Innere Versöhnung in der Kirche

1. Vor zehn Jahren, am 7. Juli 2007, erließ Joseph Ratzinger als „Benedikt XVI.“ sein vielbeachtetes „Motu proprio Summorum Pontificum“, untertitelt „De usu extraordinario antiquae formae Ritus Romani“, „über den außerordentlichen Gebrauch der alten Form des römischen Ritus“, oder „über den Gebrauch der Römischen Liturgie in der Gestalt vor der Reform von 1970“, wie die deutsche Übersetzung auf den Seiten des Vatikan lautet.

2. Die „Petrusbruderschaft“ begrüßte damals freudig „aus ganzem Herzen mit großer Dankbarkeit die schon lange erhoffte Veröffentlichung des Motu Proprios ‚Summorum Pontificum‘ unseres Heiligen Vaters Benedikt XVI., das die erweiterte Zulassung der überlieferten Liturgie regeln soll“. „Mit besonderer Freude“ erfüllte sie dabei nach den Worten ihres „Distriktoberen“ „die hierin erfolgte Klarstellung über den bedeutenden Platz, den das Missale des seligen Johannes XXIII. im Leben der Kirche einnimmt“. Die „Piusbruderschaft“ in Gestalt ihres Vorsitzenden jubelte, „Benedikt XVI.“ habe „die tridentinische Messe wieder in ihre Rechte eingesetzt“, und freute sich, „daß die Kirche so ihre liturgische Tradition wiederfindet“. „Für diese große geistige Wohltat“ sprachen die „Piusbrüder“ „dem Obersten Hirten ihre innige Dankbarkeit aus“. „Mit großer Freude und Dankbarkeit“ begrüßten auch „die in den katholischen Vereinigungen Pro Missa Tridentina, Una Voce Deutschland und Pro Sancta Ecclesia zusammengeschlossenen traditionsverbundenen Gläubigen“ das weltbewegende Ereignis. Es sei dies „ein historischer Wendepunkt in der nachkonziliaren Entwicklung“. Der „seit vielen Jahrhunderten gefeierte klassische römische Ritus“ werde „als außerordentliche Form des römischen Ritus anerkannt“ und erhalte „damit endlich nach mehr als 35 Jahren der de-facto-Abschaffung wieder seinen festen Platz in der Kirche zurück“.

Wir wollen anläßlich des Jubiläums ein wenig Bilanz ziehen, welche Früchte nach zehn Jahren aus diesem inzwischen sagenumwobenen „Motu proprio“ (in „Traditionalisten“-Kreisen hat es bereits einen legendären Status als „das“ Motu proprio schlechthin, ähnlich wie „das“ Konzil und „der“ Erzbischof; man braucht nicht zu sagen, welches Motu proprio, welches Konzil oder welcher Erzbischof gemeint ist) tatsächlich hervorgegangen sind. Nach allgemeinem Sprachgebrauch bei den „Traditionalisten“ ist damit die „Freigabe der alten Messe“ erfolgt. „Das Motu proprio Summorum Pontificum zur Rehabilitierung der überlieferten lateinischen Messe vor nunmehr 10 Jahren war eine entscheidende Tat für das Gesunden der Kirche“, behauptet ein führender Lefebvrist.

„Alte“ und „Neue Messe“

3. Um die Vorgänge exakt nachzuvollziehen, ist zunächst eine wichtige Klärung erforderlich. Das „Motu proprio“ selbst spricht in seinem lateinischen Titel von der „antiqua forma Ritus Romani“, der „alten Form des römischen Ritus“, in deutscher Übertragung von „der Römischen Liturgie in der Gestalt vor der Reform von 1970“. Die „traditionsverbundenen Gläubigen“ nennen sie „überlieferte Liturgie“, „Missale des seligen Johannes XXIII.“, „tridentinische Messe“, „klassischer römischer Ritus“ oder „überlieferte lateinische Messe“. Im Volksmund wird das, was hier gemeint ist, kurz „alte Messe“ genannt und der sog. „Neuen Messe“ gegenüber gestellt.

Der Ausdruck „Novus Ordo Missae“ stammt von „Papst Paul VI.“ persönlich. Dieser hielt am 29. November 1969, dem Vorabend des Inkrafttretens seiner Konstitution „Missale Romanum“ zur „Einführung des gemäß Beschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuerten Römischen Meßbuches“, bei seiner Generalaudienz eine Ansprache, in welcher er sagte: „Wir wollen eure Aufmerksamkeit auf ein Ereignis lenken, das der Lateinischen Katholischen Kirche unmittelbar bevorsteht: Die Einführung der Liturgie nach dem Neuen Ordo der hl. Messe. Diese Liturgie wird in den italienischen Diözesen vom 1. Adventssonntag an verpflichtend, er fällt in diesem Jahr auf den 30. November. Die hl. Messe wird künftig in einer Weise gefeiert, die sich deutlich von dem unterscheidet, woran wir in den letzten 400 Jahren seit Papst Pius V. und dem Konzil von Trient gewöhnt waren.“ Zurecht wird man von dem „Neuen Ordo der hl. Messe“, welcher sich „deutlich von dem unterscheidet, woran wir in den letzten 400 Jahren seit Papst Pius V. und dem Konzil von Trient gewöhnt waren“, als einer „Neuen Messe“ reden oder der „Messe Pauls VI.“, welche der „alten Messe“, der „Messe Pius‘ V.“ oder „tridentinischen Messe“ gegenübersteht.

Der Übergang von der einen zur anderen ist jedoch nicht abrupt erfolgt, sondern in einem längeren Prozeß nach Art einer alchimistischen „Transmutation“. „Das Große Werk, die Transmutation des Alchemisten konnte mehrere Monate oder gar Jahre dauern“, schreibt „Wikipedia“. In der Alchemie war man, in etwas eigenwilliger Anwendung des Aristotelischen Hylemorphismus (wonach jeder Körper aus Form und Materie besteht) überzeugt, „alle Stoffe seien nicht nur aus Eigenschaften, sondern aus Prinzipien aufgebaut“. „Somit war es theoretisch möglich, einen beliebigen Stoff (hyle), vorzugsweise also unedle Metalle, mit den edlen Prinzipien (eidos) von Gold oder Silber neu zu gestalten. Das war idealerweise möglich, wenn man zuvor den unedlen Stoff von unedlen Prinzipien befreit hatte und ihn damit empfänglich für neue Prinzipien gemacht hatte.“ Annibale Bugnini, der Schöpfer des „Novus Ordo“, wendete diese Technik auf die Liturgie an. Die Heilige Messe war ihrer „unedlen“ Prinzipien zu entkleiden, als da waren mittelalterlicher Aberglaube, barocke Überwucherungen durch allerhand Unrat und klerikalen Pomp, welcher „der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht“, oder Dinge, die „sich als weniger geeignet herausgestellt haben“, wie es in „Sacrosanctum Concilium“ heißt (SC 21), und natürlich der elitäre aristokratische Dünkel einer „Priesterliturgie“.

Alsdann waren ihr die „edlen Prinzipien“ einzupflanzen, um der Liturgie „einerseits die ehrwürdige Einfachheit des apostolischen goldenen Zeitalters wieder(zu)geben“ und sie „andererseits mit dem Zustand des modernen Bewußtseins sowie der modernen Zivilisation in Einklang“ zu bringen, wie es der Luziferianer Abbé Roca formuliert hatte. „Die Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein. Sie seien der Fassungskraft der Gläubigen angepaßt und sollen im allgemeinen nicht vieler Erklärungen bedürfen“ (SC 34). Sie sollen „das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, daß das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann“ (SC 21). Ganz dem entsprechend sah Bugnini die Liturgie der Kirche als ein altes, vom Verfall bedrohtes Gebäude, das dringend der Reparatur oder Erneuerung bedürftig war. Ihre „Mängel, Unzulänglichkeiten und Beschwerlichkeiten“ machten sie geistig „steril“ und unzugänglich für das moderne Empfinden. Man müsse zur Einfachheit der ersten Zeiten, zur Liturgie der frühen Kirche zurückkehren und alle späteren Entwicklungen, speziell des Mittelalters und der nachtridentinischen Zeit, wieder rückgängig machen. Insbesondere sei die Liturgie dem Volk zurückzugeben, sie sei zu „demokratisieren“, wie Dom Bauduin es genannt hatte.

4. Für sein „Großes Werk“ benötigte Bugnini gut zwanzig Jahre. Es begann 1948 mit seiner Ernennung als Sekretär der von Pius XII. einberufenen „Päpstlichen Kommission für eine allgemeine Reform der Liturgie“. Die wichtigsten Etappen waren die „Experimentelle Osternacht“ 1951, danach 1955 die „Neuordnung der Karwoche“, welche P. Carlo Braga, ein Mitarbeiter der Päpstlichen Kommission später einmal den „Kopf des Rammbocks“ genannt hat, mit „welchem die Festung der bis anhin statischen Liturgie eingerissen wurde“. Ebenfalls im Jahr 1955, am 23. März, erging das Dekret der Ritenkongregation „Cum nostra hac aetate“ über „die Vereinfachung der Rubriken“. Ihr Sinn war, ganz im Geist von Roca, „dem Officium eine größere Einfachheit zu geben“, und es geschah „am ‚formreichen Gebäude‘ der Liturgie das gleiche, was in unseren Jahren an so manchem Gotteshaus geschieht: Fialen, Türmchen, Schnitzwerk, Aufbauten werden entfernt, damit das Gotteshaus dem gehetzten Menschen des technischen Zeitalters eine immer klarere Ruhe entgegenstrahle“ (Schnitzler).

Die Einführung der Abendmesse und Neuregelung des eucharistischen Fastens (1953 – 1957) waren ebenso wichtige Schritte wie die Instruktion der Ritenkongregation „De musica sacra et sancta liturgia“ vom 3. Sept. 1958, in welcher die „tätige Teilnahme“ der Gläubigen bereits weitreichend verwirklicht worden ist, insbesondere durch die „dialogisierte Messe“. Ihre Zusammenfassung und ihren ersten vorläufigen Abschluß erlangte diese erste Phase der „Transmutation“ 1962 in den „Büchern Johannes‘ XXIII.“. Dieser vorläufige Abschluß erfolgte, weil das „II. Vatikanum“ unmittelbar bevorstand und den endgültigen Durchbruch zu ermöglichen versprach. „Nach langer und reiflicher Überlegung haben Wir geglaubt“, schreibt „Johannes XXIII.“ in seinem Motu proprioRubricarum instructum“ vom 25. Juli 1960, in welchem er die Herausgabe seiner Bücher ankündigt, „daß die fundamentalen Grundsätze einer allgemeinen Erneuerung der Liturgie im kommenden Konzil den Vätern vorgelegt werden müssen, aber daß die bereits bekanntgegebene Reform der Rubriken von Brevier und Missale nicht länger zurückgestellt werden sollte.“

Sekretär der Liturgischen Vorbereitenden Kommission für das Konzil ist wieder Annibale Bugnini, und wenn er auch für die eigentliche Konzilskommission dann nicht übernommen wurde, so ist doch er der Hauptverantwortliche für den Text der Liturgiekonstitution des „II. Vatikanums“ „Sacrosanctum Concilium“, in welcher die neuen Prinzipien, allen voran die „tätige Teilnahme der Gläubigen“, endgültig für die „Erneuerung der Liturgie“ verpflichtend erklärt wurden. „So richtet die Kirche ihre ganze Sorge darauf, daß die Christen diesem Geheimnis des Glaubens nicht wie Außenstehende und stumme Zuschauer beiwohnen; sie sollen vielmehr durch die Riten und Gebete dieses Mysterium wohl verstehen lernen und so die heiligen Handlungen bewußt, fromm und tätig mitfeiern, sich durch das Wort Gottes formen lassen, am Tisch des Herrenleibes Stärkung finden. Sie sollen Gott danksagen und die unbefleckte Opfergabe darbringen nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern auch gemeinsam mit ihm und dadurch sich selber darbringen lernen“ (SC 48). Das „allgemeine Priestertum der Gläubigen“ tritt zumindest gleichberechtigt neben das Priestertum des geweihten Priesters und macht die Messe zur Gemeinschaftsveranstaltung. Den Gemeinschaftscharakter betont auch die Einführung eines neuen „Konzelebrationsritus“.

Bereits seit Herbst 1963 arbeitete eine von Paul VI. einberufene Kommission geheim an der Umsetzung der vom „II. Vatikanum“ beschlossenen Liturgiereform. Ihr Sekretär hieß wiederum Annibale Bugnini. Am 3. Januar 1964 wurde Bugnini zum Sekretär des „Consilium ad exsequendam Constitutionem de sacra Liturgia“, also des „Rates zur Durchführung der Konstitution über die heilige Liturgie“, ernannt, dessen Vorsitz Kardinal Lercaro innehatte und der eigens geschaffen worden war, um die Liturgiekonstitution umzusetzen. „Das Consilium übte vom 19. Februar 1964, dem Datum seiner offiziellen Errichtung, bis 1969 seine Arbeit als ein direkt vom Papst abhängiges Organ aus und beraubte damit die heilige Ritenkongregation ihrer Vollmachten“ (Mattei S. 404). In dieser Zeit erfolgten rasch hintereinander die weiteren Schritte: Das neue, zweiteilige Missale von 1965, der „Römische Meßkanon Lateinisch-Deutsch“ im Jahr 1967, schließlich die drei „neuen Hochgebete“ 1968. Spätestens damit war das Herzstück der Heiligen Messe, der Meßkanon, beseitigt und einem „Eucharistischen Hochgebet“ gewichen, und der Weg war frei für die letzte und endgültige Neugestaltung: den „Novus Ordo Missae“, welcher am Gründonnerstag, dem 3. April 1969, durch die Apostolische Konstitution Pauls VI. „Missale Romanum“ zur „Einführung des gemäß Beschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuerten Römischen Meßbuches“ promulgiert wurde. Es dauerte noch einige Zeit, bis überall die „Neuen Meßbücher“ vorlagen, vor allem die Übersetzungen, und dann verpflichtend eingeführt waren.

In Deutschland war es Mitte der 1970er Jahre so weit: „Das zweibändige Meßbuch wurde am 10. Dezember 1974 von Papst Paul VI. bestätigt und am 1. Fastensonntag 1976 eingeführt; es löste das dreibändige Altarmeßbuch (1965) und die bisherigen deutschen ‚Studientexte‘, die seit 1967 in Gebrauch waren, wie auch das Missale Romanum Tridentinum ab“, heißt es in einer Studie von Michael Schneider („Zur Beurteilung der Liturgiereform und der Tridentinischen Messe im theologischen Werk Joseph Ratzingers“, Köln 2007). „Wohl können ältere, kranke oder behinderte Priester weiterhin das Missale Romanum Tridentinum accommodatum Papst Pius’ V. verwenden, insofern sie ohne Volk die Messe zelebrieren und eine Erlaubnis des Bischofs gegeben ist; diese Erlaubnis liegt auch in einzelnen Kirchen der Bistümer zu bestimmten Zeiten vor.“ Auch diese Entwicklung wurde von Bugnini begleitet, der von 1969 bis 1975 die neugegründete römische „Kongregation für den Gottesdienst“ leitete, welche die frühere Ritenkongregation ablöste. Erst nachdem sein „Großes Werk“ vollendet war, wurde er als „Apostolischer Pro-Nuntius“ in den Iran abgeschoben.

5. Dieser kleine Überblick zeigt, daß die „Neue Messe“ den Endpunkt, den „terminus ad quem“, eines Prozesses darstellt, dessen Anfangspunkt, den „terminus a quo“, die Römische Messe bildet, wie sie vom heiligen Papst Pius V. im Auftrag des Konzils von Trient kodifiziert worden und abgesehen von den größeren Reformen des heiligen Pius X., die allerdings kaum die Messe selber betrafen, beinahe vierhundert Jahre unverändert geblieben war. Wir nennen sie daher gewöhnlich „alte Messe“, „tridentinische Messe“, „Messe des hl. Pius V.“, oder nach ihrer Reform „Messe des hl. Pius X.“ Bei den verschiedenen Stadien der „Transmutation“, insbesondere den in eigene Bücher gefaßten von 1962 und 1965, haben wir es gewissermaßen mit „Zwischenstationen“ zu tun, die zwischen der „alten“ und der „Neuen Messe“ liegen, je nach fortschreitender Jahreszahl jeweils näher der „tridentinischen Messe“ oder dem „Novus Ordo“.

Ist in den Beziehungen zwischen den „Traditionalisten“ und Neurom von der „alten Messe“ die Rede, so ist stets das „präkonziliare“ Zwischenstadium von 1962 gemeint. „Papst Ratzinger“ schreibt in seinem „Motu proprio“: „Andererseits hingen in manchen Gegenden nicht wenige Gläubige den früheren liturgischen Formen, die ihre Kultur und ihren Geist so grundlegend geprägt hatten, mit derart großer Liebe und Empfindung an und tun dies weiterhin, daß Papst Johannes Paul II., geleitet von der Hirtensorge für diese Gläubigen, im Jahr 1984 mit dem besonderen Indult ‚Quattuor abhinc annos‘, das die Kongregation für den Gottesdienst entworfen hatte, die Möglichkeit zum Gebrauch des Römischen Meßbuchs zugestand, das von Johannes XXIII. im Jahr 1962 herausgegebenen worden war; im Jahr 1988 forderte Johannes Paul II. indes die Bischöfe mit dem als Motu Proprio erlassenen Apostolischen Schreiben ‚Ecclesia Dei‘ auf, eine solche Möglichkeit weitherzig und großzügig zum Wohl aller Gläubigen, die darum bitten, einzuräumen.“ Eben jenes „Römische Meßbuch“, das „von Johannes XXIII. im Jahr 1962 herausgegebenen worden war“ ist auch Gegenstand der „Freigabe“ in seinem eigenen „Motu proprio“ von 2007.

Der Hintergrund dazu ist folgender. Die Bewegung der „Traditionalisten“, welche nach dem „II. Vatikanum“ entstanden war und einige der „konziliaren Neuerungen“, insbesondere aber den „Novus Ordo Missae“ ablehnte, wurde ab Mitte der 1970er Jahre mehr und mehr von Erzbischof Lefebvre und seiner „Piusbruderschaft“ dominiert. In deren Anfängen in Fribourg und Ecône hatte man die ersten „nachkonziliaren“ Bücher von 1965 verwendet, ehe man im Jahr 1974 unter dem Druck der „Basis“ zu den letzten „vorkonziliaren“ Büchern von 1962 wechselte. In den deutschsprachigen und anglophonen Ländern war es auch bei den „Pius“-Priestern Usus, die Bücher von vor 1955 zu benutzen. Erst in „den 1980er Jahren legte Ebf. Lefebvre der gesamten FSSPX auf, das Meßbuch und Brevier von Johannes XXIII. zu verwenden“, berichtet P. Anthony Cekada, ein Zeitzeuge. „Wie wir ebenfalls später erfuhren, war dies Teil der ‚Verhandlungen‘, die Bf. Lefebvre mit Ratzinger und Johannes Paul II. geführt hatte. Er hatte sogar darum gebeten, das Meßbuch von 1962 zu benutzen, dasselbe Buch, das dann später für die Indultmesse vorgeschrieben wurde, die Petrusbruderschaft und für die Motu-Messe Ratzingers von 2007.“

Die Festlegung der „Traditionalisten“-Szene auf die Bücher von 1962 geschah demnach bereits im Zug der ersten Verhandlungen zwischen „Piusbruderschaft“ und „Rom“ zu Beginn der 1980er Jahre und in einem gewissen Einvernehmen. Damit wurde dekretiert, was fortan in diesen Kreisen als „alte Messe“ zu gelten hatte. Von da an waren es nur noch die Splittergrüppchen der „Sedisvakantisten“, welche an der wirklichen „alten Messe“ festhielten, wie sie vor Beginn der „Transmutation“ ausgesehen hatte. Mit der „antiqua forma Ritus Romani“, der „alten Form des römischen Ritus“, „der Römischen Liturgie in der Gestalt vor der Reform von 1970“, der „überlieferten Liturgie“, „tridentinischen Messe“, dem „klassischen römischen Ritus“ oder der „überlieferten lateinischen Messe“ ist hingegen stets dasselbe gemeint: das „Missale des seligen Johannes XXIII.“ oder die „präkonziliaren“ Bücher von 1962. Wir sagen bewußt „präkonziliar“ statt „vorkonziliar“, insofern die „präkonziliare Phase“ nicht einfach nur vor dem „II. Vatikanum“ liegt, sondern dieses vorbereitet und darauf hinzielt.

Niemals abgeschafft

6. Der Kern des „Motu proprio“ Ratzingers alias „Benedikts XVI.“ lautet: „Nachdem die inständigen Bitten dieser Gläubigen schon von Unserem Vorgänger Johannes Paul II. über längere Zeit hin abgewogen worden sind und Wir auch die Kardinäle in dem am 23. März 2006 abgehaltenen Konsistorium angehört haben, nachdem alles reiflich abgewogen worden ist, nach Anrufung des Heiligen Geistes und fest vertrauend auf die Hilfe Gottes, BESCHLIESSEN WIR mit dem vorliegenden Apostolischen Schreiben folgendes: Art. 1. Das von Paul VI. promulgierte Römische Meßbuch ist die ordentliche Ausdrucksform der ‚Lex orandi‘ der katholischen Kirche des lateinischen Ritus. Das vom hl. Pius V. promulgierte und vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene Römische Meßbuch hat hingegen als außerordentliche Ausdrucksform derselben ‚Lex orandi‘ der Kirche zu gelten, und aufgrund seines verehrungswürdigen und alten Gebrauchs soll es sich der gebotenen Ehre erfreuen. Diese zwei Ausdrucksformen der ‚Lex orandi‘ der Kirche werden aber keineswegs zu einer Spaltung der ‚Lex credendi‘ der Kirche führen; denn sie sind zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus. Demgemäß ist es erlaubt, das Meßopfer nach der vom sel. Johannes XXIII. im Jahr 1962 promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Meßbuchs als außerordentliche Form der Liturgie der Kirche zu feiern. Die von den vorangegangenen Dokumenten ‚Quattuor abhinc annos‘ und ‚Ecclesia Dei‘ für den Gebrauch dieses Meßbuchs aufgestellten Bedingungen aber werden wie folgt ersetzt: ...“ Es folgen die Artikel 2 bis 12 mit den entsprechenden Bestimmungen.

Hierzu stellt sich die Frage: Kann irgendwer, und sei es der Papst, einfachhin „BESCHLIESSEN“, daß das „von Paul VI. promulgierte Römische Meßbuch“ die „ordentliche Ausdrucksform der ‚Lex orandi‘ der katholischen Kirche des lateinischen Ritus“ ist; daß das „vom hl. Pius V. promulgierte und vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene Römische Meßbuch“ hingegen „als außerordentliche Ausdrucksform derselben ‚Lex orandi‘ der Kirche zu gelten“ hat; daß „es erlaubt“ ist, das „Meßopfer nach der vom sel. Johannes XXIII. im Jahr 1962 promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Meßbuchs als außerordentliche Form der Liturgie der Kirche zu feiern“? Kann man „BESCHLIESSEN“, daß etwas sei, was nicht ist?

„Papst Ratzinger“ hielt es seinerzeit für nötig, seinem „Motu proprio“ einen Begleitbrief an die „Brüder im Bischofsamt“ beizugeben. Er geht darin auf „zwei Befürchtungen“ ein, welche im Vorfeld seines „Motu proprio“, dessen Kommen schon länger angekündigt war, „Verwirrung gestiftet“ hatten. An erster Stelle stand demnach „die Furcht, hier werde die Autorität des II. Vatikanischen Konzils angetastet und eine seiner wesentlichen Entscheidungen – die liturgische Reform – in Frage gestellt“. Doch: „Diese Befürchtung ist unbegründet.“ Denn selbstverständlich ist und bleibt „das von Papst Paul VI. veröffentlichte und dann in zwei weiteren Auflagen von Johannes Paul II. neu herausgegebene Missale die normale Form – die Forma ordinaria – der Liturgie der heiligen Eucharistie“, während die „letzte dem Konzil vorausgehende Fassung des Missale Romanum, die unter der Autorität von Papst Johannes XXIII. 1962 veröffentlicht und während des Konzils benützt wurde“, „demgegenüber als Forma extraordinaria der liturgischen Feier Verwendung finden“ könne. Es sei „nicht angebracht, von diesen beiden Fassungen des Römischen Meßbuchs als von ‚zwei Riten‘ zu sprechen“ sondern es handele sich „vielmehr um einen zweifachen Usus ein und desselben Ritus“.

Wichtig erscheint die Betonung, daß es um die „letzte dem Konzil vorausgehende Fassung des Missale Romanum“ geht, „die unter der Autorität von Papst Johannes XXIII.“, dem „Konzilspapst“, „1962 veröffentlicht und während des Konzils benützt wurde“. Schließlich soll ja nicht „die Autorität des II. Vatikanischen Konzils angetastet und eine seiner wesentlichen Entscheidungen ... in Frage gestellt“ werden. Joseph Ratzinger hatte ebenso gut wie Erzbischof Lefebvre verstanden, daß die wahre „vom hl. Pius V. promulgierte“ Heilige Messe den „Brüdern im Bischofsamt“ nicht zu verkaufen gewesen wäre. Es fällt auf, daß er einmal das „vom hl. Pius V. promulgierte und vom sel. Johannes XXIII. neu herausgegebene Römische Meßbuch“ benennt, das andere Mal von der „vom sel. Johannes XXIII. im Jahr 1962 promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Meßbuchs“ redet. War dieses „Römische Meßbuch“ nun vom heiligen Papst Pius V. „promulgiert“ und „vom sel. Johannes XXIII.“ nur „neu herausgegeben“, oder war es von letzterem „promulgiert“? Promulgation bedeutet Gesetzeskraft. Hat der heilige Pius V. dem „Römischen Meßbuch“ Gesetzeskraft gegeben oder der „sel. Johannes XXIII.“?

7. „Benedikt XVI.“ legt jedenfalls Wert auf die Feststellung, „daß dieses Missale nie rechtlich abrogiert wurde und insofern im Prinzip immer zugelassen blieb“. Es ist dies, was die „Traditionalisten“ mit höchster Genugtuung erfüllte und ihnen bis heute als Beweis dient, wie recht sie in all ihrem Beharren doch hatten. Es überrascht jedoch, wenn man einige frühere Aussagen Joseph Ratzingers kennt, welche aus seiner Zeit als „Präfekt der Glaubenskongregation“ stammen. „Es gibt gar keinen Zweifel, daß dieses neue Missale in vielem eine wirkliche Verbesserung und Bereicherung brachte“, heißt es da etwa, „aber daß man es als Neubau gegen die gewachsene Geschichte stellte, diese verbot (!) und damit Liturgie nicht mehr als lebendiges Wachsen, sondern als Produkt von gelehrter Arbeit und von juristischer Kompetenz erscheinen ließ, das hat uns außerordentlich geschadet.“ „Aber ich war bestürzt über das Verbot (!) des alten Missale, denn etwas Derartiges hatte es in der ganzen Liturgiegeschichte nie gegeben. [...] Das nunmehr erlassene Verbot (!) des Missale, das alle Jahrhunderte hindurch seit den Sakramentaren der alten Kirche kontinuierlich gewachsen war, hat einen Bruch in die Liturgiegeschichte getragen, dessen Folgen nur tragisch sein konnten.“ (J. Kardinal Ratzinger, Aus meinem Leben. Lebenserinnerungen Stuttgart 1998, S. 172). „Jenen Uniformismus, mit dem man jetzt das absolute Verbot (!) des Missale von 1962 zu rechtfertigen versucht, hat es in der Geschichte allenfalls in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben...“

„Papst Ratzinger“ scheint dem „Kardinal Ratzinger“ zu widersprechen. Als „Kardinal“ beklagte er wiederholt das „Verbot“ des „alten Missale“. Er trat dafür ein, „daß die ‚Exkommunikation des alten Missale aufhören muß‘“, schreibt Michael Schneider und zitiert den „Kardinal“: „Was der Kirche tief geschadet hat und immer noch schadet, ist der Graben, den man zwischen ‚vorkonziliar’ und ‚nachkonziliar’ aufgerichtet hat, als ob es sich um zwei Kirchen und zwei Liturgien handelte, als ob das damals Heiligste nun das Verbotenste und Schlimmste wäre.“ Als „Papst“ benutzt er nun die Gelegenheit, per „Beschluß“ diesen „Graben“ zu schließen, indem er ganz einfach behauptet, daß es ihn nie gegeben habe. Die dialektische Überwindung des „Bruches“ „zwischen ‚vorkonziliar‘ und ‚nachkonziliar‘“ sah er gewissermaßen als seine Lebensaufgabe und insbesondere als seinen Auftrag im „päpstlichen Amt“. Vor diesem Horizont allein ist sein „Motu proprio“ ebenso zu verstehen wie seine Versöhnungsbemühungen mit den „Traditionalisten“.

Wie ist es nun? War das „alte Missale“ verboten oder nicht? Prof. Wolfgang Waldstein hat dazu eine gelehrte Arbeit vorgelegt: „Zur Frage der normativen Qualität des Verbots des Missale Romanum von 1962“, publiziert im „Rundbrief Pro Missa Tridentina Nr. 31“ vom März 2006. Er bezieht sich auf einen Brief, den „Kardinal Joseph Ratzinger bereits 1976 als Professor mir geschrieben hat, daß es sich dabei um einen ‚der kirchlichen Rechts- und Liturgiegeschichte durchaus fremden Typus von Verbot des Bisherigen‘ handelt“. Ratzinger habe ihm damals bestätigt: „Ich kann aus meiner Kenntnis der Konzilsdebatte und aus nochmaliger Lektüre der damals gehaltenen Reden der Konzilsväter mit Sicherheit sagen, daß dies nicht intendiert war.“ Das werde „auch durch Art. 4 der Liturgiekonstitution (Sacrosanctum Concilium) bestätigt, der in den offiziellen Übersetzungen lautet: ‚Treu der Überlieferung erklärt das Heilige Konzil schließlich, daß die heilige Mutter Kirche allen rechtlich anerkannten Riten gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkennt. Es ist ihr Wille, daß diese Riten in Zukunft erhalten und in jeder Weise gefördert werden, ... .“ Ein weiterer Beweis ist ihm die Bulle „Quo primum“ des heiligen Pius V., „mit der am 14. Juli 1570 das von ihm überarbeitete Missale Romanum in Kraft gesetzt wurde“, und welche „im § 2 bestimmt, daß alle Riten, die von Anfang an vom Apostolischen Stuhl approbiert worden waren oder über 200 Jahre in den gleichen Kirchen zur Feier der heiligen Messe ununterbrochen gebraucht wurden, weiterhin gültig bleiben“ sollten. „Pius V. hat also mit der Einführung des überarbeiteten Missale Romanum die Vielfalt liturgischer Formen ausdrücklich bekräftigt.“

Den Einwand, daß es sich bei der „Neuen Messe“ um die erneuerte Form der „alten“ handle und insofern nicht um einen anderen Ritus, läßt Prof. Waldstein nicht gelten: „Schon die Realitäten, die Ratzinger aufgezeigt hat, machen die Fiktion von der Identität der neuen Messe mit der alten völlig zunichte. Aber auch die Darstellung Bugninis betreffend die Bischofssynode 1967 und die Vorgänge um die Publikation der neuen Messe zeigen, welche Umbrüche mit diesen Vorgängen verbunden waren. Jeder aufmerksame Beobachter und leidvolle Teilnehmer an von Liturgiekreisen oder ‚autonomen‘ Geistlichen ‚gestalteten‘ Liturgien kann seit Jahrzehnten bezeugen, daß die neue Liturgie tatsächlich eine neue ist, und zwar auch dann, wenn sie korrekt gefeiert wird.“ Hier widerspricht ihm freilich „Papst Ratzinger“ mit seinem „Motu proprio“, in dem dieser behauptet, es seien nicht verschiedene Riten, sondern nur „zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus“.

8. Seine These geht nun dahin, daß die „tridentinische Messe“ unter jene „rechtlich anerkannten Riten“ fällt, welche nach dem Willen des hl. Pius V. ebenso wie des „II. Vatikanums“ „in Zukunft erhalten und in jeder Weise gefördert werden“ sollen. Er meint sogar, auch „Paul VI.“ vereinnahmen zu können, insofern er angibt, „daß die Apostolische Konstitution Missale Romanum vom 3. April 1969“, mit welcher „Paul VI.“ die „Neue Messe“ einführte, „kein Verbot anderer Riten enthält“, und das obwohl diese Konstitution mit den Worten endet: „Die Bestimmungen dieser Konstitution treten am 30. November, dem ersten Adventssonntag dieses Jahres, in Kraft. Unsere Anordnungen und Vorschriften sollen jetzt und in Zukunft gültig und rechtskräftig sein, unter Aufhebung jedweder entgegenstehender Konstitutionen und Verordnungen Unserer Vorgänger sowie aller übrigen Anweisungen, welcher Art sie auch seien. Gegeben zu St. Peter in Rom, am 3. April, Gründonnerstag 1969, im sechsten Jahre Unseres Pontifikates.“ Auch stellte Montini alias „Paul VI.“ in einer Ansprache vom 29. November 1969 ausdrücklich fest, daß es sich um eine „Reform“ ein und derselben Messe handelt, welche der ausdrückliche Wille des „II. Vatikanums“ gewesen sei. Zwar gibt er zu: „Die hl. Messe wird künftig in einer Weise gefeiert, die sich deutlich von dem unterscheidet, woran wir in den letzten 400 Jahren seit Papst Pius V. und dem Konzil von Trient gewöhnt waren.“ Er betont aber: „Die Messe des neuen Ordo ist und bleibt die gleiche Messe, die wir immer hatten. Wenn sich etwas geändert hat, dann das, daß ihre Selbstindentität in einiger Hinsicht noch klarer zum Ausdruck gebracht wird.“

Prof. Waldstein hingegen meint, das „Verbot selbst hat sich sozusagen ‚schleichend‘ entwickelt in einer Instructio und in Notificationes der Congregatio pro Cultu Divino“. „Die Instructio de constitutione Apostolica ‚Missale Romanum‘ gradatim ad effectum deducenda vom 20. Oktober 1969“ bestimme in der Nr. 7, „daß die einzelnen Bischofskonferenzen den Tag festsetzen sollen, ab dem der Ordo Missae, ausgenommen in den in den Nummern 19 und 20 genannten Fällen, in Gebrauch genommen werden muß. In der Nr. 14 wird das etwas verschärft wiederholt. Dieser Tag darf nicht über den 28. November 1971 hinausgeschoben werden. Damit ist in der Instructio selbst kein direktes Verbot ausgesprochen.“ Er zitiert die Nr. 19 der Instruktion: „Priester in fortgeschrittenem Alter, welche die Messe ohne Volk feiern, und die vielleicht größere Schwierigkeiten mit dem neuen Ordo Missae und den zu verwendenden Texten des Missale Romanum und der Leseordnung in der Messe haben, können, mit Zustimmung des eigenen Ordinarius, die jetzigen Riten und Texte weiter gebrauchen.“ Und die Nr. 20: „Aber besondere Fälle, nämlich von gebrechlichen Priestern, oder von solchen, die durch Krankheiten oder andere Schwierigkeiten behindert sind, sollen dieser Heiligen Kongregation vorgelegt werden.“ Immerhin muß der Professor nun gestehen: „Das Verbot ergibt sich hier aus dem Umkehrschluß.“

Waldstein ist der Ansicht, „daß es sich bei den beiden Notificationes um rechtswidrige Verordnungen handelt“. „Diese Tatsache wurde mit der Fiktion verschleiert, daß die neue Liturgie keine neue sei. Sie sind jedenfalls keine kirchlichen Gesetze im formellen Sinne. Daher hat es auch kein im formellen Sinne rechtliches Verbot der alten Liturgie gegeben. Das Verbot beruhte auf administrativen Maßnahmen einer Kongregation. Can. 34 § 2 CIC bestimmt: ‚Anordnungen von Instruktionen heben Gesetze nicht auf, und wenn irgendwelche mit Vorschriften von Gesetzen nicht in Einklang gebracht werden können, entbehren sie jeder Rechtskraft.‘ Das Verbot der früheren Liturgie kann jedenfalls mit Art. 4 der Liturgiekonstitution nicht in Einklang gebracht werden.“ Trotzdem fuhr die „Gottesdienstkongregation“ unbeirrt fort, den Gebrauch des „alten Missale“ weiter einzuschränken und zu unterdrücken: „Die Ausnahme für alte und kranke Priester wurde dahin eingeengt, daß nunmehr eine ‚Erlaubnis vom Ordinarius zugestanden werden kann‘ (patet facultatem ab Ordinario concedi posse). Der Bischof mußte also nunmehr um Erlaubnis gebeten werden. Wie solche Bitten in der Regel faktisch behandelt wurden, ist hier nicht näher zu erörtern. Die Kongregation wollte aber sicher gehen und hat zusätzlich bestimmt, daß die Bischöfe diesen alten und kranken Priestern keine Erlaubnis geben dürfen, diese Messe ‚cum populo‘, also mit dem Volk, zu feiern.“

„Auch wenn diese Notificatio vom damaligen Präfekten Kardinal Iacobus Robertus Knox unterzeichnet wurde, so stammt sie zweifellos vom mitunterzeichnenden Sekretär A. Bugnini“, mutmaßt der Herr Professor. „Die Schritt für Schritt zunehmende Einengung einer Erlaubnis macht deutlich, wie sich in der Tat die ‚harte Linie‘ durchsetzte. Wenn man die Leidenswege vieler Priester und Gläubigen kennt, die mit dieser ‚harten Linie‘ begonnen haben, dann weiß man, wie berechtigt die Aussage Kardinal Ratzingers zum Verbot der Liturgie aller Jahrhunderte ist, wenn er sagt: ‚das hat uns außerordentlich geschadet.‘“

Die These Prof. Waldsteins läßt sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: De jure gab es nie eine Abschaffung der „früheren Liturgie“. Dies lag weder in der Absicht der Väter des „II. Vatikanums“, wie der Art. 4 der Liturgiekonstitution beweist, noch war es der Wille Pauls VI. oder seiner Nachfolger. De facto wurde durch „rechtswidrige Verordnungen“ und mittels „administrativen Maßnahmen“ der „Gottesdienstkongregation“ mit ihrem Sekretär Bugnini eine „harte Linie“ durchgesetzt, welche einem „Verbot der Liturgie aller Jahrhunderte“ gleichkam. Tatsächlich steht jedoch sowohl die Absicht des „II. Vatikanums“ fest, die „frühere Liturgie“ vollständig durch die „erneuerte“ zu ersetzen (wobei hier allein der Text zählt, den die „Konzilsväter“ in großer Einmütigkeit – wenn auch vielleicht in mehr oder weniger verschuldeter Unkenntnis des Inhalts bzw. der eigentlichen Ziele – unterzeichnet haben, und nicht ihre subjektiven Absichten, die sie vielleicht damit verbunden haben), als auch der feste Wille „Pauls VI.“, seinen „Novus Ordo“ allen Priestern des römischen Ritus ausnahmslos aufzuerlegen. Letzterer beklagte in einer Ansprache Mitte der 1970er Jahre, daß es immer noch so viel Widerstand gegen seine „Neue Meßordnung“ gebe, und betonte ausdrücklich, daß die Ausnahmen von der Verpflichtung, diesen zu übernehmen, nur für alte und kranke Priester gälten und strikt zu handhaben seien. Sein Nachfolger „Johannes Paul II.“ fand es in seinem „Apostolischen Schreiben VICESIMUS QUINTUS ANNUS“ vom 4. Dezember 1988 anläßlich des 25. Jahrestags der „Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium“ für angebracht, seinem Bedauern darüber Ausdruck zu verleihen („valde dolendum est“), daß es immer noch Gläubige gebe, die „in einseitiger und exklusiver Weise zu den vorhergehenden liturgischen Formen zurückgekehrt“ seien, „die einige von ihnen als einzige Sicherheitsgarantie für den Glauben betrachten“.

Von Montini zu Ratzinger

9. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Menschenmachwerkskirche des „II. Vatikanums“ von ihrer Natur her keine Rechtsgemeinschaft ist, sondern ein Unrechts-System. Sie ist eine illegitime Gegen-Kirche, und darum herrscht in ihr nicht Recht, sondern Willkür, Subjektivismus, zugleich Anarchie und Tyrannei. Es wäre sinnlos, irgendeine gültige Gesetzgebung in ihr ausmachen zu wollen. Montini alias „Paul VI.“ war der „Papst“ der „Neuen Messe“. Sie war sein „Kind“, und darum wollte er sie allen ausnahmslos auferlegen. Wojtyla alias „Johannes Paul II.“ hatte keinerlei Bezug zur „alten Messe“. Er liebte sie nicht und er haßte sie nicht. Als „Pop-Pope“ hatte er eine Vorliebe für „Mega-Events“, und so glichen seine „Papst-Messen“ und Auftritte bei „Weltjugendtagen“ mehr Popkonzerten und Folklore-Shows. Für das Anhangen an die „alte Messe“ hatte er kein Verständnis. Er war aber bereit, ihre Anhänger in Maßen zu dulden, um des lieben Friedens willen, solange diese keine Exklusivität beanspruchten.

Ratzinger beschreibt den Vorgang in seinem „Motu proprio“: „Andererseits hingen in manchen Gegenden nicht wenige Gläubige den früheren liturgischen Formen, die ihre Kultur und ihren Geist so grundlegend geprägt hatten, mit derart großer Liebe und Empfindung an und tun dies weiterhin, daß Papst Johannes Paul II., geleitet von der Hirtensorge für diese Gläubigen, im Jahr 1984 mit dem besonderen Indult ‚Quattuor abhinc annos‘, das die Kongregation für den Gottesdienst entworfen hatte, die Möglichkeit zum Gebrauch des Römischen Meßbuchs zugestand, das von Johannes XXIII. im Jahr 1962 herausgegebenen worden war; im Jahr 1988 forderte Johannes Paul II. indes die Bischöfe mit dem als Motu Proprio erlassenen Apostolischen Schreiben ‚Ecclesia Dei‘ auf, eine solche Möglichkeit weitherzig und großzügig zum Wohl aller Gläubigen, die darum bitten, einzuräumen.“

So „weitherzig und großzügig“ war der „Indult“ von 1984 noch nicht gewesen. Dort heißt es, es seien vier Jahre zuvor „auf besonderen Wunsch von Papst Johannes Paul II.“ die „Bischöfe der ganzen Kirche“ aufgefordert worden, „Bericht zu erstatten“ darüber, „wie Priester und Gläubige in ihren Diözesen das von Papst Paul VI. promulgierte Missale in genauer Befolgung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils angenommen haben“, ferner über „die Schwierigkeiten bei der Durchführung der Liturgiereform“ sowie „eventuelle Widerstände, die es zu überwinden galt“. Aufgrund der erhaltenen Antworten „schien das Problem der Priester und Gläubigen, die dem sogenannten ‚tridentinischen Ritus‘ verbunden geblieben waren, fast vollständig gelöst“. Wir dürfen dem entnehmen, daß bis dahin immer noch die Linie „Pauls VI.“ verfolgt worden war, das „Neue Missale“ überall durchzusetzen und entgegenstehende „Probleme“ zu „lösen“. Wie sich zeigte, war jedoch das „Problem der Priester und Gläubigen, die dem sogenannten ‚tridentinischen Ritus‘ verbunden geblieben waren“, hartnäckiger als gedacht.

Darum erfolgte der „Indult“: „Da aber das Problem weiterbesteht, gibt der Heilige Vater in dem Wunsch, diesen Gruppen entgegenzukommen, den Diözesanbischöfen die Vollmacht, von dem Indult Gebrauch zu machen, aufgrund dessen Priester und Gläubige, die in dem an den eigenen Bischof zu richtenden Gesuch genau anzugeben sind, die Messe nach dem Missale Romanum in seiner Ausgabe von 1962 feiern dürfen“, allerdings unter strengen Bestimmungen, die „beachtet werden müssen“. Die erste Bedingung lautete: „Es muss eindeutig und öffentlich feststehen, dass der jeweilige Priester und die jeweiligen Gläubigen in keiner Weise die Positionen derjenigen teilen, die die Legitimität und Rechtgläubigkeit des Missale Romanum in Zweifel ziehen, das Papst Paul VI. 1970 promulgiert hat.“ Weitere Bestimmungen legten fest, daß die Feiern „nach dem Missale von 1962 und in lateinischer Sprache gehalten werden“ müßten und „keine Vermischung zwischen Riten und Texten der beiden Missale erfolgen“ solle. Nur Gruppen, „die darum ersuchen“, sollten vom Bischof die Erlaubnis erhalten, in „Kirchen und Oratorien, die der Bischof bestimmt“, „nicht jedoch in Pfarrkirchen, außer mit besonderer Erlaubnis, und an den Tagen und unter den Bedingungen, die vom Bischof nach Art einer Gewohnheit oder durch einen eigenen Akt approbiert sind“. Außerdem sollte jeder Bischof die „Gottesdienstkongregation“ über seine Erlaubnisse informieren und nach Ablauf eines Jahres über seine Erfahrungen Bericht erstatten. „Diese Erlaubnis, die kennzeichnend ist für die Sorge des gemeinsamen Vaters um alle seine Söhne, darf in einer Weise benutzt werden, die die Befolgung der Liturgiereform im Leben der jeweiligen kirchlichen Gemeinschaften nicht beeinträchtigt“, wird zum Schluß noch einmal betont.

Trotz seiner sehr restriktiven Bedingungen wurde dieser „Indult“ von der „Piusbruderschaft“ seinerzeit als ein „erster Schritt“ bejubelt, wenngleich man ihn seiner vielen Einschränkungen wegen zurückwies. Bemerkenswert ist die große Sorge, die in diesem Schreiben aufscheint, daß die Ergebnisse der „Liturgiereform“ durch jene „Priester und Gläubigen, die dem sogenannten ‚tridentinischen Ritus‘ verbunden geblieben waren“, gefährdet werden könnten. Sie schienen noch nicht so gefestigt wie zwanzig Jahre später. Auffallend ist auch die darin bereits vorgenommene Beschränkung auf das „Missale von 1962“. Die Menschenmachwerkskirche war sich ihrer damals noch nicht so sicher, und die „Traditionalisten“-Bewegung noch nicht so sehr durch die „Piusbruderschaft“ vereinheitlicht und monopolisiert.

10. Im „Motu proprio Ecclesia Dei“ vom 2. Juli 1988 schlug Neurom einen etwas anderen Weg ein. Aufgrund der unerlaubten Bischofsweihen durch Erzbischof Lefebvre hatte man einen Grund gefunden, ihn und die von ihm geweihten Bischöfe zu „exkommunizieren“ und ins „Schisma“ zu tun. So hoffte man, die Bewegung zu spalten und einen großen, wenn nicht den größeren Teil derselben in die Menschenmachwerkskirche gänzlich zu integrieren. Man zeigte sich daher deutlich entgegenkommender als vier Jahre zuvor: „All jenen katholischen Gläubigen, die sich an einige frühere Formen der Liturgie und Disziplin der lateinischen Tradition gebunden fühlen, möchte ich auch meinen Willen kundtun - und wir bitten, daß sich der Wille der Bischöfe und all jener, die in der Kirche das Hirtenamt ausüben, dem meinen anschließen möge -, ihnen die kirchliche Gemeinschaft leicht zu machen, durch Maßnahmen, die notwendig sind, um die Berücksichtigung ihrer Wünsche sicherzustellen.“ Eindringlich ermahnt das „Motu proprio“: „Ferner muss überall das Empfinden derer geachtet werden, die sich der Tradition der lateinischen Liturgie verbunden fühlen, indem die schon vor längerer Zeit vom Apostolischen Stuhl herausgegebenen Richtlinien zum Gebrauch des Römischen Meßbuchs in der Editio typica vom Jahr 1962, weit und großzügig angewandt werden.“

Das klingt schon sehr viel freundlicher, konnte aber aufgrund der enthaltenen „Exkommunikation“ für ihren Erzbischof und des Schismavorwurfes von seiten der „Piusbruderschaft“ nicht als „zweiter Schritt“ gefeiert werden. Es führte jedoch zur Bildung der nach dem „Motu proprio“ benannten „Kommission Ecclesia Dei“, mit welcher die „Piusbruderschaft“ heute die freundlichsten Beziehungen pflegt, sowie zur Gründung der „Petrusbruderschaft“ und der Entstehung anderer „altritueller“ „Ecclesia Dei“-Gemeinschaften.

Bemerkenswert sind einige Grundzüge, welche in diesem Dokument aufscheinen und bereits auf das fast zwanzig Jahre später verfaßte „Motu proprio“ von „Papst Ratzinger“ hinweisen, der damals als „Präfekt der Glaubenskongregation“ für die Verhandlungen Neuroms mit den „Traditionalisten“ zuständig und der eigentliche Kopf hinter „Ecclesia Dei“ war. „Der Ausgang, den die Bewegung Erzbischof Lefebvres nunmehr genommen hat, kann und muss für alle katholischen Gläubigen ein Anlass zu einer gründlichen Besinnung über die eigene Treue zur Tradition der Kirche sein“, heißt es recht nachdenklich, „wie sie, durch das ordentliche und das außerordentliche kirchliche Lehramt, authentisch dargelegt wird, besonders durch die Konzilien, angefangen vom Konzil von Nizäa bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Diese Besinnung muß alle erneut und wirksam von der Notwendigkeit überzeugen, daß die Treue noch vertieft und gefestigt werden muß und irrige Interpretationen sowie willkürliche und ungerechtfertigte Erweiterungen in Dingen der Glaubenslehre, der Liturgie und der Disziplin vollständig zurückzuweisen sind.“ Darin können wir deutlich die Handschrift Joseph Ratzingers erkennen, der immer schon gerne einen „Geist des Konzils“ und einen „Ungeist“ desselben unterschied. Jener „Ungeist“ des „II. Vatikanums“ bestand für ihn genau in dem, was hier „irrige Interpretationen sowie willkürliche und ungerechtfertigte Erweiterungen“ genannt wird.

Ein weiterer Grundzug der Sichtweise Ratzingers ist die dialektische Einheit in der Vielfalt. Auch sie finden wir im „Motu proprio Ecclesia Dei“: „Es ist aber auch erforderlich, dass alle Hirten und übrigen Gläubigen aufs neue sich bewusst werden, dass die Vielfalt der Charismen sowie der Traditionen der Spiritualität und des Apostolates nicht nur legitim sind, sondern für die Kirche einen Schatz darstellen; so wird die Einheit in der Vielfalt zur Schönheit, - zu jener Harmonie, die die irdische Kirche, vom Heiligen Geist angeregt, zum Himmel emporsteigen läßt.“ Schließlich wird der Grundgedanke Ratzingers von der „Kontinuität des Konzils mit der Tradition“ formuliert, den er später als „Benedikt XVI.“ mit seiner „Hermeneutik der Reform“ zu einem beherrschenden Thema seines „Pontifkates“ machen wird: „Wir möchten ferner auch die Theologen und Fachgelehrten der anderen kirchlichen Wissenschaften darauf aufmerksam machen, dass auch sie von den augenblicklichen Umständen herausgefordert sind. Die Breite und Tiefe der Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils machen nämlich neue und vertiefte Untersuchungen notwendig, in denen die Kontinuität des Konzils mit der Tradition klar hervorgehoben wird, vornehmlich in jenen Bereichen der Lehre, die, weil sie vielleicht neu sind, von einigen Teilgruppen der Kirche noch nicht recht verstanden wurden.“

Mit seiner Erhebung zum Nachfolger „Johannes Pauls II.“ sah Ratzinger seine Stunde gekommen. Die „Piusbruderschaft“ hatte nicht zuletzt dank der Bischofsweihen von 1988 „Exkommunikation“ und „Schisma“ ebenso wie den Tod Erzbischof Lefebvres im Jahr 1991 schadlos überstanden, sie hatte ihre Stellung als „Ersatzkirche“ etabliert und sogar noch weiter ausgebaut und dominierte nach wie vor die „Traditionalisten“-Bewegung, ja sie dominierte sie umso mehr, als der Nachwuchs sich zunehmend aus ihren eigenen Reihen speiste. Zugleich trat damit eine gewisse Stagnation ein und ein Ghetto-Gefühl, die sie empfänglich machten für neue Initiativen. Der „Zahn der Zeit“ und die „Pius“-Ideologie hatten das Ihrige getan, den Widerstand zu zermürben und aufzuweichen. Die Aufregung über die harten Auseinandersetzungen rund um die Bischofsweihen von 1988 war auf beiden Seiten abgeklungen. Die Zeit schien reif.

„Freigabe der alten Messe“

11. Wie wir heute wissen, wurden die neuen Bemühungen um eine „Annäherung und Verständigung“ zwischen Neurom und der „Piusbruderschaft“, welche offiziell im „Heiligen Jahr“ 2000 ihren Anfang nahmen, durch inoffizielle Kontakte einer Art „Bilderberger“-Gruppe namens „GREC“ vorbereitet. Der damalige „Kardinal“ Ratzinger war einer der Männer im Hintergrund dieser Gruppe. Es war damals ein Fahrplan in drei Punkten festgelegt worden. Die „Aufhebung der Exkommunikation“ war einer davon, doch der erste betraf die „Freigabe der alten Messe“. Diesen zu erfüllen, war eines der Anliegen Ratzingers mit seinem „Motu proprio Summorum Pontificum“.

In seinem von uns bereits erwähnten Begleitbrief zu seinem „Motu proprio“ weist Joseph Ratzinger darauf hin, „daß in der von Erzbischof Lefebvre angeführten Bewegung das Stehen zum alten Missale zum äußeren Kennzeichen wurde“. Diese Verknüpfung zwischen „alter Messe“ und der „von Erzbischof Lefebvre angeführten Bewegung“ galt es aufzulösen, zumal sich auch viele andere Menschen, „die klar die Verbindlichkeit des II. Vaticanums annahmen und treu zum Papst und zu den Bischöfen standen“, „doch auch nach der ihnen vertrauten Gestalt der heiligen Liturgie“ sehnten, „zumal das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung getreu gefeiert, sondern geradezu als eine Ermächtigung oder gar als Verpflichtung zur ‚Kreativität‘ aufgefaßt wurde, die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte“. Hier spricht Ratzinger „aus Erfahrung“, da er „diese Phase in all ihren Erwartungen und Verwirrungen miterlebt“ und gesehen habe, „wie tief Menschen, die ganz im Glauben der Kirche verwurzelt waren, durch die eigenmächtigen Entstellungen der Liturgie verletzt wurden“. Einer dieser tief verletzten Menschen dürfte er selber gewesen sein.

Wir entnehmen daraus ein erstes konkretes, doppeltes Ziel des „Motu proprio“. Das „alte Missale“ soll der „von Erzbischof Lefebvre angeführten Bewegung“ als „Kennzeichen“ und Kampfmittel genommen werden und auch solchen zugute kommen, „die klar die Verbindlichkeit des II. Vaticanums annahmen und treu zum Papst und zu den Bischöfen standen“, sich aber durch die oft „kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie“ tief verletzt fühlten. Dazu war die „alte Messe“ den „Traditionalisten“ als Sondergut zu entreißen und zum Allgemeingut der „Konziliaren Kirche“ zu machen. Hat das „Motu proprio“ dieses Ziel erreicht? Im Prinzip und bis zu einem gewissen Grad auf jeden Fall.

„Mgr.“ Dominique Rey, „Bischof“ von Fréjus-Toulon in Frankreich, hat „das Motu proprio Benedikts XVI. in seiner Diözese großzügig angewendet“. Das berichtet Christophe Geffroy von „La Nef“. Er hat mit dem „Bischof“ anläßlich des zehnjährigen Jubiläums von „Summorum Pontificum“ ein Gespräch geführt. Er habe das „Motu proprio“ damals „kindlich angenommen“, sagt „Mgr.“ Rey. Es schien ihm den Leiden derer ein Ende zu bereiten, welche „wünschten, in der Kirche nach den alten liturgischen Riten zu beten und bislang davon ausgeschlossen waren“. Es habe sich außerdem um einen „Akt der Versöhnung“ gehandelt, um die „Spaltungen der Vergangenheit“ zu überwinden. Nach zehn Jahren seien die Früchte greifbar. „Die alte Liturgie ernährt Gemeinschaften oder Pfarreien in wachsender Zahl und zieht die jungen Leute an.“ Alles geschehe im Rahmen einer „legitimen Verschiedenheit“ unter all den mit ihrem Bischof in Gemeinschaft stehenden „christlichen Gemeinschaften“. In Toulon hat der „Bischof“ bereits eine „Personalpfarrei“ für die „außerordentliche Form“ errichtet und sie einer „neuen Gemeinschaft“ übergeben, deren Mitglieder, ebenso wie gewisse Diözesan-Seminaristen, „die niederen und höheren Weihen, einschließlich der Priesterweihe, entsprechend dem usus antiquior empfangen“.

Auch wenn es noch nicht allzu viele „Bischöfe“ weltweit sind, so ist doch „Mgr.“ Rey kein Einzelfall mehr. Die „Piusbruderschaft“ hat es zunehmend schwerer, ihre Position zu behaupten und ihren „illegalen“ Status zu rechtfertigen. Auch „Mgr.“ Rey hofft auf die Versöhnung und betet dafür, „daß sie bald verwirklicht wird“. Für ihn versteht es sich von selbst, „daß der Klerus und die Gläubigen der Bruderschaft St. Pius X. auch unsere Brüder im katholischen Glauben sind“. „Die Hindernisse zu überwinden, die sich aus der Vergangenheit ergeben haben, würde es ihnen ermöglichen, ihren vollen und ganzen Platz im Schoße der Kirche einzunehmen, wo sie ihre Berufung als Zeugen Christi und der Wahrheit für die Welt von heute haben.“

12. Die „Versöhnung“ mit der „Piusbruderschaft“ war zweifellos ein Schwerpunkt des „Motu proprio“, das ja vor dem Hintergrund des „Drei-Punkte-Plans“ gesehen werden muß. „Papst Ratzinger“ erinnert deshalb in seinem Begleitbrief an die Bemühungen „Johannes Pauls II.“ mit seinem „Motu proprio Ecclesia Dei“: „Der Papst hatte damals besonders auch der ‚Priester-Bruderschaft des heiligen Pius X.‘ helfen wollen, wieder die volle Einheit mit dem Nachfolger Petri zu finden, und hatte so eine immer schmerzlicher empfundene Wunde in der Kirche zu heilen versucht. Diese Versöhnung ist bislang leider nicht geglückt, aber eine Reihe von Gemeinschaften machten dankbar von den Möglichkeiten dieses Motu Proprio Gebrauch.“ Das gilt auch zehn Jahre später. Die „Versöhnung“ ist immer noch nicht vollständig geglückt, wenngleich die Annäherung große Fortschritte gemacht hat, sodaß die „Piusbrüder“ problemlos und freundschaftlich mit Bergoglio und der „Kommission Ecclesia Dei“ verkehren und nun selber von der „außerordentlichen Form des römischen Ritus“ sprechen statt nur von ihrer „messe de toujours“.

13. „Hatte man unmittelbar nach dem Ende des II. Vaticanums annehmen können, das Verlangen nach dem Usus von 1962 beschränke sich auf die ältere Generation, die damit aufgewachsen war, so hat sich inzwischen gezeigt, daß junge Menschen diese liturgische Form entdecken, sich von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen besonders gemäße Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden.“ Dadurch sei „ein Bedarf nach klarer rechtlicher Regelung entstanden, der beim Motu Proprio von 1988 noch nicht sichtbar war“, schreibt Ratzinger weiter in seinem Begleitbrief.

Damit hatte man also nicht gerechnet, daß nicht nur die „ältere Generation“ an ihrer „alten Messe“ festhalten würde, sondern daß auch „junge Menschen diese liturgische Form entdecken, sich von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen besonders gemäße Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden“. Diese nicht an irgendwelche „Traditionalisten“-Gruppen zu verlieren, sondern mit „klarer rechtlicher Regelung“ einen Rahmen zu schaffen, um sie in die Menschenmachwerkskirche einzubinden, war ebenfalls ein Ziel des „Motu proprio“. Wie weit ist dies gelungen?

Im März diesen Jahres fand in Herzogenrath die 18. „Kölner Liturgische Tagung“ statt. „Von den Klischees, die sich manche für diejenigen zurechtschustern, die eine bewährte und heilige Liturgie lieben“, hätten dort „keine Bestand“, schwärmt ein Berichterstatter in einem Artikel auf „kath.net“. „Weder ist hier ein Hort von verklebten Nostalgikern, die angeblich Verstaubtes von gestern reanimieren wollen, noch findet man hier nur ältere Teilnehmer. Im Gegenteil: Hier trifft sich eine bunte Vielfalt derer, die den ernstzunehmenden Dialog über Kirche und Liturgie nicht nur plakativ fordern, sondern vor allem auch wagen und beherrschen. Und das generationenübergreifend. Und auch die mehr als 70 Priester unter den 240 Teilnehmern passen in kein kleinkariertes Klischee oder in eine alles so einfach machende Schublade von Vorurteilen.“ Ein Beispiel dafür liefere „der Erzbischof von Portland/Oregon, Alexander Sample, mit seinem autobiographischen Bekenntnis“.

Ganz „ein Kind der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils“, sei dieser „mit der neuen Liturgie aufgewachsen und habe sogar Zelebrationen rund um einen Tisch sitzend, bei denen Brotschalen zur Kommunion rundgereicht wurden, als ganz normal und ‚sehr relevanten Weg‘, der junge Leute anspreche, empfunden“. Als Bischof habe er dann „angefangen, den alten Ritus überhaupt zu entdecken“, und habe 2008 damit begonnen, „diese Form regelrecht zu lernen, als Folge des Motto (!) proprio ‚Summorum Pontificum‘ Benedikts XVI.“. Da habe sich „etwas Wesentliches mit ihm“ ereignet, und er sei „tief beeindruckt“ gewesen „von der Schönheit, der Würde und der Heiligkeit der traditionellen Messe“.

Offensichtlich hat das „Motto proprio“ hier seine Wirkung getan. Mit ihm „begann sein Weg der Erneuerung“, sagt der „Bischof“. „Er, der selbstverständlich und gerne auch den Novus Ordo andächtig und ehrfurchtsvoll feiert und zu feiern versteht, machte sich auf einen neuen Weg.“ Und nach „18 Jahren Priesterleben und zwei Jahren als Bischof“ entdeckte er „einen reichen Schatz an Spiritualität und Ehrfurcht vor Gott“. „Als erst nach dem Konzil Aufgewachsener habe er dabei logischerweise bei sich keine Grundlage für Nostalgie oder Rückwärtsgewandtheit vorfinden können.“ Auch der Wunsch Ratzingers, es möchten sich „beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten“, scheint bei unserem „Bischof“ in Erfüllung gegangen zu sein. Gewiß verwirklicht er, „der selbstverständlich und gerne auch den Novus Ordo andächtig und ehrfurchtsvoll feiert und zu feiern versteht“, das, was Ratzinger in seinem Brief beschrieb: „In der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. kann stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht. Die sicherste Gewähr dafür, daß das Missale Pauls VI. die Gemeinden eint und von ihnen geliebt wird, besteht im ehrfürchtigen Vollzug seiner Vorgaben, der seinen spirituellen Reichtum und seine theologische Tiefe sichtbar werden läßt.“

„Mgr“. Pozzo, der Sekretär der Kommission „Ecclesia Dei“, bekennt in einem „Interview“ mit „L‘Homme Nouveau“ anläßlich des zehnjährigen Jubiläums von „Summorum Pontificum“: „Als Priester ließ mich die außerordentliche Form einen wertvollen Schatz kennenlernen, der in keiner Weise dem Novus Ordo widerspricht, sondern die Werte und Aspekte der Liturgie unterstreicht und hervorhebt, welche im Vordergrund stehen müssen. Nicht daß diese Aspekte im Novus Ordo fehlen – wenn er gemäß den Rubriken und im Einklang mit der Lehre gefeiert wird – aber sie sind im Vetus Ordo sichtbarer und greifbarer. … Ich muß sagen, daß die Zelebration der Messe nach dem Vetus Ordo in mir eine größere Ehrfurcht bei der Messe des Novus Ordo unterstütz, indem ich die theologische Tiefe besser erkenne, welche dieser auch enthält.“ Der „Vetus Ordo“ als Hilfe für eine „ehrfurchtsvollere“ Feier des „Novus Ordo“. Dieses Ziel hat Ratzinger wenigstens partiell erreicht.

14. Den tiefsten und wichtigsten Grund seines „Motu proprio“ läßt Ratzinger freilich am Ende seines Briefes erkennen: „Es geht um eine innere Versöhnung in der Kirche.“ Seine größte Sorge galt von jeher jenem „Bruch“, den er sich auftun sah zwischen „Traditionalisten“ und „Progressisten“, einer „Spaltung“, die sich dort anbahnen konnte, und die er durch seine dialektische Großtat überwinden und in einen Sprung in die Postmoderne umwandeln wollte. Darum übt er sich in der „coniunctio oppositorum“, der Vereinigung der Widersprüche. „Es gibt keinen Widerspruch zwischen der einen und der anderen Ausgabe des Missale Romanum“, dekretiert er erneut in seinem Begleitbrief. „In der Liturgiegeschichte gibt es Wachstum und Fortschritt, aber keinen Bruch“, wie er es bereits in seinem „Motu proprio“ dekretiert hatte. „Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein. Es tut uns allen gut, die Reichtümer zu wahren, die im Glauben und Beten der Kirche gewachsen sind und ihnen ihren rechten Ort zu geben.“ Andererseits: „Um die volle communio zu leben, können die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen. Ein völliger Ausschluß wäre nämlich nicht in Übereinstimmung mit der Anerkennung des Wertes und der Heiligkeit des Ritus in seiner erneuerten Form.“

„Das Motu proprio Summorum Pontificum zielt nicht auf einer liturgische Uniformität, sondern auf eine Versöhnung in der Kirche“, erklärt „Mgr.“ Pozzo in seinem „Interview“. „Unter diesem Blickwinkel ist die Bilanz dieses ersten Jahrzehnts in großen Teilen positiv, denn diese Auffassung hat, wenn auch nicht ohne Anfangsschwierigkeiten, allmählich zahlreiche Diözesen gewonnen und es möglich gemacht, das gegenseitige Mißtrauen abzubauen. Insbesondere in Frankreich und den Vereinigten Staaten, den Ländern, welche die meisten Zelebrationen in der außerordentlichen Form aufweisen, kann das Ergebnis als befriedigend und ermutigend gewertet werden, nicht zuletzt dank des apostolischen Eifers der Institute, welche der Jurisdiktion der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei unterstehen.“

„Reform der Reform“

15. Der „alte Usus“, die These, und die „neuen liturgischen Bücher“, die Antithese, versöhnen sich und verbinden sich schließlich in der Synthese, der „Reform der Reform“. Das war der eigentliche große Traum des Liturgikers und Dialektikers Ratzinger. Noch als „Kardinal“ hatte er sich zur einer „Reaktivierung“ des „alten Ritus“ geäußert und gesagt: „Das würde allein keine Lösung sein. Ich bin zwar der Meinung, daß man viel großzügiger den alten Ritus all denen gewähren sollte, die das wünschen.“ In einem Brief vom 23. Juni 2003 schrieb er an einen Altphilologen: „Ich glaube aber, daß auf Dauer die römische Kirche doch wieder einen einzigen römischen Ritus haben muß; die Existenz von zwei offiziellen Riten ist in der Praxis für die Bischöfe und Priester nur schwer zu ‚verwalten’.“ Er sprach von einem „Römischen Ritus der Zukunft“ und beschrieb diesen wie folgt: „Der Römische Ritus der Zukunft sollte ein einziger Ritus sein, auf Latein oder in der Landessprache gefeiert, aber vollständig in der Tradition des überlieferten Ritus stehend; er könnte einige neue Elemente aufnehmen, die sich bewährt haben, wie neue Feste, einige neue Präfationen in der Messe, eine erweiterte Leseordnung - mehr Auswahl als früher, aber nicht zuviel - eine ‚Oratio fidelium’, d.h. eine festgelegte Fürbitt-Litanei nach dem Oremus vor der Opferung, wo sie früher ihren Platz hatte.“

In seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ sinnierte Ratzinger: „Man könnte sagen, daß die Liturgie damals – 1918 – in mancher Hinsicht einem Fresko glich, das zwar unversehrt bewahrt, aber von einer späteren Übertünchung fast verdeckt war: Im Meßbuch, nach dem der Priester sie feierte, war ihre von den Ursprüngen her gewachsene Gestalt ganz gegenwärtig, aber für die Gläubigen war sie weithin unter privaten Gebetsanleitungen und -formen verborgen. Durch die Liturgische Bewegung und durch das Zweite Vatikanische Konzil wurde das Fresko freigelegt, und einen Augenblick waren wir fasziniert von der Schönheit seiner Farben und Figuren. Aber inzwischen ist es durch klimatische Bedingungen wie auch durch mancherlei Restaurationen oder Rekonstruktionen gefährdet und droht zerstört zu werden, wenn nicht schnell das Nötige getan wird, um diesen schädlichen Einflüssen Einhalt zu gebieten. Natürlich darf es nicht wieder übertüncht werden, aber eine neue Ehrfurcht im Umgang damit, ein neues Verstehen seiner Aussage und seiner Wirklichkeit ist geboten, damit nicht die Wiederentdeckung zur ersten Stufe des definitiven Verlustes wird“ (Der Geist der Liturgie, S. 7 f). Es fällt nicht schwer, in seinem „Römischen Ritus der Zukunft“ jenes Stadium der Transmutation zu erblicken, da nach dem „II. Vatikanum“ das übertünchte „Fresko freigelegt“ worden war und er sich „fasziniert“ zeigte „von der Schönheit seiner Farben und Figuren“, ehe es erneut von „schädlichen Einflüssen“ drohte „übertüncht“ zu werden. Es handelt sich um die erste „nachkonziliare“ Fassung des Missale von 1965.

Seine Synthese sah demnach so aus, daß man sich in der dialektischen Spannung der „versöhnten“ Riten von 1962, dem letzten „vorkonziliaren“, und von 1969, dem „Novus Ordo“, etwa in der Mitte treffen solle, beim ersten „nachkonziliaren“ von 1965. Damit wäre dem „Konzil“ und seinen „Reformen“ entsprochen, gleichzeitig die Auswüchse des „Novus Ordo“ abgeschnitten und den Anhängern der „alten Liturgie“ weit entgegengekommen. Der „Bruch“ wäre geheilt, die „Spaltung“ vermieden. Zurecht hoffte Ratzinger, in Erzbischof Lefebvre dafür einen Partner zu finden, hatte doch dieser sich anfangs seinerseits recht angetan gezeigt von den „konziliaren Reformen“ und anstandslos die Bücher von 1965 für sich und seine Bruderschaft übernommen, ehe er unter dem Druck seiner Seminaristen zu den Büchern von 1962 zurückkehrte.

„Es ist klar, daß der erste Teil der Messe, der geschaffen ist, die Gläubigen zu belehren und sie ihren Glauben ausdrücken zu lassen, diese Ziele in einer deutlicheren und in gewissem Ausmaß verständlicheren Weise erreichen mußte. Nach meiner bescheidenen Ansicht schienen zwei Reformen in diesem Sinne nützlich, erstens die Riten dieses ersten Teils und einige Übersetzungen in die Landessprache.“ So hatte sich Mgr. Lefebvre einst zu den „konziliaren Reformen“ geäußert. „Das hätte dadurch zu geschehen, daß sich der Priester den Gläubigen nähert, mit ihnen in Verbindung steht, betet und singt, daß er sich also am Lesepult aufhält, daß er die Epistel und das Evangelium in ihrer Sprache verliest und mit den Gläubigen die himmlischen, traditionellen Weisen des Kyrie, des Gloria und des Credo singt. All das wären glückliche Reformen, die diesen Teil der Messe seinen wahrhaften Zweck wiederfinden lassen.“

Es sieht im Moment so aus, als wollte diese „Reform der Reform“ ein Wunschtraum bleiben. Zu sehr hat sich die Vorstellung der „zwei Formen“ oder „zwei Riten“ festgesetzt, mal in unversöhnlichem Gegensatz, mal in „versöhnter Verschiedenheit“. Doch es wäre nicht das erste Mal, daß ein Ratzinger seiner Zeit weit voraus war und eine ferne Zukunft vorweg nahm. Sein Nachfolger oder „Co-Papst“ Bergoglio ist an liturgischen Dingen wenig bis gar nicht interessiert. Seine „Meßfeiern“ ohne Gesang, ohne Kniebeugen, schmucklos und stillos, so profan wie nur möglich, sind nicht angetan, Liebhaber der „alten Liturgie“ zu gewinnen.

Friedliche Koexistenz der Riten

16. Als bleibender Ertrag von „Summorum Pontificum“ dürfte sich erhalten die offizielle Anerkennung des „Meßbuchs, das von Johannes XXIII. 1962 herausgegeben worden war“, als legitime „außerordentliche Form“ der Messe der Menschenmachwerkskirche des „II. Vatikanums“ neben dem „Novus Ordo“ als deren „ordentlicher Form“. Es wird damit die Brücke geschlagen von der „präkonziliaren“ zur „postkonziliaren“ Phase der Neuerungen und alles zusammen sanktioniert und mit dem Band der „Kontinuität“ umschlungen. Es waren in der Tat Stadien eines Prozesses, wie wir gesehen haben, und in der „Konziliaren Kirche“ mit ihrem Evolutionismus und ihrer „lebendigen Dynamik“ zählen Entwicklungen mehr als Formen.

„Mgr.“ Guido Pozzo bekräftigt in seinem Gespräch mit Guillaume Luyt von „L‘Homme Nouveau“: „Das Motu proprio zielt nicht auf irgendeine liturgische Uniformität, sondern auf eine wahre Versöhnung in der Kirche, indem er die beiden Formen des römischen Ritus nebeneinander bestehen läßt unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten. Wie die Instruktion Universae Ecclesiae unterstreicht, hat der Heilige Vater mit Summorum Pontificum ein universales Gesetz der Kirche erlassen, indem er eine präzisere Regelung traf für die Zelebration der Sakramente im Vetus Ordo und indem er festsetzte, daß die Texte des römischen Missale des seligen Paul VI. und jene, die auf die letzte Ausgabe zurückgehen, welche unter Johannes XXIII. erschien, zwei Formen der römischen Liturgie darstellen, die jeweils ordentlich und außerordentlich genannt werden. Es handelt sich um zwei Anwendungen des einen römischen Ritus, die Seite an Seite leben: der ordentliche als der allgemeine und gewöhnliche Gebrauch, der außerordentliche als spezieller Gebrauch (aber keineswegs in außergewöhnlichen oder seltenen Fällen), der aufgrund seiner ehrwürdigen und alten Tradition mit all dem Respekt betrachtet werden muß, den er verdient.“

Vollkommen erfüllt wurde damit der Wunsch von S.E. Erzbischof Lefebvre, den er am 17.9.1976 in einem Brief an den Präsidenten von „Una Voce“ äußerte: „Für die universale Kirche wünsche ich wie Sie die friedliche Koexistenz der vor- und nachkonziliaren Riten. Man lasse also die Priester und die Gläubigen wählen, welche ‚Familie des Ritus‘ sie bevorzugen und welchem sie anhängen wollen. In der Folge warte man dann ab, dass der Lauf der Zeit das Urteil Gottes erkennen lasse im Hinblick auf die Wahrheit und die Heilswirksamkeit für die katholische Kirche und für die ganze Christenheit.“ Darin zeigt sich die tiefe Einigkeit der scheinbaren Antipoden Lefebvre und Ratzinger. Wenn das keine „innere Versöhnung in der Kirche“ ist!