Novembergedanken

Der Allerseelenmonat November erinnert uns an die ernsten Wahrheiten unseres Menschenlebens, die sog. letzten Dinge: Tod, Himmel und Hölle, Fegfeuer. Wie wenig denkt man heute noch an diese alles entscheidenden Wahrheiten. Man denkt nicht mehr daran, weil man sie nicht mehr wahr haben will und man will sie nicht mehr wahr haben, weil sie jeden, der sie ernstlich bedenkt, nachdenklich stimmen müssen. Die moderne Kirche hat deswegen das Thema „Letzte Dinge“ weitgehend aus ihrem Programm, damit sind ihre sog. Gottesdienste gemeint, gestrichen. Es fehlt im Rahmen des Modernismus auch letztlich die Voraussetzung, diese ernsten Wahrheiten noch begreifen zu können. Der moderne Glaube ist keine tragfähige Basis für solch ernste Wahrheiten mehr. Denn während der katholische Glaube auf göttlicher Offenbarung und damit auf Wahrheit beruht, beruht der moderne Glaube auf Gefühl und Phantasie. Die Phantasie eines modernen Menschen reicht jedoch schwerlich so weit, sich das Fegfeuer und noch weniger die ewige Hölle als reale Möglichkeit seines eigenen Lebens nach dem Tod vorstellen zu können. Solcherlei geistige Ungetüme phantasiert er dann lieber beiseite. Der Gott der eigenen Phantasie würde so etwas niemals machen, einen Menschen in die Hölle verdammen oder auch nur eine Zeit lang im Fegfeuer für die im Leben begangenen und nicht vollkommen bereuten und durch Buße wiedergutgemachten Sünden leiden lassen.

Der moderne Mensch wird einem, wenn man ihm von der Hölle oder auch nur vom Fegfeuer spricht, entgegenhalten: „Du willst mir wohl Angst machen?“ „Angst“ ist ein irrationales Gefühl und dieses paßt gut zur modernen Art des Glaubens, der ebenfalls ein irrationales Gefühl ist. Angst ist etwas ganz anderes als Furcht. Furcht ist die vernünftige Reaktion des Menschen auf eine konkret drohende Gefahr. Ein vernünftiger Mensch sollte die Hölle und auch schon das Fegfeuer als eine sehr konkrete, täglich drohende Möglichkeit fürchten. Denn kein Mensch weiß, ob er den Abend noch erlebt – und was dann?

Der moderne Glaube hat – auch in der modernistischen Konzilskirche – die Angst vor der Hölle beseitigt, indem er die Hölle leugnet oder für leer erklärt hat. Die Irrlehrer Karol Wojtyla, alias Johannes Paul II., und Joseph Ratzinger, alias Benedikt XVI., haben durch Verkündigung der Häresie der Allerlösungslehre den meisten „Gläubigen“ der Konzilskirche eingeredet: Zum Schluß kommen alle, auch die Teufel, doch noch in den Himmel, weil nämlich die Barmherzigkeit Gottes unendlich ist und deswegen schließlich und endlich selbst über die Hölle siegt. Die beiden Irrlehrer haben diese verderbliche Lehre wohl von Hans Urs von Balthasar übernommen, der sie seinerseits der Pseudomystikerin Adrienne von Speyer verdankt. Johannes Dörmann hat in seiner sehr gründlichen Arbeit – Johannes Paul II., Sein theologischer Weg zum Weltgebetstag der Religionen in Assisi – aufgezeigt, wie grundlegend dieser Gedanke im Gedankensystem Karol Wojtylas ist. Die Lehre von der Allerlösung führt nicht nur zu einer neuen Vision von der „Kirche“, sondern letztlich aller Religionen. Es ist bezeichnend, daß diese grundlegende Neuinterpretierung des Glaubens, der Kirche und der Religion fast von niemandem ernst genommen wurde. Die Konzilssekte will diesen Irrlehrer im nächsten Jahr sogar heilig sprechen, was von einer geistigen Blindheit zeugt, die kaum noch begreifbar ist.

Der katholische Glaube sagt uns, daß die Allerlösungslehre ein verheerender, die Ewigkeit vieler Seelen gefährdender Irrtum ist. Denn welch gefährliche Selbsttäuschung zieht dieser Irrtum nach sich! Die Allerlösungslehre wiegt den Menschen in der falschen Hoffnung, es könne ihm, wenn es um das ewige Leben geht, im Grunde nichts Schlimmes passieren, Gott sie ja immer barmherzig. Welch ein Erwachen, wenn dieser Mensch plötzlich feststellen muß, das war alles gelogen. Nein, zuguterletzt kommen nicht alle in den Himmel, sondern es wird die große End-Scheidung stattfinden, Gott wird seine Welt richten.

„Wenn der Menschensohn in seiner Herrlichkeit kommt und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Er wird sie voneinander scheiden, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet. Die Schafe wird er zu seiner Rechten stellen, die Böcke zu seiner Linken. Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: ‚Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters! Nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bereitet ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt, nackt, und ihr habt mich bekleidet, ich war krank, und ihr habt mich besucht, ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.‘ Dann werden ihm die Gerechten erwidern: ‚Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich als Fremdling gesehen und haben dich beherbergt, oder nackt und haben dich bekleidet? Und wann haben wir dich krank gesehen oder im Gefängnis und sind zu dir gekommen?‘ Der König wird ihnen antworten: ‚Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.‘ Dann wird er auch zu denen zur Linken sagen: ‚Hinweg von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bereitet ist! Denn ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben, ich war fremd, und ihr habt mich nicht beherbergt, nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet, krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht.‘ Dann werden auch sie erwidern: ‚Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig oder fremd oder nackt oder krank oder im Gefängnis gesehen und hätten dir nicht gedient?‘ Darauf wird er ihnen antworten: ‚Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem von diesen Geringsten da nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.‘ Diese werden hingehen in ewige Pein, die Gerechten aber in ewiges Leben.“ (Mt. 24, 31-46)

Das Geheimnis des Fegefeuers

Das Feuer des Gerichtes

Bei der leiblichen Auferstehung am Ende der Zeiten, so sagt uns die Heilige Schrift, wird Gott kommen, um alle Menschen zu richten. Dieses Gericht vollzieht sich durch das Feuer. Das Feuer des Gerichtes, von dem das Alte Testament so oft spricht, wird gleichzeitig ein Feuer der Rache und ein Feuer der Reinigung sein (Is 66, 15; Joel 2, 3 usw.). Die großen Sünder verfallen den ewigen Flammen (2 Thess 1, 8). Die untadeligen Gerechten, falls es solche überhaupt gibt, werden diese Probe glorreich bestehen. Wer aber kann sich schmeicheln, absolut rein, sündlos zu sein? So wird das Feuer des Gerichtes für die meisten Menschen bei ihrem persönlichen Gericht ein zugleich schrecklicher und wohltätiger Hochofen sein, in dem das Geschöpf, das noch den Gütern dieser Welt ungeordnet verhaftet ist, von den hindernden Schlacken befreit wird. In diesem Gedanken verbirgt sich die ganze Lehre der Kirche vom Fegfeuer, zwar noch verhüllt, aber eines Tages wird es voll ans Licht treten.

Man könnte nun annehmen, dieses Dogma werde im hl. Evangelium ausführlich beschrieben. Aber dafür ist es noch zu früh. Die hl. Evangelien müssen sich zuerst mit viel wichtigeren Punkten der Lehre vom zukünftigen Leben befassen. Zwar spricht unser Herr von Sünden, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben werden (Mt 12, 31—32), aber er spricht nicht über die Natur dieser möglichen Vergebung in der zukünftigen Welt. Als er uns einen Menschen zeigt, der in den Kerker geworfen wird und von dort nicht herauskommt, bis er den letzten Heller bezahlt hat (Mt 5, 25—26), denkt er zweifellos auch ans Fegfeuer, aber Seine Lehre zielt nicht direkt auf dieses Dogma ab.

Viel wichtiger ist in diesem Zusammenhang eine Stelle aus dem ersten Brief des hl. Paulus an die Korinther. Dort finden wir die alte Idee vom Feuer des Gerichts wieder, jedoch unter ganz neuen Gesichtspunkten: «Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, das ist Jesus Christus. Ob aber jemand auf diesen Grund Gold baut oder Silber, Edelsteine, Holz, Heu oder Stroh, es wird eines jeden Werk offenbar werden; denn der Tag des Herrn wird es ans Licht bringen, weil er sich im Feuer offenbar macht, und wie das Werk eines jeden ist, wird das Feuer erproben. Wenn das Werk von einem, das er darauf gebaut hat, standhält, wird er Lohn empfangen. Verbrennt aber das Werk von einem, so wird er Schaden leiden; er selbst wird gerettet werden, jedoch so wie durch Feuer» (1 Kor 3, 11—15).

Was hat man sich aber nun unter diesem geheimnisvollen Feuer, das es zu durchqueren gilt, um gerettet zu werden, vorzustellen? Der hl. Paulus sagt es nicht. Außerdem sagt er uns auch nicht, wann diese schreckliche Prüfung stattfindet, und lange Zeit dachten die Christen, die noch immer auf die Rückkehr des Herrn warteten, bei diesem Text nur an das Letzte Gericht. Zwischen diesem aber und dem Besonderen Gericht, auf das wir heute die Betonung legen, gibt es geheimnisvolle Zusammenhänge, die Gott, da er, im Gegensatz zu uns, über der Zeit steht, mit einem Blick erfassen kann. Schon bezüglich des Himmels und der Hölle mußte der Glaube erst vertieft werden, damit die Christen begriffen, daß die Vergeltung für das diesseitige Leben sofort nach dem Tod beginnt. Die ersten Christen, die sich um das Heil der gesamten Menschheit sorgten, glaubten, daß nur die Auferstehung des Fleisches uns eine vollkommene Seligkeit bringen könnte. Sie dachten, daß die Seele bis zum Ende der Zeiten in einem Zwischenstadium verbleiben würde. Das Paradies, die ewigen Wohnungen, Abrahams Schoß, in den nach dem Evangelium (Lk 16, 23) der arme Lazarus getragen wurde, waren für die Christen der ersten Jahrhunderte provisorische Wohnungen, eine Vorwegnahme der Anschauung Gottes. Aber schließlich mußte die Überlegung zu der Einsicht führen, daß für eine gereinigte Seele sich der Himmel sofort nach dem Tod öffnet. Unter der Leitung des Hl. Geistes kam man auch bald zur richtigen Ansicht über Hölle und Fegfeuer. Man begriff, daß das Feuer des Gerichts, sei es nun ein Fegfeuer oder das Feuer der Rache, ein zeitlich begrenztes oder ein ewiges Feuer, sofort beginnt, nachdem die Seele dieses Leben verlassen hat.

Das Fegefeuer

Es war im christlichen Osten genauso wie im Westen üblich, für die Toten zu beten. Dort wie hier wurde gelehrt, daß man Gott darum bittet, er möge den Verstorbenen am Tag des Gerichtes gnädig sein. Aber den getrennten Ostkirchen, die vielleicht mit veralteten Vorstellungen zu sehr verhaftet waren, gelang es nicht, den überlieferten Glauben klar zu definieren. Als man im Mittelalter, nämlich zu Lyon im Jahre 1245 und zu Florenz im Jahre 1439, eine Einigung zwischen den Griechen und Lateinern herbeizuführen suchte, zeigte es sich, daß die ersteren zwar, genau wie Rom, das Gebet für die Toten für sinnvoll hielten, daß sie aber die westliche Anschauung über das Fegfeuer ablehnten, ohne jedoch eine eigene Theorie entgegensetzen zu können. Bis heute ist es den Orthodoxen nicht gelungen, ihren Glauben über diesen wichtigen Punkt der christlichen Lehre zu präzisieren.

Die katholische Kirche hingegen hat feierlich die Existenz des Fegfeuers definiert. Seit dem Ausgang des Mittelalters lehrt sie eindeutig, daß die Seelen der Gerechten, die noch nicht ganz gereinigt sind, sofort nach dem Tod durch eine zeitlich begrenzte Prüfung zu gehen haben, nach der sie dann in den Himmel kommen, ohne daß sie auf die Auferstehung des Fleisches und das Jüngste Gericht warten müssen. Und doch hat die Kirche damit keine neue Lehre aufgestellt. Als lebendige Hüterin eines lebendigen Glaubensgutes hat sie nichts anderes getan, als den Fortschritt in der Lehre zu sanktionieren und das, was ihr bezüglich der Prüfungen des Fegfeuers überkommen war, in Einklang mit den anderen Punkten ihrer Lehre zu verkünden.

Im 4. Jahrhundert lehrt der hl. Zyrillus, Bischof von Jerusalem, übrigens ein Orientale, daß die Seelen der Verstorbenen von dem wahren Vaterland ausgeschlossen sind. Wenn man das Opfer darbringt, so lehrt er in seinen Katechesen, gedenkt man der Patriarchen, der Propheten und der Märtyrer, auf daß sie Gott unsere Gebete darbringen. Man gedenkt auch der Heiligen (das heißt der Gläubigen), die im Frieden des Herrn und in der Gemeinschaft des Glaubens gestorben sind, denn man weiß, daß ihnen das Opfer der Kirche nützlich ist.

Das Fegfeuer ist also ein Verbannungsort fern von Gott. Es ist ein Reinigungsort, den die westliche Tradition mit dem Namen Fegfeuer bezeichnet. Der hl. Augustinus, welcher als einer der ersten begriff, daß dieses Feuer mit dem Tod beginnt, hat oft die oben angeführte Stelle des hl. Paulus kommentiert. Er unterscheidet zwischen dem Feuer der Hölle und dem Feuer des Gerichtes und zeigt, daß dieses ein inneres Leiden ist, mit dem die Seele für ihr ungeordnetes Anhangen an vergängliche Gütern bestraft wird. Einer seiner Schüler, der hl. Cäsarius, Bischof von Arles, hat oft von diesen reinigenden Schmerzen gesprochen. Und auch er unterscheidet zwischen den Sünden, welche die Hölle verdienen, und den weniger schweren, die unseren Eingang in das Himmelreich verzögern. „Obwohl diese Sünden“, so sagt dieser Heilige in einer seiner Predigten, „für unsere Seele nicht den Tod bedeuten, so entstellen sie sie doch. Sie erlauben es ihr nicht, sich mit ihrem himmlischen Gatten zu vermählen, bevor sie nicht durch tiefste Demütigung hindurchgegangen ist. Durch Gebet und anhaltendes Fasten können wir sie loskaufen, und das, was wir nicht losgekauft haben, muß durch das Feuer gereinigt werden, von dem der Apostel gesagt hat: ‚Wie das Werk eines jeden ist, wird das Feuer erproben‘. So wollen wir also, solange wir auf dieser Erde sind, uns abtöten ... so daß diese Sünden in diesem Leben getilgt werden und im anderen Leben das Fegfeuer nichts oder nur wenig in uns findet, was zu tilgen ist...“

Das Leiden der Armen Seelen im Fegefeuer

Der Tod überrascht die meisten Menschen in einem Augenblick, in dem ihre geistige Entwicklung auf Grund ihrer Sünden, ihrer »unzähligen Unterlassungen» noch nicht vollendet ist. Beim Tod wird dem Menschen eine vollkommene Erkenntnis seines Seelenzustandes gewährt und er wird von Gott gemäß seinen Werken gerichtet. Wer nicht in einer schweren Sünde verstorben ist und damit die Hölle verdient hat, wird meistens wegen seiner läßlichen Sünden nicht sofort in den Himmel, sondern ins Fegfeuer kommen. Dort beginnt die leidvolle Reinigung der Seele. Es handelt sich dabei um einen Zwischenstand zwischen dem, was wir beim Tod sind und dem, was wir im Himmel sein werden. Die hl. Katharina von Genua, die Mystikerin des Fegfeuers, gibt uns deutlich zu verstehen, daß dieses Feuer gleichzeitig trostbringend und schmerzhaft ist, wie alles, was reinigt. Sie sagt darüber: «Die Schmerzen sind so groß, daß keine Zunge sie beschreiben, kein Verstand sich ihr Ausmaß vorstellen kann.» An einer anderen Stelle jedoch schreibt sie: «Ich glaube nicht, daß man eine Zufriedenheit finden kann, die derjenigen der Seelen im Fegfeuer gleichkommt, es sei denn, die Zufriedenheit der Seligen im Himmel. Die Zufriedenheit wächst jeden Tag, je mehr Gott diese Seele durchdringt, und er durchdringt sie, je mehr Hindernisse, die sich ihm entgegenstellen, dahinschwinden.»

An dieser Stelle wäre zu bemerken, daß Zufriedenheit und Schmerz sich sehr wohl nebeneinander finden können. Schon aus unserer eigenen Erfahrung wissen wir, daß Traurigkeit durchaus süß und Freude bitter sein kann. Wer hat etwa nicht schon einmal in Augenblicken höchster Freude die Trauer über ihre Vergänglichkeit erlebt oder über die Unmöglichkeit, sie anderen mitzuteilen. Es gibt durchaus eine Seelenruhe inmitten einer schweren Prüfung, es gibt die Freude über einen Schmerz, von dem man weiß, daß Gott ihn geschickt hat. Die besonders begnadeten Seelen kennen besser als alle anderen Menschen die geheimnisvolle Verbindung von Freude und Schmerz. Je tiefer der Schmerz pflügt, desto höher erhebt sich die Freude aus dieser Furche. Die hl. Büßer haben es uns gesagt, welch unermeßlichen Frieden sie in den größten Entbehrungen gefunden haben. Aus diesem Grund suchen sie, soweit Gott es zuläßt, fast den Schmerz: in der Aufopferung ihres eigenen Willens gelangen sie zu dem Glück, das die vollkommen unterworfene Freiheit mit sich bringt. In Analogie zu diesen Tatsachen wollen wir versuchen, das „Innere“ der Seelen im Fegfeuer zu begreifen.

Das geheimnisvolle Feuer, das ist Gott, dessen Gegenwart von den Armen Seelen zwar verspürt wird, mit dem aber eine Vereinigung noch nicht möglich ist. Unter diesem Blickwinkel ist das Fegfeuer ein Zustand der Reife, in dem die Seele durch den Schmerz geläutert wird. Hier wird die Wandlung zum Guten fortgesetzt, die wir auch schon während unseres Erdenlebens hätten vollziehen können, aber aus schuldhafter Nachlässigkeit versäumt haben. Jetzt besteht allerdings keine Gefahr mehr, von den gegebenen Möglichkeiten keinen Gebrauch mehr zu machen, die Armen Seelen sind vollkommen dem Willen Gottes ergeben.

Wir berechnen die Dauer des Fegfeuers nach menschlichen Zeitbegriffen, wie es unserer unvollkommenen Natur entspricht. Dabei sagt uns unser Verstand, daß es sich im Fegfeuer um eine anders geartete Zeit handeln muß. Dort ist es eine Zeit des stetigen Fortschrittes, des Leidens ohne Auflehnung, des geduldigen, vollkommen ergebenen Ertragens des reinigenden Willens Gottes. Es muß eine Zeit sein ähnlich derjenigen, welche die menschliche Seele in willig hingenommenen Schicksalsschlägen durchmacht; eine Zeit, die nichts verschlechtert, sondern alles verbessert; eine Zeit, die nicht beladen ist mit den Gedanken an eine schreckliche Vergangenheit, noch mit Angst für die Zukunft, denn jeder Augenblick verströmt sich in einem schöneren, jeder Augenblick bringt eine größere Heilsgewissheit.

Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß es zwei Arten zu leiden gibt. Wenn uns ein Schicksalsschlag trifft, können wir ihn hinnehmen in dem Bewußtsein, daß er zu unserer Läuterung dient: dies ist das irdische Abbild der Leiden wie sie sich im Fegfeuer vollziehen. Man kann aber auch sich einschließen in diesen Schmerz, sich dagegen auflehnen und protestieren. Diese Ablehnung ist es dann, die den Schmerz zur Qual macht. Von der ersteren Art ist das Leiden im Fegfeuer. Die Hölle hingegen ist der verschlossene und sich aufbäumende Schmerz, in dem es keine Ausnahme des Leidens gibt.

Die drei Seelenzustände, die wir Himmel, Fegfeuer und Hölle nennen, unterscheiden sich in ihrem Verhältnis zur ewigen Liebe Gottes. Dort, wo sich dieser Liebe nichts entgegenstellt, erscheint sie als reines Licht und bringt vollkommene Freude. Wo ein Widerstand bemerkbar wird, da erscheint sie als Feuer. Dabei gibt es aber zwei Möglichkeiten. Im ersten Fall — es handelt sich hier um das Fegfeuer — ist der Widerstand passiver Natur, gleichsam ein Rheumatismus der Seele, eine Krankheit, eine Mattigkeit. Im anderen Fall handelt es sich um einen aktiven Widerstand, der den Geist vollkommen beherrscht, das Böse bejaht und sich auflehnt. Das Fegfeuer ist ein Freudenfeuer, das höllische ein Feuer der Qualen. Die Liebe hüllt uns immer ein: an uns liegt es, ob wir sie in Feuer oder in Licht verwandeln.

Sehnsucht nach Gott

Der Mensch ist das schönste Geschöpf Gottes. Mit ihm hat sich Gott vereinigen wollen, um daran sein Wohlgefallen zu finden, dieses Wesen hat er zu einer vollkommenen Vereinigung berufen. Wenn dieses Geschöpf durch den Tod von allen irdischen Bindungen befreit ist und vor ihm erscheint, so will Er es vollkommen sehen, absolut würdig seiner Liebe. Wie der hl. Johannes vom Kreuz sagt, verlangt Gott von keinem Menschen, daß dieser die göttliche Natur begreife, erfülle, erahne; er verlangt nur, daß dieser vollkommen gereinigt und vollkommen fähig ist, ihn uneingeschränkt zu lieben.

Eine Seherin des 15. Jahrhunderts, die hl. Katharina von Genua, hat uns Aufzeichnungen über das Fegfeuer hinterlassen, die in ihrer Schlichtheit und Tiefe noch von keinem späteren Autor erreicht wurden. Sie zeigt die in Gott versenkten Seelen, wie sie darunter leiden, noch nicht ganz gereinigt zu sein, in dem ungestümen Schwung gehemmt zu sein, der das Geschöpf fortreißt zu dem allein Geliebten, von dem die liebenswertesten und am meisten geliebten Menschen auf Erden nur einen schwachen Abglanz tragen. Sie beschreibt, wie Gott und die Seele Blicke austauschen, wie diese sich bemüht, ihm gerecht zu werden; aber die Vergeblichkeit dieses Unterfangens bedeutet für die Seele eine unerträgliche Pein. Um uns einen Begriff davon zu geben, gebraucht sie diesen Vergleich:

„Stellen wir uns vor, in der ganzen Welt gäbe es nur ein Brot, das dazu bestimmt wäre, durch seinen Anblick allein den Hunger aller Kreaturen zu stillen.
Stellen wir uns dann einen hungrigen Menschen vor, der sich sonst guter Gesundheit erfreut und bestimmt ist, nicht zu sterben.
Diesem Menschen erzählt man nun von diesem Brot, durch dessen Anblick allein er schon gesättigt wird. Man stelle sich seine Qual vor! Ist es nicht offensichtlich, daß, je mehr er sich diesem Brot nähert, ohne einen Blick darauf werfen zu können, desto unerträglicher sein Hunger wird?
Wenn nun schließlich bei diesen immer stärker werdenden Hungersqualen der Mensch zu der Gewißheit käme, daß er niemals dieses Brot sehen wird, was würde dann geschehen? Nun, in diesem Augenblick würde die Hölle für ihn beginnen. ..
Nun gut, der Hunger, den dieser Mensch verspüren würde, entspricht genau dem, den die Seelen im Fegfeuer verspüren würden — allerdings ohne die letzte Verzweiflung. Aber der Hunger und das von ihnen erduldete Martyrium sind unaussprechlich groß, solange sie sich nicht sättigen können am lebendigen Brot: Jesus Christus, dem wahren Gott, unserem Heiland und unserer Liebe ...“

Dieser Vergleich ist zwar einfach, aber doch sehr aufschlußreich. Eines Tages muß sich die Seele der Tatsache bewußt werden, daß sie für Gott geschaffen ist. In einem alten griechischen Gedicht heißt es: „O Christus, mein König, du bist für mich Heimat, Kraft, Ruhm und alles. Könnte ich doch bald in dir wohnen, könnte ich die gegenwärtigen Mühen vertauschen mit der Schauung deines Angesichtes!“ Wie viele Sterbende glauben nun wirklich, daß ER allein ihren Durst nach Glück löschen kann? Ihren Durst, der sie ihr ganzes Leben lang gequält hat und den sie in ihrer Verblendung und in ihrem Elend an mehr oder weniger abgestandenen oder vergifteten Quellen zu löschen versucht haben.

Im Augenblick des Todes beginnt das Werk Gottes. Es genügt nicht, daß die Seele ihr unnützes oder schuldhaftes Leben bedauert, es genügt nicht, daß ihr von Seiten Gottes Ver­zeihung zugesagt wurde. Denn wenn Gott wirklich Gefallen haben soll an diesem Geschöpf, welches das Blut seines Sohnes erlöst hat — andernfalls ist unser ganzes religiöses Leben eine Komödie —, dann muß im Inneren dieses Menschen irgendetwas vorgehen. Die Vergebung der Sünde durch Gott ist nicht einfach eine Änderung der Einstellung Gottes ihm gegenüber. Denn die göttliche Liebe ist immer schöpferisch, und wenn Gott dem Menschen ein neues Herz, ein neues Leben gibt, dann bedeutet das, daß ein Bruch eingetreten ist zwischen dem alten Sein und dem neuen, in dem er sich jetzt befindet. Es ist etwas vorgegangen: eine Änderung, eine Reinigung... Im 56. Vers des Purgatoriums schreibt Dante: "Wie glücklich sind wir, daß wir das Leben im Frieden mit Gott beschlossen haben, aber hier quält er uns nun mit dem Wunsch, ihn zu sehen!" Im Widerschein von Gottes Angesicht öffnet uns der Tod die Augen über unseren wahren Zustand. Er bewirkt, daß wir uns sehen, wie Gott selbst uns sieht. Und das wird ein solcher Schmerz sein, daß das „sero Te amavi“ (ich habe Dich zu spät geliebt!) des hl. Augustinus in etwa vergleichbar ist mit dem Stöhnen eines schlafenden Kindes gegenüber dem Weinen eines Mannes. Liebe, die hier unten nur angedeutet ist, entrückt die Seele in einem solchen Maß, daß sie aus allen Fugen geraten würde, gäbe Gott nicht die Kraft seiner Hoffnung und die Beruhigung durch seine Liebe. Für Dich, o Herr, hast du uns erschaffen, und unruhig ist mein Herz, bis es ruht in Dir. Diesen Schrei hat der hl. Augustinus bereits auf Erden ausgestoßen. So wird auch unsere Seele aufschreien angesichts des Todes. „Du allein bist meine Ruhe“, sagt Dante (VIII, 12). Und wirklich findet die Seele keine Ruhe, solange der Herr in ihr nicht gerade gemacht hat, was krumm ist, biegsam, was steif ist, so wie wir es vom Hl. Geist, der helfenden Liebe, am Pfingstfest erflehen. Wir wissen nicht, wie groß die Arbeit ist, die sich in diesem Vorhof des Himmels vollzieht. Wir dürfen wohl annehmen, daß sie schmerzlich ist, wobei allerdings das Ende der Schmerzen abzusehen ist, was diese zwar nicht verringert, die Seele aber vor der Verzweiflung bewahrt.

Es handelt sich um nichts Geringeres, als das noch einmal zu versuchen, was auf Erden nicht wirklich gelebt wurde, noch einmal in die Lehre der wahren Liebe zu gehen. «Wenn vom Himmel herab Christus dein Herz verwundet hätte, wenn er dein innerstes Wesen mit seinem feurigen Pfeil durchbohrt hätte, dann würdest du wohl den Unterschied zwischen beiden Arten der Liebe verstehen», zwischen der, die dich zum Geschäft zieht, und der, die dich hinzieht zur «Sonne deiner Seele ... Du würdest den Ansporn deines Königs erkennen... O Herr, gieße auf mich die Pfeile aus deinen heiligen Händen aus!» (so spricht der hl. Gregor von Nazianz). In diesen neuen Wunden liegt das Geheimnis der Gnade der Umwandlung.

Welche Seele, die sich zur Vereinigung mit Gott berufen fühlt, wird nicht danach streben, diesen Schmelztiegel hinter sich zu lassen? Ja, sie würde ihn sogar umgehen, wenn sie könnte, und die Ermutigungen durch die vorangegangenen Heiligen, vor allen Dingen durch die Königin der Heiligen, können gar nicht eindringlich genug sein, wenn es darum geht, in dieses Feuer hineinzusteigen. «Wie gerne», ruft Dante aus, «hätte ich mich in einen Tiegel schmelzenden Glases geworfen, in der Hoffnung, ein wenig Abkühlung zu finden, so schmerzhaft war die Flamme!» (Purg. XXVII, 49—51). Aber der wackere Vergil, sein Führer, ermutigt ihn: «Komm, erhebe dein Haupt, siehst du nicht die Augen Beatrices?» Er sollte sie bald sehen, aber mit einem Lächeln wandten sie sich gegen «die lebendige Quelle unserer Hoffnung», Maria, «die Augenweide aller Heiligen» (Paradiso, XXXII, 135).

Die Armen Seelen, die ihrer Erlösung nahe sind, blicken zwar auf Maria, wenden jedoch nie den Blick von denen, die sie auf Erden geliebt haben. So darf man ohne weiteres durch ihre Vermittlung um die Gnade der wahren Gottesliebe bitten, ja selbst um die Erfüllung irdischer Wünsche, wie es das gläubige Volk tut. Zwar können sie für sich selbst nichts tun, aber sie sind Seelen, die in Freundschaft mit Gott leben und seinem Herzen angenehm sind. Und wer möchte sie nicht besuchen, zumindest geistigerweise, zumindest durch ein liebevolles Gebet, um ihnen für empfangene Gnaden zu danken, oder einfach aus brüderlicher Liebe heraus (denn die ganze menschliche Familie ist ja zum Heil berufen), wer wollte ihnen nicht helfen, diesen Seelen, deren einziges Sehnen auf die baldige Vereinigung mit Gott gerichtet ist?

„Schnell, schnell, auf daß die Zeit nicht vertan wird durch Mangel an Liebe!“ (Purg. XVIII, 103—104). Heute sind sie noch Gefangene, aber eines Tages werden sie denen ihren Dank abstatten, die ihnen geholfen haben, das Hindernis zu überwinden, den Abstand, der sie von Gott trennt, der sie daran hindert, zu dem himmlischen Hochzeitsmahl zu gelangen, für das sie geschaffen sind und von dem die irdische Liebe nur ein schwacher Abglanz ist. Für den Christen, der noch auf Erden wandelt, gibt es keine dringendere Pflicht als diese Liebe. Wenn er den Armen Seelen hilft, sich zu erneuern und „zu den Sternen aufzusteigen“ (Dante Purg. XXXIII, 145), dann wird er sicher am Jüngsten Tag die Einladung des Königs vernehmen: Kommt ihr Gesegneten meines Vaters! Ich war in Schwierigkeit, und ihr seid nicht vorbeigegangen. Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.

Jesus, das Urbild der Menschenseele

Unser Herr Jesus Christus ist Gott. Er besitzt alle göttlichen Eigenschaften, vielmehr: Er ist sie. In ihm verschmelzen sie. Sie machen sein Wesen aus. Nach Beendigung ihrer Leiden auf Erden und im Fegfeuer werden die Auserwählten eingeladen, in die Freude des Herrn einzugehen. Die göttliche Vollkommenheit hätte für die menschliche Natur unseres Herrn eine Quelle jedes menschliche Begreifen übersteigender Freude sein können. Er aber hat gewollt, daß sie Ihm wie für uns zugleich eine Quelle des Glücks und des Leides waren. Als Gott hatte unser Herr eine vollkommene Kenntnis Gottes und des Menschen. Er war Licht vom Licht. Gerade dieses Wissen um die göttliche Güte und die menschliche Undankbarkeit verwandelte sein Meer von Licht in ein Meer von Schmerzen. Dieses Wissen war einer der Gründe für die Todesangst am Ölberg. Aus ihm heraus kam der Blutschweiß, der höchste Ausdruck für den Schmerz, der ihn vom Augenblick seiner Empfängnis an bedrückte. Als Gott war er unendlich heilig — und dennoch trug er in seiner menschlichen Seele die Last und die Scham unserer Sünde. Der hl. Paulus sagt in seiner kraftvollen Sprache, daß Christus „für uns ein Verfluchter wurde“ (Gal 3, 13), und dieser Fluch des Vaters rief die Todesangst im Herzen des Sohnes hervor. Seine Verlassenheit am Kalvarienberg enthüllte das furchtbare Leiden der unendlichen Heiligkeit. Als Gott war unser Herr ganz Liebe. Er sagte zu den Seinen: «Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich auch euch geliebt.» Aber die elende Verblendung, die uns daran hinderte, diesen Vorzug zu sehen, unsere Ablehnung seines Werbens, unser Egoismus und unsere Knauserigkeit ließen ihn auch ausrufen: „O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht. Wie lange soll ich noch bei euch sein und euch ertragen?“ (Lk 9, 41).

Wenn wir das Evangelium im Licht dieser verkannten Liebe lesen, dann freuen wir uns über die spärlichen Anzeichen von Zuneigung, die ab und zu die Dunkelheit erhellen: die absolute Uneigennützigkeit eines Johannes des Täufers, die vollkommene Hingabe einer Maria Magdalena, das Mitleid der hl. Frauen. Zu diesen Lichtblicken bildet die Eigennützigkeit der Menge und die schimpfliche Kaltblütigkeit der Pharisäer einen furchtbaren Kontrast. Wenn wir im Leben Christi der Reihe nach die göttlichen Eigenschaften betrachten: seine Weisheit, wie sie verkannt wurde, seine Vorsehung, wie sie angezweifelt wurde, sein Wille, wie er durchkreuzt wurde, dann verstehen wir, wie jede einzelne dieser Quellen der Freude zu einer Quelle des Leides werden mußte.

Aus ganz anderen Gründen sind diese göttlichen Tugenden für die Seelen im Fegfeuer Quellen intensiven Schmerzes. Was unser Herr aus Mitleid für uns gelitten hat, müssen sie als Buße für ihre Sünden erdulden. Aber diese Schmerzen an sich gewinnen erst dadurch Reinigungskraft, daß sie zuvor durch das Herz Christi gegangen sind. Erst in Verbindung mit seinem Leiden bewirken sie die Umwandlung der Seele. In ihm, und in ihm allein, liegt unsere Rettung!

Das göttliche Leben, die göttliche Weisheit und das göttliche Schweigen bewirken also das große, schmerzliche Schweigen des Fegfeuers, in dem die Seele ihre Schuld entdeckt, in dem sie sieht, wie finster sie ist, verglichen mit dem Lichte der Heiligkeit Gottes; wie schwach sie ist, verglichen mit der göttlichen Allmacht; wie unwürdig sie ist, verglichen mit der höchsten Wahrheit; wie leer sie ist gegenüber der göttlichen Fülle; daß sie ein Nichts ist, verglichen mit dem göttlichen Sein. Die göttlichen Eigenschaften erheben sich, um in ihrem Inneren einen Kampf zu entfesseln. Nach und nach wird sich die Seele bewußt, daß sie sozusagen nichts anderes ist als eine lebende Verneinung der göttlichen Eigenschaften des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Und dieses Leiden dauert an, bis die Flamme die Seele gereinigt, verwandelt, bereichert, verklärt und mit Freude erfüllt hat.

Der Heilige Geist selbst ist es, «das Feuer und die Salbung des Allerhöchsten», der in den gefangenen Seelen diese Erkenntnis, dieses Leiden und diese Freude bewirkt. Dazu sagt der hl. Johannes vom Kreuz: „Das Feuer, das sich eines Tages mit der Seele vereinigt, um sie zu verklären, und dasjenige, das sie zuerst durchdringt, um sie zu reinigen, ist ein und dasselbe Feuer der Liebe“ und: „Die Seele ist nur noch eine Liebe mit dieser Flamme.“ „Was wird es demnach Großes sein“, so fragt der hl. Johannes vom Kreuz, „um den Schatten des Heiligen Geistes, den er durch die Großtaten seiner Kräfte und Vollkommenheiten in der Seele hervorbringt, da er derselben so nahe ist, daß er sie nicht bloß überschattet, sondern mit ihr im Schatten und in glänzender Lichtfülle vereint ist und sie in jeder derselben Gott gemäß seiner Eigenschaft und Weise erkennt und kostet! Sie erkennt und kostet die göttliche Allmacht im Schatten der Allmacht, die Weisheit im Schatten der göttlichen Weisheit, sie erkennt und kostet die unendliche Güte im Schatten, der sie mit göttlicher Güte umgibt. Endlich kostet sie die Seligkeit Gottes im Schatten der Seligkeit, welche ihr das Verständnis der Eigenschaft und Art und Weise der Seligkeit Gottes erschließt; dies alles zieht im hellglänzenden und feurigen Schatten jener lichthellen und brennenden Lampen vorüber, die alle nur eine Lampe des einen und einfachen Wesens Gottes sind, das eine solche Seele auf alle jenen Weisen erleuchtet.“ (Johannes vom Kreuz, Lebendige Liebesflamme)

Wenn die Erkenntnis Gottes der Seele im Fegfeuer so unvorstellbare Freude gibt, dann muß die Erkenntnis ihres eigenen Ichs — das so sehr im Gegensatz zu Gott steht — ihr die reinste Todesangst bedeuten. Weil aber diese beiden Erkenntnisse zusammenwachsen, so übersteigen Freude und Leid jede menschliche Vorstellung. Könnten wir sie nämlich verstehen, wenngleich auch nur unvollkommen, so würden wir auch alles tun, um diesen Seelen zu Hilfe zu eilen!

Vor langer Zeit wurde ein Strahl dieser Erkenntnis einem kleinen Mädchen gewährt, das Schmetterlingen nachlief. Es wurde plötzlich ganz ernst und hielt im Laufen inne, schließlich, nach einer langen Pause, rief es seine Spielgefährtinnen herbei und versuchte, ihnen in naiver Weise durch ein Gleichnis ihre Erfahrung mitzuteilen: „Wenn eine unserer Freundinnen in einem brennenden Haus eingeschlossen wäre, so würden wir ihr zu Hilfe eilen! Nun denkt einmal, wie wir da erst den Armen Seelen helfen müßten!“ Dieses Kind hatte später unter dem Namen Maria von der Vorsehung das Privileg, wirklich an den geheimnisvollen Leiden dieser schmachtenden Seelen teilzunehmen und in einzigartiger Weise von ihren Schmerzen durchdrungen zu werden.