Vom rechten Fasten

Zum Fest des hl. Thomas von Aquin und gleichzeitig ersten Freitag der Fastenzeit bringen wir hier eine Zusammenfassung der Darlegungen des Heiligen über Sinn, Umfang und rechte Weise des kirchlichen Fastens nach seiner "Summa Theologica" (IIaIIae q.147). Wir weisen darauf hin, daß sich die Fastenvorschriften seit der Zeit des hl. Thomas mehrfach geändert und wir es daher nicht mit den für uns heute gültigen Geboten zu tun haben. Dennoch schadet es nichts, auf diese Weise in den Geist des Fastens einzudringen, der im Mittelalter sicher noch mehr präsent war als heute.

1. Ist das Fasten ein tugendhafter Akt (q.147 a.1)?

Wir nennen eine Handlung tugendhaft, wenn sie durch die Vernunft auf ein ehrenhaftes Gut ausgerichtet ist. Das aber ist beim Fasten der Fall. Das Fasten wird nämlich zu einem dreifachen Zweck unternommen: Erstens, um die Begierlichkeit des Fleisches zu unterdrücken. Daher sagt auch der Apostel in 2 Kor 6,5f: „in Fasten, in Keuschheit“, weil durch das Fasten die Keuschheit bewahrt wird. Wie nämlich der heilige Hieronymus sagt: „Ohne Ceres und Bacchus ist Venus kraftlos“, d.h. durch Enthaltung von Speise und Trank kühlt sich die Geschlechtslust ab. – Zweitens wird das Fasten dazu unternommen, daß sich der Geist freier erheben kann zur Betrachtung der erhabenen Dinge. Daher heißt es in Dan. 10,3ff, daß er (Daniel) nach drei Tagen Fasten eine Offenbarung von Gott erhielt. – Drittes Ziel ist die Buße für die Sünden, weshalb es beim Propheten Joel heißt: „Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen, mit Fasten, Weinen und Klagen!“ (Joël 2,12)

In diesem Sinn sagt der heilige Augustinus in seiner Predigt „De oratione et ieiunio“: „Das Fasten reinigt den Geist, hebt den Sinn, unterwirft das Fleisch dem Geist, macht das Herz zerknirscht und demütig, vertreibt die Nebel der Begierlichkeit, löscht die Glut der Lüste und entzündet das Licht der Keuschheit.“ Daher ist klar, daß das Fasten ein Akt der Tugend ist.

Ein erster Einwand lautet, daß das Fasten wohl nicht immer tugendhaft ist, denn so klagt schon der Prophet Isaias: „Warum fasten wir, du siehst es aber nicht?“ (Is 58,3). Der heilige Thomas antwortet, daß eine Handlung, die an sich tugendhaft ist, durch irgendwelche damit verbundene Umstände fehlerhaft werden kann. Deshalb fährt der Prophet Isaias auch fort: „Sehet, an eurem Fasttag findet ihr ein Geschäft, all eure Unternehmen betreibt ihr! Seht, zu Streit und Hader fastet ihr und zum Schlagen mit ruchloser Faust; ihr fastet zur Zeit nicht so, daß man in Himmelshöhen euren Gebetsruf hört!“ (Is 58,3f) Dazu kommentiert der heilige Gregorius: Mit dem Geschäft ist das Vergnügen gemeint, das Schlagen entspringt dem Zorn. Umsonst aber wird der Leib durch Enthaltsamkeit gezüchtigt, wenn sich gleichzeitig der Geist in ungeordneten Regungen ergeht. Der heilige Augustinus aber sagt in seiner angeführten Predigt, daß „das Fasten die Geschwätzigkeit nicht liebt, Reichtümer für überflüssig hält, den Stolz verschmäht, die Demut empfiehlt, dem Menschen die Selbsterkenntnis beschert, daß er nämlich äußerst gering und schwach ist.“

Ein zweiter Einwand lautet, daß die Tugend immer in der Mitte liegt und das rechte Maß verlangt. Beim Fasten aber wird das rechte Maß doch unterschritten und der Natur entzogen, was ihr nötig wäre. Dazu sagt der heilige Thomas, daß die Mitte bei der Tugend nicht nach der Menge zu messen ist, sondern nach der rechten Vernunft. Die Vernunft aber sagt uns, daß aus einem bestimmten Grund ein Mensch bisweilen weniger Nahrung zu sich nehmen soll als ihm gewöhnlich zukäme, z.B. wegen einer Krankheit oder wegen besonderer körperlicher Leistungen. Umso mehr wird dies vernünftigerweise unternommen, um geistige Übel zu meiden und Güter zu erlangen. Freilich darf man das Fasten nicht so weit treiben, daß die Erhaltung der Natur nicht mehr gewährleistet ist. So sagt der heilige Hieronymus, es mache keinen Unterschied, ob man sich in langer oder kurzer Zeit tötet, und daß derjenige sein Opfer aus einem Raub darbringt, der entweder durch allzugroßen Nahrungsentzug oder durch Mangel an Essen und Schlaf in unmäßiger Weise seinem Leib schadet. Auch dann wird die rechte Vernunft verletzt, wenn ein Mensch durch übermäßiges Fasten unfähig wird, seine Pflicht zu tun. So sagt der heilige Hieronymus, daß der vernünftige Mensch seine Würde verliert, wenn er das Fasten der Liebe oder die Nachtwachen der Sammlung der Sinne vorzieht.

Das natürliche Fasten, also nur in dem Sinn genommen wie jemand fastet, bevor er etwas ißt, also als einfache Nüchternheit, besteht in einer reinen Negation. Es bedeutet einfach Nicht-essen und kann daher nicht Tugend genannt werden. Dazu ist ein vernünftiger Grund erforderlich, um dessen willen sich jemand der Speise enthält.

2. Zu welcher Tugend gehört das Fasten (a.2)?

Das Fasten ist ein Akt der Tugend der Enthaltsamkeit. Es besteht im eigentlichen Sinn darin, daß man sich von Speisen enthält. In einem metaphorischen Sinn kann man freilich sagen, das Fasten bestehe in der Enthaltung von jedwedem schädlichen Einfluß, darunter besonders die Sünden. Man kann auch sagen, das Fasten bedeute im eigentlichen Sinn die Enthaltung von allen Verlockungen, denn durch jeden damit verbundenen Fehler hört es ja auf, ein tugendhafter Akt zu sein (s.o.).

Eine tugendhafte Handlung kann ohne weiteres ihrerseits auf eine andere Tugend hingeordnet werden. Daher kann das Fasten durchaus der Religion oder der Keuschheit oder sonst einer Tugend dienstbar gemacht werden, ohne deswegen aufzuhören, ein Akt der Tugend der Enthaltsamkeit zu sein.

Auf den Einwand, das Fasten sei doch eher ein Akt der Tugend der Tapferkeit angesichts all der Beschwerlichkeiten und Kämpfe, denen man sich dabei mutig zu unterziehen hat, antwortet der Aquinate, daß die Tapferkeit sich im eigentlichen Sinn nicht auf das Ertragen jedweder Schwierigkeit bezieht, sondern auf die Tapferkeit in der Todesgefahr. Beim Fasten aber geht es in erster Linie um das Ertragen lästiger Empfindungen des sinnlichen Begehrens, die aber der Tugend der Mäßigkeit oder Enthaltsamkeit unterliegen.

3. Ist das Fasten geboten (a.3)?

Wie es den weltlichen Regierenden zukommt, Gesetze und Vorschriften zu erlassen zur Auslegung des Naturrechts in bezug auf das Gemeinwohl in zeitlichen Dingen, so kommt es den Autoritäten der Kirche zu, festzusetzen und vorzuschreiben, was dem Allgemeinwohl der Gläubigen dient im Hinblick auf die geistlichen Güter. Nun haben wir jedoch festgestellt, daß das Fasten dienlich ist zum Abtragen und Verhindern von Schuld sowie zur Erhebung der Seele zu geistigen Dingen. Jeder einzelne ist schon von der Natur her verpflichtet, das Fasten insoweit in Anwendung zu bringen, als es ihm zu den genannten Zwecken notwendig ist. Daher fällt das Fasten allgemein unter das Naturrecht. Aber die genaue Festlegung der Zeit und der Art des Fastens nach Übereinkunft und Nutzen des christlichen Volkes fällt unter das positive Recht und ist von den kirchlichen Autoritäten festzusetzen. Dies nennen wir das kirchliche Fasten, das andere das natürliche.

Auch wenn vielleicht der einzelne das Fasten nicht so nötig hat, so ist es doch so, daß die Mehrheit der Menschen dessen bedarf, denn „in vielem fehlen wir alle“ (Jak 3,2) und „das Fleisch begehrt auf wider den Geist“ (Gal 5,17). Daher war es angemessen, daß die Kirche ein allgemein von allen zu beobachtendes Fasten vorschrieb, das sich nicht auf das bezieht, was der einzelne nötig hat, sondern was allgemein notwendig ist.

Ein allgemeines Gesetz verpflichtet nicht alle in der gleichen Weise, sondern je nachdem, was notwendig ist im Hinblick auf den Zweck, den der Gesetzgeber im Auge hatte. Verachtet jemand durch seine Übertretung des Gebotes die Autorität des Gesetzgebers oder übertritt er das Gebot in einer Weise, daß dessen Sinn verfehlt wird, so begeht er eine schwere Sünde. Hält sich aber jemand aus einem vernünftigen Grund nicht an das Gebot, besonders in einem solchen Fall, wo auch der Gesetzgeber selbst, falls er denn anwesend wäre, eine Ausnahme machen würde, so begeht er keine schwere Sünde. Daher begehen nicht alle, die sich an das kirchliche Fasten nicht halten, eine Todsünde.

Auf den sogar durch Augustinus-Zitate gestützten Einwand, das Fastengebot lege eine unnötige Beschränkung der Freiheit auf, antwortet der heilige Thomas als Augustinuskenner, daß die Zitate im Hinblick auf solche Gebote zu verstehen sind, die weder auf Konzilien beschlossen noch durch allgemeinen Gebrauch der Kirche approbiert sind. Das kirchliche Fasten wurde aber sehr wohl von Konzilien abgesegnet und durch den allgemeinen Gebrauch der gesamten Kirche approbiert. Es ist keineswegs gegen die Freiheit des christlichen Volkes gerichtet, sondern vielmehr gerade nützlich, die Knechtschaft der Sünde zu verhindern, die der geistigen Freiheit entgegengesetzt ist, gemäß Gal 5,13: „Ja, ihr seid zur Freiheit gerufen, Brüder; nur laßt die Freiheit nicht zum Anreiz werden für das Fleisch!“

4. Sind alle zum kirchlichen Fasten verpflichtet (a.4)?

Allgemeine Gesetze werden erlassen entsprechend ihrem Nutzen für die Allgemeinheit. Daher zielt der Gesetzgeber dabei immer auf das, was allgemein und auf die Mehrheit zutrifft. Ergibt sich für jemanden ein besonderer Umstand, der ein Einhalten der Vorschrift verhindert, so besteht auch keine Absicht des Gesetzgebers, ihn unter diesen Umständen zu verpflichten. Hier muß freilich eine Unterscheidung angebracht werden. Ist nämlich der Grund unmittelbar ersichtlich, so kann ein Mensch sich selbst erlaubterweise von der Einhaltung des Gebots dispensieren (z.B. ein Kranker, der wieder zu Kräften kommen muß), dies zumal wenn diesbezüglich schon eine erprobte Gewohnheit besteht oder der Gesetzgeber selbst nicht gut angehbar ist. Ist die Sache jedoch zweifelhaft, so hat man sich an den entsprechenden Oberen zu wenden, der die Gewalt zur Dispens hat (in den meisten Fällen der zuständige Pfarrer). In diesem Sinn ist also das kirchliche Fasten zu beobachten, das alle im allgemeinen verpflichtet, aber Ausnahmen bei besonderen Hinderungsgründen zuläßt.

Ein offensichtlicher Grund für eine Ausnahme besteht bei Kindern, die schon wegen der Schwäche ihrer Natur oftmals Nahrung brauchen und nicht viel auf einmal zu sich nehmen können, die außerdem noch im Wachstum sind und daher tüchtig essen müssen. Daher sind Kinder in der Wachstumsphase, die gewöhnlich bis zum Ende des „dritten Siebenjahres“ (21 Jahre) dauert, nicht zum Fasten verpflichtet. Freilich ist es angemessen, daß sie sich dennoch bereits vorher im Fasten üben, mehr oder weniger, in einer ihrem Alter entsprechenden Weise. Manchmal jedoch, wenn besondere Wirren oder Gefahr drohen, wird zum Zeichen verschärfter Buße auch den Kindern das Fasten vorgeschrieben, bisweilen sogar dem Vieh, wie wir bei Jonas lesen: „Menschen und Vieh, Rinder und Schafe sollen nichts genießen; sie sollen weder auf die Weide gehen noch Wasser trinken!“ (Jon 3,7)

(An die „Senioren“ scheint man im Mittelalter noch nicht gedacht zu haben; sie waren offensichtlich, sofern sie bis ins Alter überlebt hatten, so robust, daß für sie keine Ausnahme vom Fasten notwendig war. Heute gilt bekanntlich, daß das Fasten nur bis zum Beginn des 60. Lebensjahrs verpflichtet.)

In bezug auf Reisende und Arbeiter muß man unterscheiden: Kann die Reise oder die anstrengende Arbeit bequem verschoben oder doch wenigstens weitgehend gemäßigt werden, ohne Schaden für das körperliche Wohl oder den äußeren Stand, der für die Erhaltung des körperlichen und geistigen Lebens erforderlich ist, so ist deswegen das kirchliche Fasten nicht zu unterlassen. Zwingt jedoch die Notwendigkeit zur sofortigen Reise oder zu anstrengender Arbeit, um entweder das körperliche Leben zu erhalten oder wegen einem Erfordernis des geistigen Lebens, die ein gleichzeitiges Beobachten des kirchlichen Fastens nicht zulassen, so ist man nicht zum Fasten verpflichtet; denn es kann nicht Sinn der kirchlichen Vorschrift sein, andere fromme oder notwendigere Dinge zu verhindern. Freilich scheint es notwendig, sich in solchen Fällen an die zuständige Autorität um Dispens zu wenden, wenn nicht schon eine entsprechende Gewohnheit besteht, die sozusagen stillschweigend genehmigt ist.

Arme, die genug haben, um sich einmal sattzuessen, sind ihrer Armut wegen nicht vom Fasten ausgenommen. Anders bei solchen, die sich ihren Lebensunterhalt erbetteln müssen und nicht genug auf einmal haben, um davon satt zu werden.

Aber eigentlich, so lautet ein selbstgestellter Einwand des heiligen Thomas, haben es doch die Christen, zumindest die Frommen, Gerechten, Heiligen, gar nicht nötig zu fasten. Schließlich sagt doch Unser Herr selbst, daß die Freunde des Bräutigams nicht fasten können, solange der Bräutigam bei ihnen ist (Luk 5,34), und an einer anderen Stelle sagt er: „Siehe, ich bin bei euch bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20). Ist Er aber immer bei ihnen durch die geistige Einwohnung, so müssen sie auch nie fasten. Darauf antwortet der Doctor angelicus, daß es drei Auslegungen dieses Herrenwortes von den Freunden des Bräutigams gibt. Die erste stammt vom heiligen Chrysostomus, der die Jünger, die hier „Freunde des Bräutigams“ genannt werden, als noch zu schwach zum Fasten bezeichnet, weshalb sie auch mit dem „alten Gewand“ verglichen werden. Solange Christus noch bei ihnen war, waren sie eher durch eine gewisse Milde und Süßigkeit zu schonen als durch herbes Fasten zu üben. Daher sind mehr die Unvollkommenen und Anfänger vom Fasten zu dispensieren als die Fortgeschrittenen und Vollkommenen. Die zweite Auslegung gibt der heilige Hieronymus, wonach Unser Herr hier vom Fasten der alten Observanz spricht. Christus will also damit sagen, daß die Apostel nicht durch Beobachtung der alten Vorschriften des Gesetzes zu behindern sind, sondern vom neuen Gesetz der Gnade durchdrungen werden müssen. Eine dritte Möglichkeit finden wir bei Augustinus, der ein doppeltes Fasten unterscheidet. Das eine ist das Fasten der Buße und Zerknirschung, das den Vollkommenen nicht zukommt, die hier die „Freunde des Bräutigams“ genannt werden, weshalb dieselbe Stelle bei Lukas lautet: „Die Freunde des Bräutigams können nicht fasten“, während sie bei Matthäus heißt: „Die Freunde des Bräutigams können nicht trauern“ (Mt 9,15). Es gibt aber ein anderes Fasten, das mehr Freude des Geistes ist, der zum Geistlichen befreit ist. Und dieses Fasten steht den Vollkommenen an.

5. Sind die kirchlichen Fastenzeiten passend festgelegt (a.5)?

Das Fasten dient wie gesagt zwei Zwecken: dem Abbüßen von Schuld und dem Erheben des Geistes zu den erhabenen Dingen. Daher war das Fasten besonders in jenen Zeiten angesagt, in denen es notwendig war, die Menschen von Sünden zu reinigen und die Seelen der Gläubigen durch die Andacht zu Gott zu erheben. Das aber ist besonders der Fall vor der Feier der Ostergeheimnisse. Hier nämlich wird zum einen die Schuld nachgelassen durch die Taufe, die feierlich an der Ostervigil gespendet wird, wenn wir das Gedächtnis der Grablegung des Herrn begehen; denn durch die Taufe werden wir mit Christus mitbegraben auf seinen Tod, wie es im Römerbrief (6,4) heißt. Am Osterfest muß der Geist des Menschen auch besonders durch die Andacht zur ewigen Herrlichkeit erhoben werden, die Christus durch seine Auferstehung einleitete. Und deshalb hat die Kirche festgelegt, daß unmittelbar vor der Feier der Ostern gefastet wird, und aus demselben Grund auch an den Vigilien der bedeutenderen Feste, an denen wir uns auf die würdige Feier der Geheimnisse vorbereiten sollen.

Es besteht in der Kirche auch die Gewohnheit, alle Vierteljahre die heiligen Weihen zu spenden. Dies hat Christus durch die Zeichenhandlung vorgebildet, daß er mit 7 Broten 4000 Menschen speiste (Mk 8), um auf diese Weise das „Jahr des Neuen Testamentes“ anzudeuten, wie der heilige Hieronymus sagt. Zum Empfang der heiligen Weihen muß man sich aber durch Fasten vorbereiten, was nicht nur für Spender und Empfänger der Weihen gilt, sondern auch für das ganze Volk, zu dessen Nutzen die Weihen gespendet werden. Daher lesen wir im Evangelium des heiligen Lukas (6,12), daß der Herr, bevor er die Jünger erwählte, auf den Berg ging um zu beten, was der heilige Ambrosius so auslegt: „Was hast du wohl zu tun, wenn du ein geistliches Amt erlangen willst, wenn Christus vor der Aussendung der Apostel gebetet hat?“

Der Grund für die Zahl der 40tägigen Fasten ist ein dreifacher: Erstens, weil die 10 Gebote durch die 4 Bücher des heiligen Evangeliums erfüllt werden, 10 mal 4 aber 40 ergibt; oder weil wir in diesem sterblichen Leibe aus den 4 Elementen bestehen, durch dessen Begierde wir den göttlichen Geboten uns widersetzen, die im Dekalog festgelegt sind, weshalb es angemessen ist, daß wir dasselbe Fleisch vier mal zehn mal züchtigen; oder weil wir Gott dadurch gewissermaßen den Zehnten des Jahres darbringen, das aus 365 Tagen besteht, wovon die sechs Fastenwochen ungefähr den zehnten Teil ausmachen. Nach dem heiligen Augustinus ist noch ein vierter Grund hinzuzufügen. Der Schöpfer nämlich ist dreifaltig, Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der unsichtbaren Schöpfung aber kommt ebenfalls die Dreizahl zu; wir sollen nämlich Gott lieben aus ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Denken (Mk 12,30). Der sichtbaren Schöpfung aber kommt die Vierzahl zu, denn sie besteht aus Warm und Kalt, Feucht und Trocken. So ergibt alles zusammen die Zahl zehn. Wird diese mit der Zahl vier vervielfacht, der Zahl des Leibes nämlich, durch dessen Dienst dies geschieht, so erhalten wir die Zahl 40.

Die vierteljährlichen Fasten (Quatember) umfassen jeweils 3 Tage aufgrund der Zahl der Monate, die jedes Quartal ausmachen, oder auch aufgrund der Zahl der heiligen Weihen, die in diesen heiligen Zeiten gespendet werden (die höheren Weihen sind gemeint).

Der heilige Augustinus unterscheidet in „De consensu Evang.“ ein „ieiunium exultationis“, ein Fasten der Freude und des Jubels, und ein „ieiunium afflicitionis“, ein Fasten der Trauer und Buße (s.o. 4.). Wäre dem Osterfest, dieser glorreichen Auferstehungsfeier Unseres Herrn, nicht ein „ieiunium exultationis“ angemessener? Darauf antwortet der heilige Thomas, daß das „ieiunium exultationis“ aus dem Antrieb des Heiligen Geistes hervorgeht, der der Geist der Freiheit ist. Daher kann es nicht unter die Vorschriften der Kirche fallen. Das von der Kirche vorgeschriebene Fasten wird eher ein „ieiunium afflictionis“ sein, das aber zu Freudentagen nicht paßt. Deshalb ist von der Kirche für die gesamte österliche Zeit wie auch für die Sonntage kein Fasten vorgesehen. Wollte jemand an diesen Tagen fasten, wäre es gegen die Gewohnheit des christlichen Volkes, die, wie der heilige Augustinus sagt, als Gesetz behandelt werden muß; oder es geschähe aufgrund eines Irrtums, so wie die Manichäer etwa meinen fasten zu müssen, weil sie sonst nicht gegen Sünden gefeit seien. In sich betrachtet ist das Fasten freilich stets und zu jeder Zeit lobenswert, wie der heilige Hieronymus sagt: „Daß wir doch allezeit fasten könnten!“

6. Ist es zum Fasten erforderlich, nur einmal zu essen (a.6)?

Das Fasten wurde von der Kirche eingerichtet, um die Begierlichkeit zu zügeln, jedoch so, daß die Natur nicht darunter leidet. Dazu aber scheint es auszureichen, sich auf eine Mahlzeit zu beschränken, durch die der Mensch sowohl seiner Natur genüge tun als auch dennoch seiner Begierlichkeit einigen Abbruch tun kann, indem er die Essenszeiten verringert. Daher ist in der maßvollen Weise der Kirche festgesetzt, daß von den Fastenden einmal des Tages gegessen werden soll.

Die Kirche hat keine Speisenmenge festgesetzt, weil sie das aufgrund der verschiedenen körperlichen Verfassungen und Bedürfnisse nicht kann. Der eine braucht mehr, der andere weniger Nahrung. Aber der Mehrzahl ist es doch möglich, der Natur durch eine einmalige Sättigung genüge zu tun.

Zur Frage des Trinkens sagt der heilige Thomas, daß wir zu unterscheiden haben zwischen dem Fasten der Natur und dem kirchlichen Fasten. Ersteres gilt beispielsweise für die eucharistische Nüchternheit, die auch durch Getränke und sogar Wasser gebrochen wird, wonach die heiligste Eucharistie nicht mehr empfangen werden darf. (Heute gilt diese strenge Vorschrift nicht mehr. Wasser darf immer getrunken werden, andere, nicht-alkoholische Getränke nach der neueren Regelung bis 1 Stunde vor Empfang der heiligen Kommunion. Alkoholische Getränke und nährende wie Milch sind der festen Speise gleichzustellen und verlangen daher 3 Stunden Nüchternheit.) Beim kirchlichen Fasten ist dies anders. Es wird nur durch das gebrochen, was die Kirche bei seiner Einsetzung für verboten betrachtet hat. Die Kirche wollte aber nicht ein Enthalten von Getränken vorschreiben, das mehr der Erfrischung des Leibes und der Verdauung der Speisen dient als der Ernährung, auch wenn es in irgendeiner Weise nährt. Daher ist es den Fastenden erlaubt, mehrmals zu trinken. Wenn freilich jemand unmäßig trinkt, kann er sündigen und so das Verdienst des Fastens verlieren, ebenso wie derjenige, der die einmalige Sättigung unmäßig übertreibt.

Dasselbe gilt mutatis mutandis für kleinere Knabbereien, die zwar irgendwie nähren, aber in erster Linie der Verdauung wegen eingenommen werden. Sie brechen das Fasten nicht, ebenso wie die Einnahme von Medizin. Es sei denn, jemand wollte das Fasten dadurch umgehen, daß er in großen Mengen Knabbereien zu sich nimmt.

7. Wann soll die einmalige Mahlzeit beim Fasten eingenommen werden (a.7)?

Das Fasten soll, wie bereits gesagt, der Buße und der Vermeidung von Sünden dienen. Darum ist es angebracht, daß es etwas über die allgemeine Gewohnheit hinaus verlangt, ohne freilich dadurch die Natur zu sehr zu belasten. Nun ist es jedoch passende und allgemeine Gewohnheit der Menschen, um die sechste Stunde herum (12 Uhr mittags) zu essen, weil dann das Frühstück bereits verbraucht ist und eine Stärkung für die zweite Tageshälfte vonnöten ist. Damit nun der Fastende etwas von der Buße für begangene Schuld verspürt, wird die Essenszeit für die Fastenden passenderweise auf die Zeit der Non (gegen 15 Uhr) gelegt.

Diese Zeit stimmt auch mit dem Geheimnis der Passion Christi am besten überein, die zur neunten Stunde vollendet war (Mt 27,46), als er Sein Haupt neigte und Seinen Geist aufgab (Joh 19,30). Die Fastenden nämlich, die ihr Fleisch züchtigen, machen sich dem Leiden Christi gleichförmig, gemäß Gal 5,24: „Die Christus Jesus zu eigen sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Begierden.“

Auf den Einwand, daß es im Alten Testament doch üblich gewesen sei, bis zum Abend zu fasten, antwortet der Aquinate, daß das Alte Testament dem Neuen zu vergleichen sei wie die Nacht zum Tag, gemäß Röm 13,12: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag hat sich genaht.“ Daher fastete man im Alten Testament bis zur Nacht, nicht aber im Neuen Testament.

Natürlich können nicht alle die neunte Stunde genau einhalten, gibt der heilige Thomas gerne zu, aber es kommt auch nicht auf die Minute an. Es genügt, daß es „um die neunte Stunde“ geschieht, was von nahezu allen leicht einzuhalten sei.

Der Aufschub von der sechsten zur neunten Stunde ist nicht so groß, daß er ernsthaften Schaden befürchten ließe. In Fällen besonderer Unzuträglichkeit infolge von Krankheit etc. ist eine Dispens möglich oder eine leichte Vorverlegung. (Später kam es in Gebrauch, das Fasten einerseits bis zur Vesper auszudehnen, die Vesper andererseits jedoch noch vor dem Mittag zu beten, weshalb das Essen dann auf die Mittagsstunde fiel. Die neueren Fastenvorschriften sehen ohnehin keine bestimmte Zeit mehr vor für die einmalige Sättigung.)

8. Gehört zum Fasten die Enthaltung von tierischer Kost (a.8)?

Wie oben gesagt wurde, soll das Fasten nach dem Willen der Kirche der Zügelung der fleischlichen Begierden dienen. Diese gehen auf das, was eine gewisse Lust im Gefühlssinn erregt, was beim Essen und der Geschlechtlichkeit der Fall ist. Daher untersagt die Kirche den Fastenden jene Speisen, die am meisten den Geschmackssinn ansprechen und die Geschlechtlichkeit erregen. Von dieser Art ist aber das Fleisch derjenigen Tiere, die auf der Erde ruhen und atmen, sowie deren Erzeugnisse wie etwa die Milchprodukte aus den Grasfressern oder die Eier der Vögel. Weil diese Dinge dem menschlichen Leib gleichförmiger sind, bereiten sie mehr Lust und tragen mehr zur Ernährung des Leibes bei, weshalb sie auch mehr zur Samenbildung beitragen, die die Geschlechtslust besonders erregt. Daher hat die Kirche festgesetzt, daß die Fastenden sich dieser Dinge besonders zu enthalten haben.

Auch der Wein trägt zwar zur Erregung der Geschlechtslust bei, seine Wirkung vergeht aber recht schnell, während die der reichhaltigen Nahrung anhält. Daher ist der Wein nicht verboten, die tierische Kost schon.

Warum die Kirche das Essen von Fisch nicht verboten hat, obgleich manchen Fisch lieber ist als Fleisch, liegt daran, daß die Kirche vom Allgemeinen ausgeht, und im allgemeinen wird das Fleisch dem Fisch vorgezogen.

Auf den Einwand, daß es einige Fasten gebe, bei denen Käse und Eier erlaubt seien, warum also nicht bei der 40tägigen Fastenzeit, gibt der heilige Thomas zur Antwort: Käse und Eier sind insofern unerlaubt, als sie von Tieren stammen, die Fleisch haben. Die Enthaltung vom Fleisch ist also die erste und wichtigere. Unter allen Fasten ist aber die 40tägige Fastenzeit die feierlichste, einmal weil sie zur Nachfolge Christi abgehalten wird, dann auch weil wir durch sie darauf vorbereitet werden, die Geheimnisse unserer Erlösung andächtig zu feiern. Daher wird bei jedem Fasten die Enthaltsamkeit von Fleisch vorgeschrieben, in der 40tägigen Fastenzeit aber zusätzlich von Eiern und Milchprodukten. In bezug auf deren Enthaltung in den anderen Fasten gibt es verschiedene Gewohnheiten an den verschiedenen Orten, an die man sich halten soll. So sagt der heilige Hieronymus: „Möge jede Gegend in ihrem Sinn reich sein und die Vorschriften der Vorfahren für apostolische Gesetze ansehen.“

Anmerkungen zum heutigen Fasten

Wir dürfen hier anfügen, was Franz Spirago in seinem „Volkskatechismus“ von 1926 über das Fastengebot schreibt. Er weist darauf hin, dies sei früher „sehr streng“ gewesen, aber „von der Kirche mit Rücksicht auf die Zeitverhältnisse gemildert“ worden. Was würde er erst heute sagen?

Er unterscheidet dann zunächst drei Arten des Fastens: Die Enthaltung von Fleischspeisen („Abstinenz“), die einmalige tägliche Sättigung oder Abbruch („Fasten“) und das sogenannte strenge Fasten, wenn beides zugleich vorgeschrieben ist („Fasten und Abstinenz“). Erstere, die Abstinenz, ist vorgeschrieben an allen Freitagen des Jahres, zweitere besteht für die Fastenzeit, die dritte für die Freitage der Fastenzeit, die Vigilien von Weihnachten und Pfingsten, Aschermittwoch und Quatemberfreitage. „Nach dem Kirchengesetzbuch sollten auch die Samstage in der 40tägigen Fastenzeit und die Vortage vor Maria Himmelfahrt und Allerheiligen strenge Fasttage sein, doch werden sie in der Regel von den Bischöfen kraft apostolischer Vollmacht in Abbruchstage umgewandelt. (Der Gründonnerstag ist kein strenger Fasttag mehr, sondern nur ein Abbruchstag.)“

Die Kirche gebietet uns also erstens, alle Freitage kein Fleisch zu essen. „Zu dieser Faste ist jeder verpflichtet, der über 7 Jahre alt ist.“ „Wenn ein Feiertag (außerhalb der 40tägigen Fastenzeit) auf einen Fasttag fällt oder ein Fasttag auf einen Sonntag, so entfällt das Fasten.“ „In früheren Zeiten war auch am Samstage der Fleischgenuß verboten“ und bisweilen auch am Mittwoch, wie es beispielsweise Skapulierträger bis heute beobachten. Wir sollen uns zweitens „in der 40tägigen Fastenzeit nur einmal des Tages sättigen, um das 40tägige Fasten Christi teilweise nachzuahmen und dadurch die Gnade der Reue für die Osterbeichte zu erlangen“. „Die 40tägige Fastenzeit beginnt mit dem Aschermittwoch und dauert bis zum Karsamstag mittags. Nur die Sonntage in dieser Zeit sind keine Fasttage, wohl aber die Feiertage“, wobei der Aschermittwoch ebenso wie alle Freitage der Fastenzeit Fast- und Abstinenztag ist. Wir sollen drittens an den Quatembertagen fasten, „um den lieben Gott um würdige Priester zu bitten und ihm für die im verflossenen Vierteljahr verliehenen Wohltaten zu danken“, wobei „in vielen Diözesen“ nur noch der Quatemberfreitag ein strenger Fasttag (Fast und Abstinenz) ist, und drittens ist an den Vigilien einiger Feste das strenge Fasten vorgesehen, „um uns auf die Feste in würdiger Weise vorzubereiten und dadurch reichliche Gnaden von Gott zu erlangen“.

Wir sehen, wie ernst man im Jahr 1926 das Fasten immerhin noch genommen hat, wenngleich es damals schon so sehr „gemildert“ war. Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde es dann stets weiter reduziert, so blieben etwa in der 40tägigen Fastenzeit außer dem Aschermittwoch nur noch die Freitage als Fasttage, später nicht einmal mehr diese (bis auf Karfreitag), auch die Quatembertage verloren ihren verpflichtenden Charakter und die meisten Vigilien. Nach dem „neuen Kirchenrecht“ ist sogar das Abstinenzgebot für die Freitage abgeschafft (dies kann ja nun durch ein „Freitagsopfer“ ersetzt werden), es gibt überhaupt nur noch zwei vorgeschriebene Fasttage im ganzen Jahr: Aschermittwoch und Karfreitag, für welche freilich dann das „strenge Fasten“ gilt, allerdings mit so vielen Ausnahmen und Erleichterungen, daß so gut wie nichts davon bleibt.

Papst Benedikt XIV. (nicht zu verwechseln mit dem Austrags-Papst „Benedikt XVI.“!) schrieb am 30. Mai 1741: „In der Beobachtung der Fasten liegt die Zucht unserer Heerschar. Durch sie unterscheiden wir uns von den Feinden des Kreuzes Christi; durch sie wenden wir die Geißel des göttlichen Zornes von uns ab; durch sie, während des Tages von himmlischer Hilfe geschützt, stärken wir uns gegen den Fürsten der Finsternis. Wenn diese hl. Übung nachläßt, so geschieht dies zum Nachteil der Verherrlichung Gottes, zur Schmach der katholischen Religion, zur Gefährdung der christlichen Seelen. Uns kann kein Zweifel darüber obwalten, daß diese Nachlässigkeit eine Quelle von Leiden und Unheil in den öffentlichen Angelegenheiten der Völker und aller Art von Mißgeschick für den einzelnen bedeutet.“ Genau das hat sich heute grausam bewahrheitet.