und Gallentrank und Herausreißen von Herzen und unsagbares Tun. Die gleichen Gebräuche vollziehen die Phryger zu Ehren des Attis und der Kybele und der Korybanten. Es wird aber erzählt, daß Zeus einem Widder die Hoden abgerissen und der Deo mitten in den Schoß geworfen habe, indem er so zum Schein Buße für seine Vergewaltigung leistete, indem er fälschlicherweise vorgab, sich selbst entmannt zu haben ... Soll ich auch noch das übrige erzählen? Demeter gebiert ein Kind, Kore wächst heran, und eben der Zeus, der sie erzeugte, verbindet sich wieder mit Pherephatta, seiner eigenen Tochter, wie zuvor mit der Mutter Deo, ohne mehr an den früheren Frevel zu denken — Vater und Verführer des Mädchens ist Zeus! Und zwar verbindet er sich mit ihr in Gestalt einer Schlange, wobei sich zeigte, was er wirklich war. Bei den sabazischen Mysterien ist das Symbol für die Mysten ,Der Gott im Busen‘; das aber ist eine Schlange, die denen, die eingeweiht werden, durch den Busen gezogen wird, ein Beweis für die Unkeuschheit des Zeus. Auch Pherephatta gebiert ein Kind, und zwar mit Stiergestalt“ (S. 85 f.).

Zählt Eros (der Gott der Liebe) auch zu den ältesten Göttern, so haben ihn doch nur krankhafte Zügellosigkeit und „zuchtlose Begierde zur Gottheit gemacht“ (S. 117). Eure Götter — sagt Klemens seinen Lesern — „sind die Urbilder für eure eigene Wollust, das sind die göttlichen Lehren der Zuchtlosigkeit, das der Unterricht der zusammen mit euch hurenden Götter ,denn was einer will, das glaubt er auch immer‘, wie der Athenische Redner sagt. Was habt ihr aber auch sonst für Bilder! Kleine Panfiguren und nackte Mädchen und trunkene Satyrn und aufgerichtet Zeugungsglieder, die auf den Gemälden schamlos dargestellt und wegen der Zuchtlosigkeit zu verurteilen sind. Ferner schämt ihr euch nicht, ganz offen vor allem Volk gemalte Darstellungen der ärgsten Zügellosigkeit zu betrachten, haltet sie vielmehr noch in Ehren, wenn sie aufgestellt sind, begreiflicherweise, da es ja die Bilder eurer Götter sind; und in euren Häusern habt ihr Denkmäler der Schamlosigkeit den Göttern geweiht, indem ihr die Stellungen der Philainis (einer Dirne) in gleicher Weise abbilden laßt wie die Arbeiten des Herakles. Wir verkündigen, daß man nicht daran denken darf, solch schändliche Dinge zu tun oder auch nur anzusehen oder anzuhören. Eure Ohren haben Unzucht, eure Augen Hurerei getrieben und, was das Unerhörteste ist, schon vor der Umarmung haben eure Blicke die Ehe gebrochen“ (S. 137).

Wenn die Gedankenwelt des Menschen ganz von der Wollust der Geschlechtsgier angefüllt ist, gleichgültig ob er ihr nur in der Phantasie oder in der Wirklichkeit nachkommt, dann ist er nicht mehr fähig, eine christlich sakramentale Einehe zu führen – schon vor der Umarmung haben eure Blicke die Ehe gebrochen.

Nach einer eingehenden Schilderung der heidnischen Mysterien faßt Klemens in wuchtigen Sätzen die Greuel des Heidentums nochmals zusammen: „Das sind die Mysterien der Gottlosen; gottlos nenne ich aber mit Recht die, welche den wahrhaft seienden Gott nicht kennen, dagegen ein von den Titanen zerrissenes Kind (= Dionysos) und ein trauerndes Weib und Glieder, die man in der Tat vor Scham nicht nennen kann, schamlos verehren, so daß sie in doppelter Gottlosigkeit befangen sind, einmal weil sie von Gott nichts wissen, den wahrhaft seienden Gott nicht kennen; der zweite Irrtum aber ist der, daß sie die nicht Seienden für seiend halten und sie Götter nennen, sie, die nicht wirklich sind, vielmehr überhaupt nicht sind, sondern nur den Namen erhalten haben“ (S. 92).

Bedenkt man diese Schilderung, so muß man einsehen: Zwischen den Naturkulten, die den Sexus divinisieren und dabei jede ethische Haltung beiseite schieben, und der Auffassung der Bibel von der Geschlechtlichkeit, welche Teil einer Schöpfungsordnung bildet, besteht eine Kluft, wie sie größer nicht gedacht werden kann. Es kann deswegen zwischen den beiden einander ausschließenden Gegensätzen keinen Kompromiß geben. Daraus wird der unerbittliche Kampf des Heidentums gegen das Christentum verständlich. Der Heide war nicht bereit, sein Leben zu ändern, sein unsittliches Treiben aufzugeben. Für ihn war deswegen die Religion des Kreuzes ein ständiges Ärgernis, das er zu beseitigen wünschte. Das Joch der Liebe Christi erschien ihm viel zu drückend und die Bürde der göttlichen Gebote unerträglich schwer, darum hat er beides entrüstet von sich gewiesen.

Publius Cornelius Tacitus (um 58-120 n.Chr.), römischer Historiker und Senator beschrieb die Zeit der Verfolgung: „Und so wurden zuerst die Personen verhaftet, die sich als Christen bekannten … und sie wurden nicht nur des Verbrechens der Brandstiftung, sondern auch des Hasses gegen das Menschengeschlecht für schuldig gefunden. Und mit den Todgeweihten trieb man noch seinen Spott: man hüllte sie in Tierhäute und ließ sie von Hunden zerfleischen, oder sie wurden ans Kreuz geschlagen und für den Flammentod bestimmt, nach Tagesschluss als Beleuchtung für die Nacht verbrannt.“ Und der Apologet Minucius Felix (spätes 2./frühes 3. Jh. n.Chr.) berichtet darüber, wie die Heiden über die Christen dachten: „Sie bilden eine gemeine Verschwörerbande, die sich in nächtlichen Zusammenkünften, bei Feierlichkeiten mit Fasten und menschenunwürdiger Speise nicht im Kult, sondern im Verbrechen verbrüdern; eine obskure, lichtscheue Gesellschaft, stumm in der Öffentlichkeit, in Winkeln geschwätzig; Tempel verachten sie, als ob es Gräber wären, vor Götterbildern speien sie aus, verlachen die heiligen Opfer.“

Genauso wie es Jesus vorhergesagt hatte, war es auch gekommen: „Der Bruder wird den Bruder, der Vater den Sohn dem Tod überliefern. Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie töten. Um meines Namens willen werdet ihr von allen gehaßt werden. Wer aber ausharrt bis zum Ende, der wird gerettet werden“ (Mt 10,21f).

Das Blut der Märtyer wurde aber ein Same für die Kirche, wie Tertullian Anfang des dritten Jahrhunderts schrieb, also zu der Zeit als die Christenverfolgung im Römischen Reich auf dem Höhepunkt stand. Schließlich hatte das Kreuz doch noch gesiegt – eines Tages kam für die Christen die Freiheit, und das Kreuz konnte die Welt erobern. Bis ins späte Mittelalter hinein wurde durch Fasten und Gebet und Opfer vor allem durch die Mönche das christliche Abendland geschaffen.

Impleta sunt, quae concinit
David fideli carmine
dicendo nationibus:
Regnavit a ligno Deus.

Erfüllt ward, was verkündet hat
David in verlässlichem Gesang,
als er den Völkern sagte:
Es herrscht vom Holze herab Gott.

Regnavit a ligno Deus – Es herrscht vom Holze herab Gott!

Aber immer begleitete auch das Ärgernis des Kreuzes die Geschichte. Der stolze Mensch begann sich wieder mehr und mehr aufzulehnen, und er wollte sich dem Gesetz des Kreuzes allmählich nicht mehr beugen, sondern er wollte wieder einmal sein wie Gott. Spätestens mit der Renaissance begann die Gesellschaft sich wieder Schritt für Schritt von Christus und seinem Kreuz loszusagen. Mit dem Wiederaufleben des Heidentums verbunden, erstand auch der prometheussche Geist der Selbsterlösung wieder neu. Der aufgeklärte Mensch wollte schließlich autonom sein, unabhängig von jeder Autorität – letztlich natürlich von Gott und der Wahrheit, d.h. unabhängig vom Kreuz Jesu Christi. Am Vorabend der französischen Revolution schrie Voltaire, „der Hoflieferant des Satans“, wie ihn der Freigeist Dr. Brandt nannte: „Ecrasez l´infame, rottet sie aus, die Verruchte, die Kirche!“

Im Jahre 1832 schreib Papst Gregor XVI. in seinem Apostolischen Rundschreiben, Mirari vos arbitramur, zurückblickend auf die Revolution, die Napoleonischen Kriege und die ganzen damit verbundenen gewaltsamen Umwälzungen, Nöte und Schicksale der Kirche und der Völker: „Wir sprechen von Dingen, Ehrwürdige Brüder, die Ihr mit eigenen Augen seht und die wir gemeinsam beweinen. Unrecht, unverschämte Wissenschaft, zügellose Freiheit feiern freche Siege. Verachtet wird die Heiligkeit gottgeweihter Dinge; die Hoheit der Gottesverehrung, welche sonst so große Macht und so großen Einfluß besitzt, wird von nichtswürdigen Menschen geschmäht, geschändet, verhöhnt: und daher wird die richtige Lehre verdreht, und Irrtümer aller Art werden frech verbreitet. Nichts ist sicher vor der Frechheit jener Leute, deren Mund nur Unrecht spricht: nicht Gesetze über heilige Dinge, nicht Rechte, nicht Einrichtungen, nicht uralt-heiligste Gebote. Sehr schlimm wird bedrängt dieser Unser Römischer Stuhl des heiligen Petrus, in welchen Christus den Grund Seiner Kirche legte. Die Bande der Einheit werden von Tag zu Tag mehr gelockert und zerschnitten. Die göttliche Rechtshoheit der Kirche wird bekämpft, und nachdem man ihre Rechte gebrochen, wird sie irdischem Willkürrecht unterworfen; nachdem man sie in schmähliche Knechtschaft gebunden, wird sie in größter Ungerechtigkeit dem Hasse der Völker preisgegeben. Der den Bischöfen schuldige Gehorsam wird gekündigt, ihre Rechte werden mit Füßen getreten. Schauerlich widerhallen Hoch- und Mittelschulen von neuen ungeheuerlichen Irrtümern, durch welche der katholische Glaube nicht mehr bloß insgeheim und hinterrücks angegriffen wird, sondern ihm offen und laut ein schrecklicher und unerbittlicher Krieg angesagt wird. Man hat durch Schulordnungen und durch das Beispiel der Lehrer den Geist der Jugend verdorben; und so kam ein ungeheurer Niedergang des Glaubens und eine entsetzliche Verderbnis der Sitten. In der Folge verwarf man gänzlich den Zügel des heiligen Glaubens, durch den die Reiche bestehen und jede Herrschaft ihre Kraft und Stärke erhält. Und jetzt sehen Wir den Untergang der öffentlichen Ordnung, den Fall der Obrigkeit, den Umsturz jeder gesetzlichen Macht näher und näher rücken. Diese Flut von Übeln ist der Verschwörerarbeit jener geheimen Gesellschaften zuzuschreiben, in die wie in einen Schmutzkanal alles zusammenströmte, was je in den Irrlehren und verderblichsten Sekten gottesräuberisch und gotteslästerlich war.“

Dennoch fanden die Menschen nicht mehr zu Christus und zum Kreuz zurück. Im Gegenteil, immer neue Götzen wurden aufgestellt, neue ethische Werte im Gegensatz zu den alten Werten der christlichen Erlösung gesetzt, und ein Prozeß der „Umwertung aller Werte“ vollzog sich. Gott wurde entthront, Christus wieder mit dem Purpurmantel der Verspottung und Verhöhnung umkleidet. Einer der größten Rebellen gegen Christus und gegen die Kirche, Adolf Hitler, sprach mit aller Deutlichkeit aus, was der antichristlich gewordene Zeitgeist fühlte und wollte, wenn er in seinen Gesprächen mit Hermann Rauschning (Die Wandlung 1 S. 685) sein Bekenntnis gegen Christus ablegte: „Wir beenden einen Irrweg der Menschheit. Die Tafeln vom Berg Sinai haben ihre Gültigkeit verloren. Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung. Es gibt keine Wahrheit, weder im moralischen noch wissenschaftlichen Sinne. Jede Tat ist sinnvoll, selbst das Verbrechen. Die Vorsehung hat mich zu dem größten Befreier der Menschheit vorbestimmt. Ich befreie den Menschen von dem Zwange eines Selbstzweck gewordenen Geistes; von den schmutzigen und erniedrigenden Selbstpeinigungen einer Gewissen und Moral genannten Chimäre und von den Ansprüchen einer Freiheit und persönlichen Selbständigkeit. Der christlichen Lehre von der unendlichen Bedeutung der menschlichen Einzelseele und der persönlichen Verantwortung setze ich mit eiskalter Klarheit die erlösende Lehre von der Nichtigkeit und Unbedeutsamkeit des einzelnen Menschen und seines Fortlebens in der sichtbaren Unsterblichkeit der Nation gegenüber. An die Stelle des Dogmas von dem stellvertretenden Leiden und Sterben eines göttlichen Erlösers tritt das stellvertretende Leben und Handeln des neuen Führergesetzgebers, das die Masse der Gläubigen von der Last der freien Entscheidung entbindet.“

Es gibt in den Annalen der Weltgeschichte nicht viele Dokumente, aus denen die Verheißung: „Ihr werdet sein wie Gott“, der Trotz des Satans gegen Christus schärfer herausleuchtete als aus diesen vermessenen Worten. Führung von Menschen, Autorität ohne die Verankerung in den Geboten Gottes ist nicht möglich. Sie führt auf dem Wege der Selbsterlösung unmittelbar in den Abgrund. Andererseits erkennt man aus den Worten Hitlers deutlich, daß die modernen Ideologien sich im Grunde immer ähneln. Mögen auch die Umstände sich wandeln, der antichristliche Geist verbindet sie alle miteinander, die Ablehnung der Erlösung durch Jesus Christus und Sein hl. Kreuz erzeugt letztlich immer ähnliche Geistesmuster. Man muß sich nur offenen Auges umsehen in unserer modernen Unkultur des Todes.

Denken wir während dieser Karwoche daran, Gott für unseren Glauben an das Kreuz Jesu Christi zu danken. Es ist eine so große Gnade, das Kreuz recht verstehen und es sogar lieben zu dürfen – und nicht daran Ärgernis zu nehmen wie die vielen vielen anderen Menschen heute. Und eines wird sich sicher zeigen und soll uns jetzt schon zum Trost gereichen: Stat crux dum volvitur orbis (das Kreuz steht fest, während die Welt sich dreht)!