Schlage den Hirten…

1. Als vor gut 50 Jahren das große Unglück geschah, daß Gott der Herr Seine Kirche zur Strafe für die Sünden ihrer Glieder, vor allem ihrer Priester, Ordensleute und Häupter, in die Hände Seiner Feinde überlieferte, und jene große Verfinsterung sich ausbreitete, die wir heute so sehr beklagen müssen, trat neben vielen anderen Übeln auch jenes ein, das in besonderer Weise für diese Zeit kennzeichnend ist: Die bislang bestehende Einheit, eines der wesentlichen Kennzeichen der heiligen katholischen Kirche, schien sich aufzulösen oder wurde nahezu unauffindbar. Bis dato waren die Katholiken trotz all ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den drei grundlegenden Säulen ihrer Religion geeint gewesen, denn sie bekannten alle denselben Glauben, feierten dieselbe Liturgie und gehorchten derselben Hierarchie unter dem Stellvertreter Christi, dem Papst.

Diese Einheit ist offensichtlich dahin, denn längst herrscht beim „Glauben“ derer, die sich heute „Katholiken“ nennen, ein grenzenloser Pluralismus (sofern überhaupt noch ein „Glaube“ vorhanden ist), die Liturgie zerflattert in schrankenloser Beliebigkeit, und der Obrigkeit verbleibt nur noch das Amt, diesen bunten auseinanderdriftenden Haufen irgendwie zu moderieren, zu verwalten und mühsam zusammenzuhalten, wenigstens dem äußeren Schein nach. Kurz, die sich auf diese Weise präsentierende Kirche hat ihre Form verloren und damit auch ihre Einheit - was natürlich sofort die Frage nach dem Wesen dieser „Kirche“ aufwirft und nach der Wirkursache; denn kann eine „Kirche“, der ein wesentliches Merkmal der Catholica fehlt, die Kirche Christi sein, und was ist mit der Wirkursache der Einheit, wenn letztere nicht mehr vorhanden ist? Deutet das nicht auf einen Ausfall von deren Wirkursache hin, die aber keine andere ist als der Fels und Garant der Einheit, der Papst? Doch diese Fragen wollen wir später noch ansehen. Einstweilen stellen wir nur fest, daß es schon lange keine Einheit oder Einheitlichkeit mehr gibt bei denen, die als „Katholiken“ gelten, und wollen lediglich versuchen, in diesem Wirrwarr ein wenig aufzuräumen, indem wir die kunterbunte Vielfalt wenigstens notdürftig und ansatzweise kategorisieren.

2. Da sind zunächst jene, welche die Verfinsterung der Kirche und die Besetzung von deren führenden Posten und Stellen durch den Feind nicht wahrnehmen oder nicht wahrhaben wollen oder doch nur sehr beschränkt (da und dort vielleicht wird der eine oder andere Bischof, Professor, Theologe, eventuell sogar Kardinal als Bösewicht ausgemacht, aber das geht fast schon zu weit...). Sie alle erkennen ohne weiteres die „konziliare Kirche“ als ihre Kirche an und bilden das Kunterbunt der „Konzilskatholiken“. Dabei ist das Spektrum sehr weit gefächert.

Da die „Konzilskirche“ wesentlich auf dem Liberalismus beruht, können wir, um wenigstens eine grobe Einteilung zu finden, auf die Vorarbeit des trefflichen Monsignor Dr. Felix Sardà y Salvany in seinem bis heute unübertroffenen Standardwerk „Der Liberalismus ist Sünde“ zurückgreifen. Er weist darauf hin, daß der Liberalismus an sich ein einheitliches und logisches System darstellt, was sicher auch für dessen Abart oder Ableger, den Modernismus, zutrifft, welcher Grundlage der „konziliaren Kirche“ ist. „Aber trotz dieser logischen Einheit des Systems, sind die Menschen nicht immer logisch; ein Umstand, der die erstaunlichste Verschiedenheit oder Abstufung der Färbungen innerhalb jener Einheit zur Folge hat“, schreibt unser Gewährsmann. „Die eine Lehre fließt notwendig aus eigener Kraft von der andern heraus; jedoch sind die Leute in der Anwendung derselben meist unlogisch und inkonsequent. Wenn die Menschen ihre eigenen Grundsätze bis zu den letzen Konsequenzen treiben würden, so wären alle heilig, falls ihre Grundsätze gut wären und alle hinwieder gleicherweise Teufel der Hölle, wenn dann ihre Prinzipien schlecht wären. Die Inkonsequenz ist es, welche gute und böse, halbgute und ziemlich schlechte Leute macht. Wenn wir nun diese Beobachtungen auf die gegenwärtige Frage des Liberalismus anwenden, so können wir sagen, daß es Gott sei Dank, verhältnismäßig wenige vollständig Liberale gibt; das hindert jedoch keineswegs, daß der größere Teil, wenn er auch nicht den Gipfel der liberalen Verdorbenheit erstiegen, dennoch aus wahren Liberalen besteht, d. h. aus wahren Schülern, oder Parteigängern, oder Sektierern des Liberalismus, je nachdem man den Liberalismus als Schule, Partei oder Sekte betrachtet.“ Ebendas sind mutatis mutandis die Verhältnisse, die wir in der „Konzilskirche“ finden. „Also darüber sind wir einig, wißbegieriger Leser, daß der Liberalismus eine geschlossene Einheit bildet, daß es jedoch, wie es beim schlechten Wein der Fall ist, Liberale von verschiedener Farbe und verschiedenem Geschmacke gibt“, so wie es denn auch „Konzilskatholiken“ von „verschiedener Farbe und verschiedenem Geschmacke gibt“.

Etwas weiter unten teilt der Autor dann diese buntscheckige Mannigfaltigkeit zum Zwecke der besseren Kennzeichnung in drei Klassen ein: Erstens „Radikale Liberale in des Wortes verwegenster Bedeutung“, zweitens „Gemäßigte Liberale“ und drittens „Liberale im uneigentlichen Sinne, oder solche, die bloß einen liberalen Anstrich haben“. Die „semiphysiologische Beschreibung“ dieser drei Typen bei Dom Sardá ist sehr lesenswert, würde uns jedoch hier zu weit führen. Wir beschränken uns auf seine kurze Zusammenfassung: „Fassen wir in wenige Worte die am meisten charakteristischen Züge ihrer Gesichtsbildung zusammen, so können wir sagen, daß der radikale Liberale seinen Liberalismus durch Brüllen, der gemäßigte Liberale durch Reden, der arme in den Liberalismus eingetauchte Tropf hingegen durch Seufzen und Gewimmer bekunde.“

Damit haben wir auch schon die drei wesentlichen Klassen oder Typen der „Konzilskatholiken“. Da sind zum einen die radikalen, die laut brüllend den kompletten Umsturz fordern: Abschaffung des Zölibats, Einführung des Frauenpriestertums, vollständige Demokratisierung der Kirche etc. Sie bilden den „linken Flügel“ der „Konzilskirche“, und wir können sie die „Progressisten“ nennen. Hierher gehören sicherlich Gestalten wie Hans Küng und Paul Zulehner oder Gestaltungen wie „Wir sind Kirche“ und „ZdK“.

Zum anderen finden wir die „gemäßigten Liberalen“, die zwar die liberalen Grundsätze annehmen, aber nicht deren Konsequenzen. Sie akzeptieren vollständig die liberalen „Menschenrechte“, die im „II. Vatikanum“ via „Religionsfreiheit“ zur Doktrin der „konziliaren Kirche“ erhoben wurden (und verwechseln diese oft sogar treuherzig und gehorsam mit dem diametral entgegengesetzten gottgegebenen Naturrecht und den darauf beruhenden Zehn Geboten), wollen jedoch auf dieser liberalen Basis ihre konservativen „christlichen Werte“ behalten, vor allem, was die Ehe- und Familienmoral betrifft. Sie nehmen die liturgischen „Reformen“ Pauls VI. ohne Wenn und Aber an, verabscheuen jedoch liturgische „Auswüchse“ und „Mißbräuche“. Wir nennen sie die „Konservativen“ oder „Halb-Konservativen“, weil sie eben halb liberal und daher auch nur halb „konservativ“ sind, und diese bilden gewissermaßen den „rechten Flügel“ der „Konzilskirche“. Wir verzichten darauf, hier Namen zu nennen. Wer sich auf diesem Feld alles tummelt, wird der geschätzte Leser selbst ohne Schwierigkeiten herausfinden.

Endlich gibt es jene, die „bloß einen liberalen Anstrich haben“, den sie aber notwendig aufweisen müssen, um dazuzugehören. Denn zur „konziliaren Kirche“ gehören wollen sie um jeden Preis, den sie denn auch zahlen, wenngleich sie dabei so weit wie nur irgend möglich katholisch bleiben wollen. „The more catholic, the better“, so ihr Grundsatz. Sie wollen daher auch gerne die „alte Liturgie“ beibehalten, den „alten Katechismus“ usw., ohne dabei jedoch in irgendeiner Weise anzuecken oder unangenehm aufzufallen, weshalb sie dafür auch gerne den einen oder anderen Kompromiß eingehen. Die „Liebe“ ist ihr großes Motto, und diese gilt uneingeschränkt allen Liberalen – aber auch nur diesen! – gegenüber, während sie böse und bitter werden gegen jene Katholiken, die es wagen, etwa „lieblose Kritik“ an Bischöfen oder gar Papst zu üben. Sie feiern ausschließlich die Liturgie im „außerordentlichen Ritus“ und verteidigen gleichzeitig die liberale Religionsfreiheit des „Heiligen Vaters“. Wir nennen sie die „Pseudo-Traditionalisten“, und sie bilden die „extreme Rechte“ der „Konzilskirche“.

Natürlich ist dies nur eine grobe Einteilung der drei Hauptströmungen, innerhalb derer es von allen Varianten und Schattierungen wimmelt, doch scheint sie uns gut geeignet, wenigstens eine Grundeinteilung zu bieten. „Linker“ und „rechter“ Flügel der „Konzilskirche“ bekämpfen sich gegenseitig und sind sich oft nicht grün. Doch darf man nicht übersehen, daß es sich dabei wirklich nur um Flügelkämpfe handelt und daß diese obendrein für das modernistische System funktionsnotwendig sind; denn dieses ist wesentlich evolutionistisch und lebt vom Gegensatz zwischen den nach vorne drängenden („progressiven“) und den hinten bremsenden („konservativen“) Kräften, die in dieser Dialektik gemeinsam einen gemäßigten Fortschritt bewirken sollen. Wir dürfen noch hinzufügen, daß es sich laut Dom Sardà y Salvany bei der zweiten Kategorie um die gefährlichste handelt, denn „den Ersten lähmt vielfach seine eigene Wut; beim Dritten ist sein zwitterhaftes Wesen selbst unfruchtbar“. „Der Zweite ist der satanische Typus in hervorragender Weise. Er ist’s, der in unseren Tagen eine wahre liberale Verheerung anrichtet.“

3. Zum Glück fehlt es daneben nicht an Katholiken, welche die Verfinsterung der Kirche erkannt haben und die daher, um ihrem Glauben und ihrer Kirche treu zu bleiben, sich nicht in die liberale und modernistische „Konzilskirche“ eingliedern lassen wollen, sondern in den „Widerstand“ gegangen sind. Da sie sich den konziliaren Autoritäten widersetzen und „nullam partem“ mit deren „Kirche“ und Einrichtungen haben wollen, nennt man sie gerne „Sedisvakantisten“. Dieser Ausdruck soll besagen, daß sie den „konziliaren“ Papst nicht anerkennen und daher den päpstlichen Stuhl für unbesetzt, die „Sedes“ Petri für „vakant“ halten. Gleichzeitig hat der Begriff heute eine pejorative Konnotation und verbreitet sogleich den beißenden Geruch von engstirnigem Fanatismus und kleinkarierter Sektiererei.

Daher findet sich denn auch unter den „Widerstands“-Katholiken eine große, ja überwiegende Zahl, die beinahe nichts mehr fürchtet als den „Sedisvakantismus“. Sie scheuen die „Sedisvakantisten“ wie der Teufel das Weihwasser, und um ja nicht in deren Nähe gerückt zu werden, beteuern sie stets ihre treue Anhänglichkeit an die „Konzilspäpste“, denen sie jedoch gleichzeitig ungehorsam sind. Wir nennen sie gewöhnlich die „Traditionalisten“.

Da haben wir also die wesentlichen beiden Gruppen der „Widerstands“-Katholiken, die „Sedisvakantisten“ und die „Traditionalisten“. Zwischen beiden herrscht meist Fehde, wenngleich es auch hier nicht an „versöhnlichen“ Charakteren fehlt, welche meinen, man könne gut nebeneinander auskommen, solange man dem anderen nicht die „eigene Meinung aufdrängen“ wolle. Mit diesen beiden Gruppen wollen wir uns noch ein wenig näher beschäftigen.

4. Wir haben eingangs bereits darauf hingewiesen, daß die Verfinsterung der Kirche heute gewissermaßen mit Händen zu greifen ist, nicht zuletzt aufgrund der verlorengegangenen Einheit unter den Katholiken. Da diese Einheit auf der päpstlichen Autorität beruht, ist deren Ausfall damit evident. „Du bist Petrus der Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen.“ Einen anderen Grund kann niemand legen als den der Herr gelegt hat, und an diesem hängt alles. Alles hat in ihm Bestand und muß fallen, wenn er fällt. Wir erkennen ein Erdbeben daran, daß die Häuser wanken und zusammenfallen. So erkennen wir am Zusammenbruch der kirchlichen Einrichtungen das Taumeln des Felsens Petri.

Soweit dürfte das unter den Rest-Katholiken eine unbestrittene Tatsache sein, denn auch die „Traditionalisten“ sind ja im Grunde in der Wolle gefärbte, oder sagen wir lieber „praktische Sedisvakantisten“ (bisweilen auch „Krypto-Sedisvakantisten“), denn sie erkennen zwar theoretisch die „Konzilspäpste“ als katholische Päpste an, versagen ihnen jedoch in der Praxis den Gehorsam, und das sogar in ganz gravierenden Dingen, die das „Kerngeschäft“ des römischen Pontifex direkt betreffen – wie z.B. Bischofsweihen. Sie geraten damit notwendig in eine schiefe Situation, und vielleicht kommt es daher, daß sie den „Sedisvakantismus“ gar so sehr fürchten, weil er eigentlich die logische Konsequenz ihrer Haltung ist. Stattdessen bemühen sie sich mit umso zäherem Eifer, ihr – tatsächlich nicht vorhandenes – Anhangen an die „konziliaren Päpste“ zu bekunden und diese oftmals liebedienerisch zu hofieren, wobei sie letztlich nicht erklären können, wieso sie dann nicht der Phalanx der „Pseudotraditionalisten“ beitreten, der sie mental damit eigentlich längst zuzurechnen sind. Oft genug geschieht dies ja dann auch, wie das Beispiel zahlreicher „Ecclesia Dei“-Gruppen zeigt, die ursprünglich aus dem „Traditionalisten“-Lager stammen, und wie vor allem die „Piusbruderschaft“ vorexerziert, die ja die größte Gruppierung dieser Richtung darstellt und schon zweimal – 1988 und 2012 – beinahe den endgültigen Schritt in die „Konzilskirche“ vollzogen hätte.

Der Schlingerkurs zwischen Skylla und Charybdis, oft auch dargestellt als gemäßigte „Mitte“ zwischen zwei Extremen oder „anspruchsvolle Position“ mit zwei Brennpunkten gleich einer Ellipse (und tatsächlich genau so eiernd wie eine solche), kostet natürlich zu beiden Seiten immer wieder Opfer und kann nur gelingen, indem man die Augen wenigstens halb schließt und die Dinge auf diese Weise in oberflächlicher, halbverhangener, nebelhafter Unschärfe und Unklarheit beläßt, oder indem man selbst oszilliert und bald diese und bald jene Position einnimmt – oder indem man es ganz einfach fertigbringt, Widersprüche zu vereinen. Sobald man jedoch anfängt, das Widerspruchsprinzip anzuwenden, wonach etwas nicht zugleich und in derselben Hinsicht sein und nicht sein kann, sobald man sich auf eine klare und eindeutige Position festlegen will, sobald man vor allem die Dinge scharf ins Auge faßt, wird die Logik der Sache zu unausweichlichen Schlußfolgerungen führen und notwendige Konsequenzen verlangen – und genau davor scheut sich ja die menschliche Schwäche.

Nehmen wir also die Haltung, welche die meisten „Traditionalisten“ gegenüber den jeweiligen „konziliaren Päpsten“ einnehmen. Sie lautet etwa so: Wir erkennen diesen als Papst der römisch-katholischen Kirche an und sind bereit, für ihn öffentlich zu beten, verweigern ihm „jedoch die Gefolgschaft in seiner Abwendung von der katholischen Tradition, insbesondere auf dem Gebiet der Religionsfreiheit und des Ökumenismus und in den Reformen, die für die Kirche schädlich sind“. Dies ist ein Widerspruch, denn der römische Pontifex ist ja gerade der Garant dafür, daß jene, die ihm Gefolgschaft leisten, in der katholischen Tradition verbleiben und alles meiden, was für ihren Glauben oder „für die Kirche schädlich“ wäre. Genau darin besteht wesentlich das päpstliche Amt mit seinem Charisma der Unfehlbarkeit. Noch einmal: „Du bist Petrus der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Wie entkomme ich diesem offensichtlichen Widerspruch? Indem ich hin und her springe, bald dem Papst zujuble und und bald ihn kritisiere? Oder indem ich die Augen halb schließe und im Papst nicht mehr sehe als diesen Mann in Weiß da in Rom, für den ich zwar öffentlich bete, der aber im übrigen sagen und tun kann was er will, und ich bleibe doch katholisch?

Durch ihr „Hinken nach beiden Seiten“ (vgl. 1 Kg 18,21) hat die „Traditionalisten“-Szene neuerdings eine Spaltung erfahren, die allerdings nicht wirklich neu ist. Schon von alters her finden sich auch bei ihnen im wesentlichen zwei Flügel, die „Weichen“ und die „Harten“ nämlich, d.h. solche, die stets nach der Konzilskirche schielen und mit dem „Heiligen Vater“ in „voller Gemeinschaft“ stehen wollen, und solche, die eher eine scharfe Trennlinie zur „konziliaren Kirche“ ziehen wollen. Dies führte in Folge der extrem „weichen“ Linie der „Piusbruderschaft“ in den letzten Jahren zu einer Abspaltung in Form des sog. „Widerstands“, der nun seinerseits versucht, die „traditionalistische“ Position aufrechtzuerhalten. Weitere Spaltungen sind abzusehen, zumal schon jetzt im „Widerstand“ verschiedene Richtungen auszumachen sind, z.B. jene, die meinen, man könne die „Piusbruderschaft“ noch retten und jene, die überzeugt sind, da sei nichts mehr zu machen, dann jene, die sich strikt gegen den „Sedisvakantismus“ verwahren und jene, die ihn wenigstens als „Meinung“ gelten lassen wollen, solange er nicht „dogmatisch“ auftritt usw.

5. Bleibt also am Ende noch der Blick auf die „Sedisvakantisten“. Diese sind sich einig, daß die „konziliaren Päpste“ und die mit diesen verbundenen Bischöfe keine wahren kirchlichen Autoritäten sind. Sie haben dafür auch eine theologisch klare und nachvollziehbare Begründung: Amtsverlust durch Häresie. Häresie ist nämlich unbestritten einer der wenigen Gründe, der selbst beim Papst unweigerlich den Amtsverlust nach sich zieht. Hierzu seien zwei unverdächtige Zeugen angeführt, nach dem Wort des Heilands, der sagt, daß „das Zeugnis zweier Menschen wahr ist“ (Joh 8,17).

Der erste ist Papst Innozenz III., der von 1198 bis 1216 regierte, also lange vor den Wirrnissen unserer heutigen Epoche, und als einer der angesehensten Kanonisten seiner Zeit gilt. Dieser äußerte sich in seiner Sermo 2 „In Consecratione“ zu dem Satz, daß der Stuhl Petri von niemandem gerichtet werden kann: „'Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.' … Und so hat der Glaube des Apostolischen Stuhles nie versagt, selbst in den größten Bedrängnissen, sondern verharrte allezeit unversehrt und unvermindert, sodaß das Privileg des Petrus fest und unerschüttert bleibt. Darum ist der Glaube für mich so notwendig, daß, obwohl ich für andere Sünden Gott allein als meinen Richter habe, ich allein wegen einer Sünde, die gegen den Glauben sich richtet, von der Kirche gerichtet werden könnte [propter solum peccatum quod in fide commititur possem ab Ecclesia judicari]. Denn 'wer nicht glaubt ist schon gerichtet'“ (PL 218:656). Und in einer weiteren Ansprache: „'Ihr seid das Salz der Erde' … Noch weniger kann der römische Pontifex sich rühmen, denn er kann von Menschen gerichtet werden – oder besser, es kann gezeigt werden, daß er gerichtet ist, wenn er nämlich in Häresie fällt [quia potest ab hominibus judicari, vel potius judicatus ostendi, si videlicet evanescit in haeresim]. Denn wer nicht glaubt, ist schon gerichtet“ (Sermo 4: In Consecratione, PL 218:670). Im Falle von Häresie ist also der Papst bereits durch den höchsten Herrn der Kirche gerichtet und kann daher sein Amt nicht mehr ausüben und von der Kirche für gerichtet erklärt werden.

Das zweite Zeugnis stammt von Dr. Klaus Obenauer, einem Privat-Dozenten an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn, also gut konzilskirchlich eingebunden und obendrein mit großen Sympathien für die „Piusbruderschaft“, somit gewiß außerhalb jeden Verdachtes, ein „Sedisvakantist“ zu sein. Dieser stellte sich in einem Artikel die Frage: „Evangelistischer Franziskus oder ‚papa haereticus‘? – Ein bedrückendes Unentschieden“. Nachdem er sich des langen und breiten Gedanken gemacht hat über die Äußerungen von „Papst Franziskus“ zu den „geschiedenen Wiederverheirateten“, kommt er endlich zum entscheidenden Punkt: „Von daher stellen sich jedoch bedrückend-, ja belastend-unangenehme Fragen, wenn man die Eventualität in Betracht zieht, daß man tatsächlich daran gehen sollte, die besagte Norm des Nicht-Dürfens durch (und sei es partiale) Zulassung Wiederverheiratet-Geschiedener zu relativieren; und zwar mit päpstlichem Segen zu relativieren. Was ist dann mit so einem Papst? – Man kommt nicht umhin: Je mehr sich die Höchstqualifikation 'de fide divina et catholica' probabel machen läßt (und sie läßt sich in hohem Maße), desto mehr ist auch daran zu denken, daß ein Papst, der besagte Norm relativieren will, um ihr dadurch die unbedingte Anerkennung öffentlich zu versagen, dadurch eben zum Häretiker wird. Denn Häretiker ist man dadurch, daß man die Lehrvorlage der Kirche nicht als Norm für den eigenen Glauben anerkennt, dergestalt, daß sich dies nach außen bekundet. Gleich, ob dies wider besseres Wissen und Gewissen ('formelle Häresie') geschieht oder nicht (bloß 'materielle'): die sich äußerlich-bekundende Nichtanerkennung der Kirche als Instanz der Glaubensregel, die gegeben ist, sobald man in äußerlich-greifbarer Weise einem Satz die unbedingte Anerkennung verweigert im Wissen, daß er von der Kirche als zu glauben vorgelegt wird, schließt aus der Gemeinschaft der Kirche aus, was für einen Papst bedeutete, daß er des Papstamtes verlustig ginge: ein so genannter 'papa haereticus' ist kein Papst mehr.“ Das ist zwar ein klein wenig umständlich und geschraubt eingeleitet, jedoch im letzten klar und deutlich und zeigt, daß es sich bei Herrn Dr. Obenauer um einen veritablen Theologen handelt.

Diese beiden Zeugen stehen nur stellvertretend für die gesamte katholische Tradition und Theologie, die sich eigentlich immer einig war, daß ein Häretiker nicht Papst sein kann. Und daß es sich bei den „konziliaren Päpsten“ um Häretiker handelt, kann unschwer festgestellt werden. Wenigstens in der Grundhäresie der liberalen „Religionsfreiheit“ waren sie sich alle einig, wozu ein jeder noch seine privaten Häresien fügte, so etwa Wojtyla seine Allerlösungslehre (Christus hat sich mit jedem Menschen – gnadenhaft – vereinigt, „ob er es weiß oder nicht, ob er es annimmt oder nicht“), oder Ratzinger seine Leugnung des Genugtuungscharakters des hl. Meßopfers und vieles mehr.

6. Freilich ist auch der „Sedisvakantismus“ nicht ohne Schwierigkeiten. Zu normalen Zeiten würde die Kirche eine eingetretene Sedisvakanz feststellen, sie würde aufzeigen, daß der Papst „schon gerichtet ist“, wie Innozenz III. es oben erklärt hat. Aber wo ist heute die Kirche, die so etwas feststellen kann? Wo sind die katholischen Bischöfe, die katholischen Kardinäle, wo die geschlossene katholische Laienschaft, vertreten womöglich durch den Kaiser des heiligen römischen Reiches? Zur Zeit des großen abendländischen Schismas gab es sie noch, und so konnte diese Krise überwunden werden. Heute gibt es sie nicht mehr. Ein kleiner Rest von katholischen Gläubigen, Priestern und vielleicht ein paar wenigen Weihbischöfen kann diese Aufgabe nicht übernehmen. Wie sollten sie verbindlich erklären, daß der Mann in Rom gar nicht Papst ist, daß alle seine Akte, auch als Staatsoberhaupt des Vatikan, als Verwalter von dessen Gütern, daß all seine Entscheidungen als Kirchenoberhaupt wie etwa Bischofsernennungen etc., daß all das und vieles mehr ungültig ist? Und wenn sie es erklären würden, wer würde davon überhaupt Notiz nehmen und nicht allenfalls darüber lachen?

Es hat nicht an „Sedisvakantisten“ gefehlt, die dennoch diesen Versuch unternommen haben und dann auch gleich den nächsten Schritt taten und einen Papst wählten (weshalb sie denn auch eigentlich gar keine „Sedisvakantisten“ mehr sind). So kam es zu einer nicht unbeträchtlichen Schar von teilweise recht bunten „Papst“-Gestalten wie Linus II., Pius XIII., Michael I., Clemens XV., Leo XIV., Gregor XVII., Petrus II. und vielen anderen. Jeder dieser „Heiligen Väter“ verfügt über eine recht begrenzte Anhängerschaft und wird selbstverständlich von den Anhängern der anderen „Päpste“ keinesfalls anerkannt. Dieses Geschwader von wie Pilze aus dem Boden sprießenden „Gegenpäpsten“ ist sicher ein weiterer Beweis für das heutige Fehlen einer wahren kirchlichen Autorität.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß einige „Sedisvakantisten“ auch der Versuchung nicht widerstehen konnten, aus ihrer theologisch klaren Lehre eine Ideologie zu machen - wie man denn aus allem eine Ideologie machen kann -, und daß es nicht an Strolchen fehlt, die unter dem Deckmäntelchen des „Sedisvakantismus“ ihr Unwesen treiben bis hin zur Simonie. Vielleicht haben diese alle ja eine Mitschuld an dem schlechten Ruf der „Sedisvakantisten“. Vor allem dürfte dieser jedoch ähnlich begründet sein, wie man es zu allen Zeiten verstanden hat, die treuen und konsequenten Katholiken mit abwertenden Titeln zu belegen und zu verunglimpfen, um sie auf diese Weise ins sektiererische Abseits zu schieben. „Die Kirchengeschichtschreiber verzeichnen eine lange Liste von häßlichen Schimpfworten, mit denen sich unsere Väter im Glauben, jene bewunderungswürdigen Geistesmänner, deren die Welt nicht wert war, mußten behandeln lassen: Lichtscheue, Ungebildete, Bauern, Tölpel, Idioten, Narren, vernagelte, ungehobelte, viehische Ungeheuer, Eselsanbeter und dgl. mehr. Da dürfen wir viele Jahrgänge unserer Zeitungen, die uns ja auch nicht eben glimpflich behandeln, durchgehen, bis wir nur annähernd eine ähnliche Summe von Beleidigungen zusammenbringen.“ So schreibt Albert Maria Weiß, selbst als „Ultramontanist“ und „Antimodernist“ verschrieen.

7. „Schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen“ (Zach 13,7; vgl. Mt 26,31; Mk 6,34). Ohne sichtbaren Oberhirten mußte sich die Herde zerstreuen. Das ist evident. Nur ein wahrer, katholischer Papst kann und wird sie wieder einen.